* geboren 01.10.1904
in
Berlin-Schöneberg
† gestorben 29.10.1954
in
Oldenburg
Jurist, Oberkirchenrat, Bundestagspräsident, Dr. jur., ev.
1922-1926 | Jurastudium in Berlin und Bonn |
1931-1932 | in den Justizverwaltungen von Berlin und Frankfurt/Oder |
1933-1934 | in der Kommunalverwaltung Berlin |
1935-1937 | Leitung des Bruderrates der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union (1937 Inhaftierung) |
1937-1939 | Richter in Berlin (1939 Entlassung) |
1940-1945 | Kriegsdienst |
1945 | Oberkirchenrat der Landeskirche Oldenburg |
1946 | Ratsmitglied Oldenburg |
1947-1948 | Mitglied des Verfassungsausschusses für eine Grundordnung der EKD |
1949-1954 | MdB (CDU) |
1950-1954 | Bundestagspräsident |
1952-1954 | stv. Bundesvorsitzender der CDU, Mitgründer und erster Vorsitzender des EAK der CDU/CSU und Vorsitzender des CDU-LV Oldenburg |
Bereits in jungen Jahren stellt sich Hermann Ehlers die Frage, wie er sich für sein Land am besten einsetzen könnte. Die Antwort darauf findet er schließlich in seinem Einsatz für die junge Bundesrepublik als Präsident des Deutschen Bundestages. Als Grundlage für sein politisches Handeln dient dem gläubigen Protestanten dabei seine Vorstellung eines gelebten Christentums. In seiner nur kurzen Amtszeit (1950-1954) gelingt es ihm, sowohl das Ansehen des deutschen Parlamentes stetig zu verbessern als auch den Gestaltungsrahmen seines Amtes grundlegend zu definieren.
Hermann Ehlers wird am 1. Oktober 1904 in Schöneberg geboren, das zu dieser Zeit noch nicht an Berlin angegliedert ist. Sein gleichnamiger Vater ist Postbeamter und stammt wie die Mutter Adelheid, geborene Rabe, aus dem niedersächsischen Dorf Sülze bei Celle. Der Familienhof der Mutter in der Lüneburger Heide, auf dem der junge Hermann jedes Jahr seine Ferien verbringt, bildet über die gesamte Kindheit eine zweite Heimat für ihn. Seine sich allmählich ausbildende tiefe Frömmigkeit hat ihren Ursprung in den dortigen Aufenthalten, da der Glaube in der Familie seiner Mutter eine große Rolle spielt.
1909 siedelt die dreiköpfige Familie ins benachbarte Steglitz um, wo Ehlers die Oberrealschule besucht, die der in den Augen seiner Lehrer gute Schüler 1922 mit dem Abitur abschließt. In einem Lebenslauf für die Zulassung zur Abschlussprüfung formuliert er als Oberprimaner den Wunsch, seine Berufswahl von der Frage abhängig zu machen, wie er seinem Vaterland am besten dienen könne. Er entscheidet sich daher für das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, um später in den Staatsdienst eintreten zu können. Zum Wintersemester 1922/1923 beginnt er seine akademische Ausbildung an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, um für das Sommersemester 1924 kurzzeitig an die gleichnamige Universität Bonn zu wechseln. Nachdem er 1927 seine Erste Juristische Staatsprüfung abgelegt hat, beginnt er direkt im Anschluss mit der Promotion, die er zwei Jahre später erfolgreich abschließt.
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben führt Ehlers bereits zu Schulzeiten zur evangelischen Jugendbewegung. Als 15-jähriger tritt er dem Steglitzer „Bibelkreis höherer Schüler“ bei und nimmt dort rasch eine führende Position ein. Diese „Bibelkränzchen“ hatten sich zum Ende des 19. Jahrhunderts gegründet, um der Jugend das christliche Leben näher zu bringen, wollten dabei jedoch ihre Unabhängigkeit gegenüber der Kirche bewahren. Mit Anfang 20 übernimmt Ehlers die Leitung des Steglitzer Bibelkreises und steigt 1930 bis in die Reichsleitung des Bundes Deutscher Bibelkreise auf. Er organisiert Wanderfahrten in Regionen, in denen vor allem deutsche Minderheiten leben. Diese sogenannte Volkstumsarbeit soll den Blick der Jugendlichen schärfen für die Eigenarten Deutschlands und Europas. Neben seinem Engagement in der Jugendarbeit – eine Erfahrung, auf die er später als Politiker in der Bundesrepublik noch zurückgreift – beginnt Ehlers, auch journalistisch tätig zu werden und veröffentlicht zahlreiche Artikel.
Um nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten der Gleichschaltung mit der Hitlerjugend zu entgehen, beschließt die Reichsleitung der Bibelkreise im Frühjahr 1934 die Selbstauflösung. Mit der Zeitschrift „Jungenwacht“, die Ehlers maßgeblich mitgestaltet, soll die Jugendarbeit in anderer Form fortgesetzt werden. 1938 wird diese allerdings von den Nationalsozialisten verboten.
Das politische Interesse von Ehlers wird vor allem durch seinen Beitritt im Jahr 1923 in den VDSt geweckt. Seine eigenen politischen Vorstellungen reichen bis zu diesem Zeitpunkt von einem mystifizierten Volksbegriff bis hin zu einem ideologisch aufgeladenen Reichsgedanken. Diese Ansichten finden auch in der späteren Wahl seines Dissertationsthemas „Wesen und Wirkungen eines Reichslandes Preußen“ Eingang, wobei er bei der Wahl unter anderem vom Bonner Professor für Staatsrecht, Carl Schmitt, beeinflusst wird. Dieser gilt mit seinen Schriften als Vorbereiter der autoritären Staatsidee und wird, obschon akademisch respektiert, aufgrund seiner Rolle im Nationalsozialismus äußerst kritisch betrachtet.
Im VDSt findet Ehlers mit seinen politischen Vorstellungen Gleichgesinnte und teilt mit dessen Mitgliedern eine skeptische Haltung gegenüber der Weimarer Republik. Der Wahlspruch „Mit Gott für Kaiser und Reich“ beschreibt nicht direkt das politische Programm des VDSt, demonstriert aber seine christlich-konservativen und nationalen Traditionen. Die Verhaftung im nationalen Gedankengut wird – wie es Ehlers bereits aus seiner Arbeit für den Bibelkreis kennt – in der Volkstumsarbeit deutlich. Auch der Studentenverein organisiert Wanderfahrten in deutsche Grenzgebiete, um die Studenten mit den dort lebenden deutschen Minderheiten zusammenzubringen. Der kurzzeitige Studienaufenthalt Ehlers in Bonn hängt ebenfalls mit dieser Verbreitung nationalen Gedankenguts zusammen. Das Rheinland ist in dieser Zeit von den Franzosen besetzt, wogegen sich der VDSt ausspricht.
Der VDSt verschreibt sich vor allem der Aufgabe, junge Menschen an die Politik heranzuführen und ihnen dabei historische und philosophische Grundlagen zu vermitteln. Die Studenten sollen befähigt werden, zu politischen und gesellschaftlichen Fragen Stellung zu beziehen und diese auch nach außen hin zu vertreten. Ehlers, der sich bis dahin wenig im politischen Bereich engagierte, fühlt sich davon stark angesprochen und beteiligt sich rege an Diskussionsrunden. Dabei ist er parteipolitisch nicht festgelegt, sympathisiert aber, wie viele deutsche Protestanten, mit der Deutschnationalen Volkspartei.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges setzt sich Hermann Ehlers kritisch mit seiner Zeit im VDSt und der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie auseinander. In seinen Überlegungen gelangt er schließlich zur Ansicht, dass für den Aufbau einer demokratischen Staatsform die Jugend unbedingt miteinbezogen werden muss.
Die persönlichen Vorstellungen vom Volksbegriff und einer starken Nation hätten Ehlers leicht in die Nähe der nationalsozialistischen Ideologie bringen können. Sein christlicher Glaube hält ihn davon allerdings fern. Vor allem das Vorhaben, die Kirchen mithilfe der „Glaubensbewegung Deutscher Christen“ zu unterwandern, missfällt ihm; sein Einsatz für die Unabhängigkeit und den Schutz der Kirchen führt Ehlers immer mehr in den Widerstand gegen das NS-Regime. Seine Oppositionshaltung führt er nicht im Stillen aus, sondern setzt sich öffentlich in Zeitschriften für die Sache der Evangelischen Kirche ein und kritisiert die Kirchenpolitik der Nationalsozialisten, wenngleich er dies durch indirekte Aussagen vornehmen muss, um der Zensur zu entgehen. Dieses Engagement bringt ihn der Bekennenden Kirche nahe, für die er noch im Jahr 1933 ehrenamtlich tätig wird.
Nachdem seine bisherige Stelle in der Steglitzer Bezirksverwaltung durch ein NSDAP-Mitglied ersetzt wird – er selbst verweigert sich einem Parteibeitritt – nutzt Ehlers seine Kontakte zur Bekennenden Kirche und erhält eine Anstellung als juristischer Hilfsarbeiter in der Anwaltssozietät Holstein/Koch. Hans Koch, Mitglied der Bekennenden Kirche, ist in die Pläne des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 eingeweiht und wird wenige Tage vor Kriegsende hingerichtet.
Zudem wird Ehlers juristisches Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss des Bruderrates der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. Somit ist er unmittelbar an wichtigen Entscheidungen der Bekennenden Kirche und deren Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Regime beteiligt.
Sein Einsatz für die Bekennende Kirche führt ihn im Juni 1937 in das Blickfeld der Nationalsozialisten. Gemeinsam mit drei weiteren Mitgliedern des Bruderrates wird Ehlers wegen der Aufforderung zum Ungehorsam gegen eine staatliche Anordnung festgenommen. Der preußische Landesbruderrat der Bekennenden Kirche hat sich im Vorfeld der Verhaftung geweigert, einer Verordnung des Reichsinnenministeriums Folge zu leisten und weiterhin die Namen derjenigen öffentlich verkündet, die aus der Kirche ausgetreten waren. Da Ehlers zufällig zum Zeitpunkt des Beschlusses nicht auf der Sitzung anwesend ist, wird er freigesprochen, verbringt aber dennoch zwei Wochen in Untersuchungshaft.
Seinen Wunsch, in den Staatsdienst einzutreten, kann Ehlers unter den Nationalsozialisten nicht verwirklichen. Zwar ist er seit 1936 als Gerichtsassessor und Hilfsrichter beim Landgericht Berlin tätig, bleibt aber Beamter auf Widerruf. 1939 wird ihm wegen seiner kirchlichen Aktivitäten und seiner Weigerung, sich parteipolitisch zu engagieren, die Übernahme in den Staatsdienst endgültig verweigert.
1940 wird er zur Luftwaffe eingezogen und der Flugabwehr in Hamburg zugeteilt. Dort bleibt er über die gesamte Dauer des Krieges eingesetzt und steigt bis zum Leutnant auf. Den Kontakt zur Kirche und zu seinen Weggefährten aus dem Bibelkreis lässt Ehlers während dieser Zeit nicht abreißen. Das Ausmaß seines Engagements für die Bekennende Kirche und den Widerstand in dieser Zeit ist bis heute unklar; es gibt allerdings Vermutungen, Klaus von Dohnany habe kurz vor seiner und Dietrich Bonhoeffers Verhaftung im April 1943 das Vermögen des Bruderrates bei Ehlersʼ Eltern versteckt. Für den politischen Widerstand entscheidet sich Ehlers nicht; seine Oppositionshaltung äußert sich durch sein Rechtsgefühl und seinen tiefen Glauben an Gott.
Im Oktober 1945 zieht Ehlers nach Oldenburg, um dort eine Stelle als Juristischer Oberkirchenrat der Landeskirche anzutreten. Die Erfahrungen des Kirchenkampfes während der Zeit des NS-Regimes machen es zu seinem erklärten Ziel, die Evangelische Kirche in Deutschland neu zu ordnen; in der Funktion als Oberkirchenrat hat er hierzu die Möglichkeit. Seine Bemühungen erstrecken sich von Beginn an weit über die Grenzen seiner eigenen Landeskirche. Er setzt sich dafür ein, die Kirche im Staat und in der Gesellschaft neu zu positionieren und sie vor äußeren Einflüssen zu bewahren. Er strebt nach einer starken geeinten Kirche im Deutschland der Nachkriegszeit. 1946 wird er Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und kann damit entscheidend an der ihm gelegenen Neuordnung mitwirken; vier Jahre später fließen seine Vorstellungen in die neue Kirchenordnung mit ein.
Neben seinem Einsatz für die Reformierung der Kirche propagiert Ehlers seine Vorstellungen eines gelebten Christentums: Eine christliche Politik gibt es für ihn nicht, sehr wohl aber einen Christen in der Politik. Dies bedeutet für ihn im Umkehrschluss, „daß der Glaube keine Privatsache ist, sondern den Menschen in eine öffentliche Verantwortung ruft“ und sich der Christ daher aktiv politisch zu engagieren habe.
Den Grundsatz eines gelebten Christentums setzt Hermann Ehlers im August 1946 in die Tat um und tritt der CDU bei. Die Wahl dieser Partei ist für Ehlers nur folgerichtig, denn vor allem die christlichen Werte sollen in seinen Augen die Grundlage für eine neue Staats- und Gesellschaftsform bilden. Hierfür sollen die beiden Konfessionen allerdings nicht unabhängig voneinander arbeiten, sondern müssen gemeinsam an einem Strang ziehen. Als Ratsherr der Stadt Oldenburg beginnt Ehlers noch im selben Jahr eine steile politische Karriere. Sein privates Glück findet er noch vor seiner Wahl in den Ersten Deutschen Bundestag: im September 1947 heiratet Ehlers Jutta Taubert, womit er, wie ein Weggefährte betont, seine Freunde überrascht, da diese von seinem Glück nichts ahnten.
Über die niedersächsische Landesliste in das Parlament gerückt, gelangt er durch regionalen Proporz in den Haushaltsausschuss. Durch Prinzipientreue, Zuverlässigkeit und präzise, konstruktive Beiträge macht er rasch auf sich aufmerksam. Seine Sachlichkeit und faire Diskussionsführung finden Sympathie auch in der Opposition. Der Haushaltsausschuss ist sein „parlamentarisches Sprungbrett“ (Manfred Carstens): ein Jahr später steht er als Kandidat für das Amt des Bundestagspräsidenten zur Wahl.
Nach dem Rücktritt Erich Köhlers als Bundestagspräsident am 16. Oktober 1950 wird Ehlers dessen Nachfolger; dass er als Protestant dieses Amt besetzt, hängt auch mit dem Konfessionsproporz zusammen – Kanzler Adenauer ist Katholik. Aber auch seine unbeugsame Haltung im Dritten Reich qualifiziert ihn für höhere Ämter. Der Rückhalt ist allerdings noch nicht groß, nur 61,8 Prozent der Parlamentarier unterstützen ihn. Auch in den Unionsreihen herrschen zunächst Zweifel an seiner parteipolitischen Zuverlässigkeit, da ehemalige Mitstreiter Ehlersʼ aus der Bekennenden Kirche vor allem den Sozialdemokraten nahestehen. Allerdings schafft es der neu gewählte Bundestagspräsident in kürzester Zeit, seine Reputation in der Union und über die Parteigrenzen hinaus zu steigern. Dies liegt vor allem an seiner Amtsführung, mit der er fraktionsübergreifend Respekt erringt. Neben der neutralen und souveränen Leitung der parlamentarischen Debatten gilt Ehlersʼ Bestreben der Etablierung der Volksvertretung als ernstzunehmende Institution gegenüber der Bundesregierung. Aus diesem Grund setzt er sich für die protokollarische Anerkennung des Bundestagspräsidenten als zweiten Mann im Staat ein, was ihm die Bezeichnung des „getreuen Eckart“ des Parlamentes einbringt.
Sein großes Verdienst liegt vor allem in dem Bestreben, der deutschen Bevölkerung die parlamentarische Demokratie verständlich zu machen und das Ansehen der Volksvertretung auszubauen. Bereits unter seinem Vorgänger wurde eine aktive Öffentlichkeitsarbeit angeregt, Ehlers setzt sie konsequent um und entwickelt sie fort. In zahlreichen Reden, Aufsätzen und Korrespondenzen mit Bürgern hebt er die Bedeutung des Parlamentes hervor und setzt sich 1953 für die Übertragung der Bundestagsdebatten in Rundfunk und Fernsehen ein. Ein besonderes Augenmerk legt Ehlers auf den Kontakt zur Jugend, der er einen großen Anteil am Gelingen der parlamentarischen Demokratie beimisst. Seine Erfahrungen aus der evangelischen Jugendbewegung nutzend, setzt sich Ehlers für den Besuch von Schulklassen im Bundestag ein. Damit soll den Jugendlichen die Parlamentsarbeit näher gebracht werden.
Um die christlichen Werte dauerhaft in der parlamentarischen Demokratie zu verankern, sieht Ehlers die Notwendigkeit eines stärkeren Zusammengehens beider Konfessionen. Die Problematik dieser Zusammenarbeit besteht seiner Ansicht nach allerdings in einem „Minderwertigkeitskomplex“ des Protestantismus gegenüber dem Katholizismus, da die Katholiken im vorpolitischen Raum eine größere Erfahrung besitzen. Ehlers begreift es als wichtige Aufgabe, die evangelischen Bürger an die Politik heranzuführen und sie als Wähler für die Union zu gewinnen. Hierfür nutzt er seine starke Präsenz auf kirchlichen Veranstaltungen, seine eigene Stellung in der Kirche und fordert eine qualitative paritätische Besetzung der Ämter in den Führungsgremien der Union und der Bundesregierung.
Innerhalb der CDU/CSU etabliert sich Ehlers rasch als unangefochtener Sprecher der Protestanten und initiiert als solcher den Evangelischen Arbeitskreis, auf dessen Gründungsversammlung er im März 1952 als Vorsitzender gewählt wird.
Sein Wirken als Bundestagspräsident und als Sprecher der Protestanten innerhalb der Union lässt Ehlers in der Parteihierarchie rasch aufsteigen. Nachdem er bereits im Juli 1952 zum Vorsitzenden des Landesverbandes Oldenburg gewählt wurde, folgt wenig später auf dem CDU-Bundesparteitag im Oktober die Wahl zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Bemerkenswert ist, dass Hermann Ehlers die gleiche Stimmenanzahl auf sich versammeln kann wie der Bundesvorsitzende Konrad Adenauer. Seine Popularität hält an, bei der Wiederwahl zum Bundestagspräsidenten am 6. Oktober wird Ehlers mit einer großen Mehrheit von 93,2 Prozent im Amt bestätigt. Bis Norbert Lammert 2013 94,6 Prozent erlangt, ist dies das höchste Stimmenergebnis, das bei einer Bundestagspräsidentenwahl erreicht wird. Darin drückt sich nicht nur sein gestiegenes Ansehen in der eigenen Partei aus: Auch ein großer Teil der anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien ist von seiner Arbeit als Bundestagspräsident überzeugt.
Ein Thema, für das sich Ehlers in seiner kurzen Amtszeit besonders engagiert, ist die Wiedervereinigungspolitik. Mit seiner diesbezüglichen Haltung gerät er des Öfteren in Konflikt mit Konrad Adenauer. Anders als der Kanzler will Ehlers den Dialog mit der DDR suchen und nicht grundsätzlich ausschließen. So handelt der Bundestagspräsident entgegen der politischen Linie Adenauers, als er Ende Januar 1951 ein Schreiben des Volkskammerpräsidenten der DDR, Johannes Dieckmann, beantwortet. Noch einen Schritt weiter geht Ehlers im September 1952: Er empfängt eine Delegation der Volkskammer im Bundestag, wovon sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Opposition distanziert. Mit der Einladung will Ehlers erreichen, „vor der deutschen Öffentlichkeit endlich einmal das falsche Bild zu beseitigen, als ob die CDU und insbesondere Sie (Konrad Adenauer) weniger Interesse an den Fragen der deutschen Einheit hätten als die SPD“ (Schreiben Hermann Ehlers an Konrad Adenauer, 16. September 1952). Weniger sind die Machthaber der DDR die Adressaten des Bundestagspräsidenten als vielmehr die westdeutsche und insbesondere die ostdeutsche Bevölkerung. Anders als Adenauer befürchtet, ist Ehlers nicht so naiv, sich für die sozialistische Propaganda einspannen zu lassen.
Ehlersʼ kirchliche Kontakte in der DDR bestärken ihn in seiner Haltung zur Wiedervereinigungspolitik. Um die Solidarität mit den Brüdern im Osten zu betonen, nimmt er an zahlreichen gesamtdeutschen kirchlichen Veranstaltungen in Ost und West teil. Auch hierfür handelt er sich Kritik der Bundesregierung und der bundesdeutschen Presse ein.
Im Zusammenhang mit seiner Haltung zur Wiedervereinigungspolitik steht für Ehlers auch die Frage der deutschen Wiederbewaffnung, die er anfangs skeptisch sieht. Erst allmählich weicht er von seinen eigenen Vorstellungen ab und schwenkt auf Adenauers Westbindungskurs ein. Anfang 1953 ist dieser Wandel abgeschlossen und Ehlers befürwortet neben der Westbindung auch die deutschlandpolitischen Vorstellungen des Kanzlers. Der Grund für seinen scharfen Kurswechsel ist vor allem die Einsicht über den totalitären Charakter des SED-Regimes.
Mit dieser geänderten Einstellung bringt sich Ehlers allerdings in Gegensatz zu seinen einstigen Mitstreitern der Bekennenden Kirche, vor allem zu Gustav Heinemann, der aus Protest über die eingeleitete Wiederbewaffnung 1950 als Bundesinnenminister zurück- und zwei Jahre später aus der CDU austritt. Gemeinsam mit Martin Niemöller übt Heinemann fortan scharfe Kritik am Westintegrationskurs der Bundesregierung. Ehlers will den Kontakt zu den ehemaligen Weggefährten zwar aufrechterhalten. Die staatspolitische Verantwortung seines Amtsverständnisses und seine neuen Überzeugungen erschweren diesen Wunsch jedoch zunehmend.
Am 29. Oktober 1954 verstirbt Hermann Ehlers überraschend an den Folgen einer Mandelvereiterung. Die eigentlich harmlos verlaufende Krankheit ist wohl auch wegen seiner angeschlagenen Gesundheit in Folge der großen Arbeitsbelastung tödlich verlaufen. Weggefährten zeigen sich bereits Anfang 1953 besorgt über das hohe Arbeitspensum des Bundestagspräsidenten und die „übermäßige Inanspruchnahme (seiner) Kräfte“ (Schreiben Hans Wendt an Hermann Ehlers, 2. Januar 1953).
Der plötzliche Tod setzt seiner politischen Laufbahn, die von vielen Beobachtern als noch längst nicht beendet angesehen wird, ein abruptes Ende. Noch kurz vor seinem Tod spielt er mit dem Gedanken, sich als Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahlen in Niedersachsen aufstellen zu lassen. Dies zeigt, dass sein politischer Ehrgeiz mit den doch eher repräsentativen Pflichten eines Bundestagspräsidenten längst nicht befriedigt war. Die Hoffnungen und Erwartungen aus Politik und Öffentlichkeit an den bekannten und beliebten Ehlers sind hoch; selbst als potentieller Nachfolger Adenauers als Bundeskanzler wird er gehandelt.
Als Bundestagspräsident und bereits in der Zeit davor tritt Ehlers engagiert für die parlamentarische Demokratie ein, die er mit ironischem Unterton als „die am wenigsten schlechte Staatsform“ bezeichnet. Sein christlicher Glaube dient ihm als Basis für sein politisches Handeln. Unermüdlich versucht er, die Bürger – vor allem die Jugend – an die Politik heranzuführen. Dabei kommt ihm sowohl seine hohe Integrationsfähigkeit als auch seine angesehene Stellung in der Kirche zugute. Vor allem letztere ist für die Union nicht ohne Bedeutung, da es Ehlers gelingt, Protestanten an die Partei zu binden. Er ist die protestantische Symbolfigur für die christliche Demokratie – bis heute.