Golo Mann: Seine Biographie hat etwas Ernstes, Altväterlich-Exemplarisches, lange bevor sie in die allgemeine Geschichte mündete. Der strenge, liebevolle, lebensfrohe Familienvater; die weitverzweigte, tüchtige, wohlplazierte Familie, deren unbestrittenes Oberhaupt er ist; die Sparsamkeit, der Arbeitsfanatismus; die Schicksalsschläge, die ihn treffen und die er hinnimmt, fromm, fest und zäh; die enorme physische und geistige Gesundheit, Ausgeglichenheit der Seele in einfacher Glaubensanschauung; das Wachsen der Stellung im öffentlichen Leben, bei geringen Anfängen, die schöpferischen, geschickt und herrisch durchgesetzten Leistungen des Stadtregenten - all das setzt sich zu einem stark gezeichneten, stimmigen Bild zusammen. Es könnte wohl auch das Bild eines Angelsachsen, eines Franzosen sein. Ich würde sogar sagen, eines protestantischen Franzosen, des Chefs eines der Hugenotten-Clans. Ein paar deutsche Züge kommen dazu, Corps-Studententurn, Wanderlust- und Lieder. Dagegen ist in Adenauers Patriotismus nichts, was nicht auch dem Charakter anderer Völker eignen könnte; wäre er deutsch im besonderen, so wäre er westdeutsch, vor-preußisch, reichsstädtisch, mit einer Spur, aber auch nicht mehr von 1848. |
Walter Lippmann: Sein Horizont ist ohne seine persönliche Schuld irgendwie eng geblieben. Er ist kraft eigener Einsicht ein guter Europäer. Aber sein Europa endet an den Grenzen des alten Römischen Reiches, unter Ausschluß eines großen Teils seines eigenen Landes ... In der deutschen Frage wird er sich wahrscheinlich damit begnügen, sich mit den Lippen zu dem Ideal der deutschen Einheit zu bekennen, ohne allzu heftig darauf zu dringen. In seinem innersten Herzen fühlt er sich wahrscheinlich ganz behaglich innerhalb der Grenzen des gegenwärtigen westdeutschen Staates und wird sich kaum beeilen, wieder intime Beziehungen mit einem „Haufen sozialistischer Preußen" anzuknüpfen. Es wäre falsch, in Adenauers Gesicht mit den schweren Augenlidern und dem leicht sardonischen Lächeln die Züge des neuen Deutschland zu suchen. Er vertritt nicht das zukünftige, noch rätselhafte Deutschland der Nach-Hitler-Generation. |
Rudolf Augstein: Soll man Adenauer ankreiden, daß die Deutschen unter ihm das geistfeindlichste, das geistunempfindlichste Regiment seit dem „Soldatenkönig" begründet haben, beispiellos in der westlichen wie in der östlichen Welt, wo ein Chruschtschow, ja selbst ein Ulbricht gehalten ist, auf die Meinungen der Intelligenz wenigstens zu reagieren? Soll man ihm vorwerfen, daß die Bundesrepublik ein gepanzerter Konsumverein ist, Kluften von jener sittlichen Aufgabe entfernt, die Ranke den Staaten erdacht hat? |
André François-Poncet: Ich war zunächst natürlich frappiert von dieser Maske, der die vorspringenden Backenknochen und ein gelblicher Teint ein mongolisches Aussehen verliehen. Aber ich bemerkte auch sogleich die Intelligenz, die in seinem Blick sprühte, die Energie und die Selbstbeherrschung, die aus seinem Gesicht sprach, und den Humor, der zuweilen in einem Lächeln aufblitzte. Nichts erinnerte bei diesem Siebzigjährigen an sein Alter. Nicht weniger angetan war ich von der Autorität, die von meinem Gegenüber ausging, von seiner natürlichen Vornehmheit, der Einfachheit und Zurückhaltung seiner Sprache, seiner vollkommenen Würde. Adenauer konnte weder Französisch noch Englisch. Ich jedoch sprach fließend Deutsch. Er war darüber erfreut, und bald waren wir mitten in einem sehr angeregten und ungewöhnlich freimütigen Gespräch, als ob wir uns seit langem gekannt hätten. |
Heinrich Albertz: Adenauer hat es mit diesem unserem Teil Deutschlands nie leicht gehabt. Vielleicht haben wir es ihm auch nicht immer leichtgemacht. Immerhin, und das wurde in Bonn und Köln nicht erwähnt, nur in dem rührenden kleinen Gedenkblatt der Adenauer-Familie ist es verzeichnet, war der Kölner Oberbürgermeister Dr. Konrad Adenauer von 1920 bis 1933 Mitglied und dann Präsident des Preußischen Staatsrats. Er trug also eine Verantwortung für ein Land, das damals von Tilsit bis Aachen und von Beuthen in Oberschlesien bis nach Flensburg reichte, und das es heute nicht mehr gibt. Ich wage es nicht zu behaupten, aber ich wage hier in Berlin die Frage zu stellen, ob nicht aus jener Zeit und in der großen Verpflichtung eines der großen Bürgermeister einer deutschen Stadt das gewachsen ist, was so viele von uns jedenfalls am meisten an diesem Mann bewundern, die Hingabe an eine Pflicht, die er sich gesetzt hatte oder die ihm gesetzt war, weil er ihr nicht entrinnen konnte. Ein Preuße am Rhein, das wäre eine unangemessene Inanspruchnahme. Aber ein Deutscher jedenfalls, der das Ganze sah, auch wenn er nur das Halbe greifen konnte. |
Rainer Barzel: Wer wollte sich anmaßen, heute eine gültige, gar endgültige Aussage über den Menschen Konrad Adenauer zu wagen? Wer ihm vertraut sein durfte, zögert da besonders. Nur dies scheint mir gewiß: Niemand wird ihn, niemand seine Politik verstehen, der nicht zuerst den Menschen Konrad Adenauer begreift und den als einen, der bewußt aus der Familie lebte. Auf der Höhe seines Wirkens hat er immer wieder an sein Elternhaus in der Balduinstraße zu Köln erinnert. Ihm war gegenwärtig nicht nur, daß der Mensch Person wird in der Familie, sondern auch, daß die staatsbürgerlichen Tugenden der Einordnung und des Freimuts, der Rücksicht und des Geheimnisses aus der Gemeinschaft der Familie wachsen; daß folglich humanitäres Denken immer die Sorge um den anderen einschließt. |
Fritz Schumacher: Adenauer war eine Persönlichkeit, deren geniale Eigenschaften sich wohl nur ganz zu entfalten vermochten, wenn sie dem Zwang normaler Verhältnisse entrückt war und mit Möglichkeiten rechnen konnte, vor denen durchschnittliche Tätigkeit ratlos steht. Dann erwachten in ihm die Phantasie des Taktikers und die Leidenschaft des großen Schachspielers. Hätte er in früheren Jahrhunderten gelebt, so wäre er einer jener großen Kirchenfürsten geworden, die durch zwei Eigenschaften ausgezeichnet sind: die Kunst, mit der sie als streitbare Politiker im Wechselspiel der deutschen Geschichte ihr Ziel verfolgten, und die Kraft, mit der sie einen unbändigen Bauwillen in Taten umzusetzen verstanden. |
Kurt Georg Kiesinger: Ich werde nie mein letztes Gespräch mit ihm vergessen, auf dem der schwer Erkrankte bestanden hatte, als er mir, schon vom Tode gezeichnet, noch einmal sein großes Erbe ans Herz legte. Fast übermächtig, so mußte ich es empfinden, bewegte ihn in dieser letzten Frist die Sorge um die Zukunft, die Einigung Europas. Er, der so geduldig auszuharren verstand, wo menschliches Vermögen einen raschen Erfolg nicht erzwingen konnte, jetzt erschien er als ein Mahnender und Drängender, als wollte er, wie Moses, das gelobte Land noch mit eigenen Augen erblicken. Er wollte auch ein geordnetes Verhältnis mit Deutschlands östlichen Nachbarn, vor allem mit der Sowjet-Union. Das ist ja, er wußte es gut, die Voraussetzung der Überwindung der Spaltung unseres Volkes. Er war gewillt, das Seine dazu beizutragen. |
Willy Brandt: Adenauers Denken war konservativ und wurzelte in der Struktur des 19. Jahrhunderts. Sein Regierungsstil war autoritär bis an die Grenzen des Grundgesetzes von 1949. Das mag - neben dem Rang, den er, übrigens nicht ohne Schwankungen, der Zusammenarbeit mit Frankreich gab - auch einer der Gründe für Adenauers Anlehnung an de Gaulle gewesen sein. Ich erinnere mich an einen Besuch im Rhöndorfer Privathaus des Kanzlers (er war erkältet) im Herbst 1958: „Haben Sie schon gehört", sagte er, „wenn de Gaulle in die Nationalversammlung kommt, müssen alle aufstehen." (De Gaulle war damals Regierungschef, noch nicht Präsident.) Brentano, der an unserem Gespräch teilnahm, erlaubte sich die Zwischenbemerkung: „Merken Sie, daß er ein bißchen neidisch ist?"
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Hans-Peter Schwarz: Von den Anfängen der Kölner Oberbürgermeisterzeit bis zum Aufbegehren gegen den Atomwaffensperrvertrag in den letzten Monaten vor seinem Tod ist Adenauers Leben ein Drama, ständiger Kampf, und er selbst ein Schaffender, der mit der Welt, wie sie sich darstellt, nie zufrieden ist. Weltanschaulich mit festen christlichen Grundsätzen ausgestattet, ist er alles andere als eine uferlos schweifende Natur, viel eher ein illusionsloser Skeptiker und ein Fanatiker des Konkreten ... Chaos und Unordnung sind ihm verhaßt. In einem Zeitalter bürgerlicher Sicherheit und bürgerlicher Vernünftigkeit aufgewachsen, findet er sich zwischen 1914 und 1967 in einer Welt, die voll aus dem Ruder gelaufen ist oder sich, selbst wenn es einigermaßen gutgeht, doch ständig der überlegten Steuerung zu entziehen droht. Daher das Drama dieser politischen Existenz. Adenauer versucht in einem ziemlich chaotischen Jahrhundert seine Vaterstadt, Deutschland, Europa wenigstens halbwegs in Ordnung zu bringen oder in Ordnung zu halten. Er verschreibt sich dieser Aufgabe - immer wieder von Pessimismus heimgesucht, aber auch ohne je aufzugeben: „das Wunder ist, daß er's ertrug so lange". |
Elisabeth Schwarzhaupt: Adenauer verehrte die Frauen, er war immer ritterlich gegen sie, aber Frauen in der Politik betrachtete er als lästige Notwendigkeit. Quelle: Artikel "Die erste Frau Minister", in: Frankfurter Neue Presse, vom 06.01.1976. |