02. Januar 1951

Kurzprotokoll der Besprechungen zwischen Bundeskanzler Adenauer und dem amerikanischen Hohen Kommissar für Deutschland, McCloy

McCloy: Man stehe in der Welt vor einer neuen, großen Propagandaaktion der Sowjets. Wenn man auch in den Vereinigten Staaten entschlossen sei, dagegen Widerstand zu leisten, würde im Laufe der kommenden Monate in der amerikanischen Öffentlichkeit, vor allem aber im Kongress, eine generelle Überprüfung der gesamten amerikanischen Außenpolitik im Zusammenhang mit den notwendigen Geldbewilligungen vorgenommen werden. Um zu vermeiden, dass bei dieser Überprüfung die Elemente an Boden gewännen, die eine Aufgabe der Außenpositionen der Vereinigten Staaten im Fernen Osten und in Mitteleuropa für erforderlich hielten, müsste auch in Deutschland der Geist der Entschlossenheit viel stärker zum Ausdruck kommen als dies bisher geschehen. Wenn in gewissen Teilen der Welt auf Grund der Vorgänge in Ostasien und der ständige wachsenden russischen Drohung Konfusion eingetreten sei, so dürfte das nicht auch in Deutschland dazu kommen, da dies auf die Dinge in Amerika eine gefährliche Rückwirkung haben könnte. Es komme dabei nicht allein darauf an, dass Regierung und Parteien nicht in zwei Sprachen sprächen, nein, die Bevölkerung der Bundesrepublik im ganzen müsste zu einer energischen Haltung angespornt werden. Denn wenn es überhaupt ein Land gebe, das eine europäische Aufgabe habe, so sei es Deutschland, das über mehr Kraft und mehr Energien verfüge als die anderen europäischen Länder. In diesem Zusammenhang sei von ganz besonderer Bedeutung die Ordnung des deutsch-französischen Verhältnisses und die fortschreitende Integration, wie sie durch den Schuman-Plan erstrebt werde. Dieser Integration könne nicht genug Bedeutung zugemessen werden, denn sie sei das einzige Gegengewicht gegen die Bemühungen der Sowjets, Europa zu sowjetisieren. Er müsse immer wieder mit Nachdruck betonen, dass die amerikanische Hilfe an die freien Nationen Europas ausschließlich davon abhänge, ob sich in Europa der Geist der Entschlossenheit durchsetze oder nicht. Amerika werde in Kürze stark sein und dann in der Lage sein, auch den Beitrag zu liefern, den Europa auf den verschiedenen Gebieten dringend brauche.

Bundeskanzler: Die neue Phase sei - darin stimme er mit Herrn McCloy überein - außerordentlich gefährlich. Die Voraussetzungen, unter denen die Sowjetregierung politisch operiere, hätten sich von Monat zu Monat verbessert. Wie sehe Deutschland die Weltlage? Ein weitgehender Teil der Deutschen stimme nicht mit den Sowjets überein. Die Stimmung sei aber in Westdeutschland sehr gedrückt infolge der unglücklichen Entwicklung in Korea. Das Beispiel von China zeige, dass auch die Satellitenstaaten heute durch Sowjetrussland modern ausgerüstet den Frieden bedrohen und militärische Erfolge erzielen können, ohne das Sowjetrussland selbst einzugreifen braucht. Die Vereinigten Staaten hätten sich dagegen auf die Atomwaffe und die Wirtschaftshilfe verlassen. Gerade Südkorea sei ein Beispiel dafür, dass dies gegen den Kommunismus nicht ausreiche. In Europa seien bis jetzt nennenswerte Kräfte nicht organisiert. Von der französischen Aufrüstung halte die deutsche Bevölkerung nichts. Italien sei ebenso stark kommunistisch infiziert wie Frankreich. Zweifellos stehe ein Teil der deutschen Arbeiterschaft deshalb dem Problem etwas gleichgültig gegenüber, weil sie der falschen Ansicht sei, dass sie unter der Sowjetherrschaft ihr Leben weiterführen könne.

Es sei unerlässlich, dass die amerikanische Kraft sichtbar werde. Nur wenn dies der Fall sei, könne man damit rechnen, dass auch die Deutschen wieder deutlicher ihre Feindschaft gegen Sowjetrussland zeigten. Die Unterzeichnung des Schuman-Plans werde auf alle diese Stimmungsfaktoren keinen großen Einfluss haben. Nach seiner Auffassung brauchten alle Westmächte Zeit, um die Aufrüstung und Konsolidierung durchzuführen.

Die Propaganda der SED sei in letzter Zeit besonders aktiv und erfolgreich. Leider sei die Bundesregierung völlig außerstande, hiergegen mit Erfolg einzuschreiten, da die Polizei ausschließlich Angelegenheit der Länder sei. Was sei denn die Bundesregierung in den Augen der Deutschen? Man müsse sich klar darüber sein, dass sie, da sie über keinerlei Macht verfüge, nicht die Autorität besitze, die sie benötige, um Westdeutschland zu einem wirklichen Faktor in der westeuropäischen Verteidigung zu machen. Was bliebe der Bundesregierung anderes als die Zollkontrolle und die Sorge für die Evakuierten. Der Fehler liege an der zu starken Dezentralisation auf Grund des Grundgesetzes. Er habe mit Freuden festgestellt, dass Herr François-Poncet sich in den letzten Wochen in seinen Anschauungen gewandelt habe; denn bei der Unterhaltung über die Frage der Bundespolizei habe er seinen Unwillen über die Sturheit und Rückständigkeit der Länder in Polizeifragen zum Ausdruck gebracht.

Von besonderer Bedeutung sei nun die bevorstehende Viererkonferenz, auf der in erster Linie das Schicksal Deutschlands behandelt werde. Allen sei die besondere Schwäche der Bundesregierung klar, weil die Bundesrepublik auf dieser Konferenz nicht vertreten sei. Man könne wohl mit einiger Sicherheit behaupten, dass die Westalliierten in der Behandlung des deutschen Problems nicht einig seien. Es sei ihm bekannt, dass es im Quai d'Orsay Strömungen gebe, die sich sehr stark für eine Neutralisierung Westdeutschlands oder Deutschlands überhaupt einsetzen. Die Haltung Englands sei noch nicht bekannt. Aber es sei wohl sicher, dass die Vereinigten Staaten die soeben geschilderte Auffassung des Quai d'Orsay nicht teilten. Deutschland müsse unter allen Umständen seine Souveränität zurückgewinnen, wenn es akzeptieren solle, was die vier Mächte auf der Konferenz beschließen würden. Neutralisierung auf vertraglicher Basis sei nicht durchführbar. Deutschland müsse im Falle, dass der Gedanke der Neutralität sich durchsetzen sollte, soviel Defensivkraft zugestanden werden, dass es seine Neutralität verteidigen könnte. Mit anderen Worten, es müsse über eine Abwehrkraft verfügen, ohne dass diese sich für Angriffszwecke missbrauchen lassen könnte. Er sei der Auffassung, dass der Bundesregierung die Möglichkeit gegeben werden solle, sich über diese Fragen unmittelbar mit den verschiedenen Westmächten auseinanderzusetzen.

Der Hauptpunkt der Ausführungen des amerikanischen Hohen Kommissars sei wohl die Möglichkeit einer Überprüfung der Außenpolitik der Vereinigten Staaten durch den Kongress und die amerikanische öffentliche Meinung. Er habe geglaubt, dass nach den Antworten Trumans und Achesons auf die Erklärungen von Taft und Hoover dieses Problem abgeschlossen sei. Man dürfe nicht vergessen, dass, wenn Sowjetrussland Europa absorbiere, es über nahezu 2/3 des Rüstungs- und militärischen Potentials der Welt verfüge. Eine von Sowjetrussland derart kontrollierte Welt werde sich eines Tages gegen die Vereinigten Staaten wenden. In Europa werde deshalb auch das Schicksal der Vereinigten Staaten entschieden. Er hoffe, dass die Vereinigten Staaten trotz der eingetretenen "Flauten" ihre aktive Verteidigungspolitik fortsetzten. - Die Annäherung an Frankreich sei wesentlich erschwert durch die innenpolitische Lage dieses Landes. Für Deutschland blieben als einzige Hoffnung die Vereinigten Staaten.

McCloy: Die Regierung der Vereinigten Staaten habe oft daran gedacht, den Marshallplan zu erneuern und ihn gleichzeitig als Zwangsmittel gegen die zögernden westeuropäischen Regierungen zu benutzen. Man könne aber nicht mit Zwang arbeiten wie die Sowjets. Europa müsse selbst seine Kräfte entwickeln. Die Vereinigten Staaten hätten keine Begabung, Zwang auszuüben. Leider sei die in Amerika lange Jahre verbreitete Theorie zusammengebrochen, dass Europa nach wirtschaftlichem Wiederaufbau seinen Widerstandsgeist zurückgewinnen würde.

Bundeskanzler: Der Druck vom Osten habe den Widerstandsgeist gelähmt. Westeuropa sei immer noch ein unter den Folgen der vergangenen Kriege psychologisch schwer leidendes Gebiet.

McCloy: Die führenden Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten seien sich über die in der Zukunft drohende Gefahr durchaus klar. Aber die Äußerungen von Truman und Acheson seien nicht ausreichend, um die Fragen zu lösen. Der Kongress müsse den amerikanischen Beitrag zur Verteidigung der westlichen Welt diskutieren, und er hoffe, dass die internationale Verantwortung letztlich auch vom Kongress anerkannt werde. Aber hierzu sei notwendig, dass von Europa Zeichen gegeben würden. Jede Rede vom Bundeskanzler oder von Herrn Schumacher würde mit größter Aufmerksamkeit beachtet. Die amerikanische öffentliche Meinung registriere die kommunistische Propaganda ebenso wie die kritische Haltung der Westeuropäer hinsichtlich der amerikanischen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Maßnahmen. Korea werde allgemein Deutschland gleichgestellt, und der Durchschnittsamerikaner stelle sich die Frage: Sollen wir unsere Boys nach Deutschland schicken, wenn Deutschland oder Westeuropa sich lediglich auf Kritik beschränkt und keine Bereitschaft zeigt, positiv an der Verteidigung der Welt mitzuwirken?

Bundeskanzler: Er verstehe durchaus diese Tendenz, deshalb sei er auch persönlich so verstimmt über die Haltung eines Dibelius oder eines Heinemann. Er trage sich mit dem Gedanken, eine Anzahl von Evakuierten und Gefangenen aus der Ostzone in Versammlungen überall im Land sprechen zu lassen, um die deutsche Bevölkerung einmal über das wahre Gesicht der Sowjetrussen aufzuklären. Die Kommunisten verfügten über unbeschränkte Geldmittel. Die Bundesregierung sei leider nicht in der Lage, die sich auf etwa 2 Millionen DM belaufenden Kosten einer solchen Propagandaaktion zu tragen.

McCloy: Eine solche Propagandaaktion sei zweifellos außerordentlich nützlich. Es sei aber keine Zeit zu verlieren; Anstrengungen müssten in den nächsten drei Monaten erfolgen, damit die deutsche öffentliche Meinung sich konkretisiere. Im übrigen werde er überlegen, ob er aus Counterpart Funds oder darüber hinaus Mittel zur Verfügung stellen könnte. Denn nach seiner Auffassung hätten die Sowjets geradezu ein Monopol, dem man etwas Gleichwertiges entgegensetzen müsse.

Eine deutsche Vertretung auf der Viermächte-Konferenz sei nicht möglich.

Bundeskanzler: Wie denke man sich dann den Ausgang der Konferenz und ihre Auswirkungen auf die deutsche Psychologie?

McCloy: Zweifellos werde man sich eines Diktats enthalten.

Bundeskanzler: Ohne dass die Deutschen gefragt würden, könne man kaum eine nützliche Regelung treffen. Wenn die Deutschen 1946 - 48 gewisse Entscheidungen hingenommen hätten, so sei es im Jahre 1950/51 anders. Nichtbeteiligung Deutschlands an der Gestaltung seines Schicksals sei mit einer der entscheidenden Faktoren, die auch das politische Interesse der Jugend lähmten.

McCloy: Wenn die Sowjets auf freie Wahlen und eine absolut gesicherte Bewegungsfreiheit aller Parteien eingingen, werde man schnell zu einer Einigung kommen können.

Bundeskanzler: Man könne daran denken, dass die Struktur beider Teile Deutschlands zunächst aufrecht erhalten bliebe, dass darüber ein deutscher Rat gebildet werde und dass eine komplette Demilitarisierung unter Abzug aller Besatzungstruppen erfolge.

McCloy: Für ihn sei von besonderem Interesse, ob die Herren Speidel und Heusinger zu Sachverständigen benannt worden seien.

Bundeskanzler: Müssten dann diese Besprechungen der militärischen Sachverständigen trotz der Viererkonferenz beginnen? Es wäre sehr übel, wenn diese Besprechungen infolge der Beschlüsse der vier Mächte gestoppt würden. Er schlage deshalb private Besprechungen zwischen General Hays und den deutschen Sachverständigen vor.

McCloy: Die Engländer wünschten, dass die Besprechungen so rasch wie möglich beginnen. Die französische Hohe Kommission habe sich entsprechend geäußert.

Bundeskanzler: Seine Hauptsorge sei, dass von französischer Seite diese Besprechungen plötzlich abgebrochen würden. Dies wäre für die deutsche öffentliche Meinung unerträglich.

McCloy: Wenn wir diese Besprechungen jetzt nicht zustande kommen lassen, besteht die Gefahr, dass wir schwächlich in die Viermächtekonferenz hineingehen. Er habe aber nichts dagegen, wenn zunächst auf informeller, rein technischer Basis die Erörterungen begännen.

Bundeskanzler: Hinsichtlich der Errichtung einer Bundespolizei weise er auf den Antrag der SPD hin, hinter den sich die Bundesregierung stelle. Er werde die Frage der Errichtung einer Bundespolizei erneut der Hohen Kommission vorlegen. Es sei unerlässlich, dass die Bundesregierung über eine wirklich nennenswerte Polizeikraft verfüge. Man könne später die Polizeibereitschaften auf das deutsche Kontingent anrechnen.

McCloy: Er beabsichtige, die Dienstgruppen zu vermehren, besser auszurüsten und auszubilden. Er wäre dankbar für eine Auskunft, wie es mit der Anerkennung der früheren Schulden des Reiches stehe.

Bundeskanzler: Der auswärtige Ausschuss würde sich erneut in der nächsten Woche mit diesem Problem befassen. Er habe die Hoffnung, dass sich eine Mehrheit finde, die sich für die Anerkennung der Schulden ausspreche. Zu einer Abstimmung würde es voraussichtlich nicht kommen. Er hoffe aber auch, dass man, wenn es zu einer positiven Beurteilung im Ausschuss komme, die New Yorker Beschlüsse rasch in Kraft setze.

McCloy: Es sei auch seine Auffassung. Man müsse mit größter Beschleunigung an diese Dinge herangehen; denn wenn es der Bundesregierung einmal möglich sei, diplomatische Vertreter in die verschiedenen großen Staaten zu senden, würde auch die Statur der Bundesregierung erheblich gewinnen.

 

Quelle: StBKAH III/96