08. August 1954

Aufzeichnung des Bundeskanzlers Adenauer vom 9. August 1954 über ein Gespräch mit dem Bundesminister für besondere Aufgaben, Franz Josef Strauß

Am 8. August 1954 waren die Herren Bundesminister Strauß und Gesandter Jansen bei mir. Sie kamen von Genf, wo sie eine Zusammenkunft mit mehreren französischen Politikern gehabt haben, darunter Herrn Violet. Anwesend war zeitweise auch der Generalse­kretär der konservativen schweizerischen Partei, Herr Rosenberg. Die Herren berichteten mir folgendes:

In breiteren Kreisen der französischen Nationalversammlung herrscht nach wie vor das größte Misstrauen gegen Herrn Mendès France. Man sei trotz all seiner Dementis davon überzeugt, dass er mit Molotow ein Abkommen getroffen habe, auf die eine oder andere Weise die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu Fall zu bringen. Die Herren er­klärten, dass ein Artikel im „Pariser Express", der am [8.8.] in der „Neuen Zürcher Zeitung" erschienen sei, wie man fast mit Sicherheit sagen könne, die Absichten von Mendès France wiedergebe. Er werde dafür sorgen, dass bei einem positiven Votum der Mehrheit der französischen Nationalversammlung die Hinterlegung der Urkunden erst stattfinde, wenn eine neue Viererkonferenz stattgefunden habe. Er hoffe, dadurch Zeit zu gewinnen und auf diese Weise schließlich alles zu Fall zu bringen. Es sei von größter Bedeutung, dass Mendès France sich bei der Brüsseler Konferenz einer geschlossenen Front der übrigen EVG-Länder gegenübersehe, damit er isoliert nach Paris von dieser Konferenz zurückkehre.

Pinay beabsichtige, zwei oder drei Tage vor der Brüsseler Konfe­renz in der französischen Nationalversammlung einen Antrag einzubringen, dahingehend, dass Mendès France aufgefordert werde, sofort den Vertrag, so wie er sei, dem Parlament zur Entscheidung vorzulegen. Die übrigen EVG-freundlichen Fraktionen der französi­schen Nationalversammlung würden entweder diesen Antrag mit unterschreiben, oder, falls sie, wie die Sozialisten, aus politischen Gründen nicht dazu in der Lage seien, ihre Unterschrift neben die des Herrn Pinay zu setzen, öffentlich ihre Zustimmung zu diesem Antrag erklären. Man rechne nach wie vor damit, dass eine gute Mehrheit für EVG stimme, nämlich Fraktion Pinay [mit] 130, MRP 90, Sozialisten 70, Radikalsozialisten etwa 60, Gaullisten 10 [Abgeordneten].

Ich habe den Herren erwidert, dass ich diesen Antrag Pinays [sehr] begrüßen würde, denn es sei für die Mitglieder der Brüsseler Konferenz außerordentlich schwer, wenn Herr Mendès France erklärt, er habe keine Mehrheit für den Vertrag in seiner jetzigen Form, ihm zu entgegnen, er habe doch eine Mehrheit. Ich machte die Herren weiter darauf aufmerksam, dass ja die Verabschiedung in der National­versammlung die von ihnen vermutete Verschleppungstaktik des Herrn Mendès France noch nicht völlig vereitle; er habe ja noch immer die Möglichkeit, dadurch, dass er die verabschiedeten Verträge nicht hinterlege, ihre Inkraftsetzung zu verschleppen. Die Herren erklärten, sie würden sich sofort mit Pinay in Verbindung setzen, damit dieser seinen Antrag entsprechend ergänze. Die Herren äußerten Besorgnis wegen der Haltung des Herrn Spaak und baten, doch alles zu tun, dass Herr Spaak, der den Vorsitz auf der Konferenz führe, fest bliebe.

Die Herren kamen dann auf den Brief zurück, den mir Herr Pinay unter dem 12. Juli 1954 geschrieben hat und in dem er von mir eine Erläuterung des Artikel 7, [Absatz] 3 des Deutschlandvertrages erbeten habe. Während Herr Strauß der Auffassung war, dass Herr Pinay, wenn er keine Antwort auf seinen Brief habe, den eben erwähnten Antrag nicht stellen werde, war Herr Jansen der Auffassung, es genüge, wenn Herr Pinay eine Antwort von mir vor Beginn der Verhandlung in der Nationalver­sammlung habe.

Ich habe den Herren geantwortet, ich trüge Bedenken, diesen Brief so früh zu beantworten. Es liege immerhin doch die Gefahr vor, dass dieser Briefwechsel zwischen Pinay und mir vor Beginn der Parlamentsverhandlungen öffentlich bekannt werde, dann werde Herr Mendès France sehr verärgert werden. Falls er schwankend oder sogar in etwa für EVG sei, werde ein Bekanntwerden dieses Briefwechsels bei seiner Empfindlichkeit ihn derartig verärgern, dass man damit rechnen müsse, er werde nunmehr gegen EVG sein. Auch in Frankreich selbst und schließlich in Deutschland werde man es nicht verstehen, wenn ich in einer solchen kritischen politischen Situation mit dem Führer der Opposition ohne Vorwissen des Regierungschefs Briefe austausche. Es käme weiter hinzu, dass der Brief von Pinay das Datum des 12. Juli trage, während ich ihn erst am 1. August durch den Herrn Lücke erhalten habe. Ich hätte meine Bedenken auch Herrn Lücke am 1. August gesagt, und Herr Lücke und sein holländischer Freund hätten meine Bedenken eingesehen und seien zu der Meinung gekommen, wenn ich bei der bevor­stehenden Rundfunkrede auf diese Bedenken einginge, so würde das genügen.

Nach einigem Hin und Her sind wir schließlich zu der Meinung gekommen, folgendermaßen zu verfahren: Ich soll dafür sorgen, dass sofort im Bulletin ein Artikel über die betreffende Bestimmung des Deutschlandvertrages erscheine, in dem insbesondere auf die ver­schiedenen früheren Erklärungen, die ich zu dieser Bestimmung abgegeben habe, verwie­sen würde. Dann sollte Herr Pinay mir einen neuen Brief schreiben, dessen Wortlaut ich ähnlich dem mir von den beiden Herren übergebenen Entwurf entwerfen soll. Ich soll dann Herrn Pinay mit 3 bis 4 Zeilen antworten, indem ich auf diesen Artikel im Bulletin verweise.

Herr Strauß wird am Donnerstagvormittag auf Bühlerhöhe eintreffen, um den Entwurf des von Herrn Pinay zu schreibenden Briefes, den Bulletin-Artikel und meine Antwort in Empfang zu nehmen.

 

Quelle: BK, 21-37930 (21) Bd. 1, Bl. 33-35.