12. Juni 1949

Brief an Dannie N. Heineman, Brüssel

Dannie N. Heineman (1872-1962), amerikanischer Industrieller deutsch-jüdischer Abstammung, 1905-1955 Generaldirek­tor des belgischen Elektrokonzerns Sofina (Société Financière de Transports et d'Entreprises Industrielles, einer über zahlreiche Länder gestreuten Beteiligungsgesellschaft großer Bankhäuser und Industrieunternehmen), 1907 erst­mals mit Adenauer zusammengetroffen, ihm dann bis zum Tode in enger Freundschaft verbunden.

 

Lieber Herr Heineman!

 

Eben kommt Herr Samuel und sagt mir, dass er morgen nach Brüssel fahre. Er überbringt mir Ihre Grüße. Ich danke Ihnen vielmals dafür und auch für Ihre freundlichen Worte. Ich benutze gerne diese Möglichkeit, einige für Sie persönlich bestimmte Mitteilungen zu machen:

1.) Die Pariser Konferenz wird mit größter Wahrschein­lichkeit völlig oder ungefähr negativ ausgehen. Das ist gut so. Jede Verbindung zwischen Westdeutschland und Ost­deutschland würde, solange dieses Ostdeutschland nichts anderes als ein Satellit Sowjet-Russlands ist, die Macht der Sowjets in Deutschland stärken.

2.) Das Ausscheiden von General Clay ist allgemein von uns bedauert worden. Er hatte sich in seiner Aufgabe vor­züglich eingearbeitet. Er ist ein kluger Mann. Kennen Sie seinen Nachfolger, Herrn McCloy? Wenn Sie ihn kennen, so weisen Sie ihn bitte auf mich hin.

3.) Die Europäische Union, der Zusammenschluss West­europas, ist eine nicht sehr aussichtsreiche Angelegenheit, weil anscheinend England, wohl im Hinblick auf seine Dominien, einen wirklichen Zusammenschluss verhindert. Das europäische Parlament z.B., das vorgesehen ist, soll nur ein Mal im Jahre einen Monat lang tagen. Es kann nur konsultative Beschlüsse fassen. Meines Erachtens muss Amerika mit größter Energie darauf dringen, dass es wirk­lich zu einer Europäischen Union kommt. Es ist sonst Westeuropa gegenüber Asien nicht zu halten.

4.) Die wirtschaftliche Lage in Deutschland betrachte ich mit einer gewissen Besorgnis. Es mangelt uns an Kapital. Dadurch kommt die Wirtschaft ins Stocken, die Arbeits­losigkeit nimmt zu.

5.) Die Bundestagswahlen sind am 14. August. Ihr Aus­gang ist von größter internationaler Bedeutung. Wenn sie für die Sozialdemokratie erfolgreich verlaufen, wird eine sozialistische deutsche Regierung in Abhängigkeit sein von der sozialistischen englischen Regierung. Beide zusammen werden dem neuen Europa ein sozialistisches Gesicht geben.

Die Labour-Party unterstützt gutem Vernehmen nach die deutsche Sozialdemokratie mit großen Geldmitteln. Die englische Regierung hat die öffentliche Meinung in der britischen Zone, die mehr als die Hälfte der drei Zonen umschließt, fast ganz in die Hände der Sozialdemokraten gespielt. Das gilt sowohl vom Rundfunk, wie von den Nachrichtenagenturen, wie vom Zeitungswesen.

Wenn es Ihrer Überzeugung entspricht, so machen Sie bitte maßgebende amerikanische Kreise darauf aufmerk­sam, dass die CDU, meine Partei, demokratisch, fort­schrittlich und sozial, aber nicht sozialistisch ist, dass die amerikanischen Stellen der Unterstützung der Sozial­demokratie durch die Briten entgegenwirken müssen.

Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie so außerordentlich frisch und lebendig waren. Ich fand Sie ganz unverändert gegenüber unserem letzten Zusammentreffen. Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen, und bin mit vielen herz­lichen Grüßen

 

Ihr

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 90-92.