1. September 1961

Ansprache in Bensberg anlässlich des Richtfestes der sechsmillionsten Wohnung

 

Meine Damen,
meine Herren,
meine lieben Kinder!

Ich sage ausdrücklich meine lieben Kinder, da gerade die Kinder die Früchte dieser Arbeit einmal ernten werden. Sechs Millionen Wohnungen - das ist so leicht gesagt -, meine verehrten Damen und Herren, aber welche Fülle von Arbeit, welche Fülle von Phantasie, welche Konsequenz darin steckt, das, meine Damen und Herren, können wir nur ahnen, wir können es nicht schätzen.

Herr Kollege Lücke hat eben von Köln gesprochen und hat gesprochen von meiner kommunalen Vergangenheit. Nun, Sie wissen alle wahrscheinlich, daß ich an diese kommunale Vergangenheit noch immer mit großer Freude zurückdenke. Und heute, da wir hier dieses Fest begehen - es ist in Wahrheit ein Fest, meine Damen und Herren -, kann ich vielleicht Ihnen etwas sagen, was meine Absicht war, als ich noch Oberbürgermeister von Köln war. Ich hoffe, die Bensberger nehmen es mir nicht übel! Ich wollte damals Bensberg eingemeinden, meine Damen und Herren. Ich wollte Bensberg eingemeinden nach Köln, und ich wollte die alten Häuser in Köln alle abreißen, und ich wollte die Einwohnerschaft alle hier herausverlegen in Siedlungen, in große Siedlungen, vielleicht so ähnlich, wie sie jetzt hier erstanden ist. Und dem Bensberger Bürgermeister, der mich so freundlich eben willkommen hieß, darf ich vielleicht besonders sagen: Das waren keine Hirngespinste; denn ich habe mir damals von dem Wohnungsbauminister […] - ohne daß ein Mensch davon wußte - das Enteignungsrecht für die ganze Altstadt von Köln übertragen lassen. Aber, meine Damen und Herren, der Krieg brach aus und nachher kam die Inflation und dann kam der Nationalsozialismus, der mich absetzte. Kurz und gut, aus der ganzen Sache ist dann nichts geworden. Umso mehr freue ich mich heute, daß ein Teil dieses Gedankens hier zu Leben gebracht worden ist, gestaltet worden ist zu dieser Siedlung, zu dieser neuen Stadt.

Die Erfahrung habe ich ja gemacht in meiner kommunalen Tätigkeit, daß - und darauf schwöre ich noch immer - die Frage des Wohnungsbaus eine entscheidende Frage ist, um den Menschen das Leben lebensfähig zu gestalten. Und das ist auch immer meine Auffassung geblieben und wird immer meine Auffassung bleiben. Und darum werde ich Herrn Lücke, wenn er mit neuen großen Plänen kommt - er hat sie eben angedeutet - mit großer Freude dabei helfen, denn in der Tat - ich komme ja viel doch herum, namentlich jetzt in dieser Wahlzeit in Deutschland -, der Städtebau, der muß noch gelernt werden in Deutschland. 

(Beifall.) 

Und hier, glaube ich, wird etwas Vorbildliches geschaffen. Und ich freue mich besonders, von ihm zu hören, daß heute hier versammelt sind: die Bauleute, die vom ersten bis zum letzten, die Bauhandwerker, die Architekten, die Städtebauer, die Vertreter der Finanzgesellschaften. Es ist gut, daß sie einmal hier versammelt sind, um zu sehen, wie diese Arbeit ein wirklich - auch in unserer Zeit - doppelt erfreuliches Resultat hat.

Meine Damen und meine Herren! Ich war gestern in Niedersachsen, und mein Weg führte mich sehr nahe vorbei an der Zonengrenze. Und ich sah dort zwei Dörfer. Früher waren es einmal Nachbardörfer gewesen. Jetzt ging diese Zonengrenze mit Drahtverhau und Todesstreifen zwischen ihnen hindurch. Und in dem einen Dorfe, in dem Dorfe, das auf unserer Seite lag, da sah ich, meine Damen und Herren, neue Häuser, und ich sah, wie in dem Dorfe alles in Ordnung war. Und in dem Dorfe jenseits dieser Grenze, die keine Grenze sein darf, jenseits dieser Grenze sah man grau in grau. Kein einziges neues Haus, nicht mal geflickte Dächer. Ich kann nur sagen, das war der beste Ausdruck, den ich hier wiedergeben kann: Alles grau in grau. Und daraus bitte ich Sie, meine Damen und Herren, doch zu sehen, wie groß die persönliche Freiheit ist, die persönliche Freiheit, meine Damen und Herren, ist das größte Gut, das wir Menschen haben können. Ich will Ihnen noch ein anderes Beispiel erzählen:

Vor einiger Zeit war der Botschafter eines neutralen Landes bei mir. Er war durch Ostberlin gegangen und durch Westberlin. Er war neu, hatte hier angetreten seine neue Aufgabe. Und er fragte mich eigentlich etwas sehr offen: „Herr Bundeskanzler, ist es denn nun wirklich wahr, daß allein die Art der staatlichen Führung so etwas fertigbringt? Wenn ich auf der einen Seite sehe, wie es im Ostsektor von Berlin ist und auf der anderen Seite, wie es im Westsektor ist." Und ich habe ihm gesagt: „Im Ostsektor wohnen Deutsche, wie wir es sind, mit denselben Veranlagungen, mit demselben Können, mit demselben Arbeitseifer, mit demselben Fleiß. Aber ihnen sind Fesseln angelegt durch die staatliche Führung." Und das habe ich ihm gesagt, das ist Unfreiheit und Freiheit, die können Sie da so deutlich sehen, diese Gegensätze, was Unfreiheit nicht schafft und was Freiheit schafft. Und für die Freiheit, meine Damen und Herren, wollen wir einstehen, solange wir können, und wir können das immer, weil wir doch an unserem eigenen Lande sehen, daß die Freiheit die Voraussetzung für alles Gedeihen menschlicher Arbeit und menschlichen Strebens ist.

Meine Damen und Herren! Der Wohnungsbauminister Lücke hat verschiedene Vorgänger gehabt. Einer ist ja anwesend. Aber, was Herrn Lücke so ausgezeichnet hat, das ist seine Liebe, ja seine Leidenschaft für diese Arbeit, für diese Aufgabe. Und nur, wenn man für die Arbeit, die einem anvertraut ist, Liebe und - ich betone nochmals - Leidenschaft mitbringt, dann kann man etwas leisten darin. Ich wünsche ihm - und ich glaube, Sie alle stimmen mit mir darin überein - von Herzen Glück zu dem heutigen Tage, der ein Tag für ihn ist einer großen, reichen Ernte. 

(Bravorufe, Beifall.) 

Wir freuen uns, daß er an seine Arbeit - ich wiederhole nochmals - mit dieser Liebe und mit dieser Leidenschaft herangeht, und ich wünsche ihm noch recht viele Erfolge. Erfolge, die vielen Menschen zugutekommen, die allen zugutekommen, die unserem gesamten deutschen Volk zugute kommen. 

(Beifall.) 

 

Quelle: StBKAH I/02.25. Auszug abgedruckt in: Konrad Adenauer: „Die Demokratie ist für uns eine Weltanschauung.“ Reden und Gespräche 1946-1967. Hg. von Felix Becker. Köln-Weimar-Wien 1998, S. 191-193.