Meine verehrten Damen und Herren! Meine lieben Glaubensgenossen!
Die Münchener Tagung ist zu Ende! Die Worte heißen und herzlichen Dankes, die wir alle seit Tagen auf dem Herzen tragen, sollen nunmehr gesprochen werden.
Wir danken vor allem und in erster Linie dem Lokalkomitee. Ich glaube, keiner von uns kann so ganz die ungeheure Arbeit ermessen, die das Münchener Lokalkomitee unter der Leitung seines verehrten Präsidenten, des Stadtrats Rauch, geleistet hat. Ist es schon in normalen Zeiten eine große, schwierige Arbeit, so wiegt die Schwierigkeit in einer Zeit wie der unsrigen doppelt und dreifach so schwer. Dazu kam die Schwierigkeit der ganzen Lage. Das Lokalkomitee musste damit rechnen, ob nicht politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten seine ganze Arbeit vernichten würden. Nur die Überzeugungstreue und der Opfermut der Katholiken, die im Münchener Lokalkomitee vereinigt waren, haben über diese Schwierigkeiten hinweggeholfen. Ihnen sei unser herzlicher und wärmster Dank.
Dank zollen wir dann dem Hochwürdigsten Herrn Kardinal. Er hat uns hieher nach München liebevoll eingeladen, und wir sind alle Zeugen gewesen, wie er in diesen Tagen unermüdlich von Versammlung zu Versammlung, von Veranstaltung zu Veranstaltung geeilt ist, mahnend, tröstend, ermutigend. Wir danken ihm aufs herzlichste dafür.
Dank gebührt weiter den Rednern, den Rednern in dieser großen Nachmittagsversammlung, den Referenten in den geschlossenen Versammlungen und all den Damen und Herren, die in den zahlreichen Nebenveranstaltungen gesprochen haben. Sie alle aufzuzählen, dazu würde die Zeit nicht ausreichen. Wir danken ihnen allen insgesamt und versprechen ihnen, dass wir ihr Wort bewahren und ihrer im Gebete gedenken wollen.
Ein weiterer Dank gebührt den ausgezeichneten Beamten der Landespolizei, und zwar ein Dank deshalb, weil sie in ganz außerordentlich hingebungsvoller Arbeit diese Halle geschaffen haben. Wenn sie nicht in Tag- und Nachtschichten, und ohne einen achtstündigen Arbeitstag zu kennen, auch nachts gearbeitet hätten, säßen wir heute nicht hier.
Einen dürfen wir nicht vergessen, den heiligen Petrus. Er macht auch, soviel ich weiß, in Bayern das Wetter. Wahrhaftig, diese Tage waren vom ersten bis zum heutigen in blau und Sonne getaucht. Nur am heutigen Tage hat er einige Silberwolken heraufziehen lassen, um die bayerischen Farben weiß und blau am Himmel zu zeigen. Aber auch jetzt war er noch gnädig gewesen, das Gewitter, das die Landeswetterwarte prophezeit hat, hat er anderswohin verlegt.
Die Geschäftsordnung unserer Katholikentage verlangt, dass der Präsident einen Rückblick werfen soll. Mit Recht, denn dem einzelnen Teilnehmer ist es bei dem Ausmaß, das unsere Versammlungen genommen haben, nicht möglich, einen Überblick zu gewinnen.
Der Gesamteindruck aller Veranstaltungen war außerordentlich tief, nachhaltig, ja überwältigend.
Welch wundervolle Introduktion bot zuerst die Wallfahrt nach Oberammergau. Ich sage absichtlich und ausdrücklich: die Wallfahrt. Denn für uns gläubige Christen war das Christusspiel in Oberammergau eine Stunde der religiösen Erbauung, wofür wir den Oberammergauern unseren herzlichsten Dank sagen.
Dann kam der Samstag Abend mit der prachtvollen Kirchenmusik, die uns, wie überhaupt alle kirchenmusikalischen Veranstaltungen, in denen München Außerordentliches geleistet hat, einen außerordentlich hohen, reinen und künstlerischen Genuss gewährt hat.
Einen unauslöschlichen Eindruck wohl auf jeden hat die Pontifikalmesse am Sonntag Morgen auf dem Königsplatz gemacht. Der Platz mit seinen klaren Linien, die großzügige Architektur, das Meer von Fahnen, getaucht und übergossen durch das Gold der Sonne, die hl. Messe, die Ansprache, das alles wird für jeden von uns ein unvergänglicher Eindruck bis an das Ende seiner Tage sein.
In diesem Zusammenhang will ich nochmals der Tiroler gedenken. Die Tiroler haben mit ihrem Landsturmkreuz vom Berg Isel unser Herz, das Herz von München, von ganz Bayern und Deutschland erobert. Wir rufen ihnen zu, sie sollen ausharren und nicht verzagen. Sie sollen feststehen wie ihre Berge, sie sind und werden nicht vergessen vom deutschen Volke. Und wenn es auch jetzt noch so trüb und traurig ist, es muss doch noch einmal anders werden.
Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Auch von diesem Schatten zu sprechen, ist meine Pflicht. Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht.
Unsere Einigkeit in der Einschätzung und Bewertung mancher Dinge leidet unter der Verschiedenheit unserer Beurteilung der gegenwärtigen staatlichen Verhältnisse. Ich hoffe und bin überzeugt, dass der kristallklare Vortrag des Prälaten Mausbach, der sich bei dem, was er sagte, auf die Aussprüche unserer höchsten kirchlichen Autoritäten stützen konnte, in dieser Hinsicht reinigend und klärend gewirkt hat. Ich erblicke in dieser Verschiedenheit der Beurteilung eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Aktionsfähigkeit der deutschen Katholiken, für ihre Aktionsfähigkeit, die sie bei der Verteidigung ihrer religiösen Grundsätze jetzt mehr denn je nötig haben werden.
Manche katholischen Kreise müssen ihr Gefühl etwas zurücktreten lassen. Ich bin überzeugt, die Verschiedenheit in der Beurteilung der heutigen staatlichen Verhältnisse ließe sich, wenn sie auch im Prinzip bleiben mag, so gestalten, dass sie nicht mehr unsere Einigkeit gefährden würde.
Im staatlichen Leben dürfen Gefühlsmomente, und mögen sie an sich noch so großer Achtung wert sein, keine ausschlaggebende Rolle spielen. Feste, in Ruhe überlegte Grundsätze sind nötig. Nötig ist auch die kühle und klare Erkenntnis der Dinge und der Möglichkeiten.
Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände. Es verrät Mangel an historischem Blick, sie verantwortlich zu machen für die Kämpfe, die uns Katholiken bevorstehen.
Alles ist organisch geworden, nichts fällt ohne weiteres vom Himmel herab, nichts ist das Werk eines Augenblickes, alles in der Natur ist das Produkt einer längeren Arbeit. Wenn im Herbste der Wind die Blätter von den Bäumen fegt, so ist der Wind nur der Anstoß, denn die Blätter waren alt und müde, und wenn der Sturm Äste und Bäume bricht, so war der Sturm nur der Anstoß, denn die Bäume und Äste waren alt und morsch, denn wären sie nicht morsch und lebensschwach gewesen, so hätten sie den Sturm überdauert.
Wie in der Natur, so ist es überall, nichts ereignet sich ohne organisches Werden. Die Treibhaustemperatur des Krieges hat Keime zu rascher Entwicklung gebracht, die aber bereits lange vor dem Kriege gelegt waren. Mancher Staatsmann, der heute auf andere Steine wirft, müsste sich an die Brust klopfen und sagen: „Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa."
Alles fließt, sagt der Grieche, und es wird weiter fließen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen.
Wie ich an das Walten einer Gerechtigkeit glaube, so glaube ich auch daran, dass etwas, was gut und stark ist, nicht untergehen kann. Manches werden wir über Jahr und Tag, wenn wir erst einen gewissen Abstand von den Ereignissen gewonnen haben, anders ansehen als heute.
Aber heute kann es für die deutschen Katholiken nur eine Parole geben, und die ist: Einigkeit und Geschlossenheit! Und alles zurückzustellen, was die einzelnen von uns trennt!
Wer der Einigkeit des Katholizismus dient, dient dem deutschen Volke. Ohne den einigen deutschen Katholizismus ist der Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes unmöglich. Dies ist Arbeit am Vaterland, und wer diese Arbeit leistet, nützt auch dem deutschen Katholizismus. Denn das deutsche Vaterland ist auch wichtig für den Katholizismus, ohne das deutsche Vaterland wird auch der deutsche Katholizismus nicht das bleiben, was er ist, ja ohne Deutschland ist es unmöglich, dass sich der deutsche Katholizismus auf deutsche Art auswirken kann. An dem Bestehen des deutschen Katholizismus hat auch unsere heilige Kirche das größte Interesse, wir sind darum verpflichtet gegenüber uns selbst, gegenüber unseren Kindern, gegenüber unserem Volke und gegenüber unserer Kirche, an der Einigkeit der deutschen Katholiken mit allen Kräften mitzuwirken.
Wir stehen am Ende unserer Tagung. Soll es nun wirklich mit allem zu Ende sein? Sollen all die Reden und Ansprachen, die wir gehört haben, nur Worte bleiben? Nein, jetzt fängt der Katholikentag erst recht an, denn jetzt beginnt die Arbeit.
Von der Münchener Tagung müssen Kraftströme sich ergießen, Kraftwellen hinausfluten ins ganze deutsche Land. Wir alle, die wir hier waren, müssen Träger dieser Kraft sein. Jetzt auf zur Arbeit, zur Arbeit an uns selbst, zur Arbeit am Volke, damit die Auswirkungen des Katholikentages im ganzen Volke fühlbar werden.
Zu dieser Arbeit brauchen wir die Gnade Gottes, und wir bitten den Kardinal von München, diese Gnade Gottes auf uns herabzuflehen und uns mit seinem Segen in unsere Heimat zu entlassen.
Quelle: Stehkämper, Hugo: Konrad Adenauer als Katholikentagspräsident 1922. Form und Grenze politischer Entscheidungsfreiheit im katholischen Raum (Adenauer-Studien IV). Mainz 1977, S. 101-112.