Joseph Karl Wirth

* geboren 06.09.1879 in Freiburg/Breisgau
† gestorben 03.01.1956 in Freiburg/Breisgau

Dr. phil., Gymnasialprofessor, Reichsminister, Reichskanzler, rk.

Übersicht

1899-1906 Studium der Mathematik und Naturwissenschaften in Freiburg
1906 Promotion
1908-1913 Gymnasialprofessor
1911-1913 Stadtverordneter in Freiburg
1913-1914 MdL Baden
1914-1918 + 1920-1933 MdR (Zentrum)
1918-1920 Badischer Finanzminister
1920-1921 Reichsfinanzminister
1921-1922 Reichskanzler
1929-1930 Minister für die besetzten Gebiete
1930-1931 Reichsinnenminister
1933-1945 Exil in Frankreich und der Schweiz
1948 Rückkehr
1952-1956 Funktionen in der Deutschen Sammlung und im Bund der Deutschen (BdD)

Biographischer Werdegang

Mit dem Namen Wirths verbinden sich historische Ereignisse, die bis heute Quelle kontroverser Diskussionen sind, so der unter seiner Kanzlerschaft 1922 abgeschlossene Rapallo-Vertrag und seine in Gegnerschaft zu Konrad Adenauer entwickelte Option eines militärisch neutralen Deutschlands in den 1950er Jahren. Aus einem sozial und politisch engagierten katholischen Elternhaus stammend, begann Wirths politische Karriere zunächst im kommunalen Bereich, dann als Landtags- und Reichstagsabgeordneter. Nach 1918 zählte Wirth zu den entschiedenen Verfechtern der Weimarer Demokratie. 1922 wurde er Kanzler in einer durch Reparationsprobleme erschütterten Zeit und stand einer Regierung der Weimarer Koalition vor. Gemeinsam mit Außenminister Walther Rathenau schloß er 1922 den Rapallo-Vertrag mit Sowjetrußland, der u. a. die diplomatische Anerkennung der Sowjetrepublik brachte. Konflikte mit der Zentrumsführung um den Kurs der Partei veranlaßten ihn 1925 zum vorübergehenden Austritt aus der Fraktion. Als Gegner des Nationalsozialismus ging Wirth 1933 ins Exil nach Frankreich. Er unterhielt zahlreiche Kontakte zu führenden Staatsmännern Europas und zum Vatikan. insbesondere über Professor Robert Leiber S. J. Intensiv bemühte er sich auf diplomatischem Weg um eine Stellungnahme des Papstes gegen Antisemitismus und Judenverfolgung. Seit 1939 in Luzern, stand er bis 1942 über den ehemaligen Reichswehrminister Otto Geßler in Kontakt zur Militäropposition in Deutschland. Seit 1942 entwickelte er gemeinsam mit den Sozialdemokraten Otto Braun, Wilhelm Hoegner und Heinrich Georg Ritzel Konzepte zur Gestaltung Nachkriegsdeutschlands und gründete 1945 die Arbeitsgemeinschaft „Das Demokratische Deutschland". Nach seiner Rückkehr nach Freiburg 1948 trat er für ein militärisch neutrales Deutschland ein. Mehrfach führte er Gespräche in Ost-Berlin und Moskau u. a. mit Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Johannes Dieckmann und Wladimir Semjonov. 1952 bis zu seinem Tod nahm er an der Seite des ehemaligen Zentrumspolitikers Wilhelm Elfes eine leitende Position in der Deutschen Sammlung und im BdD ein, der in seinem 1953 geschlossenen Wahlbündnis mit der Gesamtdeutschen Volkspartei Gustav Heinemanns eine vernichtende Wahlniederlage erlitt. Wegen seiner Kontakte zu Ost-Berlin und Moskau und des Einflusses von Funktionären der KPD im BdD wurde Wirth als „Trojanisches Pferd der Kommunisten" abgestempelt. Er erreichte die Freilassung zahlreicher politischer Häftlinge aus DDR-Zuchthäusern und von deutschen Kriegsgefangenen aus sowjetischer Gefangenschaft.

  • H. Küppers: Joseph Wirth (1997); U. Hörster-Philipps: Joseph Wirth (1998); Dies., Nachkriegskonzeptionen deutscher Politiker im Schweizer Exil. Der Wirth-Braun-Hoegner-Kreis, in: C.-D. Krohn/M. Schumacher (Hg.), Exil und Neuordnung (2000).

Ulrike Hörster-Philipps