Kai-Uwe von Hassel

Kai-Uwe von Hassel

* geboren 21.04.1913 in in Gare/Deutsch-Ostafrika (heute Tansania)
† gestorben 08.05.1997 in in Aachen


Tropenkaufmann, Ministerpräsident, Bundesminister, Bundestagspräsident, Dr. h. c., ev.

Teilen und drucken

Übersicht

1919Umzug nach Ilmenau
1919-1933Besuch des Realgymnasiums in Flensburg
1933Abitur in Flensburg, Landwirtschaftlich-kaufmännische Ausbildung
1935-1939Pflanzungskaufmann in Tanganjika
1939-1940Internierung und Deportation nach Deutschland
1940Heirat mit Elfriede Frölich, zwei Kinder
1940-1945Kriegsdienst als Leutnant
1945-1947Beauftragter für das Wohnungs- und Flüchtlingswesen im Landkreis Flensburg
1946Eintritt in die CDU
1947-1950Bürgermeister von Glücksburg
1948-1955Mitglied des Kreistags des Landkreises Flensburg
1950-1957Bürgervorsteher von Glücksburg
1950-1965Mitglied des Landtags von Schleswig-Holstein
1951-1955stellvertr. Vorsitzender der CDU Schleswig-Holstein
1953-1954Mitglied des Deutschen Bundestages
1954-1963Ministerpräsident von Schleswig-Holstein
1955-1964Vorsitzender der CDU Schleswig-Holstein
1956-1969stellvertr. Bundesvorsitzender der CDU
1956Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1962-1997Mitglied des Vorstands der Konrad-Adenauer-Stiftung
1963-1966Bundesminister der Verteidigung
1965-1980Mitglied des Deutschen Bundestages
1966-1969Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte
1968-1993Vorsitzender der Hermann-Ehlers-Stiftung
1969-1972Präsident des Deutschen Bundestages
1972Heirat mit Dr. Monika Weichert, ein Sohn
1972-1976Vizepräsident des Deutschen Bundestages
1972-1986stellvertr. Vorsitzender des EAK der CDU/CSU
1973-1981Präsident der Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD)
1976-1981Vize-Präsident der Europäischen Volkspartei
1977-1980Präsident der Parlamentarischen Versammlung der Westeuropäischen Union (WEU)
1979-1984Mitglied des Europäischen Parlaments
1981-1997Vizepräsident der EUCD
1981Mérite Européen in Gold
1988Robert-Schuman-Medaille der Fraktion der EVP im Europäischen Parlament; zahlreiche ausländische Orden

Biographischer Werdegang

Kai-Uwe von Hassel gehört zu den prägenden Persönlichkeiten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der CDU. Wie nur wenige Politiker hat er sowohl in der Landespolitik von Schleswig-Holstein als auch in der Bundes- und Europapolitik bleibende Spuren hinterlassen.

Zwischen Ostafrika und Deutschland

Am 21. April 1913 kam Kai-Uwe von Hassel in Gare, im damaligen Deutsch-Ostafrika (heute Tansania), als Sohn des ehemaligen Hauptmanns der deutschen Schutztruppe und Pflanzers Theodor von Hassel zur Welt. Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Familie jedoch von den britischen Behörden enteignet und ausgewiesen. Sie übersiedelte in die Heimat der Mutter nach Glücksburg in Schleswig-Holstein. Dort wuchs von Hassel auf und besuchte in Flensburg das Reformgymnasium, an dem er 1933 das Abitur ablegte. Anschließend machte er eine Ausbildung zum Pflanzungskaufmann. 1935 folgte er seinem Vater nach Tanganjika, wo er als Pflanzungsleiter und kaufmännischer Leiter mehrerer Plantagen tätig war. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde von Hassel von der britischen Besatzungsmacht zunächst interniert und 1940 nach Deutschland deportiert. Direkt zur Wehrmacht eingezogen, leistete er als Leutnant der Reserve bei einer Infanteriedivision bis 1945 Kriegsdienst. Bei Kriegsende geriet von Hassel in Italien in britische Gefangenschaft, aus der er aber schon 1945 nach Glücksburg zurückkehren konnte.

Aufstieg in der CDU

Er fand im Dezember 1945 eine Anstellung beim Landkreis Flensburg, wo er das Amt des Beauftragten für Wohnungs- und Flüchtlingsangelegenheiten übernahm. Wegen seiner Sprachkenntnisse wurde er zum Verbindungsmann zu den britischen Militärbehörden ernannt. Schnell erwarb sich von Hassel hohes Ansehen durch seine vermittelnde Rolle zwischen Einheimischen und Vertriebenen sowie als unermüdlicher Organisator. 1946 trat von Hassel in die CDU ein und wurde bereits ein Jahr später zum Bürgermeister von Glücksburg gewählt. Von 1948 bis 1955 gehörte er dem Kreistag des Landkreises Flensburg an. Bald wurde auch der Landrat des Kreises, Friedrich-Wilhelm Lübke, auf von Hassel aufmerksam und förderte ihn nach Kräften. Bei der Landtagswahl 1950 zog von Hassel als Abgeordneter für den Kreis Schleswig in den Kieler Landtag ein. Als Friedrich-Wilhelm Lübke 1951 zum CDU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein gewählt wurde, rückte von Hassel zum stellvertretenden Vorsitzenden der CDU Schleswig-Holstein auf. Als solcher reorganisierte er die Partei und wurde zum starken Mann hinter Ministerpräsident Lübke. Von Hassels Ambitionen gingen allerdings schon damals über Schleswig-Holstein hinaus: 1953 wurde er auf Anhieb in den Deutschen Bundestag gewählt. Sein Abgeordnetenmandat gab er jedoch im Herbst 1954 wieder auf.

Ministerpräsident

Als Ministerpräsident Lübke 1954 nach langer Krankheit starb, wurde Kai-Uwe von Hassel zu seinem Nachfolger gewählt. Er war mit 41 Jahren der jüngste Ministerpräsident in der Bundesrepublik. Ab 1955 stand er auch an der Spitze der CDU Schleswig-Holstein. Der neue Ministerpräsident setzte die Koalitionsregierung aus CDU, FDP und BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) fort. Bei der Ernennung neuer Minister bewies er eine glückliche Hand; so z.B. bei Edo Osterloh und Lena Ohnesorge. Die von Lübke eingeleitete Politik wurde unter Kai-Uwe von Hassel im Land fortgesetzt: Beseitigung der Kriegsschäden, Ankurbelung der Wirtschaft, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft, Integration der zahlreichen Flüchtlinge und Förderung des Wohnungsbaus. Seit Mitte der 1950er Jahre konnte Schleswig-Holstein ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum aufweisen. Die Beziehungen zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Kirchen im Land wurden im April 1957 durch einen Staatskirchenvertrag geregelt. Bei der Landtagswahl 1958 gelang es der CDU mit ihrem Spitzenkandidaten von Hassel erstmals zur stärksten Partei im Kieler Landtag zu werden. Auch aus der Landtagswahl 1962 ging die CDU als stärkste Partei hervor. Bei der großen Sturmflut vom Februar 1962, die an der gesamten Nordseeküste schwere Schäden anrichtete, bewährte sich der Ministerpräsident als umsichtiger Krisenmanager. Von Meldorf in Dithmarschen aus leitete er den Einsatz der Rettungskräfte und rief sein Kabinett vor Ort zu einer Sondersitzung zusammen. Der lange schwelende deutsch-dänischen Minderheitenkonflikt wurde mit der Bonn-Kopen-hagener Erklärung vom 29. März 1955 beigelegt. Bei den Verhandlungen hatte von Hassel eine entscheidende Rolle gespielt. Zunehmend wurde der beliebte Ministerpräsident auch zu einem über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinaus bekannten Politiker, der als Wahlkampfredner sehr gefragt war. Seit dem Tod von Hermann Ehlers gehörte von Hassel in der CDU zu den herausragenden Repräsentanten der protestantischen norddeutschen Landesverbände. Infolgedessen wurde der praktizierende Christ 1956 zu einem der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU gewählt. Von 1972 bis 1986 hatte er als stellvertretender Vorsitzender eine führende Rolle im Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU inne.

Bundesminister

Mit seiner Ernennung zum Bundesminister für Verteidigung im Januar 1963 wechselte von Hassel endgültig in die Bundespolitik. Bundeskanzler Konrad Adenauer nahm ihn nach dem Rücktritt von Franz Josef Strauß als Folge der „Spiegel-Affäre" in die Pflicht. Durch eine Auseinandersetzung mit der Spitze der Bundeswehr geriet seine Amtsführung jedoch bald in die Kritik. Wegen Kompetenzfragen war der Verteidigungsminister mit dem General-inspekteur der Bundeswehr, Heinz Trettner, aneinander geraten, woraufhin dieser 1966 zurücktrat. Auch die zunehmenden Abstürze von Kampfflugzeugen des Typs „Starfighter" sorgten für öffentliches Aufsehen. Im August 1966 bat deswegen der Inspekteur der Luftwaffe, Werner Panitzki, um seinen Abschied und warf dem Verteidigungsministerium schlechtes Management vor. Von Hassel beendete die Krise rasch, in dem er beide Ämter umgehend mit Generalen seines Vertrauens besetzte: Neuer Generalinspekteur wurde Ulrich de Maiziere und neuer Luftwaffeninspekteur Johannes Steinhoff. Zugleich wurden die Kompetenzen beider Ämter erweitert. Es war von großer persönlicher Tragik, dass auch von Hassels Sohn Joachim beim Absturz eines „Starfighter" 1970 ums Leben kam. Unter Verteidigungsminister von Hassel begann für die Bundeswehr die Phase der inneren Konsolidierung, nachdem sein Amtsvorgänger Franz Josef Strauß den Aufbau der Truppe rasch vorangetrieben hatte. Von Hassel modernisierte die Ausbildung in der Bundeswehr nach den Grundsätzen der „Inneren Führung" und verstärkte die politische Bildung für die Soldaten.

In der Großen Koalition ab 1966 gehörte Kai-Uwe von Hassel weiterhin der Bundesregierung unter Kurt Georg Kiesinger an, doch musste er sich mit dem kleinen Vertriebenenministerium begnügen. Er verfolgte in seinem neuen Amt das Ziel, die Kriegsfolgengesetzgebung abzuschließen und die Auflösung des Ministeriums bis 1971 vorzubereiten. Tatsächlich wurden die Aufgaben des Ministeriums Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte nach dem Regierungswechsel 1969 dem Innenministerium übertragen. Durch von Hassel wurde die lange umstrittene Gleichstellung der DDR-Flüchtlinge mit den Vertriebenen endlich umgesetzt. In die Zeit der Großen Koalition fiel auch seine Initiative zum Aufbau der Hermann-Ehlers-Stiftung für staatsbürgerliche Bildung, die 1968 in Hannover gegründet wurde. Von 1968 bis 1993 stand von Hassel an der Spitze dieser Stiftung. Ebenfalls seit 1968 gehörte er dem Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung an, der er bis zu seinem Tod eng verbunden blieb.

Bundestagspräsident

Im Februar 1969 wurde von Hassel als Nachfolger von Eugen Gerstenmaier zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Durch seine Amtsführung gewann er schon bald partei-übergreifend großen Respekt. Nach der Bundestagswahl 1969, aus der die Union wiederum als stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag hervorging, wurde er deshalb mit deutlicher Mehrheit in seinem Amt bestätigt. Durch die von ihm 1969 zügig durchgesetzte „Kleine Parlamentsreform" verbesserte er die Arbeitsmöglichkeiten der Bundestagsabgeordneten und des Parlaments. So wurde der Ältestenrat zum zentralen Steuerungsorgan des Bundestages aufgewertet, das Instrument von Enquetekommissionen geschaffen, der Wissenschaftliche Dienst und die Pressearbeit des Bundestages ausgebaut, die Minderheitenrechte gestärkt und die Abgeordneten erhielten die Möglichkeit, Mitarbeiter zu beschäftigten. 1972 gelang es von Hassel noch, „Verhaltensregeln" für die Bundestagsabgeordneten in der Geschäftsordnung zu verankern. Die von ihm befürwortete elektronische Abstimmungsanlage im Plenarsaal bewährte sich hingegen nicht und wurde nach einigen Jahren wieder abgebaut. In der von großen Spannungen zwischen Regierungskoalition und Opposition geprägten 6. Wahlperiode wirkte von Hassel integrierend und ausgleichend. In seine Amtszeit fiel nicht nur das erste konstruktive Misstrauensvotum im Deutschen Bundestag, sondern auch die erste vorzeitige Beendigung einer Legislaturperiode. Nach der Bundestagswahl 1972, bei der die SPD zur stärksten Fraktion wurde, musste von Hassel sein Amt an Annemarie Renger (SPD) übergeben. Er blieb aber bis 1976 Vizepräsident des Parlaments. Rückblickend bezeichnete Kai-Uwe von Hassel das Amt des Bundestagspräsidenten als das schönste seiner politischen Karriere. Im privaten Bereich waren diese Jahre hingegen von Schicksalsschlägen überschattet: Nach dem Tod seines Sohnes 1970 starb 1971 auch seine Frau Elfriede. In Monika Weichert fand von Hassel allerdings eine neue Partnerin, die er 1972 heiratete.

Der Europäer

Zunehmend verlagerte Kai-Uwe von Hassel nun seinen Arbeitsschwerpunkt auf die europäische Ebene. Bereits 1973 wurde er zum Präsidenten der Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD) gewählt. Als solcher bemühte er sich um einen Brücken-schlag zu den konservativen Parteien Europas. An der Gründung der Europäischen Volkspartei (EVP) 1976 hatte er maßgeblichen Anteil. Auch den Zusammenschluss christlicher und konservativer Parteien in der Europäischen Demokratischen Union (EDU) 1978 hatte von Hassel vorangetrieben. Außerdem setzte er sich als EUCD-Präsident weltweit für Demokratie und Menschenrechte ein. Als Abgeordneter des ersten direkt gewählten Europaparlamentes von 1979 bis 1984 sprach er sich dafür aus, dem Parlament mehr Kompetenzen zu übertragen und forderte die Behandlung auch außenpolitischer Fragen. Vergeblich kämpfte er für Straßburg als alleinigen Sitz des Parlaments. Mehr Erfolg hatte von Hassel bei seinen Bemühungen, die Fahne des Europarates (12 goldene Sterne auf blauem Grund) zur Europafahne zu machen: Im Mai 1986 wurde die Flagge erstmals offiziell vor dem Kommissionsgebäude in Brüssel gehisst. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Europäischen Parlament 1984 nahm Kai-Uwe von Hassel regen Anteil an der Tagespolitik. So kritisierte er die Qualität des Politikernach-wuchses und trat nach der Wiedervereinigung für Bonn als Regierungssitz der Bundes-republik Deutschland ein. Ein Herzanfall riss ihn während der Verleihung des Internationalen Karlspreises in Aachen am 8. Mai 1997 aus dem Leben. Der Deutsche Bundestag ehrte seinen früheren Präsidenten eine Woche später mit einem Staatsakt.

  • Hanns Ulrich Pusch: Kai-Uwe von Hassel. Ein Porträt, Freudenstadt 1970.
  • Walter Henkels: Neue Bonner Köpfe, Düsseldorf 1975.
  • Alfred Schiffner: Kai-Uwe von Hassel, in: Walther Bernecker/Volker Dotterweich (Hg.): Persönlichkeit und Politik in der Bundesrepublik, Bd. 1, Göttingen 1982.
  • Philipp Jenninger (Hg.): „Unverdrossen für Europa". Festschrift für Kai-Uwe von Hassel zum 75. Geburtstag, Baden-Baden 1988.
  • Mark Speich: Kai-Uwe von Hassel - eine politische Biographie, (Diss.), Bonn 2001.
  • Suzannes S. Schüttemeyer: Kai-Uwe von Hassel, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.): Kanzler und Minister 1949-1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, 1. Aufl., Wiesbaden 2001.
  • Wilfried Lagler: Kai-Uwe von Hassel. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 12, Neumünster 2006, S. 167-174.
  • Volker Koop: Kai-Uwe von Hassel: Eine politische Biographie, Köln 2007.

Andreas Grau