1. September 1957

Kampf den Experimenten!

Erklärung des Bundeskanzlers zur Bundestagswahl am 15.9.1957

 

Der Wahlkampf nähert sich seinem Ende. Ich habe den Eindruck, daß breiteste Kreise der Bevöl­kerung sich von der Richtigkeit unserer Politik überzeugt haben. Ich brauche hier nicht auf viele Einzelheiten einzugehen. Aber ein paar Punkte möchte ich doch herausgreifen. Da sind beispielsweise die Erfolge unserer Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Bei wachsen­dem Volkseinkommen ist durch mehrere Steuersenkungen dafür gesorgt worden, daß die Bevöl­kerung so weit wie möglich entlastet wurde. Gegenüber den Steuergesetzen von 1952 macht die steuerliche Entlastung 9,5 Milliarden DM im Jahr aus. Gleichzeitig konnten gegenüber 1952 die sozialen Leistungen in diesem Jahre um rund 12 Milliarden DM gesteigert werden. 1957 werden allein die Ausgaben für die Rentenversicherungen im Zuge der Sozialreform um über 5 Milliarden DM erhöht. Hinzu kommen weitere Mehrausgaben auf anderen sozialen Gebieten, wie beispiels­weise in der Kriegsopferversorgung und der Unfallversicherung. Im Rahmen des Lastenausgleichs ist eine Erhöhung der Gesamtleistungen um 11,5 Milliarden DM beschlossen worden. Das sind nur einige Beispiele dafür, was wir geleistet haben. Die Sozialpolitik ist und bleibt eines unserer Hauptanliegen. Wir erwarten zuversichtlich, daß die Bevölkerung am 15. September uns wiederum ihr Vertrauen schenkt und die CDU/CSU für weitere vier Jahre in die Verantwortung beruft. Wenn dies geschieht, können wir unsere Arbeit fortsetzen.

Wir werden vollenden, was wir in den hinter uns liegenden acht Jahren begonnen haben. Richtung­sweisend wird nach wie vor der soziale Gedanke sein. Der Rentenreform wird die Reform der Unfall­versicherung und der Krankenversicherung folgen. Die Gesetzgebung zum Schutze und zur Förderung der Familie wird weiter ausgebaut werden. Den Sorgen des Mittelstandes und der Landwirtschaft muß weiterhin Rechnung getragen werden.

Voraussetzung ist die Stabilität unserer Währung und eine Wirtschaftspolitik, die uns wie bisher die Möglichkeit zur Bewältigung der großen sozialen Aufgaben schafft. Das müssen wir im Auge behalten. Voraussetzung ist aber auch unsere Sicherheit. Zu wirtschaftlichem Wohlstand und zu bedeutenden sozialen Leistungen kommt ein Volk nur dann, wenn seine äußere Sicherheit gewährleistet ist. Deshalb werden wir auch unsere Außenpolitik unverändert fortsetzen. Sie hat uns die Freundschaft und das Bündnis mit anderen freien Völkern - vor allem mit den Vereinigten Staaten - gebracht. Es gilt, an dem Bündnis mit den freien Völkern und damit an den NATO-Verträgen unverbrüchlich festzuhalten. Wir werden dies um so nachdrücklicher tun, weil wir nur auf diesem Wege Frieden, Wiedervereinigung, Abrüstung und Sicherheit erwarten können.

Neben den großen allgemeinen Anliegen, zu denen auch die Wahrung und Festigung der kon­fessionellen Eintracht zählt, werden wir uns auch künftig den besonderen Sorgen einzelner Ge­biete und einzelner Bevölkerungskreise widmen. Das gilt für alle, für Schiffahrt und Schiffbau im Nor­den, für die Winzer in den Weingebieten, für die Zonenrand- und andere Notstandsgebiete. Unser Hauptgegner ist auch in diesem Wahlkampf die Sozialdemokratische Partei. Käme sie an die Regierung, dann wäre alles in Frage gestellt, was wir in acht Jahren erreicht haben: Sicherheit, wirtschaftlicher Aufschwung und damit die Voraussetzung einer weit­gesteckten Sozialpolitik. Für den Kommunismus ist die CDU/CSU der Feind Nr. 1. Deshalb tut er alles, um den Wahlkampf zu ihren Ungunsten zu beeinflussen. Deshalb kam Chruschtschow in die Zone, deshalb wurden die ehemaligen KPD-Anhänger aufgefordert, die SPD zu wählen. Experimente, wie sie der SPD vorschweben, könnten für uns zur tödlichen Ge­fahr werden. Deshalb ist die Bevölkerung der Bundesrepublik aufgerufen, am 15. September alle derartigen Experimente im voraus unmöglich zu machen.

Bonn, 1. September 1957

[Adenauer]
Bundeskanzler
1. Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands

 

Quelle: Politisch-Soziale Korrespondenz. Jg. 6, Nr. 17 vom 1. September 1957.