* geboren 28.06.1901
in
Essen
† gestorben 16.03.1978
in
Köln
Dr. rer. pol., Dr. h. c.
Ministerialdirigent, ordentlicher Professor, ev.
1919 | Abitur am Goethe-Realgymnasium in Essen-Rüttenscheid |
1919-1923 | Studium in Gießen (1919/20), Freiburg (1920), Gießen (1920/21), München (1921), Köln 1921-1923) |
14.02.1923 | Promotion zum Dr. rer. pol. "mit Auszeichnung" bei Leopold von Wiese mit der Arbeit: "Das Krisenproblem in der theoretischen Sozialökonomik. Versuch einer Neubegründung der absoluten Überproduktionslehre", [Diss. Köln] |
1926 | Habilitation mit der Arbeit: "Ökonomische Theorie der Konjunkturpolitik" |
1934-1940 | Professor an der Universität Köln; ab 1938 auch in Münster tätig |
1940-1950 | Professur an der Universität Münster für Nationalökonomie und Kultursoziologie, Direktor des Forschungsinstituts für allgemeine und textile Marktwirtschaft |
1950 | Professor an der Universität Köln für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik |
1952 | Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard beruft Alfred Müller-Armack ins Bundeswirtschaftsministerium als Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik |
1958 | Berufung zum Staatssekretär für europäische Angelegenheiten im Bundeswirtschaftsministerium, Mitglied des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank |
1960 | Vorsitzender des Konjunkturausschusses der EWG |
1963 | auf eigenen Wunsch Ausscheiden aus dem Bundesdienst |
1964-1968 | zusammen mit Franz Thedieck Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung |
1964-1969 | Stadtverordneter der CDU-Ratsfraktion in der Stadt Köln |
1965-1969 | Vorsitzender des Aufsichtsrates der Rheinischen Stahlwerke in Essen |
1970 | Emeritierung an der Universität Köln |
1977 | Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung |
Am 28. Juni 1901 wurde Alfred August Arnold Müller in Essen geboren. Ab den 1920er Jahre nahm er den Geburtsnamen seiner Mutter hinzu, ab 1929 veröffentlichte er unter Müller-Armack.
Sein Vater, Hermann Justus Müller, von der Lahn stammend, war Betriebsführer bei Krupp, ein sog. „Kruppianer". Die Mutter, Elise Dorothee Müller, geborene Armack, kam aus Brandenburg. Die evangelische Konfession war die religiöse Heimat Alfred Müller-Armacks. 1934 heiratete er Irmgard Fortmann, der Sohn Andreas wurde 1941 geboren.
Seine berufliche Laufbahn begann Alfred Müller-Armack nach dem Abschluss des Goethe-Realgymnasium in Essen-Rüttenscheid mit dem Studium der Nationalökonomie. Sein Studiengang umfasste die Fächer: Staatswissenschaften, Wirtschaftsgeschichte, Soziologie und Sozialpolitik. Zur Ergänzung betrieb er eingehende philosophische und rechtswissenschaftliche Studien. Er studierte in Gießen (1919/20), Freiburg (1920), Gießen (1920/21), München (1921), Köln (1921-1923). 1923 promovierte er an der Universität Köln im Fachbereich der Politik bei Leopold von Wiese zum Dr. rer. pol. „mit Auszeichnung" mit der Arbeit: „Das Krisenproblem in der theoretischen Sozialökonomik. Versuch einer Neubegründung der absoluten Überproduktionslehre".
Im Mittelpunkt der frühen Arbeiten Müller-Armacks stand der Krisenbegriff und sein Interesse galt einer Theorie zur Überwindung dieser Krisen. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg tauchten wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme auf, insbesondere in der Folge der Weltwirtschaftskrise, denen die Sozialwissenschaften nicht zu begegnen wussten. Die Schwäche der alten Konzepte wurde deutlich. Galt bislang das Primat der Wirtschaft, so zeigte sich, dass die Kräfte des Markts allein keinen Ausweg bieten konnten. Es folgte dann 1926 die Habilitation für Wirtschaftliche Staatswissenschaften mit der Arbeit: „Ökonomische Theorie der Konjunkturpolitik".
Bereits während des Studiums war der wissenschaftliche Blickwinkel von Müller-Armack universalistisch geprägt. So finden sich bereits in frühen Jahren in Müller-Armacks Werk zwei Entwicklungslinien, die „immanente" und die „transzendente" Entwicklungslinie. Die Wurzeln dieser Entwicklungslinien liegen in der Studienzeit an der Universität Köln. Dort wurde Müller-Armack vor allem durch die Philosophische Anthropologie von Max Scheler, Nicolai Hartmann und Hellmuth Plessner beeinflusst. Neben der Philosophischen Anthropologie galt Müller-Armacks Aufmerksamkeit der Wirtschaftssoziologie von Werner Sombart, Max Troeltsch und Ferdinand Tönnies sowie der Religionssoziologie von Max Weber. Zudem setzte sich Müller-Armack stets mit der marxistischen Theorie auseinander. Er lehnte das weltanschauliche Denken des Marxismus ab, da er selber in der Religion die Kraft sah, welche die Geschichte beeinflusst. Damit lag für ihn die Ursache der in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts zu beobachtenden gesellschaftlichen Krise in der voranschreitenden Säkularisierung. Der Mensch wurde durch die zunehmende Verweltlichung auf sich selbst zurückgeworfen und war damit überfordert.
Als 25-jähriger war Müller-Armack der jüngste Dozent in Köln, 1934 der damals jüngste außerordentliche Professor. An die Universität in Münster wechselte er 1938. Hier erhielt er 1940 einen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Kultursoziologie, insbesondere Religionssoziologie, den er bis 1950 innehatte. Danach kehrte er nach Köln zurück, wo er bis zu seinem Tode 1978 als Forscher und Lehrer wirkte. In dieser Zeit war er u.a. als Direktor des von ihm begründeten Forschungsinstituts für allgemeine und textile Marktwirtschaft in Münster, einem Institut vor allem für angewandte Forschung, tätig. Weiterhin war er Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik in Köln.
Müller-Armacks Verhalten während der nationalsozialistischen Diktatur und seine Haltung zum NS-Staat wird in der wissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert. Teils wird die aktive Rolle sehr stark betont, oder die Beurteilung schwankt zwischen innerem Exil und kurzzeitiger Verirrung. So zeigt sich ein vielschichtiges Bild. Einerseits begegnet man dem Mitglied der Partei und ihren Unterorganisationen, dem auch Linientreue bescheinigt wird. Auf der anderen Seite wird das mangelnde nationalsozialistische Engagement von höherer Stelle moniert und als ein Grund seiner schleppend verlaufenden wissenschaftlichen Laufbahn sichtbar. Sein kirchliches Engagement behinderte ihn ebenso in seinem beruflichen Werdegang wie seine nach sechs Monaten geschiedene erste Ehe, die niemals gelebt wurde, und das Parteimitglied Müller-Armack selbst zum Opfer der Rassenideologie des NS-Staates werden ließ.
Man darf davon ausgehen, dass seine Parteimitgliedschaft sowie seine Veröffentlichung „Staatsidee und Wirtschaftsordnung im neuen Reich" (1933) zunächst einmal ein ausreichendes Indiz für eine Kooperation mit dem Regime galt. Die Nationalsozialisten wussten Müller-Armacks politische Position niemals zu deuten. Dies gilt für seine Lehr- und Forschungstätigkeit wie auch für seine Publikationen. 1935 lehnten sie eine Neuauflage der „Staatsidee" ab.
Erst die Erkenntnis eines historischen Irrtums bei der Parteinahme für die neuen Machthaber sowie eine Wirtschaftspolitik, die eine seriöse Konjunkturforschung nicht ermöglichte, provozierte die universale Fragestellung nach den Determinanten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen, deren Analyse der zeitgenössischen Situation Müller-Armack jedoch nicht offen vornahm. In dieser Situation entstand seine Studie „Genealogie der Wirtschaftsstile. Die geistesgeschichtlichen Ursprünge der Staats- und Wirtschaftsformen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts." (1941). Diese war vor allem als religionssoziologische Gesamtschau vom Mittelalter bis zur Neuzeit angelegt. „Müller-Armack war weder ein verdeckter Widerstandskämpfer, noch ein verdeckter Nazi." (Kowitz)
Alfred Müller-Armack war Ökonom und Soziologe. Wohl deshalb war ihm klarer als anderen, dass eine Marktwirtschaft in Deutschland nur zu verwirklichen sei, wenn man die Vorbehalte der Menschen gegenüber dem Markt bei der Gestaltung der Wirtschaftsordnung berücksichtigt. Die Soziale Marktwirtschaft bezeichnete er auch als eine „irenische", also eine „Versöhnungsformel", die darauf abzielte, ideologische Gegensätze zwischen den politischen Lagern zu mildern.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus herrschte die Furcht vor einer Renaissance von Liberalismus und Sozialismus. Diesen „immanenten Ersatzreligionen" wollte Müller-Armack den Boden mittels seines Konzeptes der Sozialen Marktwirtschaft entziehen. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft kann als Synthese der „immanenten" und „transzendenten" Entwicklungslinie im Wirken Alfred Müller-Armacks verstanden werden. In den Leitmotiven Freiheit und sozialer Ausgleich fanden die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus und Marxismus ihren Ausdruck. Diese beiden Kernpunkte ergänzte Müller-Armack durch eine christliche Sozialethik, über die er seine religionssoziologischen Forschungen einfließen ließ. Die Freiheit war für Müller-Armack ein grundlegender Bestandteil des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft. Allerdings lehnte Müller-Armack eine sich selbst überlassene Freiheit ab.
Erst nach dem Krieg machte er sich die Freiburger Position zu eigen, als er ganz deutlich und rigoros „eine verfassungsmäßig zu verankernde Gewaltenteilung zwischen Staat und Wirtschaft" forderte. Gleichzeitig aber finden sich in seinen Schriften immer wieder Aussagen, die mit einer solchen Gewaltenteilung kaum zu vereinbaren sind, wie etwa die, die Marktwirtschaft müsse dem „sozialen Ziel" dienen. Nicht zufällig betonte er selbst, sein Konzept wurzele weniger im Neoliberalismus als vielmehr in den historistischen Strömungen und ziele auf eine „stilhafte Koordination zwischen den Lebensbereichen des Marktes, des Staates und der gesellschaftlichen Gruppen" ab. Teil dieser „stilhaften Koordination" waren gezielte Staatseingriffe in den Wirtschaftsprozess zur Konjunkturglättung und zum sozialen Ausgleich, wie sie für einen historistisch geprägten Ökonomen geradezu selbstverständlich, für die Freiburger Ökonomen aber tabu waren. Gemäß Müller-Armacks ursprünglicher Konzeption stellten Eingriffe in den Wirtschaftsprozess indes die Ausnahme, nicht den Regelfall dar. In diesem Sinne widersprachen die wirtschaftspolitischen Fehlentwicklungen der 1970er Jahre zwar Müller-Armacks Ideen. Gleichzeitig aber war das Umschlagen in den Versorgungsstaat zumindest latent in seinem Konzept angelegt.
Gerade diese latente Widersprüchlichkeit aber bedingte den politischen Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft. Ludwig Erhard selbst stand in theoretischer Hinsicht den Ordoliberalen und seinem engen wirtschaftspolitischen Berater Wilhelm Röpke viel näher als ihrem geistigen Vater Müller-Armack. Sein häufig zitierter Ausspruch aus dem Jahre 1953, „je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch", belegt dies deutlich. Als Politiker aber begriff Erhard sehr gut, worin die Stärken von Müller-Armacks Konzept lagen. Denn genau wie dieser war Erhard sich der Notwendigkeit bewusst, die Bevölkerung auf dem Weg der Reformen „mitzunehmen". So schrieb Erhard bereits 1943/44, der Staat könne „immer nur die Wirtschaftsordnung verwirklichen, die der Vorstellung des Volkes in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entspricht". Indem die Integrationsformel „Soziale Marktwirtschaft" einen Euphemismus für „Kapitalismus" gerade mit jenem Adjektiv verband, das bisher immer gegen den Markt instrumentalisiert worden war, kam sie den Präferenzen der deutschen Bevölkerung entscheidend entgegen. Aber Erhard verließ sich nicht einfach auf die Kraft der Integrationsformel. Wie kein anderer deutscher Wirtschaftspolitiker vor oder nach ihm, bemühte er sich in einer Vielzahl von Reden und Vorträgen, der Bevölkerung seine Reformen begreiflich und schmackhaft zu machen. Die Soziale Marktwirtschaft ist also das Resultat einer höchst effizienten Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Politik. Wirtschaftstheoretiker wie Walter Eucken und Wilhelm Röpke hatten bereits seit den 1930er Jahren eine stringente theoretische Konzeption einer Wirtschaftspolitik entworfen, bei der ein starker Staat sich auf die Schaffung und Verteidigung der Rahmenordnung konzentriert und sich der Eingriffe in den Wirtschaftsprozess weitestgehend enthält. So stringent das Konzept auch war, so gering wären angesichts der Stimmungslage unter der Bevölkerung die Chancen gewesen, es zu realisieren. Müller-Armack stellte sich ganz bewusst der Aufgabe, diese Ideen in ein Konzept zu transformieren, das kompatibel mit den vorherrschenden mentalen Befindlichkeiten der Bevölkerung ist. Und Ludwig Erhard schließlich übernahm es, für dieses Konzept öffentlich zu werben und es politisch umzusetzen.
Wirtschaftstheoretiker wie Walter Eucken und Wilhelm Röpke hatten bereits seit den 1930er Jahren eine stringente theoretische Konzeption einer Wirtschaftspolitik entworfen, bei der ein starker Staat sich auf die Schaffung und Verteidigung der Rahmenordnung konzentriert und sich der Eingriffe in den Wirtschaftsprozess weitestgehend enthält. So stringent das Konzept auch war, so gering wären angesichts der Stimmungslage unter der Bevölkerung die Chancen gewesen, es zu realisieren. Müller-Armack stellte sich ganz bewusst der Aufgabe, diese Ideen in ein Konzept zu transformieren, das kompatibel mit den vorherrschenden mentalen Befindlichkeiten der Bevölkerung ist. Und Ludwig Erhard schließlich übernahm es, für dieses Konzept öffentlich zu werben und es politisch umzusetzen.
Das Plädoyer des Ökonomen und Soziologen Müller-Armack zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft ist ein sozialethisches Plädoyer. Müller-Armack wird gerade dadurch zum Klassiker der Sozialen Marktwirtschaft, dass er sich nicht einfach in Kenntnis des ökonomischen Forschungsstandes seiner Zeit mit der Feststellung begnügt, Wirtschaft sei nur als Marktwirtschaft effizient. Müller-Armack argumentiert nicht nur wirtschaftspolitisch, er argumentiert gesellschaftspolitisch. Für ihn muss die Wirtschaft nicht nur deshalb als Marktwirtschaft organisiert werden, weil sich dadurch die Versorgung der Bevölkerung mit materiellen Gütern verbessern lässt, sondern vor allem auch aus immateriellen Gründen.
Müller-Armack sieht in einer Sozialen Marktwirtschaft ein Instrument zur Verwirklichung moralischer Zielsetzungen. Insofern ist sein Plädoyer ein sozialethisches Plädoyer. Dies kommt vor allem darin zum Ausdruck, wie Müller-Armack versucht, moralische Gegensätze als vermeintliche Gegensatze aufzulösen und so zur Versöhnung scheinbar unversöhnlicher Widersprüche in der Gesellschaftspolitik beizutragen.
Konkret geht es um den vermeintlichen Widerspruch zwischen Liberalismus und Sozialismus sowie um eine Versöhnung des zugrunde liegenden Wertekonflikts. Hier sieht sich Müller-Armack mit folgender Frontstellung konfrontiert. Auf der einen Seite steht der Wert individueller Freiheit, auf der anderen Seite das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit.
Angesichts dieser Frontstellung schlägt sich Müller-Armack nun nicht einfach auf die eine oder andere Seite, sondern er sucht nach einem Weg zur Überwindung des Gegensatzes. Um diese besondere Argumentationsstrategie zu kennzeichnen, bedient sich Müller-Armack eines besonderen Fachbegriffs. Er spricht von "sozialer Irenik" und meint damit die Orientierung auf Versöhnung. Allerdings unterscheidet Müller-Armack sorgfältig zwischen richtiger und falscher Irenik. Er unterscheidet zwischen einer substanziellen und einer oberflächlichen, bloß verbalen Versöhnung der Gegensätze.
Falsche Irenik liegt dann vor, wenn lediglich eine willkürliche Mischung der Werte angestrebt wird, ein fauler Kompromiss, eine oberflächliche Lösung des Sowohl-als-auch. Richtige Irenik liegt erst dann vor, wenn der Wertekonflikt als vermeintlicher Wertekonflikt aufgelöst und gezeigt wird, wie sich die Werte wechselseitig unterstützen können.
Müller-Armacks richtige Durchführung sozialer Irenik, seine „orthogonale Positionierung" zur wertstrittigen Auseinandersetzung zwischen Liberalismus und Sozialismus beruht auf dem ökonomisch fundierten Argument, dass in dieser Auseinandersetzung eine wichtige Unterscheidung und damit die versöhnende Alternative übersehen wird. Die versöhnende Alternative besteht in einer durch Ordnungspolitik sozial verfassten Marktwirtschaft.
So lautet das sozialethische Argument zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft, dass man durch Ordnungspolitik die marktliche Konkurrenz zu einem Instrument sozialer Kooperation machen kann, dass man sie gezielt in Dienst nehmen kann, und nicht nur die individuelle Freiheit, sondern auch die sozialen Anliegen wirksam zur Geltung zu bringen. Die Qualität dieses Arguments besteht darin, dass es die widerstreitenden Positionen wie katholische Soziallehre, evangelische Sozialethik, sozialistische Theorie und liberale Sozialtheorie versöhnt, indem es sie überbietet. „Soziale Marktwirtschaft" ist bei Müller-Armack ein friedensstiftender, irenischer Begriff, weil sich mit ihm die Botschaft verbindet, dass eine kluge Indienstnahme des Marktes die legitimen Ziele der Gesellschaftspolitik weitaus wirksamer zur Geltung zu bringen vermag, als dies bei den historisch verwirklichten Formen von Liberalismus und Sozialismus der Fall war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Müller-Armack in die CDU eingetreten. Seit 1943 arbeitete er an seinem Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft", das 1947 erschien, die Idee und den Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft" beinhaltet und so als Geburtsdokument gilt.
Da er als Dozent an der Universität Münster noch im Amt war, konnte er am wirtschaftspolitischen Diskurs teilnehmen. Zahlreiche Einladungen zu Diskussionsrunden, Referaten und Arbeitsgruppen eröffneten ihm die Möglichkeit, Kontakte auf- und auszubauen. Neben der Wissenschaft und dem Kontakt zu den wirtschaftspolitischen Behörden auf deutscher und alliierter Seite suchte er ein drittes Standbein in der Wirtschaftspraxis.
1948 wurde der Wissenschaftliche Beirat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes gegründet, der Vorläufer des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministerium, ihm gehörte Müller-Armack von Beginn an. Im Beirat hatten die Vertreter der Freiburger Schule deutlich mehr Gewicht als die Befürworter einer interventionistischen Politik. Müller-Armack nahm eher die Position eines Mittlers ein. Einerseits ging er als Verfechter einer aktiven Konjunkturpolitik ordnungspolitisch weiter als die Freiburger Schule, welche die Gewährleistung von Wettbewerb als ausreichenden Schutz vor unsozialem Liberalismus sah. Andererseits betonte er, dass Interventionen, wenn dann marktkonform sein müssen. Müller-Armack gründete in Köln das Institut für Wirtschaftspolitik, das mehr und mehr die Grundlage bildete, die Vorstellungen über die neue Wirtschaftsform, die der Sozialen Marktwirtschaft nach außen zu tragen.
1950 kehrt er als Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an die Universität Köln zurück. 1952 beruft Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard Müller-Armack ins Bundeswirtschaftsministerium als Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik. 1958 erfolgt die Berufung zum Staatssekretär für europäische Angelegenheiten im Bundeswirtschaftsministerium, er wird Mitglied des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank.
Durch seinen „Kodex des guten Verhaltens" versuchte er eine Koordinierung der Konjunkturpolitik auf internationaler Ebene zu erreichen. Zu diesem Zeitpunkt war er Präsident des konjunkturpolitischen Ausschusses der EWG und gleichzeitig Vorsitzender des interministeriellen Konjunkturausschusses der Bundesrepublik. Ebenso wie Ludwig Erhard, war Müller-Armack nicht glücklich mit dem Europa der Sechs. Vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte, mit der er sich im Rahmen seiner geistesgeschichtlichen Studien intensiv auseinandergesetzt hatte, bemühte er sich um eine gesamteuropäische Integration. Er empfand, „dass dieser Kontinent uns vor die Aufgabe stellt, die Einheit, die er kaum je finden konnte, in einer modern begriffenen Politik zu verwirklichen." So setzte er sich unermüdlich für den Beitritt Englands zur EWG ein. Die Verhandlungen scheiterten jedoch 1963. Aus Protest bot er seinen Rücktritt an, ließ sich dann aber doch bewegen, Anfang Mai 1963 seine Amtsgeschäfte noch einmal aufzunehmen. Nach dem Regierungswechsel Mitte Oktober 1963 schied er jedoch endgültig auf eigenen Wunsch aus dem Amt des Staatssekretärs aus.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeswirtschaftsministerium nahm er seine Lehrtätigkeit an der Universität Köln als Honorarprofessor in vollem Umfang ohne Besoldung wieder auf. Von der politischen, zumindest der überregionalen, Ebene zog er sich zurück, mit der Ausnahme, dass er von 1964 bis 1969 Stadtverordneter der CDU-Ratsfraktion in der Stadt Köln war. Sein Engagement für Europa blieb allerdings erhalten. Seine Tätigkeit als ordentliches Mitglied im Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank übte er bis zum August 1977 aus.
Müller-Armack kehrte in seine Heimatstadt Essen zurück und übernahm dort Kontrollaufgaben bei den beiden Ruhrkohleverkaufsgesellschaften „Präsident" und „Geitling". 1965 wurde er zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Rheinischen Stahlwerke gewählt und blieb dies bis 1969.
Im Jahre 1970 wurde er emeritiert und anschließend nahm er verschiedene Ehrenämter wahr. Nachdem er von 1964 bis 1968 zusammen mit Franz Thedieck der Konrad-Adenauer-Stiftung vorgestanden hatte, übernahm er zwei Monate nach dem Tode Ludwig Erhards dessen Nachfolge als Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.
Am 16. März 1978 verstarb Alfred Müller-Armack nach kurzer schwerer Krankheit in Köln.