07. November 1950

Unterredung des Bundeskanzlers Adenauer mit dem französischen Hohen Kommissar in Deutschland, François-Poncet

Heute vormittag fand im Hause des französischen Verbindungsstabes in der Joachimstraße eine Unterredung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und Botschafter François-Poncet statt, an der auch ich teilgenommen habe.

Diese Unterredung war von Herrn François-Poncet herbeigeführt worden, der gestern mit dem französischen Ministerpräsidenten Pleven in Paris gesprochen hatte und von diesem beauftragt worden war, dem Herrn Bundeskanzler zum Pleven-Plan gewisse ergänzende Erklärungen abzugeben. Die Ausführungen François-Poncets bewegten sich etwa in folgender Linie:

Die französische Regierung sei nach wie vor der Auffassung, daß die europäischen Probleme nur auf der Grundlage einer deutsch-französischen Verständigung gelöst werden könnten. Deshalb wünscht die französische Regierung eine möglichst rasche Unterzeichnung des Schumanplanes, die nach den französischen Absichten zu einer großen Kundgebung der Solidarität in Paris gestaltet werden sollte. Er hoffe sehr, daß der Herr Bundeskanzler zu diesem Unterzeichnungsakt nach Paris kommen werde.

Der Bundeskanzler unterbrach hier die Ausführungen François-Poncets und wies darauf hin, daß die Schumanplan-Verhandlungen gute Fortschritte gemacht hätten, daß jedoch noch zwei Probleme der Lösung harrten, nämlich einmal die Gestaltung der Übergangsverbindung und zweitens die Frage der Beseitigung der Ruhrbehörde und der sonstigen Beschränkungen, die sich mit dem Schumanplan nicht vereinbaren ließen. Er habe gestern mit Herrn McCloy dieses Thema erörtert.Dieser habe den Vorschlag gemacht, daß die Bundesregierung den Schumanplan unter der Reserve der Beseitigung der Ruhrbehörde paraphiere. Herr McCloy habe zugesagt, sich diesbezüglich sofort mit Herrn Monnet in Verbindung zu setzen. Nach einer heute eingegangenen Mitteilung von Mr. Reber habe dieses Telefongespräch heute morgen stattgefunden. Herr Monnet habe sich bereiterklärt, zusammen mit den anderen Unterhändlern eine Formel zu finden, die alle Beteiligten befriedigen würde.

Der Herr Bundeskanzler lenkte dann das Gespräch auf die psychologische Lage in Deutschland, auf die wachsende Unsicherheit und auf die zunehmende Aktivität derjenigen Kreise, die den sowjetrussischen Plänen einer "friedlichen Lösung des Problems" entgegenkommen wollten. Es sei gefährlich, die Dinge zu verzögern. Er habe es deshalb bedauert, daß der Pleven-Plan nicht in ausreichendem Maße Bestimmungen über die Sofortfragen enthalte. Auch er sei der Auffassung, daß man zunächst den Schumanplan schnell zum Abschluß bringen müsse, dann aber dürfe nicht gezögert werden, das Problem der Verteidigung Westeuropas in wirksamer und konstruktiver Weise anzupacken. Der Bundestag werde sich mit dem Fragenkomplex in seiner morgigen Debatte befassen. Voraussichtlich würden sich die Koalitionsparteien in einer Entschließung zusammenfinden, die die Bereitschaft der Bundesrepublik zur Leistung eines Beitrages für die europäische Verteidigung ausspreche.

Herr François-Poncet dankte für diese Mitteilung und bat um die Ermächtigung, sie Herrn Pleven übermitteln zu können. Nach der französischen Absicht werde sofort ein europäisches Verteidigungsministerium gebildet, das den organisatorischen Aufbau der europäischen Armee vorzubereiten habe. Diese Arbeiten würden von einem Ministerrat kontrolliert, dem die Bundesrepublik von vornherein angehöre und der alle wesentlichen Entscheidungen zu treffen habe. Gleichzeitig würde ein europäisches Kommando ins Leben treten, das der militärischen Organisation der Atlantikpakt-Staaten mit unterstellt würde. Wie Herr Schuman in seinem heute in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienenen Interview mit Dr. Baumgarten klar herausgestellt habe, würde man versuchen, England in der einen oder anderen Form an diesen Arbeiten zu beteiligen. Mit einem Beitritt Englands zu dieser Verteidigungsorganisation sei wohl nicht ohne weiteres zu rechnen, man könne sich aber vorstellen, daß England, wenn einmal Tatsachen geschaffen seien, sich in irgendeiner Form assoziiere. Die Bundesregierung solle außer Sorge sein, daß Frankreich den bisher beschrittenen Weg der Zusammenarbeit weiterverfolgen werde, und es sei sein Auftrag, den Herrn Bundeskanzler hiervon zu unterrichten und ihn zu bitten, dafür Sorge zu tragen, daß die morgige Debatte über die auswärtige Politik der Bundesregierung sich auf diese Entwicklung nicht hemmend auswirke.

Der Bundeskanzler erklärte François-Poncet, daß es auch seine Ansicht sei, daß diese Entwicklung nicht beeinträchtigt werden dürfe und daß er dementsprechend seinen Einfluß auf die morgige Debatte ausüben werde.

 

Quelle: Aufzeichnung des Leiters der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission im Bundeskanzleramt, Blankenhorn, in: NL Blankenhorn N 1351/6, Bl. 77-79.