10. März 1950

Regierungserklärung des Bundeskanzlers Adenauer in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages zu den Saarkonventionen

 

Meine Damen und meine Herren!

Die Saarfrage ist durch die Verträge, die am 3. März dieses Jahres nach wochenlangen Verhandlungen zwischen der französischen und der Saarregierung in Paris abgeschlossen worden sind, akut geworden. Wie groß die Zahl der in Paris geschlossenen Verträge ist, wissen wir nicht. Es sind uns vom Büro des französischen Hohen Kommissars - ohne weitere Erläuterung zunächst - die Texte von vier Verträgen übermittelt worden, und zwar eines "Allgemeinen Abkommens", eines Vertrages über die Durchführung der Wirtschaftsunion zwischen Frankreich und dem Saarland, eines Vertrages über die Ausbeutung der Saargruben und endlich eines Vertrages über den Betrieb der saarländischen Eisenbahn. Über etwa weiter noch getroffene Abkommen ist bisher Authentisches nicht bekanntgeworden.

Die beiden ersten Verträge nehmen in ihrem Eingang auf die Saarverfassung Bezug, die beiden letzten nicht. Während die beiden letzten Verträge ausdrücklich sagen, daß ihre Wirksamkeit nach Abschluß des Friedensvertrags mit Deutschland von dem Inhalt dieses Friedensvertrags abhängig ist, nehmen die beiden ersten Verträge auf den Friedensvertrag mit Deutschland überhaupt nicht Bezug.

Aus der unterschiedlichen Gestaltung der Verträge bezüglich des Friedensvertrags war von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestags der Schluß gezogen worden, daß die beiden ersten Verträge, insbesondere der in politischer Beziehung grundlegende, "Allgemeines Abkommen" genannte Vertrag, nach dem Willen der beiden vertragschließenden Regierungen unabhängig von den Bestimmungen des zukünftigen Friedensvertrags sein sollten. In dieser Auffassung wurden die Bundesregierung und der Bundestagsausschuß durch die bisher von Frankreich gegenüber dem Saargebiet eingeschlagene, von England und den Vereinigten Staaten tolerierte Politik bestärkt. Frankreich hatte zwar nach einer Erklärung, die der damalige Außenminister Bidault am 13. März 1948 in der französischen Nationalversammlung abgegeben hat, vierzehnmal vergeblich von seinen Alliierten ein Saarabkommen verlangt; England und die Vereinigten Staaten hatten aber geduldet, daß der französische Oberbefehlshaber an der Saar seinen Einfluß - besser gesagt: seine Macht - in einer allen Regeln der Demokratie und der Freiheit widersprechenden Weise auf alle Angelegenheiten der Gesetzgebung und Verwaltung unter Beihilfe einiger gebürtiger Saarländer, die in Frankreich naturalisiert worden waren, ausdehnte, so daß das Saargebiet im Laufe der Zeit dem französischen Wirtschaftsgebiet eingegliedert worden ist.

Auf der Moskauer Konferenz im Jahre 1947 hatten zudem England und die Vereinigten Staaten, ohne allerdings einen dahingehenden Vertrag abzuschließen, erklärt, sie würden beim Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland für die Wünsche Frankreichs auf Autonomie des Saargebietes und seine wirtschaftliche Eingliederung in Frankreich eintreten. Die Annahme der Bundesregierung und des Auswärtigen Ausschusses, die Fortlassung des Friedensvertrages aus den beiden ersten Verträgen bedeute, daß diese den Bestimmungen des Friedensvertrages nicht unterworfen sein sollten, erschien unter diesen Umständen nur zu begründet.

Aus meinen bisherigen Ausführungen geht eindeutig hervor: Die Regelung der Verhältnisse des Saargebietes ist nicht nur eine Angelegenheit des Saargebietes oder des Saargebietes und Frankreichs, sondern auch eine Angelegenheit Englands und der Vereinigten Staaten - auf die Rolle Deutschlands komme ich noch zurück -; das folgt eindeutig daraus, daß England und die Vereinigten Staaten in Moskau ausdrücklich erklärt haben, die endgültige Regelung der Angelegenheiten der Saar solle durch den Friedensvertrag mit Deutschland erfolgen, durch den Friedensvertrag, der von Frankreich und von England und den Vereinigten Staaten mit der Bundesrepublik Deutschland verhandelt und abgeschlossen werden soll,

(Abg. Rische: Nicht mit ganz Deutschland?)

und daß Frankreich seine Forderung auf Abschluß eines Saarabkommens gegenüber diesen beiden Mächten, soviel uns bekannt ist, seit der Moskauer Konferenz nicht mehr erneuert hat. Am 8. und 9. März 1950 sind nun Erklärungen abgegeben worden, die eindeutig klarstellen, daß auch das Allgemeine Abkommen von der in dem zukünftigen Friedensvertrag zu treffenden Regelung abhängig ist. Am 8. März hat Lord Henderson im britischen Oberhaus für die britische Regierung erklärt, daß der endgültige Status des Saarlandes nur durch den Friedensvertrag bestimmt werden könne. Am späten Abend des gestrigen Tages, des 9. März, hat der Vertreter des französischen Hohen Kommissars mir und der Presse eine offizielle Mitteilung zukommen lassen, die in deutscher Übersetzung wie folgt lautet:

"Einige deutsche politische Kreise haben das Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf die Friedensregelung in einigen der Vereinbarungen, die zwischen Frankreich und der Saar abgeschlossen sind, dahin ausgelegt, daß diese Vereinbarungen ungerechtfertigterweise den Bestimmungen des zukünftigen Friedensvertrages vorgreifen. In amtlichen französischen Kreisen wird erklärt, daß eine derartige Auslegung in keiner Weise begründet ist. Wie Minister Schuman in seiner Pressekonferenz vom 6. März 1950 klar zum Ausdruck gebracht hat, unterliegen alle Vereinbarungen, die kürzlich zwischen Frankreich und der Saar abgeschlossen [worden] sind, der Bestätigung im Rahmen der endgültigen Friedensregelung."

Meine Damen und Herren! Gestern, am 9. März, spät abends, hat der englische Hohe Kommissar, General Robertson, an mich einen Brief gerichtet, in dem er unter anderem sagt:

"Meine Regierung hat in der Erklärung Lord Hendersons zum Ausdruck gebracht, daß es ausdrücklich festgelegt ist, daß der endgültige Status der Saar nur durch den Friedensvertrag geregelt werden kann. In diesem Sinne haben die Abkommen nur vorläufigen Charakter und gelten nur bis zum Friedensvertrag. Das scheint mir eine völlig eindeutige Erklärung meiner Regierung hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber diesen Abkommen zu sein, und Sie werden feststellen, daß es sich auf alle Abkommen erstreckt und daß in dieser Beziehung kein Unterschied zwischen ihnen gemacht wird. Es ist ganz sicher, daß meine Regierung diese Auffassung bei Abschluß des Friedensvertrages aufrechterhalten wird."

Meine Damen und Herren! Nach diesen Erklärungen kann es für uns keinem Zweifel mehr unterliegen, daß auch die beiden ersten zwischen Frankreich und der Saar am 3. März dieses Jahres geschlossenen Verträge, insbesondere auch das Allgemeine Abkommen, zu ihrer Gültigkeit nach Abschluß des Friedensvertrages der Bestätigung durch diesen bedürfen, obgleich, meine Damen und Herren, die Saarregierung vor kurzem entgegengesetzt lautende Erklärungen abgegeben hat.

Aus dem, was ich Ihnen vorzutragen die Ehre hatte, ergibt sich aber noch eine weitere für uns außerordentlich wichtige Folgerung. Da die Regelung der Verhältnisse an der Saar durch den Friedensvertrag erfolgen soll, ist sie eine Angelegenheit beider vertragschließenden Teile, also auch eine Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland.

(Bravorufe.)

Auch die Bundesrepublik Deutschland ist somit befugt, bei der Regelung des endgültigen Status der Saar mitzusprechen.

(Abg. Schröter: Jawohl!)

Einige Punkte des Allgemeinen Abkommens, das zwischen Frankreich und der Saarregierung abgeschlossen ist, müssen in diesem Zusammenhang von mir erörtert werden.

Im Artikel 1 heißt es:

"Das Saarland ist auf dem Gebiet der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung autonom."

Im Artikel 3 ist gesagt: "Der Vertreter Frankreichs im Saarland kann gegen die saarländischen Gesetze und Verordnungen nur dann Einspruch erheben, wenn die vorgesehenen Maßnahmen ihrer Art nach geeignet sind, die politische Unabhängigkeit des Saarlandes zu gefährden."

(Zurufe von der KPD.)

Meine Damen und Herren, Autonomie in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit und politische Unabhängigkeit sind nicht gleichzusetzen. Frankreich ist von England und den Vereinigten Staaten lediglich zugesagt, daß sie den Anspruch Frankreichs auf Autonomie der Saar in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung unterstützen; mehr ist ihm nicht zugesagt. Eine maßgebende britische Stelle hat in einem Briefe von gestern an mich ebenfalls erklärt, daß Autonomie in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung nicht identisch ist mit "unabhängiges Land".

Ich habe bereits hervorgehoben, daß die Bundesrepublik Deutschland einen Rechtsanspruch darauf hat, an der im Friedensvertrag vorzunehmenden endgültigen Ordnung des Saargebiets teilzunehmen. Da sie diesen Anspruch hat, kann sie auch Einspruch gegen Maßnahmen erheben, die zwar vor dem Friedensvertrag getroffen werden, die aber so geartet sind, daß sie die endgültige Ordnung durch den Friedensvertrag vorwegnehmen.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Die von mir eingangs meiner Ausführungen erwähnten vier Verträge zwischen Frankreich und der Saar vom 3. März schaffen in ihrer Gesamtheit - und man muß sie auf einmal betrachten - auf politischem und auf wirtschaftlichem Gebiete an der Saar Verhältnisse, die durch den Friedensvertrag nicht mehr geändert werden können.

(Zustimmung in der Mitte. Hört! Hört! rechts und bei der KPD.)

Sie machen eine andere Regelung durch den Friedensvertrag faktisch unmöglich. Diese Verträge vom 3. März widersprechen daher dem uns zustehenden Recht, durch den Friedensvertrag die Ordnung der Verhältnisse an der Saar mitzubestimmen.

Der Beweis, daß diese Verträge in ihrer Gesamtheit eine dauernde Regelung durch den Friedensvertrag vorwegnehmen, ist leicht zu erbringen. Das Allgemeine Abkommen macht die Saar auf politischem Gebiet völlig abhängig von Frankreich. Ich hebe aus seinem Inhalt folgendes hervor: Der Vertreter Frankreichs im Saarland besitzt ein Verordnungsrecht, im Saargebiet die Anwendung der französischen Währungs- und Zollgesetzgebung sicherzustellen. Er kann gegen saarländische Gesetze und Verwaltungsanordnungen dann Einspruch erheben, wenn die geplanten Maßnahmen eine Gefahr für die Währungs- und Zollunion bedeuten oder wenn sie eine internationale Verpflichtung des Saarlandes nicht berücksichtigen oder wenn sie solcher Art sind, daß durch sie die politische Unabhängigkeit des Saarlandes oder seine äußere Sicherheit gefährdet werden. Im Saargebiet wird ferner eine französische Polizei unterhalten. Beim Oberlandesgericht des Saargebiets wird die Stelle eines französischen Generalstaatsanwalts eingerichtet.

(Zuruf von der KPD: Kolonialjustiz!)

Die französische Zollverwaltung und die sonst zuständigen französischen Verwaltungen bleiben bestehen. Im Saargebiet bleiben französische Truppen. Der Vertreter Frankreichs kann den Belagerungszustand über das Saargebiet verhängen.

(Abg. Rische: Genau so wie hier im Westen! - Abg. Renner: Genau wie bei uns! Siehe Watenstedt-Salzgitter!)

Die französische Republik vertritt das Saargebiet im Ausland.

(Abg. Rische: Hier bei uns auch! - Abg. Renner: Hohe Kommission bei uns! - Zuruf von der KPD: Welche Parallele! - Glocke des Präsidenten.)

Die drei anderen Abkommen machen das Saargebiet wirtschaftlich völlig abhängig von Frankreich. Diese völlige politische und wirtschaftliche Abhängigkeit des Saargebiets von Frankreich wird durch das von mir bereits erwähnte, in Artikel 3 des Allgemeinen Abkommens dem französischen Vertreter verliehene Recht unterbaut und geschützt, gegen saarländische Gesetze und Verwaltungsanordnungen Einspruch zu erheben, wenn die vorgesehenen Maßnahmen ihrer Art nach geeignet sind, die politische Unabhängigkeit des Saarlandes zu gefährden, durch die Einrichtung der französischen Polizei, durch die Anwesenheit der französischen Truppen, durch das Recht der Verhängung des Ausnahmezustandes, das der Vertreter der französischen Republik im Benehmen - nicht, meine Damen und Herren, im Einvernehmen - mit der Regierung des Saarlandes besitzt, und zwar bei akuter Gefahr für die Unabhängigkeit des Saargebietes.

Es ist hier nicht der Ort, auf weitere Einzelheiten einzugehen; das wird in einer an die Hohen Kommissare zwecks Weitergabe an die zuständigen Stellen zu richtenden Note geschehen. Hier genügt es, folgendes hervorzuheben. Das gesamte politische und wirtschaftliche Leben des Saargebietes wird durch diese Verträge in eine Ordnung gebracht, die einfach später nicht mehr abgeändert werden kann.

(Hört! Hört! rechts.)

Ich lege, meine Damen und Herren, daher namens der Bundesregierung feierlich Verwahrung gegen die vier am 3. März 1950 zwischen der französischen und der Saarregierung geschlossenen Verträge ein, und ich bitte das Hohe Haus, sich dem anzuschließen.

(Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte rechts und bei der SPD.)

Wir halten aber diese vier Verträge für rechtswidrig, nicht nur weil sie unser Mitspracherecht bei der Ordnung der Saarverhältnisse verletzen und illusorisch machen, sondern auch weil sie den Bestimmungen des Völkerrechts und zum Teil auch des Privatrechts widersprechen. Die französische Regierung hat völkerrechtlich nicht das Recht, derartige Verträge über das Saargebiet abzuschließen. Das Saargebiet ist nach dem Zusammenbruch zunächst von amerikanischen Truppen erobert und besetzt worden. Diese haben dann einer französischen Besatzung Platz gemacht. Durch Erklärung der vier Besatzungsmächte vom 5.6.1945 haben diese die höchste Regierungsgewalt in Deutschland innerhalb der deutschen Grenzen vom 31. Dezember 1937 übernommen.

(Abg. Renner: Ist das die Bundesrepublik?)

Die vier Besatzungsmächte erklärten damals, daß die Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland keine Annexion bewirke. Seit der Übergabe des Saargebietes an die französische Armee bildet das Saargebiet zunächst einen Teil der französischen Besatzungszone. Es unterliegt letzten Endes der obersten Regierungsgewalt der Alliierten. Hieran ändert nichts die Tatsache, daß der Oberbefehlshaber der französischen Besatzungszone das Saargebiet später als eigenes Land konstituierte. Das haben die Briten, die Amerikaner und die Russen in ihren Besatzungszonen in gleicher Weise getan.

In einem Memorandum der französischen Regierung an die Moskauer Konferenz vom 10. April 1947 hat die französische Regierung zwar gefordert, daß die Saar der Zuständigkeit des Alliierten Kontrollrats entzogen werde. Das Verlangen der französischen Regierung wurde abgelehnt. Alle Gesetze und Verordnungen des Alliierten Kontrollrats wurden im Saargebiet in Kraft gesetzt. Eine Denkschrift des amerikanischen State Department zur Saarfrage, die im Oktober 1948 veröffentlicht worden ist, erklärt:

"Rechtlich bleibt das Saarland, das seinerzeit als ein Teil der französischen Besatzungszone unter französische Aufsicht gestellt wurde, unter der Jurisdiktion des Alliierten Kontrollrats für Deutschland, solange diese Körperschaft ihre Autorität über das Saarland beibehalten wird."

Frankreich hat daher die Gewalt im Saargebiet als völkerrechtlicher Treuhänder. Als Treuhänder darf es nicht politische Einrichtungen und politische Tatsachen schaffen, die die politische Struktur des ihm anvertrauten Gebietes von Grund auf und auf die Dauer verändern.

Das tut die französische Regierung in dem Allgemeinen Abkommen. Die Saarbergwerke und die Eisenbahn sind durch das Kontrollratsgesetz Nr. 52 als Eigentum des früheren Deutschen Reiches unter Sequester gestellt. Frankreich ist zum Sequester bestellt worden. In dieser Eigenschaft darf Frankreich nicht Verträge abschließen wie den Vertrag über die Bahnen und den Vertrag über die Ausbeutung der Bergwerke. Verträge, die Frankreich zudem mit jemandem - nämlich der Saarregierung - abschließt, dem nach dem Wortlaut des Bergwerksvertrages erst noch das Eigentumsrecht an den Bergwerken durch den Friedensvertrag verschafft werden soll, entbehren, privatrechtlich und völkerrechtlich betrachtet, der Rechtsgrundlage. Auch aus diesem Grunde legen wir gegen sie Verwahrung ein.

Meine Damen und Herren! Ich sehe mich nunmehr im Interesse der großen Mehrheit der Bewohner des Saargebietes gezwungen, zu den dort herrschenden Verhältnissen Stellung zu nehmen. Ich muß das tun und tue das, damit die Bewohner des Saargebietes sehen und wissen, daß sie keineswegs von uns aufgegeben und im Stich gelassen werden.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts und bei der SPD.)

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich von Anfang an für verpflichtet erachtet, für die Interessen der Deutschen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland einzutreten.

(Bravo! in der Mitte.)

Diese Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde von den Vereinigten Staaten, von England und von Frankreich bisher uneingeschränkt anerkannt. Die Regierungen dieser drei Länder haben durch ihre Hohen Kommissare oft betont, daß die Bundesrepublik Deutschland Berlin jede denkbare wirtschaftliche Hilfe zuteil werden lassen müsse und daß sie auch den Deutschen der Ostzone ihre moralische Unterstützung angedeihen lassen möge. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß der amerikanische Hohe Kommissar noch vor kurzem freie Wahlen für ganz Deutschland gefordert und berechtigterweise um unsere Unterstützung dieser Forderung ersucht hat.

(Abg. Rische: Er soll abziehen!)

Nun, meine Damen und Herren, was für die Deutschen im Osten gilt, muß in gleicher Weise auch für die Deutschen im Westen gelten.

(Erneuter lebhafter Beifall in der Mitte, rechts und bei der SPD.)

Die Bundesrepublik Deutschland hält sich daher für berechtigt und für verpflichtet, zu den Zuständen im Saargebiet Stellung zu nehmen. Im Saargebiet, meine Damen und Herren, herrscht weder Freiheit noch Demokratie.

(Zurufe von der Mitte und von der SPD: Hört! Hört! Sehr richtig! - Abg. Rische: Späte Erkenntnis!)

Im April 1946 erklärte der französische Gouverneur des Saargebietes den politischen Parteien, die Demontage der saarländischen Hüttenwerke könne nur dadurch vermieden werden, daß die politischen Parteien dem Anschluß an Frankreich zustimmten.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Es wurde dann eine sehr starke Propaganda in dem Sinne einer wirtschaftlichen Verbindung des Saargebietes mit Frankreich betrieben. Als demgegenüber die Dechanten der katholischen Kirche und der Bezirksvorstand der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes eine Volksabstimmung über die Zukunft des Saargebietes verlangten, erklärte der französische Gouverneur am 9.6.1947 den Mitgliedern des sozialdemokratischen Parteivorstandes folgendes: "Ich werde niemals eine Volksabstimmung über die Verfassung zulassen."

(Hört! Hört! in der Mitte, rechts und bei der SPD.)

Die Saarbevölkerung ist in ihrer großen Mehrheit katholisch und steht unter dem Einfluß des Bischofs von Trier, der ein Gegner des Anschlusses der Saar an Frankreich ist. Es wäre ihm ein leichtes, bei der geheimen Volksbefragung durch die katholischen Geistlichen die Annahme einer Verfassung zu verhindern. Ich werde ihm diese Gelegenheit nicht geben.

(Lebhafte Rufe in der Mitte: Hört! Hört!)

Diese Äußerung des Gouverneurs wird von dem inzwischen aus dem Saargebiet ausgewiesenen damaligen Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes bezeugt.

Der Gouverneur nahm auch Einfluß auf die Wahl des Landtages. Die Parteien mußten die Kandidatenlisten mit ihm besprechen.

(Erneute lebhafte Rufe von der Mitte und von der SPD: Hört! Hört! - Zuruf des Abg. Rische.)

Der Gouverneur hatte vor der Wahl durch eine Verfassungskommission, deren Zusammensetzung er maßgeblich beeinflußte, einen Verfassungsentwurf ausarbeiten lassen, der dem zu wählenden Landtage zur Genehmigung vorgelegt werden sollte. Dieser Verfassungsentwurf wurde vor der Wahl nicht veröffentlicht. Als die Saarbrücker "Volksstimme" acht Tage vor der Wahl den Verfassungsentwurf veröffentlichen wollte, wurde sie verboten.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Der Text des Verfassungsentwurfs wurde nach der eigenen Erklärung des französischen Gouverneurs in 45 000 Exemplaren gedruckt und den einzelnen Bürgermeistereien unmittelbar vor der Wahl, zum Teil erst am Vortage der Wahl zur Abgabe an Interessenten zur Verfügung gestellt.

(Lachen und Zurufe.)

Kurz vor der Wahl fanden zahlreiche Ausweisungen aus dem Saargebiet statt,

(Hört! Hört! links.)

und zwar im wesentlichen von Personen, von denen angenommen werden durfte, daß sie sich gegen die Abtrennung des Saargebietes von Deutschland einsetzen würden.

(Pfuirufe rechts.)

Die Wahlen zum Landtag am 5. Oktober 1947 waren nicht frei. Sie erfolgten nicht nach demokratischen Grundsätzen, weil unmittelbar vor der Wahl zahlreiche Ausweisungen von oppositionell gestimmten Persönlichkeiten vorgenommen wurden und weil die Wähler den Verfassungsentwurf, der vorher festgestellt war und den Abgeordneten zur Genehmigung vorgelegt werden sollte, nicht kannten.

Als sich später im Saarlandtag trotzdem Opposition gegen den von dem französischen Militärbefehlshaber gewünschten Verfassungsentwurf geltend machte, wurde eine Anzahl oppositionell gesinnter Abgeordneter am Tage vor der Abstimmung über die Präambel der Verfassung zum Gouverneur bestellt, der ihnen androhte, daß alle Zusagen, die er hinsichtlich einer besseren Lebensmittelversorgung, des Verzichts auf Demontage, der Überführung der Saargruben in den Besitz des Saarvolkes, hinsichtlich eines günstigeren Umrechnungskurses bei der Währungsumstellung gemacht habe, hinfällig würden, wenn sie gegen die Präambel der Verfassung stimmen würden.

(Lebhafte Rufe in der Mitte: Hört! Hört!)

Jede Verbindung, meine Damen und Herren, zwischen den Bewohnern des Saargebiets und Deutschland ist völlig unterbrochen. Die Bevölkerung wird durch Ausweisung, Bespitzelung und dergleichen unter Druck gehalten. Zeitungen aus Deutschland werden nicht zugelassen.

(Hört! Hört!)

Eine freie öffentliche Meinung gibt es im Saargebiet auch jetzt nicht. Es ist bezeichnend für die dortigen Verhältnisse, daß die Saarregierung dem Landtag während der Beratung der Saarverträge Gesetzentwürfe zur Knebelung der öffentlichen Meinung vorlegte, die derart waren, daß der französische Gouverneur ihre Weiterberatung durch den Landtag untersagte.

(Hört! Hört!)

Mit allem Nachdruck und mit allem Ernst verlangen wir, daß an der Saar die freiheitlichen Grundrechte, deren Schutz die Alliierten feierlich gelobt haben, hergestellt werden.

(Beifall.)

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß das französische Volk und die französische Regierung die an der Saar herrschenden Verhältnisse wirklich kennen. Ich bin überzeugt, sie würden, wenn sie sie kennten, unter keinen Umständen ihren Fortbestand dulden.

Es kann sein, meine Damen und Herren, daß die französische öffentliche Meinung meine Ausführungen ungünstig aufnehmen wird. Aber ich fühle mich in meinem Gewissen dazu verpflichtet, und ich meine, wenn ein Mann wie ich, der seit Jahrzehnten öffentlich für eine französisch-deutsche Verständigung eingetreten ist, der deshalb von manchen seiner Landsleute als Separatist und frankophil verschrieen worden ist, so spricht, dann sollte die öffentliche Meinung in Frankreich wenigstens in eine Prüfung meiner Ausführungen eintreten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bitte, in der französischen Öffentlichkeit beachten zu wollen, daß ich seit mehr als 25 Jahren öffentlich die These vertreten habe, daß die Beseitigung des französisch-deutschen Gegensatzes die notwendige Voraussetzung für jede europäische Gesundung ist, daß ich die gleiche These auch als Bundeskanzler mit der gleichen Entschiedenheit immer wieder vertreten habe. Ich spreche - und ich wende mich hiermit an Frankreich - nicht als Gegner Frankreichs. Ich spreche nicht als Gegner einer französisch-deutschen Verständigung. Ich spreche als Freund Frankreichs, der die Empfindungen und die Sorgen Frankreichs versteht, als Freund Frankreichs, der Verständnis für das im Psychologischen begründete Sicherheitsverlangen Frankreichs hat. Ich bin überzeugt, daß sich eine Lösung der Saarfrage finden läßt, die den französischen Interessen, die unseren Interessen und die den Interessen der Saar gerecht wird.

Ich fasse meine Ausführungen wie folgt zusammen:

Erstens: Die Regierungen Frankreichs, Englands, der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland sind sich darin einig, daß die endgültige Regelung der Verhältnisse an der Saar in dem mit uns zu schließenden Friedensvertrag erfolgen soll. Daraus ergibt sich für uns das Recht der Mitsprache bei dieser Regelung.

Zweitens: Es ergibt sich daraus weiter, daß nicht vor Abschluß des Friedensvertrags an der Saar in irgendeiner Form Verhältnisse geschaffen werden dürfen, deren Änderung durch den Friedensvertrag nicht mehr möglich ist.

Drittens: Die am 3. März 1950 zwischen der französischen und der Saar-Regierung abgeschlossenen vier Verträge würden in ihrem Zusammenwirken an der Saar nicht Verhältnisse schaffen, die durch den Friedensvertrag nicht mehr geändert werden können.

Viertens: Frankreich ist völkerrechtlich Treuhänder für das Saargebiet; es ist Sequester für die dortigen Bahnen und Bergwerke. Frankreich kann weder unter völkerrechtlichem noch unter privatrechtlichem Gesichtswinkel Verträge wie die vom 3. März 1950 schließen.

Fünftens: Die Saarregierung hat keine Rechte an den Bahnen oder den Bergwerken und ist daher zum Abschluß der Verträge nicht befugt.

Sechstens: Die Bundesrepublik Deutschland hat den dringenden Wunsch, daß an der Saar die Grundsätze der Freiheit und der Demokratie verwirklicht werden.

Siebtens: Die Bundesrepublik Deutschland wünscht eine Regelung der Saarfrage, die den Interessen aller beteiligten Staaten einschließlich Frankreichs und des Saargebiets gerecht wird. Sie ist überzeugt, daß sich eine solche Lösung finden läßt.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Unter keinen Umständen darf die Saarfrage zu einer Störung der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland und damit zu einer Erschwerung des Aufbaues von Westeuropa führen.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

Um so notwendiger ist es, offen über diese Dinge zu sprechen. Die Saarverträge haben in weiten deutschen Kreisen Zweifel daran hervorgerufen, ob der Wunsch und die Hoffnung Deutschlands auf ein gutes freundschaftliches Verhältnis zu Frankreich auch in Frankreich besteht.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Es sind in Deutschland Zweifel daran entstanden, ob wirklich der ernstliche Wille vorhanden ist, Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der Völker wieder einzuführen, es zur Mitarbeit am Wiederaufbau Europas und der Welt heranzuziehen. Man darf weder bei uns noch außerhalb Deutschlands die Augen vor der Tatsache verschließen, daß solche Zweifel entstanden sind. Um alle diese Zweifel in Deutschland zu überwinden, um das deutsche Volk zur willigen, zur freudigen Mitarbeit zu bewegen, muß das gegenwärtige Stadium des Stillstands und des Mißtrauens durch einen sichtbaren, durch einen entschiedenen Schritt nach vorwärts überwunden werden.

(Bravo! bei den Regierungsparteien.)

Aus dieser Überzeugung heraus habe ich dem amerikanischen Journalisten Kingsbury-Smith gegenüber den Vorschlag einer Europäischen Union gemacht. Der Gedanke ist kühn; ich weiß es. Seine Verwirklichung ist schwierig. Aber darum sollte man doch entschlossen an das Projekt herangehen. Die mit der Durchführung des Marshallplans verbundene wirtschaftliche Ordnung der europäischen Länder bedeutet ja schon einen sehr großen Teil des Inhalts dieses Plans.

(Abg. Rische: Sie wollen ganz Deutschland preisgeben!)

Nicht weniger gilt das vom Europarat.

Meine Damen und Herren! Die Gefahr für Europa ist groß! Nur kühne Gedanken und schnelle Taten können Europa retten. Wir sind bereit dazu!

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

 

Quelle: Stenogr. Berichte 1. Deutscher Bundestag. Bd. 2, 1555-1560.