Judith Michel
Die nationalsozialistische Weltanschauung stand in diametralem Gegensatz zu Konrad Adenauers Überzeugungen. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht erlangten, fand seine bemerkenswerte Karriere als Kölner Oberbürgermeister daher ein abruptes vorläufiges Ende. Er musste aus dem Kölner Rathaus vor dem nationalsozialistischen Mob fliehen, es folgten weitere Verleumdungen und Schikanen. Mehrfach wurde er von der Gestapo verhaftet und unter Aufsicht gestellt.
1917 wurde Konrad Adenauer zum Oberbürgermeister von Köln gewählt. In den Jahren seiner Amtszeit setzte sich das Zentrumsmitglied für die Modernisierung der Großstadt ein. Seit 1921 war er zudem Präsident des Preußischen Staatsrats. Mit seinem Bekenntnis zur Weimarer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, seinem Einsatz für die Freiheit des Einzelnen und die Würde des Menschen, seinen engen und vorurteilsfreien Beziehungen zu Juden sowie seinen Überlegungen zu einer europapolitischen Einigung vertrat Adenauer politische Ziele und moralische Überzeugungen, die der nationalsozialistischen Weltanschauung diametral entgegenstanden.
Dennoch betrachtete er die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) ebenso wie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) trotz ihrer systemüberwindenden Ausrichtung als „legale“ Parteien, wie es dem Recht und Rechtsverständnis der Zeit entsprach. Nach der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 sprach sich Adenauer gar zunächst für eine Regierung unter Beteiligung der NSDAP mit Adolf Hitler als Reichskanzler aus. So schrieb er am 6. August 1932 an Paul Graf Wolff-Metternich zur Gracht: „Die Zentrumspartei verlangt dringend den Eintritt der Nationalsozialisten in die Reichsregierung. Sie wird bereit sein, alsdann diese Regierung zu tolerieren.“ Adenauers von führenden Zentrumspolitikern geteiltes Ziel war es, so einerseits die Präsidialkabinette abzulösen, andererseits die Nationalsozialisten durch Einbindung zu „zähmen“. Diese Haltung wurde innerhalb des Bürgertums von vielen geteilt, so dass Adenauers Fehleinschätzung für diese Zeit nicht außergewöhnlich war. Später schlug er eine Regierungsbeteiligung der NSDAP auch auf preußischer Ebene vor.
All diese Vorschläge erledigten sich mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Nun merkte Adenauer gegenüber seiner Verwandten Ella Schmittmann gravierende Bedenken an: „Wir sind mitten in einem regelrechten Umsturz, Recht und Verfassung gelten nicht mehr, es ist wie 1918, nur auf andere Weise. Wohin das führt? Ich weiß es nicht, aber man kann sehr besorgt sein.“ In der Zeit bis zu den Wahlen des Reichstags am 5. März bzw. des Preußischen Landtags sowie der Stadtverordnetenversammlung in Köln am 12. März 1933 ging Adenauer nun mehrfach auf Konfrontationskurs mit den Nationalsozialisten, sobald er ihnen einen Rechtsbruch vorwerfen konnte.
So war Adenauer als Staatsratspräsident Mitglied des sogenannten Dreimännerkollegiums, das über die Auflösung des Preußischen Landtags bestimmen konnte. Am 6. Februar 1933 trat das Dreimännerkollegium mit Landtagspräsident Hanns Kerrl, Adenauer und Franz von Papen zusammen, um auf Wunsch der Regierung Hitlers über die Auflösung zu verhandeln. Adenauer hielt von Papens Teilnahme, der als „Reichskommissar für Preußen“ anstelle des durch den „Preußenschlag“ entmachteten Ministerpräsidenten Otto Braun im Kollegium vertreten war, für nicht verfassungskonform und nahm daher an der Abstimmung nicht teil. Kerrl und von Papen lösten daraufhin den Landtag ohne Adenauers Beteiligung auf.
Als der frisch zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler am 17. Februar 1933 für eine große Wahlkampfveranstaltung nach Köln reiste, empfing ihn Adenauer nicht persönlich am Flughafen und lehnte eine Rheinbeleuchtung zu seinen Ehren ab. Adenauer argumentierte, Hitler sei als Parteiführer und nicht als Reichskanzler in Köln. Zudem ließ der Oberbürgermeister Hakenkreuzfahnen entfernen, die auf der Deutzer Hängebrücke – und damit auf städtischem Eigentum – angebracht worden waren.
Wenige Tage später wurde Adenauer vom Preußischen Staatsrat beauftragt, bei Reichspräsident Paul von Hindenburg Einspruch gegen die unrechtmäßige Besetzung des Dreimännerkollegiums und gegen verschiedene Verordnungen einzulegen. Adenauer mahnte insbesondere an, Einschränkungen der Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit zurückzunehmen, und beanstandete den sogenannten Schießerlass des Reichskommissars für das preußische Innenministerium, Hermann Göring, durch den Übergriffe der preußischen Polizei gegenüber Bürgern gerechtfertigt werden konnten. Die am 25. Februar 1933 mit Göring und Vizekanzler von Papen darüber geführte Unterredung blieb ebenso ergebnislos wie Adenauers Appell vom 1. März an von Papen, die einschüchternde Anwesenheit von SA- und SS-Mitgliedern bei der Kommunalwahl am 12. März zu unterbinden.
Im Wahlkampf lief die NS-Propaganda zu Hochtouren auf und griff ältere Vorwürfe gegen Adenauers vermeintlichen „kölschen Klüngel“, angebliche Misswirtschaft und unterstellten Separatismus auf. Korruption und Misswirtschaft waren gängige Vorwürfe, mit denen auch andere missliebige Politiker durch die Nationalsozialisten konfrontiert und diskreditiert wurden. Maßgebliche Kräfte bei dieser Hetze waren der nationalsozialistische „Westdeutsche Beobachter“ und die rheinische NSDAP-Größe Josef Grohé, von denen Adenauer als „Judenknecht“, „Blutjude“ und jüdischer „Großprotz von Köln“ bezeichnet wurde. Diese bösartigen und rassistischen Vorwürfe spielten auf Adenauers gute Beziehungen zu Juden wie dem Unternehmer Dannie Heineman und zur jüdischen Gemeinde sowie zur zionistischen Bewegung Kölns an.
Bei der Reichstagswahl erreichte die NSDAP in Köln ein Drittel der Stimmen – dies war zwar weniger als auf Reichsebene, aber dennoch ein beachtlicher Erfolg. Die Woche zwischen Reichstags- und Kommunalwahl erlebte Adenauer als Hetzjagd, in der er zahlreiche Warnungen und Drohungen erhielt. Zu seinem vermeintlichen „Schutz“ wurden SA-Wachen in sein Haus geschickt. Gleichzeitig zogen jedoch SA-Mitglieder durch die Stadt und sammelten Geld unter der Parole: „Jeder Groschen ein Schuß gegen Adenauer!“
Adenauer traf nun Vorbereitungen und brachte seine Familie ins Caritas-Krankenhaus Hohenlind. Am 12. März erhielt er vom Beigeordneten Eberhard Bönner die Warnung, dass die SA ihn am folgenden Tag aus dem Rathausfenster werfen oder ihn auf dem Neumarkt einer Art Lynchjustiz ausliefern wolle. Nach den Kommunalwahlen hätte Adenauer keine Basis mehr für die Fortsetzung seiner politischen Arbeit gehabt, da die NSDAP und die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot aus DNVP und Stahlhelm mit Hilfe eines Überläufers in der Stadtverordnetenversammlung die absolute Mehrheit erhielten. Am 13. März näherten sich morgens NSDAP-Gruppierungen in militärischer Formation dem Kölner Rathaus und forderten mit Sprechchören „Adenauer an die Mauer“. Grohé erklärte Adenauer ohne rechtliche Grundlage für abgesetzt und ernannte Günter Riesen zum kommissarischen Oberbürgermeister. Zu diesem Zeitpunkt hatte Adenauer sein Kölner Haus an den SA-Wachen vorbei bereits verlassen und war von seinem Freund, dem Bankier Robert Pferdmenges, nach Dortmund gebracht worden, wo er den Zug nach Berlin bestieg.
In Berlin konnte Adenauer bis zur Neuwahl des Staatsratspräsidenten Ende April 1933 in seiner Dienstwohnung als Staatsratspräsident in der Wilhelmstraße wohnen. Aus heutiger Sicht erscheint die Situation absurd, dass Adenauer auf der Flucht vor dem Kölner Mob in Berlin nur zwei Häuser von Hermann Göring entfernt unter Polizeischutz Zuflucht finden konnte. Mit Göring traf er wenige Tage später für ein Gespräch zusammen, um sich über die Vorfälle in Köln zu beschweren. Noch immer hoffte er auf einen letzten Rest von Bewusstsein für Rechtsstaatlichkeit bei den Nationalsozialisten. Das Gespräch führte jedoch nicht zum erhofften Erfolg, sondern endete mit dem Hinweis Görings, er habe gegen Adenauer eine dienstrechtliche Untersuchung angeordnet.
Konrad Adenauer über seine Absetzung als Kölner Oberbürgermeister durch die Nationalsozialisten, Auszug von der Schallplatte "Aus meinem Leben" (1961).
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der EMI.
Angesichts der Verleumdungen, die über ihn in die Welt gesetzt wurden, beantragte Adenauer schließlich ein Dienststrafverfahren gegen sich selbst, um seine Unschuld zu beweisen. Dieses Verfahren wurde am 4. April 1933 vom Kölner Regierungspräsidenten „mit dem Ziel der Dienstentlassung“ eingeleitet. Zudem wurde Adenauer sofort vorläufig des Dienstes enthoben, was mit einer Halbierung seiner Bezüge einherging. Durch seine Absetzung als Kölner Oberbürgermeister verlor Adenauer seine kommunalen Ämter und musste den Vorsitz, den er bei mehreren Aktiengesellschaften und GmbHs innehatte, niederlegen. Zudem verzichtete er auf die Nominierung für die Neuwahlen zum Provinzialausschuss und zum Preußischen Staatsratspräsidenten.
Die Kürzung seiner Bezüge sowie die Aufforderung, Teile seines Gehalts von 1932 zurückzuzahlen, betrachtete Adenauer als „geeignet, die wirtschaftliche Existenz (s)einer Familie zu zerstören“. Sein Vermögen bestand zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aus dem repräsentativen Haus in der Max-Bruch-Straße 6 in Köln, für das er Steuern und Hypothekenzinsen weiterzahlen musste, ohne es nutzen, verkaufen oder in Gänze vermieten zu können. Vermutlich empfand Adenauer seine finanzielle Situation schlimmer als sie tatsächlich war, zumal er von seinem Freund Dannie Heineman mit größeren Geldbeträgen unterstützt wurde. Dennoch stand Adenauer vor dem Scherbenhaufen seiner bürgerlichen Existenz. Nicht einmal seine treuen Freunde Heineman und Pferdmenges sahen sich in der Lage, dem politisch und sozial Geächteten in dieser Situation eine angemessene Anstellung zu vermitteln.
Adenauer nahm daher den juristischen Kampf mit den Nationalsozialisten auf. Neben einer zufriedenstellenden finanziellen Lösung erhoffte er sich davon vor allem die Wiederherstellung seiner Ehre. Hier kamen Adenauer seine juristische Ausbildung, seine Verwaltungserfahrung und seine Hartnäckigkeit zu Gute. Akribisch nahm er Stellung zu den im Dienststrafverfahren erhobenen Vorwürfen, die sich insbesondere um Misswirtschaft, Nepotismus und Korruption drehten. Ein herber Schlag für den mittlerweile im Kloster Maria Laach untergeschlüpften Adenauer war zunächst seine offizielle Dienstentlassung vom 17. Juli 1933 durch den Innenminister auf Grundlage des § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Eine Entlassung nach § 4 bedeutete, der Betreffende sei als „national nicht zuverlässig“ einzustufen, was mit einer Kürzung der Pension einherging. Letztlich konnten die Nationalsozialisten für keinen der Vorwürfe stichhaltige Beweise vorlegen. Am 4. Juni 1934 wurde das Verfahren gegen Adenauer schließlich eingestellt, allerdings mit der Erläuterung, dass damit seine Unschuld keinesfalls erwiesen sei.
Weiterhin offen war der juristische Streit mit der Stadt Köln um Adenauers finanzielle Forderungen. Am 28. August 1937 konnte Adenauer schließlich einen Vergleich erzielen. Die Stadt Köln übernahm Adenauers Haus in der Max-Bruch-Straße zum Schleuderpreis und zahlte ihm nach Abzug der Schulden und aufgelaufenen Steuern insgesamt 153.886 Reichsmark. Seine Pension sollte ab sofort 15.000 RM jährlich betragen. Erst als Adenauer nach dem Ende des „Dritten Reichs“ als durch das NS-Regime Verfolgter anerkannt wurde, wurden ihm auch die nach diesem Vergleich einbehaltenen Dienstbezüge ausgezahlt.
Konrad Adenauer über die Verfolgung durch die Nationalsozialisten und sein Penisonärsleben in Rhöndorf und über die Verfolgung durch die Nationalsozialisten und sein Pensionärsleben in Rhöndorf, Auszüge von der Schallplatte "Aus meinem Leben" (1961).
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der EMI.
Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass sich Adenauer am 30. Juni 1934, dem Tag des sogenannten Röhm-Putsches, schließlich der wahre Charakter des NS-Terrorregimes endgültig offenbarte: Er wurde in Neubabelsberg verhaftet, wo er inzwischen mit seiner Familie wohnte. In einer Potsdamer Villa wurde Adenauer für zwei Tage festgehalten, wo er stets mit der sofortigen Erschießung rechnen musste, bis er schließlich doch freigelassen wurde.
Auch nachdem er mit seiner Familie im April 1935 in ein Mietshaus nach Rhöndorf gezogen war, hatte er sich mit den Schikanen des Regimes auseinanderzusetzen. So wurde er unter einem Vorwand für einige Monate aus dem Regierungsbezirk Köln ausgewiesen, was zur Folge hatte, dass er nicht mehr bei seiner Familie in Rhöndorf wohnen durfte und Zuflucht in einem Erholungsheim für katholische Priester im nicht weit entfernten Unkel suchen musste.
Mit dem durch den Vergleich mit der Stadt Köln erhaltenen Geld konnte Adenauer im Winter 1937 den Bau seines Hauses auf dem Grundstück Zenningsweg 8 in Rhöndorf fertigstellen. Dort konnte er zunächst weitgehend ungestört als Pensionär leben. Der erzwungenen Untätigkeit versuchte Adenauer überwiegend mit Gartenarbeit zu entfliehen. Zudem widmete er sich mit großer Ernsthaftigkeit wieder seinen Erfindungen – eine Tätigkeit, der er bereits vor seiner Zeit als Kölner Oberbürgermeister nachgegangen war. Auch diese Zeit war nicht frei von Sorgen, so waren inzwischen alle drei Söhne in die Wehrmacht eingezogen.
Konrad Adenauer über seine Zeit im Nationalsozialismus, Auszug von der Schallplatte "Aus meinem Leben" (1961).
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der EMI.
Während dieser Zeit mieden ihn die meisten Freunde und Bekannten aus Kölner Tagen. Neue Bekannte entstammten zumeist dem katholischen Milieu, mit denen sich Adenauer in seiner Kritik am NS-Regime einig wusste. Unter dem Eindruck der Vertreibung aus Köln, der Gestapo-Haft in Potsdam und der Ausweisung aus dem Regierungsbezirk Köln mied Adenauer jedoch den Kontakt zu aktiven Widerstandskreisen.
Dennoch versuchte Paul Franken, ehemaliger Geschäftsführer des Kartellverbandes der katholischen Studentenvereine Deutschlands und Bundesbruder von Adenauer, diesen für den katholischen Widerstand zu gewinnen. Franken gelang es zwar, Adenauer Mitte der 1930er Jahre zu Treffen unter anderem mit Bernhard Letterhaus, Jakob Kaiser, Heinrich Körner und Adam Stegerwald zu bewegen, die allesamt aktiv im Widerstand waren; Letterhaus und Körner zahlten dafür 1944/45 sogar mit ihrem Leben. Adenauer stimmte mit den Widerständlern in der Ablehnung des NS-Regimes überein, war jedoch nicht bereit, in deren Kreisen mitzuarbeiten. Er beschränkte sich darauf, sich durch Franken informieren zu lassen. Vor allem an eine tragende Rolle des Militärs im Widerstand konnte er nicht glauben.
Ab Ende 1942 versuchten Franken, Kaiser und Körner erneut, Adenauer zur Mitarbeit im Widerstand zu gewinnen. Adenauer war jedoch die zentrale Rolle des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters Carl Friedrich Goerdelers bekannt, dessen Vorgehen er für unverantwortlich hielt: Zu viele Mitwisser und eine wahrscheinliche Gestapoüberwachung zentraler Beteiligter ließen Adenauer befürchten, dass die Umsturzplänen unweigerlich aufgedeckt werden mussten und somit das Leben der Verschwörer sowie das ihrer Familien gefährden würden. Er weigerte sich daher, Goerdeler zu treffen. Dem Militär traute er weiterhin nicht zu, einen Umsturz herbeizuführen. Zudem musste der Krieg seiner Ansicht nach auf allen Seiten zu Ende gehen, um einen wirklichen Neuanfang zu ermöglichen und eine weitere Dolchstoßlegende wie nach 1918 zu verhindern.
Adenauer stand somit immer wieder im Austausch mit Widerständlern, ihre Vorgehensweise hielt er jedoch für verfehlt und gefährlich. Um seine Familie und sich nicht unnötig zu gefährden, beteiligte er sich daher nicht aktiv am Widerstand. Dass die Widerständler aber durchaus mit Adenauer rechneten, beweisen nicht nur die wiederholten Versuche, ihn zum Mitmachen zu bewegen. Auch der Kreisauer Kreis sah für ihn nach dem Umsturz eine Funktion als Landeshauptmann für den Mittelrhein vor.
Trotz Adenauers strikter Weigerung, sich an der Verschwörung zum Sturz Hitlers zu beteiligen, geriet er nach dem gescheiterten Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 abermals ins Visier der Gestapo. Nach einer Hausdurchsuchung am 24. Juli 1944, wurde er am 23. August von der Gestapo in das Internierungslager auf dem Deutzer Messegelände gebracht. Entweder fiel sein Name bei Verhören von Inhaftierten oder sein Name stand auf einer Liste, die nun zur Grundlage für die Inhaftierung zahlreicher Funktionsträger der Weimarer Zeit wurde. Mit Hilfe des inhaftierten Kommunisten Eugen Zander, der als „Kapo“ ein Mitarbeiter der Lagerleitung war und den Adenauer aus Kölner Zeiten kannte, und eines Arztes konnte Adenauer ins Krankenhaus Hohenlind überwiesen werden. Von dort gelang ihm mit Unterstützung des befreundeten Majors Hans Schliebusch die Flucht zur Nistermühle im Westerwald.
Die Gestapo inhaftierte nun Adenauers Frau Gussie und setzte sie derartig unter Druck, dass sie aus Angst um ihre Kinder den Aufenthaltsort ihres Mannes verriet. Sie wurde anschließend nach Brauweiler bei Köln überstellt, wo sie einen Selbstmordversuch unternahm, dessen Spätfolgen vermutlich mit zu ihrem Tod am 3. März 1948 mit nur 52 Jahren führten. Nachdem Adenauers Aufenthaltsort bekannt war, wurde er nun ebenfalls in Brauweiler inhaftiert, wo er zwei Monate unter ständiger Todesangst verbrachte. Rückblickend erinnerte sich Adenauer gegenüber einem französischen Reporter: „In dem Gestapogefängnis, in dem ich war, waren zu der Zeit 67 Leute. Davon sind 27 aufgehängt worden, und einer wurde erschossen (…). (M)eine Zelle lag gerade über dem Raum, in dem Menschen gemartert wurden. Das war ein Betonbau, und ich konnte alles hören und habe manche Nacht schweißbedeckt auf meinem Strohsack gelegen wegen der geistigen Qualen, die ich da mitmachen mußte, wenn ich das alles hörte.“
Auf Intervention seines Sohnes Max beim Reichssicherheitshauptamt hin wurde Adenauer schließlich am 25. November 1944 entlassen, da gegen ihn außer der Flucht aus Hohenlind nichts vorlag. Die verbleibenden Kriegsmonate verbrachte er mit 14 Familienmitgliedern in seinem Haus in Rhöndorf. Die Ankunft amerikanischer Soldaten empfanden sie als Befreiung von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft.
Konrad Adenauer über seine Gestapo-Haft 1944, Auszug von der Schallplatte "Aus meinem Leben" (1961).
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der EMI.
Der Adenauer-Biograph Henning Köhler hat die These aufgestellt, Adenauer habe nach der Machtergreifung nur einige „Unsicherheiten und Härten“ zu ertragen gehabt, ansonsten sei ihm der NS-Staat als „weitgehend normales Gemeinwesen“ begegnet, mit dem er „zähe verwaltungsrechtliche Auseinandersetzungen“ habe führen können. Selbst wenn man die Gestapo-Haft der Eheleute Adenauer von 1944 nicht mitberücksichtigt, wird dieses Urteil der Verfolgung, den Schikanen und der Todesgefahr, die für Adenauer vom NS-Regime ausgingen, in keiner Weise gerecht. Obgleich Adenauer im Vergleich zu den Ermordeten und Gefolterten glimpflich davonkam, ist sich die sonstige Forschung einig, dass seine Verfolgung keineswegs harmlos gewesen ist.
Der einst geachtete und wohlsituierte Oberbürgermeister sah sich schon in den Wochen vor seinem Sturz permanenter Bedrohung und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Nach seiner Absetzung erhielt Adenauer keinerlei Unterstützung durch die Kölner Zentrumsfraktion und bis auf wenige Ausnahmen wandte sich das Bürgertum von ihm ab. Zuflucht fand er nun hingegen in den Klöstern, Krankenhäusern und Kurheimen der katholischen Kirche und bei seiner Familie, von der er jedoch häufig für längere Zeit getrennt leben musste. Neben finanziellen Schwierigkeiten und dem Ehrverlust machte es ihm zu schaffen, dass es ihm nicht gelang, Arbeit zu finden, durch die er sich Zeit seines Lebens definierte. Mehrmals war zudem sein Leben bedroht – in Köln durch den Mob, in Neubabelsberg während der Inhaftierung im Zuge der Röhm-Affäre, in Brauweiler in abermaliger Gestapo-Haft. Dieser „Sturz ins Nichts“ führte dazu, dass Adenauer seinem Freund Heineman schon am 14. Oktober 1933 anvertraute: „(W)enn nicht meine Familie und meine religiösen Grundsätze wären, hätte ich lange meinem Leben ein Ende gemacht, es ist so wirklich nicht lebenswert.“
Adenauer unterlag wie viele Deutsche in den ersten Monaten nach der „Machtergreifung“ der politischen Fehleinschätzung, Hitler könne eingehegt werden. „Die allgemeine Verwirrung der Geister im Frühjahr und Sommer 1933“ ging, so kommentiert sein Biograph Hans-Peter Schwarz, „also auch an dem doch so eindeutig anti-nazistischen Adenauer nicht spurlos vorüber.“ In der Tat standen seine politischen und moralischen Überzeugungen in diametralem Gegensatz zur NS-Ideologie, was auch an seinem vehementen Einsatz für Rechtsstaatlichkeit, Völkerverständigung und individuelle Freiheitsrechte in der Nachkriegszeit abzulesen ist.
Sieht man von Adenauers widerständigem Verhalten vor seiner Amtsenthebung 1933 und seinen Kontakten zu Widerstandskreisen ab, war Adenauer nicht am aktiven Widerstand beteiligt. Dennoch legte Adenauer von Anfang an Widerspruch gegen die Rechtsbrüche der neuen Machthaber ein. Sein Vertrauen in den Rechtsstaat war so wenig zu erschüttern, dass er daraus die Kraft zog, sich auf einen langwierigen Rechtsstreit mit den Nationalsozialisten einzulassen, der in der Frühphase des NS-Systems erstaunlicherweise zu seinen Gunsten ausging. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Adenauer für die Nationalsozialisten ein Vertreter des von ihnen verabscheuten Weimarer „Systems“ war, der – wenn auch nicht physisch – so doch politisch und gesellschaftlich ausgeschaltet werden musste.
Eine umfangreiche Bildergalerie zu "Adenauer im Dritten Reich" finden Sie hier.
Am 13. März 1933 musste Oberbürgermeister Adenauer aus dem Kölner Rathaus vor dem nationalsozialistischen Mob fliehen.
Adenauer weiß, dass die Deutschen im Nationalsozialismus große Schuld auf sich geladen haben. Er strebt daher eine Wiedergutmachung an, integriert aber auch pragmatisch NS-Täter in die junge Bundesrepublik.