05. November 1951

Gespräch des Bundeskanzlers mit Vertretern der Evangelischen Kirche

Tagung in Königswinter mit Spitzen der evangelischen Kirche.

BK führt aus, dass er das Christentum für bedroht ansehe und dass nur beide Konfessionen zusammen stark genug wären, dieser Bedrohung zu widerstehen. Ohne Gottvertrauen gehe es nicht. Beim Zusammenbruch 1945 sei Russland in den USA wie in England große Mode gewesen. Noch 1946 habe Churchill Stalin als großen Demokraten gefeiert. Eine solche Situation könne auch wieder einmal eintreten. Die Gegensätze sind keinesfalls völlig unüberbrückbar. Damit müsse man in der Politik rechnen. Wir sind in der Welt keineswegs beliebt, und zwar um so weniger, je stärker wir werden. Russische Aufrüstung bei Abrüstung der Westmächte, Unterwerfung der Satellitenstaaten. Korea brachte eine Wandlung. Die heutige russische Politik ist ebenso expansionistisch wie unter dem Zarentum. Die russische Politik geht darauf aus, die USA zum Rückzug aus Europa zu veranlassen.

Amerika ist der Auffassung, dass Europa ohne Zusammenschluss nicht zu halten ist und dass dies ohne Deutschland unmöglich ist. Gelingt dies nicht in absehbarer Zeit, so werden sich die USA aus Europa lösen. Deshalb versuchen die Russen, unter allen Umständen den Zusammenschluss zu verhindern und insbesondere Deutschland zu veranlassen, nicht mitzumachen. Eine Koalition wie der Atlantikpakt kann seiner Natur nach nicht aggressiv werden. Auch Russland will keinen heißen Krieg. Seine Divisionen schüchtern aber Westdeutschland ein. Für einen Krieg dürfte aber das Risiko für Russland zu groß sein. Je stärker der Westen ist, desto eher werden Verhandlungen mit Erfolg geführt werden können. Die Schwäche Russlands ist der Umstand, dass es nicht genügend Ackerland hat und keine Treibstoffe. Demgegenüber steht die gewaltige Kriegsproduktion Amerikas. Der Termin für eine wirkliche Verständigung mit Russland ist deshalb nicht mehr allzu fern.

Deutschland liegt zwischen den beiden großen Blöcken. Tun wir nichts, so geht der Sturm über uns hinweg. Wir müssen uns dem Westen anschließen, um unsere Kultur zu retten und auch unser Land vor Krieg zu bewahren. Wenn wir heute auf Grotewohl eingehen, dann würden wir Deutschland und Europa gefährden. Bei den jetzigen Verhandlungen mit den Westregierungen spielt die Frage der Wiedervereinigung eine maßgebende Rolle. Das soll auch im Vertrag betont werden. Der Weg zur Einheit Deutschlands geht nur über Europa. Nur dann wird die Überflutung Europas durch die Asiaten verhindert werden können. Völlige Gleichberechtigung bei den Verhandlungen mit den Alliierten in Paris über Verteidigungsfragen; eine Kommission tagt unter dem Vorsitz eines deutschen Obersten.

Dibelius: Wir müssen uns in den rein politischen Fragen zurückhalten, auch wenn wir weitgehend mit Ihnen übereinstimmen. Sie werden aber auch keine Fronde einer Konfession erleben, wie sie Bismarck erleben musste. Die Angst ist ein großer Faktor, in ihr prägt sich aber eine Verzweiflung aus, dass die Deutschen des Ostens sich verlassen fühlen. Das Fortbestehen des jetzigen Zustandes hat eine weitere Korrumpierung im Osten zur Folge. Die Angebote von Grotewohl sind für uns überraschend früh gekommen, sie haben deshalb im Osten die Erwartung hervorgerufen, dass schon zu Weihnachten ein neuer Zustand geschaffen werden könne. Das Argument, dass die Machthaber des Ostens nicht demokratisch gewählt seien, ist wirkungslos. In der letzten Zeit hat sich hier manches gebessert. Das positive Bekenntnis müsse mit sichtbaren Vorgängen verbunden sein, irgendwie müsse ja auch verhandelt werden. Das Problem ist, wie man den 18 Millionen im Osten das Vertrauen [...], dass es ernst gemeint ist.

BK: Die Einheit Deutschlands muss zum erstmöglichen Zeitpunkt, der Erfolg verspricht, entschieden werden. Wir können uns aber keinen Zickzackkurs leisten, wenn wir nicht alles Vertrauen in der Welt verlieren wollen. Der Brief an Heuss hat den Zweck zu verhindern, dass die UNO-Kommission jetzt in Paris verhandelt wird und dass Russland gezwungen ist, dagegen zu sprechen. Die russische Forderung, eine deutsche Kommission zu bilden unter Aufsicht der Besatzungsmächte, läuft auf die Wiederbelebung des Kontrollrates hinaus. Ein gesamtdeutsches Gespräch ist wegen des Eindruckes im Ausland z. Z. unmöglich, Erinnerungen an Rapallo spielen eine große Rolle. Eine vorübergehende Enttäuschung ist weniger schlimm als ein endgültiger Fehlschlag. Sollte sich ein wirklicher Umschwung in den russischen Zielenzeigen, so wäre ich der erste, der das begrüßen würde. Die UNO werde vieles zeigen.

Kreyssig: Ihre Haltung hat in ihrer Entschiedenheit sehr viel für Deutschland, auch für den Osten, bedeutet. Wir hätten 1946 nicht damit rechnen können, dass die Lage sich so geändert hat. Die Hineinnahme des deutschen Ostens würde auch für Europa ein Vorteil sein. Der echte historische Moment darf aber nicht aus Angst um Sicherheit verpasst werden. Sie dürfen sich die Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen, die auf gemeinsame Beratungen warten, sonst gehen Millionen zum Bolschewismus [!].

BK: Wenn ich die schriftliche Verpflichtung der drei Westmächte erreiche, dass sie sich für die Wiedervereinigung einsetzen, so ist das auch gegenüber der Ostzone ein Erfolg.

Manfred Müller spricht davon, dass die Jugend gegen eine Wehrpflicht ist, dass sie aber vor allem nicht eine Freiwilligenarmee möchte, die die alten Nazis wieder zusammenführen würde und den alten deutschen Militarismus wieder zum Leben erwecken würde.

Bischof Bender (Karlsruhe) wendet sich gegen jede Schaukelpolitik und beklagt den mangelnden Mut zur Verantwortung. Es bestehe aber überall die Angst, dass die Verbindung mit dem Westen den Krieg bedeuten werde.

BK erklärt, dass keine Anzeichen für Kriegsvorbereitungen vorlägen.

Wildermuth spricht dafür, dass man äußerste Vorsicht walten lassen muss, um ein Überfahrenwerden bei einer Nationalversammlung zu vermeiden.

Dibelius erklärt, dass er niemals der Auffassung gewesen wäre, dass die Zeit für Wahlen schon reif wäre.

Prälat Hartenstein (Stuttgart) meint, dass der westlichen Integration die östliche gegenübergestellt werden würde.

BK berichtet, dass Eisenhower gesagt habe, er sei ursprünglich nicht nach Europa gekommen, um Deutschland zu verteidigen. Er habe aber eingesehen, dass die Verteidigung Europas nicht ohne die Verteidigung Deutschlands möglich wäre. (Ich übergebe dem BK den Antrag der USA zur Einsetzung einer UNO-Kommission zur Überprüfung der Wahlvoraussetzungen in Deutschland.)

Bischof Meiser dankt dem BK für Offenheit seiner Darlegungen. Die Schwierigkeiten, die er geschildert habe, bewiesen aber, dass die Kirche keine Stellung nehmen könne in diesen politischen Fragen. Er warnt aber vor zu langem Zaudern, vor allem im Hinblick auf die Jugend. Wir wollen uns auch nicht an einen dritten Ort flüchten.

Kreyssig weist nochmals darauf hin, dass ein [...] gesetzt werden müsse, damit der BK seine Position durchhalten könne.

Präsident Stempel: Verhalten der amerikanischen Truppen in Deutschland gegenüber den Frauen.

 

Quelle: Tagebuchnotiz des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, Otto Lenz, vom 5. November 1951, ACDP, I-172, abgedruckt in: Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz 1951-1953. Düsseldorf 1989, S. 163-166.