Petersberger Abkommen

Ulrike Hospes

Die Unruhe in der Bevölkerung wächst: fortdauernde Demontagen, neun Prozent Arbeitslosigkeit, stockender Wiederaufbau. Um nicht wie in der Weimarer Republik nationalistischer Agitation gegen die Siegermächte Raum zu bieten, drängt Konrad Adenauer auf eine Lösung. Im Anschluss an die Konferenz der drei Außenminister in Paris am 9. und 10. November 1949 werden die auf dem Petersberg über Bonn residierenden Hohen Kommissare bevollmächtigt, mit dem Bundeskanzler die Probleme zu erörtern. Entsprechende Verhandlungen finden am 15., 17. und 22. November auf dem Petersberg statt. Allein am letzten Tag werden elf Stunden diskutiert und verhandelt. Um 21.35 Uhr ist das Petersberger Abkommen unterzeichnet. Die drei Westmächte gestehen der unter Besatzungsstatut stehenden Bundesrepublik Deutschland auf verschiedenen Gebieten erste Erleichterungen zu.

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Demontagestopp gegen „Ja” zur Ruhrbehörde

Konrad Adenauer hat einen Zettel in der Hand und vor ihm stehen die 3 Hohen Komissare
Die Hohen Kommissare (l-r) John J. McCloy (USA), Andre Francois-Poncet (Frankreich) und Sir Brian...

Das Petersberger Abkommen spricht der unter Besatzungsstatut stehenden Bundesrepublik Deutschland auf verschiedenen Gebieten erste Erleichterungen zu, u.a. das Recht, konsularische Beziehungen zu ausländischen Mächten aufzunehmen und in internationalen Organisationen mitzuarbeiten. Die Bundesrepublik wird daraufhin gleichberechtigter Partner in der Marshall-Plan-Organisation und arbeitet fortan mit in der Weltbank, dem Weltwährungsfonds, dem Internationalen Arbeitsamt und der Welternährungs-Organisation. Auch die für die Stimmung in der Bevölkerung besonders wichtigen wirtschaftlichen Erleichterungen werden umgesetzt: Revision des Demontageprogramms und Lockerung der Beschränkung des Baus von Hochseeschiffen sowie Streichung 18 großer Industrieanlagen von der Demontageliste. Neue Arbeitsplätze können entstehen. Als Gegenleistung sagt die Bundesregierung ihren Beitritt zur Internationalen Ruhrbehörde und zum Europarat zu und erklärt sich zur sicherheitspolitischen Zusammenarbeit bereit.

Der Kern der Auseinandersetzung: Die Internationale Ruhrbehörde

Das der Internationalen Ruhrbehörde zugrunde liegende Ruhrstatut war am 29. Dezember 1948 von den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg erlassen worden. Vier Monate später wurde die in diesem Statut vorgesehene Ruhrbehörde ins Leben gerufen. Sie hat die Aufgabe, das Produktionspotential im Ruhrgebiet zu kontrollieren. Auf deutscher Seite machen sich Befürchtungen breit: Das industrielle Herz der Bundesrepublik überwacht durch fremde Mächte? Eine emotional aufgeladene Debatte entwickelt sich. Drängt Frankreich darauf, das Ruhrgebiet ähnlich wie das Saarland aus der Bundesrepublik herauszulösen?

„Kanzler der Alliierten” – Verkauf nationaler Interessen?

Bundeskanzler Adenauer erstattet dem Bundestag am 24./25. November 1949 in einer Regierungserklärung Bericht. In der Aussprache wirft ihm die SPD-Fraktion angeblichen Verfassungsbruch und Missachtung des Parlaments vor, weil er das Abkommen ohne Hinzuziehung des Parlaments abgeschlossen habe. Sie kritisiert, der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Ruhrbehörde wäre nur zu rechtfertigen, wenn sich deren Kontrolle auf die Schwerindustrie ganz Westeuropas erstrecke. Adenauer entgegnet, Deutschland sei bereits faktisch Mitglied der Ruhrbehörde - ohne Rechte, aber mit Verpflichtungen. Nun vertritt die Bundesrepublik sich selbst, wird nicht mehr vertreten durch die Militärgouverneure. Weiterer Fakt: Die Einstellung der Demontage wäre ohne den Beitritt zur Ruhrkontrolle nicht möglich gewesen.
Es wird spät, ein Wort gibt das andere. Ein Glückwunschtelegramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes heizt die Stimmung zusätzlich an. Die Gewerkschaft stellt sich gegen die SPD? Auf dem Höhepunkt der sich zuspitzenden Situation beschimpft Oppositionsführer Kurt Schumacher in einem Zwischenruf Konrad Adenauer als "Bundeskanzler der Alliierten". Der deutsche Kanzler als Erfüllungshilfe der Sieger? Tumult entsteht. Um 3.21 Uhr morgens unterbricht Bundestagspräsident Köhler die nächtliche Parlamentsschlacht, die um 17 Uhr begonnen hatte. Der Ältestenrat legt Schumacher nahe, sich offiziell zu entschuldigen. Dieser lehnt ab. Im Morgengrauen des 25. November wird er wegen gröblicher Verletzung der Ordnung für zwanzig Sitzungstage aus dem Parlament verbannt. Die Sitzung selbst wird um kurz nach 6 Uhr fortgesetzt. Um halb sieben fährt Adenauer nach Rhöndorf.

Zugestehen und Fordern

Deutlich treten in dieser Auseinandersetzung die persönlichen und sachlichen Gegensätze zwischen Adenauer und Schumacher hervor. Einig in den Zielen - völlige Gleichberechtigung der Bundesrepublik und schnelle Beseitigung der alliierten Vorbehaltsrechte -, ist der Weg dorthin doch umstritten.
Schumacher geht vom vermeintlichen Recht der Bundesrepublik aus, die nationalen Interessen ohne Rücksicht auf die westlichen Alliierten zu vertreten: nationale Selbstbehauptung und Selbstbestimmung statt Zugeständnisse an die Alliierten und "Ausverkauf nationaler Interessen". Der Ruf als leidenschaftlicher Preuße und hemmungsloser Nationalist festigt sich. Adenauer dagegen versucht mit einer Politik der kleinen Schritte das Misstrauen abzubauen und dem Sicherheitsbedürfnis der westlichen Staaten, insbesondere Frankreichs, zu entsprechen. Er sieht die Grenzen, aber auch die Fortschritte: "Nicht alle deutschen Wünsche und Anträge waren erfüllt worden. Aber trotzdem stellte das Petersberger Abkommen politisch einen sehr großen Erfolg dar. Zum erstenmal seit dem Zusammenbruch wurde unsere Gleichberechtigung offiziell anerkannt, und zum erstenmal traten wir wieder in die internationale Sphäre ein." In seinen Erinnerungen ist er überzeugt: "Wir Deutsche konnten, nachdem unsere ganze Macht zerbrochen war, nur in gemeinsamer, vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Westalliierten wieder hochkommen. Das Petersberger Abkommen war ein großer Fortschritt. Ich war überzeugt, daß wir auf diesem Wege die Zukunft Deutschlands und auch die Rettung und die Zukunft Westeuropas sicherten, das ohne Deutschland nicht gerettet werden konnte, und daß wir - und das war das oberste Ziel - auf diesem Wege auch den Frieden der Welt sicherten."

  • Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965.
  • Vogel, Bernhard: Adenauer, das Petersberger Abkommen und die außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik Deutschland. Sankt Augustin 2003.
  • Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg: 1876-1952. Stuttgart 1986.

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