10. Oktober 1929

„Die Stadtgemeinde, ihre Geschichte, ihre Aufgaben." Ansprache vor dem Katholischen Frauenbund in der Kölner Bürgergesellschaft (Auszug)

Das Thema „Die Stadtgemeinde, ihre Geschichte, ihre Aufgaben", über das ich zu Ihnen sprechen soll, ist so groß und umfangreich, dass es nicht möglich ist, im Zeitraum einer Stunde mehr als einen knappen Umriss zu geben. Die Stadtgemeinde hebt sich im Laufe der Entwicklung aus den übrigen Gemeinden heraus durch eine Reihe besonderer Umstände, aber sie ist und bleibt ihrem inneren Wesen nach eine Gemeinde. Bei einer Betrachtung ihrer Geschichte und ihres Wesens müssen wir daher auf Geschichte und Wesen der Gemeinde zurückgehen.

Was ist die Gemeinde ihrem Wesen nach? Die Gemeinde ist nächst der Familie die älteste, ursprünglichste und natürlichste Form menschlichen Zusammenlebens, nachdem die Menschen sesshaft geworden waren. Staaten sind mehr oder weniger willkürliche Bildungen, sie verdanken ihr Entstehen vielfach äußeren Umständen, dynastischen Gründen, politischen Erwägungen, Faktoren äußerer Macht. Die Gemeinde ist wie die Pflanze ein natürliches Erzeugnis des Bodens, auf dem sie steht. Das Lebensalter der Gemeinden ist darum auch größer als das der Staaten. Denken Sie daran, dass gerade hier am Rhein zahlreiche Gemeinden sind, die, aus vorrömischer Zeit stammend, durch Jahrtausende hindurch alle die Staatenbildungen, die kamen und gingen, überdauert haben.

Überall, bei allen Völkern, deren Kultur sich über einen gewissen Stand hinaus entwickelt hatte, hob sich aus den Gemeinden ein kleiner Kreis hervor: die Stadtgemeinden. Die Gründe sind verschieden. Je nach den Völkern und auch beim selben Volke waren nicht immer die gleichen Gründe die Ursache dieser Entwicklung. Bei uns in Deutschland waren es ursprünglich Gründe geographischer und wirtschaftlicher Art. Ich erinnere Sie an unsere alte Rheinstadt. Erst das spätere Mittelalter und das Zeitalter des Absolutismus kennt dynastische Städtegründungen durch Landesherren. Ich nenne Berlin, Königsberg, Dresden, Karlsruhe, Düsseldorf. Gemeinsam war im früheren Mittelalter allen Städten der Aufstieg ihrer Bewohner von der Unfreiheit zur Freiheit, die Befestigung, Ummauerung oder Umwallung - das Wort „Bürger" kommt von der Befestigung des Ortes, der „Burg" -, die Entwicklung von Handel und Gewerbe, denen diese Mauern Schutz gewährten.

Die Blütezeit der Städte fällt in das 14. und 15. Jahrhundert. Sie waren damals die Mittelpunkte deutscher Macht, deutscher Kultur und deutschen Fortschritts. Der mittelalterliche Städtebund „Die Hansa" war eine Macht weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Sie beherrschte die Meere, sie führte Krieg mit auswärtigen Staaten. In der großen Halle unseres Rathauses wurde auf einer Versammlung der Hansa im Jahre 1367 der Krieg gegen Dänemark beschlossen, durch den die Vorherrschaft der Hansa in der Ostsee begründet wurde.

Mit dem Aufsteigen der Territorialmacht, dem Aufkommen der stehenden Heere - die Städte waren immer für den Frieden, nur im Frieden konnten sie blühen und gedeihen -, der wachsenden Macht der Landesherren und der des Berufsbeamtentums sank die Macht und Bedeutung der Städte. Der dreißigjährige Krieg, das Aufkommen des Absolutismus beschleunigten ihren Abstieg und Verfall.

Ein neues Zeitalter brachte für die Städte die Reform des Freiherrn vom und zum Stein. Wenn sie auch nur für die preußischen Städte galt, so wirkte doch ihr Geist sich mehr oder weniger auch in den übrigen deutschen Ländern aus. Der Grundgedanke des Freiherrn vom und zum Stein war in Anknüpfung an das genossenschaftliche System des Mittelalters, den Bürger zur freiwilligen Mitarbeit bei der Erfüllung der Aufgaben heranzuziehen, um so den „Formenkram und Dienstmechanismus zu zertrümmern" - das sind seine eigenen Ausdrücke - und ferner um auf dem Wege über die Selbstverwaltung die „bisherigen Untertanen" zu „Staatsbürgern" zu erziehen. Seine Städteordnung von 1808 ist in den späteren Jahren während der Reaktion vielfach rückwärts revidiert worden im Sinne der Staatsomnipotenz und Staatsbureaukratie, der die Freiheit der Selbstverwaltung ein Dorn im Auge war. Heute bestehen in Deutschland 25 Städteordnungen, davon in Preußen 9. Die preußischen stammen aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie stimmen in den Grundzügen überein, nehmen aber auf provinzielle Verschiedenheiten Rücksicht und enthalten zwar nicht alles, aber doch vieles der Stein'schen Gedanken. Unter diesen Städteordnungen sind die Städte groß geworden. Sie haben im vergangenen Jahrhundert große Aufgaben gemeistert. Sie waren führend auf vielen Gebieten, nicht auf allen. Es ist ihnen namentlich nicht gelungen, die neuen Aufgaben zu erkennen, welche ihnen das seit den 70er Jahren einsetzende Wachstum der Städte zu Großstädten brachte. Da sie die damit verbundenen Gefahren nicht erkannten, haben sie auch nicht den Versuch gemacht, sie zu meistern. Im Weltkriege haben die deutschen Städte ihre Feuerprobe bestanden. Was sie hier geleistet haben, wird für immer ein Ruhmesblatt in ihrer Geschichte bleiben. Der frühere Preußische Innenminister von Loebell hat im März 1926 diese Arbeit der Selbstverwaltung in einem amtlichen Erlass mit folgenden Worten anerkannt:

„Wenn Städte, Landgemeinden, Kreise und Provinzen in diesem Kriege im Dienste des Vaterlandes Vorbildliches geleistet haben, wenn sie sich der im Kriege hervorgetretenen Notwendigkeit zu gemeinwirtschaftlichem Ausbau unserer Volkswirtschaft anpassen und zahlreiche neue Aufgaben auf dem Gebiete der Kriegswohlfahrtspflege übernehmen konnten, so danken sie das jener Kraftquelle, die vor einem Jahrhundert, gleichfalls in schwerer Zeit, durch die Preußische Städteordnung erschlossen und von da aus den anderen öffentlichen Körperschaften zugeführt worden ist - der Selbstverwaltung. Niemals hätte es diesen Körperschaften gelingen können, den gewaltigen Aufgaben des Krieges in solchem Maße gerecht zu werden, wenn ihnen nicht die Selbstverwaltung die Möglichkeit freier Entschließung und das stärkende Bewusstsein eigener Verantwortung gegeben hätte. Darum muss es die Aufgabe der Staatsregierung sein, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden weiterhin das kostbare Gut der Selbstverwaltung zu wahren und nach Möglichkeit zu mehren."

Im Zusammenbruch haben die Städte ihre Pflicht gegenüber ihrer Bevölkerung in ausgezeichneter Weise erfüllt. Hätten sie damals, als viele Behörden versagten, auch versagt, ein Chaos wäre die Folge gewesen.

Ich kann diesen aufs äußerste zusammengedrängten Abriss der Geschichte der Stadtgemeinde nicht schließen, ohne einen Blick in die Gegenwart und Zukunft zu tun. Das oben von mir angeführte Versprechen eines preußischen Innenministers ist nicht erfüllt. Die hingebende Arbeit der Städte im Kriege und nach dem Kriege ist nicht erfüllt worden, und zwar gewähren die Reichsverfassung und die Preußische Verfassung der Selbstverwaltung verfassungsrechtlichen Schutz. Der Artikel 127 der Reichsverfassung sagt: „Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze, und ähnlich drückt sich auch Artikel 70 der Preußischen Verfassung aus. Man findet auch überall schöne und treffende Worte für das der Selbstverwaltung zu Grunde liegende Prinzip. Aber es bleibt bei diesen Worten. In Wirklichkeit hat die Selbstverwaltung mir außerordentlich großen und starken Widerständen zu kämpfen. Das hegt zum Teil in der Natur unserer Zeit begründet. Die Aufgaben sind groß und dringend. Aber das Geld und die Mittel sind knapp. Der Streit der Meinungen wogt heftig hin und her. Parteigezänk, Parteihader und Vergiftung des politischen Kampfes feiern Orgien in unseren Tagen. Das muss natürlich sich auch bei der Selbstverwaltung auswirken. In so schweren Zeiten wie den unsrigen hat naturgemäß auch die Selbstverwaltung Fehler gemacht. Das kann und muss offen zugegeben werden. Kein Mensch ist ohne Fehler. Aber diese Fehler der Selbstverwaltung sind doch, wenn sie nicht geflissentlich hervorgezerrt und unterstrichen werden, klein im Verhältnis zu ihren Leistungen. Die größte Gefahr droht der Selbstverwaltung von der Seite des Staates her. Es fing damit an, dass man der Selbstverwaltung die finanzielle Selbständigkeit nahm. Es setzte sich fort in allen möglichen Gesetzen und Bestimmungen, indem man immer mehr die Selbstverwaltung von der staatlichen Bureaukratie abhängig zu machen versuchte. Diese Bestrebungen werden zum Teil unterstützt durch falschverstandene Demokratie und falschverstandenen Parlamentarismus. In einer sehr angesehenen Zeitung Deutschlands erschien vor einigen Wochen ein Artikel, in dem allen Ernstes ausgeführt war, dass die Selbstverwaltung ihre Aufgaben erfüllt und diese überlebt habe, weil jetzt ja das ganze Volk zur Teilnahme an seinen Staatsgeschäften berufen sei. Man kann in wenigen Worten nicht eine größere Verkennung unserer Verhältnisse zeigen, ob es besser wird für die Selbstverwaltung, einstweilen vielleicht nicht, auf die Dauer ja. Es wird sich, wenn die Zeiten endlich einmal besser und die Gemüter ruhiger geworden sind, dasselbe erweisen, was sich zu Zeiten des Freiherrn vom und zum Stein erwiesen hat: dass es unmöglich ist, alles und jedes zentral zu verwalten und zu regieren und dass die Menschen nur zu wirklich einsichtigen und ihrer Verantwortung bewussten Staatsbürgern erzogen werden können, wenn es gelingt, sie zur Mitarbeit an den örtlichen Aufgaben des Gemeinwesens, in dem sie wohnen, zu interessieren und zur Erfüllung dieser Aufgaben heranzuziehen.

Ich wende mich zu den Aufgaben der Städte. Hier ist bei der Fülle und Verschiedenartigkeit der Aufgaben eine erschöpfende Darstellung ganz unmöglich, ja auch bei starker Beschränkung ist die Gefahr groß, zu viel zu geben und dadurch unübersichtlich zu werden. Wenn ich die hundert verschiedenen Aufgaben, die eine Stadt zu erfüllen versucht, Ihnen jetzt aufzählte, Sie würden nichts davon haben. Sie wissen ja schon, dass wir Straßen bauen und pflastern und reinigen, Müll abfahren, Kanäle bauen, eine Feuerwehr unterhalten, Markthalle betreiben, Gas, Elektrizität, Wasser verkaufen, Bahnen betreiben, Theater und Museen, Schulen der verschiedensten Art unterhalten usw. usw. Und wenn ich Ihnen viele Ziffern darüber gäbe, was das alles kostet, Sie würden in Ihrem Innern denken, auch das ist uns nichts Neues, wir seufzen ja unter der Last der Gebühren und Steuern. Ich will daher versuchen, meine Aufgabe in anderer Weise zu lösen. Ich werde versuchen, Ihnen zunächst zu zeigen, aus welchen Quellen die Aufgaben der Städte entspringen, welche leitenden Ideen ihnen zu Grunde liegen und dann diese Aufgaben ganz in großen Komplexen zusammenzufassen. In späteren Vorträgen werden Sie ja noch über einzelne Aufgaben der Städte gesondert hören, ich kann mich daher darauf beschränken, nur auf einige besonders uns auch als Kölner interessierende Aufgaben mit einigen Worten einzugehen.

Die Stadt ist in erster Linie die Gemeinschaft der auf ihrem Boden wohnenden Bürger. Ihre vornehmste Aufgabe ist daher die möglichst gute und möglichst umfassende Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Bürger, die sich aus diesem Zusammenleben in örtlicher Gemeinschaft ergeben. Hier entspringen ihr ihre größten und wichtigsten Aufgaben. Diese Aufgaben sind groß und mannigfaltig, wandelbar und wechselnd, wie es das ewig sich neu gestaltende und verändernde Leben mit sich bringt. Hier liegen auch für die Selbstverwaltung die starken Wurzeln ihrer Kraft. Sie steht unmittelbar und direkt den Forderungen und Klagen ihrer Bürger gegenüber, alle ihre Maßregeln und ihre Unterlassungen machen sich sofort dem Bürger gegenüber fühlbar, nirgends ist daher auch die Kritik so lebhaft wie hier. Dieses unmittelbare Verbundensein der Arbeit der Selbstverwaltung mit dem Leben ist die Wurzel ihres Erfolges.

Die Stadtgemeinde hat aber noch einen weiteren Aufgabenkreis. Sie ist ein Teil und ein Glied des Staates. Der Staat bedient sich ihrer aus Zweckmäßigkeitsgründen auch zur Erfüllung dem Staate obliegender Aufgaben. Auch bei dieser Tätigkeit wird sie keine staatliche Behörde, ihre Beamten werden keine staatlichen Beamten, aber sie ist doch in dieser Tätigkeit nicht frei, sie hat diese Aufgaben zu erfüllen im Sinne und nach den Anweisungen ihres Auftraggebers, des Staates, und sie ist ihrem Auftraggeber Rechenschaft schuldig über die Erfüllung dieser Aufgaben. Auch der Kreis dieser Aufgaben ist naturgemäß Wandlungen unterworfen, aber et ist doch starrer, enger begrenzt wie jener andere Aufgabenkreis. Im wesentlichen ist er für alle Städte gleich, den individuellen Bedürfnissen und Anforderungen einer Stadt ist kein Spielraum gelassen, ebenso wenig den individuellen Kräften der in ihr lebenden und arbeitenden Persönlichkeiten.

Auftragsangelegenheiten

Unter den vom Staate den Städten übertragenen Angelegenheiten, den Auftragsangelegenheiten, nenne ich in erster Linie die Geschäfte der Ortspolizei, die Schulangelegenheiten, die Vorbereitung öffentlicher Wahlen, Aufsicht über das Wohnungswesen, Fürsorgewesen.

Die Lösung dieser Aufgaben wird erschwert dadurch, dass der Staat sie vielfach nur zum Teil den Gemeinden übertragen hat, zum Teil sie selbst betreut. Die Polizei z.B. war ursprünglich in vollem Umfange Sache der Städte, der Staat ist aber im Laufe der Zeit immer mehr, und zwar in steigendem Ausmaße, dazu übergegangen, wesentliche Teile der Polizei den Gemeinden wieder zu entziehen, d. h. nicht ganz, denn er überlässt ihr weiter die Pflicht, einen erheblichen Teil der Kosten seiner, d. h. der staatlichen Polizei, zu tragen. In Köln tragen wir zu den Kosten der staatlichen Polizei jährlich rd. 2 Millionen Mit. bei. Ähnlich ist es bei den anderen Auftragsangelegenheiten: Wenig Rechte der Städte, viele Rechte des Staates, aber Pflicht der Städte zu bezahlen. Lassen Sie mich Ihnen darüber einige Ziffern aus dem Schulwesen geben, die vielleicht weniger bekannt sind:

Von den Kosten des Kölner Volksschulwesens 1929 trägt der Staat 5 050 000 Mk., die Stadt 12 601 000 Mk. [:] 71% - 28,8%. Von den Kosten des Mittelschulwesens der Staat 72 000 Mk., die Stadt 1,1 Millionen Mk. Es gibt in Köln 20 höhere Lehranstalten, davon ist eine einzige ganz zu Lasten des Staates: das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, drei weitere Gymnasien sind staatlich, (Marzellen-Gymnasium, Aposteln-Gymnasium, Kaiser-Wilhelm-Gymnasium) aber es sind gestiftete Anstalten, der Staat gibt nur verhältnismäßig geringe Zuschüsse.

Alle anderen höheren Lehranstalten sind städtisch, d. h. ganz zu Lasten der Stadt oder wie eine Anzahl höherer Lehranstalten [...]

Lassen Sie mich zu dem viel interessanteren und erfreulicheren Kapitel der Selbstverwaltungsangelegenheiten übergehen.

Was gehört dazu? Eine erschöpfende Darstellung ist unmöglich. Das Oberverwaltungsgericht gibt in einem Urteil folgende Definition:

„Die Gemeinde kann alles in den Bereich ihrer Wirksamkeit ziehen, was die Wohlfahrt des Ganzen, die materiellen Interessen und die geistige Entwicklung des Einzelnen fördert. Sie kann gemeinnützige Anstalten, welche hierzu dienen, einrichten, übernehmen und unterstützen."

Mit Recht ist hier die Wohlfahrt des Ganzen an die Spitze gestellt. Der Wohlfahrt des Ganzen zu dienen, nicht der Wohlfahrt eines einzelnen Standes oder einer einzelnen Klasse muss das Leitprinzip sein. Aber auch umgekehrt, darf die Stadtgemeinde sich bei Erfüllung ihrer Aufgaben nicht leiten lassen von Missachtung oder Abneigung gegen einzelne Klassen oder Stände oder religiöse oder politische Anschauungen. Gerechtigkeit und Duldsamkeit müssen oberstes Gesetz in der Arbeit der Stadtgemeinde sein. Noch ein weiteres allgemeines Prinzip, das m.E. für die Arbeit der Stadtgemeinde gilt. Sie soll im wesentlichen nur die Aufgaben übernehmen, und sie nur insoweit übernehmen, als sie von anderen nicht gelöst werden können oder nicht gelöst werden. Lassen Sie mich diesen Satz an einigen Beispielen erläutern. Die Sorge für das leibliche und das geistige Wohl der Kinder steht in erster Linie der Familie zu, es wäre falsch, wenn die Stadt sich ohne zwingenden Grund hier hereindrängte und den Eltern die Sorge für ihre Kinder abnähme. Sie soll und darf das nur soweit tun, als die Eitern und sonstigen Angehörigen nicht imstande sind, die Pflichten gegenüber den Kindern zu erfüllen.

Es würde falsch sein, wenn die Stadt unter Benutzung der Steuerkraft ihrer Bürger Betriebe einrichtete, die genau so gut von Privaten eingerichtet und geführt werden können.

Erst recht unerträglich wäre es, wenn das zur Tat würde, was jetzt von einzelnen kommunalen Ärzten gefordert wird: Die Kommunalisierung des ganzen Gesundheitswesens, d.h. jeder Bürger der Stadt, ob er will oder nicht, wird von beamteten Ärzten in regelmäßigen Zeitabständen untersucht und je nachdem behandelt usw. Leute, die solche Forderungen stellen, schaden durch diese maßlosen Übertreibungen den wohlverstandenen kommunalen Interessen am allermeisten.

Eine ganz wesentliche Beschränkung bei der Erfüllung kommunaler Aufgaben wird auch immer die Rücksicht auf die finanzielle Lage verlangen. Auf unabsehbare Zeit hinaus wird unsere finanzielle Lage so sein, dass wir bei der Auswahl der kommunalen Aufgaben und bei der Art ihrer Durchführung Rücksicht auf sie nehmen müssen. Man wird auch bei der Auswahl und der Erfüllung kommunaler Aufgaben die Wichtigkeit aber auch die Dringlichkeit der einzelnen Aufgaben gegeneinander abwägen müssen. Lassen Sie mich das an einem Beispiele erklären: Als die Entfestigung Kölns zur Tatsache wurde, erwuchsen der Stadt Aufgaben, die absolut genommen vielleicht nicht die allerwichtigsten waren; aber sie wurden die Wichtigsten, weil sie die dringlichsten waren, sie konnten nur jetzt und in diesem Augenblicke gelöst werden oder überhaupt nicht. Dadurch werden sie zu den wichtigsten, die den Vorrang vor allen anderen erhalten mussten.

Vielfach wird die Stadt, wie aus meinen obigen Ausführungen hervorgeht, nur ergänzend und unterstützend auftreten dürfen, sie wird immer bestrebt sein müssen, private Initiative nicht zu unterdrücken, sondern zu fördern und so dem allgemeinen Wohle zu dienen. Ich wende mich nun zu einzelnen Aufgabenkreisen. Trotz aller Fortschritte der Technik, aller Erfindungen, aller Rationalisierung und Mechanisierung: wertvoller bleibt der Mensch und das wertvollste ist der jugendliche Mensch. Ihm muss daher vornehmlich die Arbeit der Stadt gelten. Daher muss zu seiner körperlichen und geistigen Ertüchtigung alles geschehen, was geschehen kann. Ich glaube, dass wir auf diesem Gebiete hier in Köln dem Vergleich mit allen anderen Städten ruhig entgegensehen können. Nicht, als wenn bei uns alles vollkommen wäre. Trotz aller Arbeit bleibt noch vieles zu tun übrig, aber das, was geschehen ist, kann sich doch sehen lassen. Das gilt insbesondere auch auf dem Gebiete des Schulwesens, insbesondere auch des Volksschulwesens. Gewiss sind im Kern der Altstadt und in einigen Vororten aus der Zeit ihrer Selbständigkeit her noch einige Schulgebäude, die modernisiert werden müssen, aber in welcher großen Stadt wäre das nicht, und vor allem wir hoffen diese Aufgabe in wenigen Jahren erfolgreich durchgeführt zu haben.

Nächstdem erachte ich für die Großstadt und insbesondere für Köln die städtebaulichen Aufgaben für die dringendsten. Hier muss gesorgt werden, dass die Großstädte nicht die Steinwüsten und lichtlosen Höhlen bleiben, die sie in der Vergangenheit waren. Geistige und körperliche Degeneration ist die zwingende Folge des Wohnens in einem solchen Steinmeer, in sonnen- und luftlosen Behausungen, losgelöst von der Erde und der Natur. Mit einem wirklich aus dem Herzen kommenden Gott sei Dank kann ich sagen, dass wir hier in Köln auf dem richtigen Wege sind zum Aufbau einer neueren und schöneren Stadt, an deren Gesundheit und Schönheit alle, die wollen, teilhaben können: Groß und Klein, Reich und Arm. Wenn wir auf dem von uns eingeschlagenen Wege noch einige Jahre trotz der Wichtigkeit auch anderer Aufgaben und trotz der Enge unserer finanziellen Lage fortschreiten, dann werden unsere Kinder und Kindeskinder diese unsere Arbeit segnen.

Diese Aufgabe - vielleicht wird man mich deswegen angreifen - ist noch wichtiger als der Wohnungsbau; denn sie schafft erst die nötige Grundlage für diese. Darin liegt keine Verkennung der Bedeutung des Wohnungsbaues. Mit elementarer Wucht ist dieser Aufgabe, die wir vor dem Kriege nicht annähernd in ihrer Wichtigkeit erkannt haben, nach dem Kriege über uns gekommen. Sie wird noch auf Jahre hinaus unsere ganze Kraft erfordern, weil der Bau guter und gesunder Wohnungen in Verbindung mit der Erfüllung der oben von mir genannten städtebaulichen Aufgaben die Gesundung von den meisten Krankheitserscheinungen der Großstadt bringen wird. Zu erstreben ist auch hier, dass der private Wohnungsbau wieder in Tätigkeit tritt und dass den Städten dann die Aufgabe, für die Wohnungen zu sorgen, für die der private Wohnungsbau nicht sorgt, verbleibt. Auf Jahre hinaus wird es nicht möglich sein, einen so erheblichen Teil der finanziellen Kraft der Städte im Wohnungsbau festzulegen, wenn nicht andere wichtige Aufgaben Schaden leiden sollen.

Auch schon vor dem Kriege erkannte man als Aufgabe der Städte die Förderung der Wirtschaft. Ich brauche nur hinzuweisen auf die von den Rheinstädten schon früher geschaffenen Hafenanlagen. Aber die Not der Zeit, der starke Kampf der Städte auch untereinander nötigt jede Stadt zur stärkeren Betätigung auf diesem Gebiete. Das gilt insbesondere auch für Köln. Noch vor wenigen Jahrzehnten war Köln der gegebene, an Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Kraft alle anderen Städte bei weitem überragende Mittelpunkt der gleichmäßig besiedelten Rheinprovinz. Durch die Entstehung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes hat sich der wirtschaftliche Schwerpunkt nach dem Norden und Osten der Provinz verlagert. Im Regierungsbezirk Düsseldorf, der einen Teil des Industriegebietes umfasst, wohnen mehr Menschen als in den übrigen 4 Regierungsbezirken der Rheinprovinz zusammengenommen. Früher lag Köln, vom wirtschaftlichen Standpunkte aus gesehen, zentral. Jetzt liegt es an der Peripherie. Darum muss Köln mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln die wirtschafts- und verkehrspolitische Stellung, die es z.Zt. noch hat, befestigen und ausbauen. Unter diesem Gesichtspunkte müssen sie die Schaffung des neuen Hafens und des Industriegeländes, der linksrheinischen Gürtelbahn, der Messen- und Ausstellungshallen, der Veranstaltung von großen Ausstellungen betrachten.

Auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Betätigung der Städte liegt auch der Betrieb von Wasser, Gas und Elektrizitätswerken. Die ersten Gaswerke und auch Wasserwerke, die Mitte des vorigen Jahrhunderts entstanden, ebenso die ersten Bahnen, waren in privater Hand. Man erkannte dann in den Städten, welche Bedeutung diese Werke in kommunalpolitischer und finanzieller Beziehung für die Städte abhingen [sic!] und suchte das unter dem Dreiklassenwahlrecht, sie in den Besitz der Städte zu bringen.

Neuerdings wird von einem Teile der öffentlichen Meinung den Kommunen empfohlen, sich dieser Werke wieder zu entäußern. Ich verkenne nicht, dass im einzelnen Falle Umstände eintreten können, die eine Stadt zur Veräußerung zwingen. Aber ich bin der Auffassung, dass man sie, wenn eben möglich, vermeiden soll. Ich würde es für einen der folgenschwersten Schäden, der den Städten gegenüber befolgten Anleihepolitik halten, wenn dadurch die Städte gezwungen würden, sich dieser Vermögensstücke zu entäußern. Dagegen glaube ich, dass Verbindungen zwischen Städten und Privatgesellschaften hinsichtlich dieser Werke möglich sind, die wirtschaftliche Vorteile bieten und doch die kommunalen Belange nach jeder Richtung hin wahren. Sie können versichert sein, dass das Letztere bei dem unlängst von uns abgeschlossenen Gasfernversorgungsvertrag nach jeder Richtung hin geschehen ist.

Eine wesentliche Aufgabe der Städte und insbesondere der Großstädte ist auch die allgemeine Kulturpflege, die Förderung von Kunst und Wissenschaft. Sicher ist die allgemeine Not groß und sind die öffentlichen Mittel knapp. Aber in gewissem Umfange muss doch auch diese Aufgabe erfüllt werden, damit nicht der Faden der Entwicklung abreißt und das gesamte deutsche Volk in seiner Kultur hinter den übrigen Völkern zurückbleibt. Förderung des allgemeinen Kulturstandes ist, auch vom wirtschaftlichen Standpunkte aus gesehen, keine Verschwendung. Denn je höher der allgemeine Kulturstand ist, desto höher ist auch der Stand der wirtschaftlichen Leistung. Es ist falsch zu sagen, dass Förderung der Kunst, Wissenschaft und Kultur nur einem kleinen Kreise von Auserwählten zugute käme. Man kann das geistige Leben einer Nation nicht in verschiedene von einander unabhängige Teile teilen. Das geistige Leben einer Nation ist eine Einheit. Es gibt keine guten Volksschulen ohne gute Universitäten und keine guten Universitäten ohne diese Volksschulen. Pflege von Kunst, Wissenschaft und Kultur durch die Städte kommt letzten Endes doch der gesamten Bürgerschaft zu gute.

Ich komme zum Schlusse und danke für die Aufmerksamkeit, mit der Sie mir gefolgt sind. Ich danke recht herzlich aber auch den Veranstaltern dieser staatsbürgerlichen Vortragsreihe. [...] Unser innerpolitisches Elend, der wüste Parteikampf, die Auflehnung gegen jede Autorität beruht zum großen Teil auf Unkenntnis. Es wird bei uns nur besser werden, wenn die allgemeine politische Bildung eine tiefere und bessere wird, wenn derjenige und diejenige, die berufen sind, mit dem Stimmzettel die Geschichte des Staates und der Stadt mit zu entscheiden, auch weiß, was er tut, wenn er wirklich die Probleme kennt, um die gerungen wird. Die deutsche Frau hat volle politische Gleichberechtigung mit dem Manne. Sie übertrifft ihn an Zahl. Möge es ihr gelingen durch Erweckung allgemeiner politischer Bildung einen maßgeblichen Einfluss auf unsere innere Politik zu erlangen. Ich verspreche mir davon eine wesentliche Verbesserung unserer innerpolitischen Verhältnisse.

 

Quelle: ARh, maschinenschriftliches, handkorrigiertes Redemanuskript.