08. Mai 1950

Unterredung zwischen dem Bundespräsidenten Heuss und dem Bundeskanzler Adenauer

Bei Beginn der Unterhaltung brachte der Herr Bundespräsident die Sprache auf den Berliner Besuch des Kanzlers und das Absingen der dritten Strophe des Deutschlandliedes. Der Bundeskanzler erklärte, nach seinen Informationen habe Oberbürgermeister Reuter beabsichtigt gehabt, diese Strophe des Deutschlandliedes nach seiner [Schluß-]Rede singen zu lassen. Alle Vorbereitungen hierzu seien bereits getroffen gewesen. Um nicht der SPD diesen "nationalen Ruhm" zu lassen, habe er selbst nach seiner [eigenen] Ansprache zum Absingen der dritten Strophe aufgefordert. Er habe damit keineswegs einen Vorgriff in der Frage der Nationalhymne beabsichtigt und halte deshalb auch den Ausspruch des Bundesministers Kaiser von dem "schönen Staatsstreich" für töricht. Im übrigen glaube er selbst nicht, daß die dritte Strophe des Deutschlandliedes sich zur Nationalhymne für die Bundesrepublik eigne.

Der Herr Bundespräsident erwiderte darauf, daß er von den Vorgängen im Titania-Palast wenig erfreut gewesen und auch keinesfalls gewillt sei, sich in der Frage der Nationalhymne überfahren zu lassen. Er bedauere, daß das Deutschlandlied durch diesen Vorgang auf die parteipolitische Ebene herabgezerrt worden sei und lege dem Kanzler dringend nahe, das Absingen der dritten Strophe im Wahlkampf bei CDU-Versammlungen zu vermeiden. Im übrigen habe er einen bedeutenden deutschen Dichter gebeten, eine neue Nationalhymne zu schaffen. Ein Entwurf liege ihm bereits vor.

Daraufhin berichtete der Bundeskanzler über die Frage des Eintritts in den Europarat. Alle Bedenken gegen diesen Eintritt müßten zurückstehen bei der Überlegung, was ein Nichteintritt der Bundesrepublik für politische Folgen zeitigen würde. Er beabsichtige daher, morgen, den 9. Mai, einen positiven Beschluß des Kabinetts herbeizuführen, der dann für die kommende Londoner Konferenz als Zeichen des guten Willens von unserer Seite gewertet werden könne.

Die weitere Unterhaltung bezog sich vor allem auf personelle Fragen der Besetzung der Generalkonsulate im Ausland. Der Kanzler unterrichtete den Herrn Bundespräsidenten, daß beabsichtigt sei, als Generalkonsul in New York den Abgeordneten Dr. Krekeler zu wählen. Dies sei ein ausdrücklicher Wunsch der FDP-Fraktion. Für den ursprünglich vorgesehenen Dr. Sieveking solle ein anderer Posten vorgesehen werden.

Klaiber

 

Quelle: BArch, VS-B 122/15 Bd. A I, Bl. 212f.