12. Juni 1919

Ansprache aus Anlass der Eröffnungsfeierlichkeiten der Universität zu Köln bei dem Festakt im Gürzenich

Diese Rede bezeichnet einen Höhepunkt kommunalpolitischer Tätigkeit Adenauers und lässt gleichfalls einige auch später wesentliche Grundgedanken erkennen: Kulturelle Gemeinsamkeit der westlichen Demokratien; Sorge um die Stellung Europas in der Welt bei fortdauernder Uneinigkeit; idealistisches Wissenschaftsverständnis und Kritik am Materialismus.
Eine weihevolle Stunde! Was ein Jahrhundert hindurch geistige Führer Kölns erstrebt und gewünscht haben, es ist geworden: Die Alma mater Coloniensis ist aus hundertjähri­ger Ruhe neu erstanden. Alma mater Coloniensis! Ein halbes Jahrtausend Geschichte entrollt das Wort vor unserer Seele. Farbenprächtige Bilder wechseln in bunter Folge; die würdevollen Gestalten der Rektoren und Professoren, der Magister und Doktoren, die unübersehbare Schar der Scholaren aus aller Herren Länder steigt aus den alten Matrikeln auf, die seit dem ersten Semester der Universität Köln, seit dem Jahre 1389, in fast ununterbrochener Folge vor uns liegen. Und noch weiter rückwärts schweift unser Blick. Wir erinnern uns voll Ehrfurcht, welch' große Männer schon an der Vorläufe­rin der Kölner Universität gelebt und gewirkt haben; vor unserem geistigen Auge ragen empor die ehrfürchtigen Gestalten des großen Albert, des Aquinaten Thomas, des Schot­ten Duns.

Ein geschichtlicher Tag! Dankbar preisen wir die gütige Fügung, die uns gewürdigt hat, eine solch' ehrwürdige Körperschaft neuem kraftvollen Leben entgegenzuführen: Nächst Heidelberg, der ein Jahr früher gegründeten, ist es die älteste deutsche Universität, die ihre Hallen von neuem erschließt. Geschmückt mit des Alters Ehrenkrone, gehüllt in die Gewänder einer großen Vergangenheit, tritt die Universität Köln von neuem ein in den Kreis ihrer Mitschwestern.

Große Vergangenheit verpflichtet! Sie verpflichtet zum Streben nach gleich großer Zu­kunft! - Zukunft! Wie ein schwarzer Schatten fällt das Wort auf unsere Festesfreude. Haben wir noch eine Zukunft? Dunkel liegt sie vor unseren Blicken, Dunkel ist die Zukunft dieser Stadt, dunkel die Zukunft dieses Volkes: Die deutsche Macht ist gebro­chen; der Feind steht im Lande; ein Frieden soll uns aufgezwungen werden, der uns versklavt; im Innern des Landes wandert der Geist der Zwietracht und des Aufruhrs, der Geist des Spartakus und Bolschewismus umher. Dunkel und schwarz liegt die Zukunft vor uns. Trotzdem - wir brauchen nicht zu verzagen - wir haben eine Zukunft, wir glauben an das deutsche Volk: es wird genesen von dieser Krankheit, es wird geläutert hervorgehen aus diesem Fegefeuer; voll Kraft und Gesundheit wird es seinen Platz unter den Völkern des Erdballes wieder einnehmen. An dem Werke der Genesung unseres Volkes mitzuarbeiten, das ist die nächste hohe Aufgabe der Universität Köln. Das Werk der inneren Läuterung soll sie fördern, in Gemeinschaft mit ihren Schwestern, durch Pflege der wahren Wissenschaft und Weisheit, der wahren Freiheit und Gesittung.

Aber darüber hinaus fällt der Universität Köln noch eine besondere Aufgabe zu. Wie auch der Friedensvertrag aussehen mag, hier am Rhein, an der alten Völkerstraße, werden während der nächsten Jahrzehnte die deutsche Kultur und die Kulturen der westlichen Demokratien zusammenstoßen. Wenn ihre Versöhnung nicht gelingt, wenn die europäischen Völker nicht lernen, über der berechtigten Wahrung ihrer Eigenart das aller europäischen Kultur Gemeinsame zu erkennen und zu pflegen, wenn es nicht gelingt, durch kulturelle Annäherung die Völker wieder zu einigen, wenn auf diesem Wege nicht einem neuen Kriege unter den europäischen Völkern vorgebeugt wird, dann ist Europas Vormacht in der Welt dauernd verloren. Das hohe Werk dauernder Völkerver­söhnung und Völkergemeinschaft zum Heile Europas zu fördern, sei die besondere Aufgabe der Universität Köln, der Universität in der westlichsten deutschen Großstadt, die mitten in den Aufeinanderprall der verschiedenen Kulturen hineingestellt ist. Schon einmal hat die Universität Köln eine ähnliche Mission erfüllt, als sie - die nach dem Muster der berühmten Sorbonne in Paris gegründete - wie keine andere deutsche Universi­tät zahlreiche Ausländer an sich fesselte und sie mit deutschem Wesen und deutschem Geist vertraut machte. Deutsches Wesen soll die Universität Köln den deutschen Stämmen am Rhein erhalten; wahre deutsche Art soll sie auch dem Ausland zeigen und vermitteln und von diesem, in beide Teile förderndem Austausch, das Gute seiner Kultur empfangen und dem deutschen Volke zuführen. Vor allem aber soll sie das Wesensverwandte aller europäischen Kultur zeigen; sie soll zeigen, dass zwischen allen europäischen Völkern schließlich doch viel mehr des Gemeinsamen als des Trennenden ist. Dem wirklichen Völkerbunde, dem Fortschritte der Völker zu einer höheren Stufe der Entwicklung zu dienen, sei ihr heiliger Beruf!

In dieser Stunde denen zu danken, die mitgeholfen an dem großen Werke, ist mir eine besonders liebe Pflicht. Es drängt mich, zu danken Seiner Magni­fizenz, dem Rektor der Universität Köln, Herrn Geheimrat Eckert, der in voller Selbstlosigkeit und Hingabe die wertvollsten Dienste geleistet, Herrn Geheimrat Moritz, der, getragen von reiner Liebe zur Sache, uns seine reichen Erfahrungen zur Verfügung gestellt hat, Herrn Abgeordneten Meerfeld, der, als es galt, den anfänglichen Widerstand der preußischen Regierung zu überwinden, uns eine sehr wertvolle Hilfe gewesen ist. Danken muss ich an dieser Stelle und in dieser Stunde den drei Fraktionsvorsitzenden der Kölner Stadtverordneten-Versamm­lung, den Herren Mönnig, Falk und Sollmann. Sie waren seit über einem Jahre treue Helfer bei der Durchführung des Universitätsplanes. Ein Wort dankbarer Erinnerung lassen Sie mich weihen dem verstorbenen Ehrenbürger der Stadt Köln, Gustav von Mevissen, dessen hochherzige Freigebigkeit zur Errichtung der nunmehr zur Fakultät gewordenen Handelshochschule geführt hat. Er hat den ersten Schritt ermöglicht auf dem Wege, dessen Vollendung wir heute sehen. Zu danken haben wir weiter vor allem der preußischen Staatsregierung, als deren Vertreter ich Herrn Unterstaatssekretär Becker, den verdienstvollen Förderer wissenschaftlicher und kultureller Bestrebungen, besonders herzlich willkommen heiße. Die preußische Staatsregierung hat, altes Unrecht wieder gutmachend, unseren Plänen jede Förderung zuteil werden lassen; das werden wir ihr nicht vergessen. Besonderer Dank ist zu zollen der Stadtverordneten-Versammlung; in dieser niederdrückenden, trostlosen Zeit hat sie Glauben an die Zukunft gehabt und die große Aufgabe erkannt, die der Universität Köln gestellt ist. Sie hat in festem Vertrauen auf die Zukunft unserer Stadt und unseres Volkes sich nicht vor den finanziellen Lasten der Universität gescheut. Den Beschluss wird noch die späte Nachwelt rühmen. Wenn alles das, was sonst unsere Zeit geschaffen hat, dahin gesunken ist in Schutt und Moder: dies Werk wird weiter leben als ein Zeichen idealen Sinnes und eines seiner Kraft bewussten Bürgertums, geschaffen in der schwersten Zeit des deutschen Volkes.

Jetzt ist unsere Tat getan. Wir haben unsere Aufgabe gelöst: Die Universität Köln lebt nunmehr ihr eigenes Leben. In Ihre Hand, meine verehrten Kommilitonen, in die Hand der Professoren und Studenten ist jetzt ihr Schicksal gelegt. Empfangen sie das Kleinod, das wir Ihnen anvertrauen, mit Ehrfurcht vor seiner Vergangenheit, mit Vertrau­en in seine Zukunft! Empfangen Sie es mit der ganzen Hingebung begeisterungsfähiger, ideal gesinnter Herzen! Ein Gelöbnis nie schwindender Liebe, nie ermüdender Arbeit und Sorge für die Universität Köln sei für Sie und für uns der Spruch, den ich im Namen der gesamten Bürgerschaft spreche: Vivat floreat crescat Alma mater Coloniensis!

 

Quelle: Eröffnungsfeier der Universität Köln. Rede gehalten bei dem Festakt im Großen Saal des Gürzenich am 12. Juni 1919, verlegt bei Heinrich Z. Gonski, Köln 1919, S. 9ff.

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