1. September 1948

Grundsatzerklärung nach der Wahl zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates

Meine Damen und Herren! Ich denke, dass wir nach diesem Intermezzo jetzt schnell zu Ende kommen, damit wir an die praktische Arbeit herangehen können. Ich danke Ihnen zunächst auch namens meiner beiden Stellvertreter für das Vertrauen, das Sie uns durch Ihre Wahl bekundet haben. Seien Sie überzeugt, dass wir unser Amt völlig unparteiisch und objektiv wahrnehmen werden! Ich danke dann dem Alterspräsidenten Herrn Schönfelder, der in jugendlicher Frische und Stärke soeben hier seines Amtes gewaltet hat.

Ich danke auch dem Gremium der Ministerpräsidenten für die Vorarbeiten, die es geleistet hat und die uns sicher bei der Erfüllung unserer Aufgabe sehr wertvoll sein werden. Lassen Sie mich weiter danken dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, da das Land Nordrhein-Westfalen die technischen Vorbereitungen dieser unserer Tagung übernommen und in ausgezeichneter Weise durchgeführt hat. Ein besonderes herzliches Willkommen an die Herren aus Berlin! Ich nehme an, dass die Herren jetzt schon hier Platz genommen haben. - Noch nicht? Dann bitte ich, rücken Sie in die Reihen herein. Es sind noch einige Sessel frei.

(Die Vertreter Berlins nehmen unter lebhaften Beifallskundgebungen ihre Sitze ein.)

Meine Damen und Herren! Sie selbst haben ein herzliches Willkommen ausgesprochen. Wir würden uns alle freuen, wenn wir aus den Ländern der Ostzone ebenfalls freigewählte Vertreter hier begrüßen könnten.

Und nun lassen Sie mich einige Worte über Wirken und Aufgabe des Parlamentarischen Rates sagen. Er ist ins Leben gerufen durch einen Akt der Militärgouverneure der drei Westzonen, durch einen Akt, wie er in dem Dokument niedergelegt ist, das den Ministerpräsidenten der drei Westzonen am 1. Juli dieses Jahres übergeben wurde. Nachdem er aber nunmehr sich konstituiert hat, ist er im Rahmen der ihm gestellten Aufgaben völlig frei und völlig selbständig. Es wird meines Erachtens die vornehmste Pflicht des Rates, aber auch des Präsidenten und seiner Stellvertreter sein, diese völlige Freiheit und Unabhängigkeit ständig zu wahren und sicherzustellen. Der Parlamentarische Rat beginnt seine Tätigkeit - wir haben es heute morgen bei der Feier im Museum König gehört und wir wissen es ja alle - in einer Zeit der völligen Ungewissheit über Deutschlands Zukunft. Ja, auch die Zukunft Europas und der Welt ist dunkel und unsicher, und Deutschland selbst ist politisch ohnmächtig. Es ist in zwei Teile geteilt. Wir Vertreter des Parlamentarischen Rates hier in diesem Saale - ich möchte das auch gegenüber den Ausführungen des Herrn Kollegen Reimann nachdrücklich unterstreichen - vertreten 46 Millionen Deutsche.

Meine Damen und Herren! Das Dasein des Parlamentarischen Rates selbst ist, wie ich eingangs sagte, zurückzuführen auf einen Entschluss eines Teiles der Siegermächte. Für jeden von uns war es eine schwere Entscheidung, ob er sich bei dem heutigen Zustand Deutschlands, bei der mangelnden Souveränität auch dieses Teiles Deutschlands zur Mitarbeit zur Verfügung stellen dürfe und solle. Ich glaube, verehrte Anwesende, eine richtige Entscheidung auf diese Frage kann man nur dann finden, wenn man sich klar macht, was denn sein würde, welche Folgen für Deutschland und für das deutsche Volk eintreten würden, wenn dieser Rat nicht ins Leben träte. Die drei Mächte, die sich entschlossen haben, diesen Rat ins Leben zu rufen, ließen sich dabei von der Absicht leiten, dass dem politisch völlig auseinandergebrochenen deutschen Volke eine neue politische Struktur gegeben werde, in seinem Interesse, aber auch im Interesse Europas und der gesamten Welt. Das muss auch unser Ziel sein, und darum müssen wir die uns gebotene Möglichkeit nutzen, um den jetzigen unmöglichen politischen Zuständen in Deutschland ein Ende zu bereiten. Wir müssen das tun, auch wenn unsere Arbeit vorerst nur einem Teil Deutschlands zugute kommt. Denn, meine Damen und Herren, einmal muss ein Anfang gemacht werden, und einmal muss Schluss sein mit dem ewigen Weiterwursteln und Auseinanderfallen. Wir gehen an unsere Arbeit in der festen und unerschütterlichen Absicht, auf diesem Wege wieder zur Einheit von ganz Deutschland, der Einheit, die unser Ziel ist und unser Ziel bleibt, zu gelangen. Welche Ergebnisse unsere Arbeit für ganz Deutschland haben wird, das hängt von Faktoren ab, auf die wir nicht einwirken können. Trotzdem wollen wir die historische Aufgabe, die uns gestellt ist - und es ist in Wahrheit nach diesem Zusammenbruch des Jahres 1945 eine historische Stunde und eine historische Aufgabe -, unter Gottes Schutz mit dem ganzen Ernst und mit dem ganzen Pflichtgefühl zu lösen versuchen, die die Größe dieser Aufgabe von uns verlangt.

(Bravorufe.)

 

Quelle: Parlamentarischer Rat. Stenographischer Bericht. 1. Sitzung. 1. September 1948, S. 4f.