05. Juli 1951

Aufzeichnung über die Aussprache zwischen dem Bundeskanzler und dem amerikanischen Hohen Kommissar für Deutschland, McCloy

1. Nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten, so führte Mr. McCloy einleitend aus, sei es ihm ein besonderes Bedürfnis, den Herrn Bundeskanzler eingehend über die Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten zu den entscheidenden Problemen zu unterrichten. Er sei in Washington gewesen, um vor einer Anzahl von Ausschüssen des Senats, die sich mit den verschiedenen Fragen der amerikanischen Verwaltung in Deutschland befasst hätten, Aussagen zu machen. Im allgemeinen sei die Unruhe, die die Absetzung des Generals McArthur ausgelöst habe, wieder abgeflaut. Zwischen Republikanern und Demokraten bestehe weitgehend Einigkeit hinsichtlich der Deutschland gegenüber zu verfolgenden Politik. Diese Einigkeit bestehe nicht hinsichtlich Chinas und Ostasiens.

Zwei Gedanken beschäftigten hauptsächlich die führenden amerikanischen Persönlichkeiten im amerikanischen Kongress, nämlich: welche Fortschritte hat Deutschland auf dem Wege zu einer echten Demokratie gemacht und wo steht Deutschland in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Neigt es instinktiv zur westlichen Welt oder bedarf es hierzu noch besonderer Entscheidungen. Diese Fragen hätten auch Gegenstand der Unterhaltung gebildet, die er, McCloy, mit Acheson, Marshall und Truman geführt habe.

2. Zunächst seien für ihn die Hearings zur Frage des Ost-West-Handels von besonderer Bedeutung gewesen. Es hätte sich gezeigt, dass der Ausschuss des Senats unter der Leitung des Senators O'Conor durch die nach Europa entsandten Investigators sehr gute Informationen gehabt habe. Er habe dem Ausschuss mit Nachdruck versichert, dass die Bundesregierung nunmehr aufrichtig an dem Ausbau der Kontrollen arbeite und dass eine Wiederholung der Missstände ausgeschlossen sei. Senator O'Conor beabsichtige mit seinem Investigator Ende August nach Europa zu reisen, um sich von dem Stand und der Wirksamkeit der Kontrollen persönlich zu überzeugen.

Hier griff der Herr Bundeskanzler ein und erklärte, dass nach den vorliegenden Nachrichten die Regierung der Sowjet-Zone Maßnahmen vorbereite, auf Grund deren alle Waren zollfrei in die Sowjet-Zone eingeführt werden könnten. Dies würde für die Bundesrepublik bedeuten, dass sofort eine Zollgrenze eingeführt werden müsse. Zweifellos würde dies für die Bevölkerung der Ostzone politische ungünstige Folgen haben. Der Ost-West-Handel würde damit endgültig unterbunden.

Mr. McCloy erklärte, dass nach seinen Informationen der Fünf-Jahres-Plan in der Ostzone zusammengebrochen sei und dass deshalb die Sowjetbehörden diese Maßnahmen treffen müssten, um den ungeheuren Mangel an Waren zu beheben.

3. Kem Amendment. Er, McCloy, habe versucht, die sehr scharfen Bestimmungen des Kem Amendments zu Gunsten gewisser Ausnahmen für Berlin, den Bayerischen Wald und andere Grenzgebiete zu lockern. Nach diesem Amendment würde die Marshallplanhilfe eingestellt gegenüber den Ländern, die mit Russland oder den Satelliten nachweislich Handel getrieben hätten. Selbstverständlich seien die Verhältnisse in Berlin und in den genannten Grenzgebieten so gelagert, dass in irgendeiner Form eine Ausnahme geschaffen werden müsste. Es sei ihm gelungen, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Man arbeite an einer Liste von Waren, deren Ausfuhr aus diesen Gebieten in den Sowjetbereich zugelassen würde.

4. ECA-Hilfe. Es sähe so aus, als ob die amerikanische Regierung für das kommende Jahr an ECA-Mitteln 175 Millionen Dollar zur Verfügung stellte. Ursprünglich seien von ECA 200 Millionen Dollar beantragt worden. Es bedeute eine besondere Hilfsbereitschaft, wenn die Vereinigten Staaten Deutschland in den Kreis derjenigen Länder aufgenommen hätten, die, wie Griechenland und die Türkei, außerhalb der Zuwendungen für militärische Zwecke noch Geldbeträge zur Verfügung gestellt erhalten.

5. Die Kriegsproduktionen schreiten gut vorwärts. Sowohl Marshall als auch Lovett hätten ihm versichert, dass, wenn auch die Ausrüstung nicht gleich für alle im Falle eines Krieges ausreichte, heute doch schon genug Waffen vorhanden seien, dass keine Verzögerung in der Ausbildung eintreten werde. Die Produktion sei jetzt angelaufen. Sie würde sich sehr rasch von Monat zu Monat wachsend steigern. Auf gewissen waffentechnischen Gebieten seien außerordentliche Entwicklungen zu erwarten.

6. Das Budget der amerikanischen Hohen Kommission und Verwaltung in Deutschland sei nach eingehenden Hearings sowohl hinsichtlich der D-Mark- als auch der Dollarbeträge gebilligt worden.

7. Status der Bundesrepublik und Verteidigungsbeitrag. In den Überlegungen der amerikanischen führenden Persönlichkeiten spiele der Schuman-Plan eine entscheidende Rolle. Immer wieder würde die Frage gestellt, wie man einen neuen deutschen Militarismus vermeiden könne und ob man überhaupt heute schon dem Deutschen wieder Waffen in die Hand geben dürfe. Im allgemeinen werde der Schuman-Plan als eine "herrliche Sache" angesehen. Kein Mensch wisse, was er wirklich bedeute, aber es genügten die mit ihm verknüpfte allgemeine Vorstellung über eine Zusammenfassung von Deutschland und Frankreich, die für alle Zeiten kriegerische Konflikte ausschlösse. Die Überzeugung sei im Wachsen, dass man Deutschland wieder trauen könne.

Er, McCloy, habe in größeren Gremien über den Schuman-Plan und die alliierten Bestrebungen im Sinne des Gesetzes 27 gesprochen und von der deutschen Bereitschaft zur Mitarbeit auf allen diesen Gebieten berichtet. Bei seiner Rückkehr habe er zu seinem großen Bedauern auf seinem Schreibtisch jenes Schreiben des Herrn Bundesministers für Wirtschaft an den Stahltreuhänderverband vom 29. Juni vorgefunden, das er als einen Bruch der bisherigen Linie und der gegebenen Zusagen und als einen Widerspruch zu dem Schreiben der Bundesregierung vom 13. Juni empfinde. In diesem Schreiben vom 13. Juni sei ein Kompromiss erreicht worden, der aufrecht erhalten werden müsse, wenn die bereits im Gang befindlichen Verhandlungen bei einer Ersetzung des statutarischen Prinzips durch das Vertragsprinzip fortgeführt werden sollten. Der Herr Bundeskanzler warf hier ein, dass die ganze Frage des Briefes an den Stahltreuhänderverband vom Kabinett in seiner Abwesenheit behandelt worden sei und dass er die Form des Briefes sehr schlecht finde. Die Besprechungen zwischen Staatssekretär Westrick und Herrn McReady seien im Gang; man würde einen neuen Formulierungsvorschlag ausarbeiten, den er so rasch wie möglich dem Kabinett vorlegen werde.

Hinsichtlich des deutschen militärischen Beitrages führte Herr McCloy folgendes aus: Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen hätten Journalisten an ihn die Frage gerichtet, welches nun der nächste Schritt sei. Herr McCloy habe auf den Interimsbericht der Pariser Plevenplan-Konferenz verwiesen. Die zweite Frage sei gewesen: "Was wird Washington nun tun?" Er habe darauf geantwortet, dass es wichtiger sei, was Europa nun tun werde. Dann sei gefragt worden, ob er die Einladung der Regierung der Vereinigten Staaten an Herrn Dr. Adenauer für seinen Besuch in Washington mitbringe. Er habe erklärt, dass er keine Einladung mit sich führe, dass er aber sicher sei, dass der Herr Bundeskanzler demnächst nach Washington reise.

In den Fragen des Rüstungsbeitrages spiele der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle in allen amerikanischen Überlegungen, man suche eine Form, um in den nächsten Monaten vorwärts zu kommen. Man sei etwas verstimmt darüber, dass in den Verhandlungen nicht mehr Fortschritte gemacht werden. Alle Welt in Amerika sei davon überzeugt, dass, wenn man Europa ernsthaft verteidigen wolle, ein deutscher Beitrag unerlässlich sei, und zwar sowohl politisch als auch militärisch. Die Besprechungen auf dem Petersberg hätten eine ausreichende Basis der Übereinstimmung, wenn auch nicht in allen Punkten, gezeigt, so dass man hoffen könne, zu einer Einigung zu gelangen. Die Vereinigten Staaten hielten nach wie vor an den Auffassungen der Brüsseler Konferenz hinsichtlich der Schaffung einer europäischen Armee fest. Diese Pläne müssten ernsthaft studiert werden. Man werde sich auch bemühen, den Einwendungen der Franzosen so weit als möglich entgegenzukommen, um ihren Widerstand gegen einen deutschen Beitrag zu überwinden.

Eine europäische Armee sei um so notwendiger, als heute kein europäisches Land genügend Mittel besitze, um eine eigene Rüstung zu finanzieren. Wirkten aber die europäischen Völker zusammen, so seien sie wohl in der Lage, die entsprechenden finanziellen Lasten zu tragen. Alle diese Fragen würden Gegenstand der weiteren Verhandlungen sein. Man könne diesen Weg einer europäischen Armee aber nur weiter beschreiten, wenn eine praktische militärische Kraft aufgestellt würde, und zwar in einer möglichst geringen Zeit. Die amerikanische militärische Führung sei sehr zweifelhaft hinsichtlich der französischen Pläne. Zunächst sei es wichtig, dass der Interimsbericht der Plevenplan-Konferenz so schnell wie möglich fertig gestellt werde, damit man ein Bild von den Notwendigkeiten und den Schwierigkeiten erhalte. Die Joint Chiefs of Staff hätten vor wenigen Wochen eine Rundfrage an die amerikanischen Befehlshaber in Europa hinausgehen lassen zu dem Problem, wie man am besten eine europäische Armee effektiv gestalten könnte. Diese Berichte zusammen mit den Ergebnissen der Petersberger Konferenz und der Plevenplan-Konferenz würden einer Konferenz der Außenminister der Atlantikpaktstaaten vorgelegt, die sie im September dieses Jahres als Grundlage für die in politischen und militärischen Fragen zu fassenden Beschlüsse ansehen werden.

Hinsichtlich des Status der Bundesrepublik erklärte Herr McCloy, dass die Amerikaner sehr weit gehen wollen, sogar weiter als die anderen Alliierten. Es blieben aber einige Fragen, die auch die amerikanische Regierung sehr beschäftigten. Mr. Acheson hätte zum Beispiel die Frage an ihn gestellt, was geschähe, wenn die SRP einen Staatsstreich machen oder wenn sonst innere Unruhen ausbrechen würden, deren die Bundesregierung nicht Herr werden könnte. Man beobachte in diesem Zusammenhang mit Sorge das Wiedererwachen des Nationalismus in Deutschland, Vorgänge in Verbindung mit den Landsberger Urteilen und anderes mehr.

Zu diesen Ausführungen bemerkte der Herr Bundeskanzler, dass es an der Zeit sei, die Frage des deutschen Verteidigungsbeitrages zu lösen. Das Hauptziel der sowjetischen Politik sei, zu einer Neutralisierung und Demilitarisierung Deutschlands zu kommen, weil sie nur auf diese Weise den Boden für ihre Expansionspolitik im Westen als genügend vorbereitet betrachte. In diesem Zusammenhang sei ein Artikel des französischen Generals Catroux im "Figaro" und eine Ausarbeitung über die Tätigkeit des Herrn Puschkin in Berlin interessant, der als zweiter Hauptvertreter Sowjet-Russlands vom Kreml mit der wichtigen Aufgabe betraut worden sei, Deutschland zu gewinnen. Sei aber einmal der Verteidigungsbeitrag positiv gelöst, dann könne von einer Demilitarisierung und Neutralisierung Deutschlands nicht mehr die Rede sein. Damit wäre eines der wesentlichen Ziele der sowjetischen Politik gescheitert. Es komme hinzu, dass die ganze europäische Aufrüstung in Bewegung komme, wenn Deutschland endlich damit beginne und die anderen Staaten damit rechnen könnten, dass zu gegebener Zeit von Westdeutschland ein gewisser Schutz gegenüber der sowjetischen Invasion geboten würde.

Die psychologische Situation in Westdeutschland hinsichtlich der Frage eines Beitrags sei positiv. Heute sei die große Masse der deutschen Menschen für einen Verteidigungsbeitrag, und wenn in der sozialdemokratischen Partei noch gewisse Widerstände bestehen, so beschränkten sich diese auf einige prominente Mitglieder der Führung. Die Verhandlungen des Internationalen Sozialisten-Kongresses in Frankfurt/Main, die positive Stellungnahme der Gewerkschaften und auch die Verhandlungen des internationalen Gewerkschafts-Kongresses in Mailand haben deutlich gezeigt, dass wir hier in Westdeutschland vor einem Wandel der Auffassungen stehen. Hinsichtlich der Art des Beitrags müssten lediglich militärische Gesichtspunkte entscheiden. Es sei unsinnig, aus politischen Gründen etwas zu tun, was militärisch nicht durchführbar sei. Anlässlich der Petersberg-Besprechungen sei man nahezu einig gewesen, trotz der französischen Minderheit. Bei den Verhandlungen in Paris habe man die wichtigsten Seiten des Problems noch nicht angefasst. Zweifellos werde die Europa-Armee notwendiger sein auf lange Sicht. Denn selbst wenn heutige Spannungen überwunden würden, so würde der Druck des übermächtigen Sowjet-Reiches auf Westeuropa immer wieder zu neuen Krisen führen.

Die Nordatlantik-Armee sei für die Überwindung der gegenwärtigen Spannungen, die Europa-Armee für eine weitere Periode geplant. Es komme mit Sicherheit der Zeitpunkt, wo Amerika sich aus Europa herausziehe, dann bedürfe es aber europäischer Formationen. Man sollte versuchen, die Pariser Verhandlungen auf den Stand der Petersberg-Besprechungen zu heben. Bei den Pariser Verhandlungen sei die deutsche Taktik die gewesen, durch eine relative Zurückhaltung einen zu starken Gegensatz mit Frankreich zu vermeiden, der sich auf die Petersberg-Besprechungen nur nachteilig hätte auswirken müssen. Die Bundesregierung habe beschlossen, nunmehr Herrn Blank nach Paris zu entsenden, um die Verhandlungen dort zu beschleunigen. Dann werde es sich zeigen, ob die Franzosen in Paris andere Ansichten hätten als die Vertreter Frankreichs auf dem Petersberg. Es sei nunmehr nur wünschenswert, dass die Vereinigten Staaten zu erkennen gäben, dass sie die Petersberg-Verhandlungen für vernünftig ansehen.

Hieran schloss der Herr Bundeskanzler gewisse Ausführungen über die Verschiedenheiten in den Auffassungen der französischen Regierungsmitglieder, über die Einstellung des Herrn Moch und die Vorgänge in der Kriegsgefangenenfrage (Freilassung Ramcke, Sperrung der Privilegien der Kriegsgefangenen anlässlich des Besuchs des Bundeskanzlers in Paris).

Der amerikanische Einfluss sollte mit Nachdruck darauf gelenkt werden, die Verhandlungen in Paris zu beschleunigen. Sollten diese nicht rasch genug vorwärts gehen, dürfe man die Lösung der Frage des deutschen Beitrags nicht verzögern, denn wenn Deutschland von Sowjet-Russland überrannt sei, könne der Rest Europas nicht gehalten werden. Es sei damit eine unmittelbare Gefährdung der Vereinigten Staaten gegeben.

Hinsichtlich der Revision des Besatzungsstatuts habe die Bundesregierung die Auffassung, dass vom Besatzungsrecht so viel wie möglich beseitigt und durch Vertragsrecht ersetzt werden sollte. Auf der anderen Seite sei man sich darüber im Klaren, dass das Statut nicht völlig beseitigt werden könne im Hinblick auf einige große Fragen internationalpolitischen Charakters, wie zum Beispiel die Frage Berlin, das Problem der Ostzone, das Saargebiet und das eventuell noch einmal beginnende Problem innerer Unruhen. Man werde auf deutscher Seite versuchen, eine Formulierung zu finden, die diesen Restbestand der höchsten Gewalt der Alliierten definiere.

Mr. McCloy nahm diese Ausführungen zustimmend zur Kenntnis und fragte den Herrn Bundeskanzler, ob er es für zweckmäßig halte, wenn er, McCloy, die Führer der hauptsächlichen deutschen Parteien über die Ergebnisse seiner Washington-Reise unterrichte. Der Herr Bundeskanzler äußerte keine Bedenken, betonte, dass ein kleiner Ausschuss des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags sich mit den Fragen der Revision des Besatzungsstatuts und den Fortgang der hieraus bezüglichen Verhandlungen auf dem Petersberg (Grewe) befassen werden.

Der Rest der Aussprache war der Schrottfrage und dem Fall Kemritz gewidmet, über die gesonderte Aufzeichnungen verfasst werden.

 

Quelle: StBKAH III/96.