13. April 1947

Wahlrede in der Aula der Universität zu Köln

 

Verehrte Versammlung!

Es wird von Ihnen ein großes Opfer verlangt, wenn man Sie gebeten hat, heute, am Weißen Sonntag, und dazu noch an diesem prachtvollen Frühlingstag, nachmittags um zwei Uhr sich hier in diesem Saale zusammenzufinden. Ich bin überrascht, daß so viele diesem Rufe gefolgt sind. Ich hatte nicht geglaubt, daß nach einem Winter des Hungers und der Kälte, der Entbehrungen und Enttäuschungen noch so viel politisches Interesse in einer großen, zerstörten Stadt vorhanden sei. Die Enttäuschungen, die wir in beiden Jahren seit dem Zusammenbruch erlitten haben, sind schwer. Die Zukunft liegt dunkel und trübe vor uns; wir wissen nicht, was kommen wird. Es wäre nur zu verständlich, wenn eine allgemeine Apathie das deutsche Volk ergreifen würde, insbesondere, wenn auch bei den Wahlen zu den Landtagen in der britischen Zone diese Apathie, diese Lethargie sich zeigte. Es breitet sich wirklich bei uns, namentlich in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, in der ganzen britischen Zone, eine etwas nihilistische Stimmung aus, eine Stimmung fast der Hoffnungslosigkeit: Es hat doch alles keinen Zweck; wir können uns nicht helfen, und die Alliierten wollen uns nicht helfen. Was soll denn das noch alles?

Eine solche Mutlosigkeit und Stimmung der Verzweiflung dürfen wir unter keinen Umständen aufkommen lassen. Wir dürfen unter keinen Umständen, komme was da kommen mag, an der Zukunft des deutschen Volkes verzweifeln.

(Starker Beifall.)

Das deutsche Volk hat sechs Jahre eines furchtbaren Krieges überstanden. Wir haben jetzt die zwei Jahre der Nachkriegsperiode hinter uns gebracht. Wir konnten nicht erwarten, daß in diesem Augenblick, in dem der Krieg aufhörte, nun sofort eine Periode des Friedens und der Erholung eintreten würde. Dafür waren die Zerstörungen zu groß, war auch der Haß sowie die Abneigung in den von Deutschland mit Krieg überzogenen Ländern zu groß; sie konnten nicht mit einem Schlage verschwinden. Dafür waren und sind auch zu groß die Spannungen unter den Alliierten selbst, die ihre Zeit und ihre Kraft und auch ihre Interessen natürlich in erster Linie in Anspruch nehmen. Wir müssen uns alles das vor Augen halten, um richtig zu verstehen, in welcher Periode wir sind: in der Nachkriegsperiode, noch nicht in der Friedensperiode. Wir müssen sie ertragen; wir können es auch, wenn nur in etwa die Aussichten, die jetzt von den Alliierten gezeigt werden, auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. Aber in erster Linie müssen wir versuchen, uns selbst zu helfen. Das erste Erfordernis für das deutsche Volk ist innere moralische Kraft. Diese innere moralische Kraft kann uns kein anderer geben; wir müssen sie selbst geben. Wir müssen darum überall, wo wir auf ein Erlahmen der moralischen Kraft im deutschen Volke stoßen, absolut dagegen vorgehen. Wir dürfen es auch, meine Damen und Herren, und zwar mit vollem Recht im Vertrauen auf die Kräfte, die noch im deutschen Volke vorhanden sind. Wenn man berücksichtigt, was über das deutsche Volk dahingegangen ist - die nationalsozialistische Zeit, der Krieg, der totale Zusammenbruch -, dann hat es auch in dieser Nachkriegsperiode so wertvolle Eigenschaften geoffenbart, eine solche Geduld, eine solche Entschlossenheit, immer wieder von vorn anzufangen, vor allem unsere Jugend hat soviel jugendliche Kraft, gepaart mit ernstester Entschlossenheit, gezeigt, daß wir im Vertrauen auf die guten Eigenschaften des deutschen Volkes doch mit Hoffnung in die Zukunft blicken können.

Ich bitte Sie daher, wirken Sie überall gegen den Geist des Verzagens, des Verzweifelns. Weisen Sie bitte auf eins hin: Es gibt in der Geschichte ewige Gesetze. Eines der vornehmsten Gesetze ist, daß auch in der Geschichte Recht Recht bleibt. Auch in der Geschichte folgt dem Bruch des Rechts die Strafe. Wann die Strafe folgen wird, wann die schädlichen Folgen des Rechtsbruchs sich zeigen, das weiß man nicht vorher. Die Nationalsozialisten haben in der Vergangenheit das Recht gebrochen, menschliches und göttliches Recht, und die Strafe ist gefolgt. Jetzt aber steht das deutsche Volk wieder auf dem Boden des Rechts. Wir hoffen und vertrauen, daß die Alliierten, die nach ihren eigenen Erklärungen in den Krieg gezogen sind um der Gerechtigkeit willen, um dem Bruch des Rechts durch den Nationalsozialismus entgegenzutreten - wir dürfen hoffen und vertrauen, daß schließlich doch bei den Alliierten auch wieder der Gedanke des Rechts oben bleibt, auch des Rechts gegenüber dem deutschen Volk.

(Beifall.)

Ich habe von Recht gesprochen. Das Recht steht auf unserer Seite. Wir haben bedingungslos kapituliert. Bedingungslose Kapitulation der Führer der nationalsozialistischen Wehrmacht ist eine rein militärische Angelegenheit. Bedingungslose Kapitulation hat es in jedem Krieg gegeben; sie bedeutet nichts anderes, als daß derjenige, der bedingungslos kapituliert, die Feindseligkeiten einstellt, sich selbst, seine Truppen und sein Waffenmaterial dem Feinde übergibt. Aber die bedingungslose Kapitulation der Führer der deutschen Wehrmacht hat niemals zur Folge gehabt, daß Deutschland aufgehört hat zu existieren. Sie hat niemals bedeutet, daß für Deutschland die völkerrechtlichen Bestimmungen außer Kraft gesetzt sind. Die völkerrechtlichen Bestimmungen sind für Deutschland nicht außer Kraft gesetzt, auch wenn vorher Deutschland das Völkerrecht zerbrochen hat. Denn derjenige, dem Unrecht geschehen ist - und wir müssen anerkennen, daß in der nationalsozialistischen Zeit Unrecht getan worden ist -, bekommt dadurch niemals das Recht, seinerseits Unrecht zu tun.

Die Staatsgewalt in Deutschland war zerbrochen. Die Alliierten haben die Staatsgewalt übernommen. Sie müssen diese Staatsgewalt ausüben, so wie das Völkerrecht und insbesondere die Haager Konvention es vorschreiben. Nach diesen Bestimmungen haben sie die Verpflichtung, auch für den Lebensunterhalt des von ihnen besetzten Gebietes zu sorgen, soweit die Bevölkerung selbst dazu nicht in der Lage ist. Ist das geschehen? Ich kann nur sagen, es ist nicht geschehen!

Sie wissen, daß in den letzten Wochen große Demonstrationen in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben. Der sozialdemokratische Innenminister Menzel hat nach einer Mitteilung des Deutschen Pressedienstes erklärt, diese Demonstrationen hätten sich nicht gegen die Besatzung gerichtet, nicht gegen die britische Militärregierung. Ich bedaure diese Erklärung; denn diese Erklärung war falsch.

(Beifall und Zwischenruf: Sehr richtig!)

Es ist wohl wahr, diese Demonstrationen haben sich gegen die britische Militärregierung gerichtet.

(Sehr starker Beifall.)

Ich bin der Auffassung, daß jeder, der an verantwortlicher Stelle steht, sei es als Minister oder als Politiker, der mit einer Besatzungsstelle zu tun hat, verpflichtet ist, ihr gegenüber offen und ehrlich und wahr zu sprechen.

(Lebhafter Beifall.)

Er ist es einmal seinem Volke selbst schuldig, dann aber auch schuldig der besetzenden Macht. Woher soll denn die besetzende Macht wissen, wie es wirklich aussieht, wenn die berufenen Sprecher des besetzten Gebietes ihr nicht die Wahrheit sagen. Ich glaube, daß eine besetzende Macht, insbesondere England, es lieber sieht, wenn man ihr sagt, wie die Dinge wirklich sind, weil das auch in ihrem eigenen Interesse liegt: Über unsere Hungersnot, über den Zusammenbruch der Ernährungswirtschaft hat die englische Presse die verschiedenartigsten Mitteilungen veröffentlicht. Ich möchte Sie Ihnen in Kürze mitteilen. Es ist zunächst gesagt worden, es handele sich um eine Transportfrage,

(Gelächter.)

in den Nordseehäfen lagere genügend Getreide, aber die Reichsbahn sei nicht in der Lage, das Getreide nach Nordrhein-Westfalen zu bringen. Die Reichsbahn hat darauf prompt erklärt, sie habe binnen einer Woche alles Getreide, das in den Häfen gelegen hätte, nach Nordrhein-Westfalen transportiert;

(Hört, hört!)

sie könne jetzt nur noch das Getreide abfahren, das per Schiff dort ankomme. Dann ist von der englischen Presse gesagt worden, es seien auf dem Wege von den Nordseehäfen bis Nordrhein-Westfalen 30.000 t Getreide verschwunden; es liege eine kolossale Schlamperei der deutschen Behörden vor. Kurze Zeit darauf hat der Gouverneur von Nordrhein-Westfalen, Mr. Aspury, amtlich erklärt, eine von ihm vorgenommene Untersuchung habe ergeben, daß nichts verschwunden sei bei dem Transport von den Nordseehäfen bis Nordrhein-Westfalen. Dann ist von englischer Seite erklärt worden, die deutschen Behörden hätten seit dem 1. Januar 1947 volle Selbständigkeit auf dem Gebiete der Ernährungswirtschaft,

(Hört, hört!)

und wenn sie diese Selbständigkeit nicht richtig zu benutzen verständen, dann müsste sie ihnen wieder genommen werden.

An dieser Erklärung ist etwas Richtiges, aber die Erklärung ist nicht vollständig. Die deutschen zonalen und bizonalen Stellen haben seit dem 1. Januar eine gewisse Selbständigkeit auf dem Ernährungsgebiete, aber sie haben diese Selbständigkeit nur insoweit, als es sich um die Produktion des Landes selbst handelt, bezüglich der Importe haben sie überhaupt nicht mitzusprechen.

(Hört, hört!)

Das muß man hinzusetzen, wenn man die wirkliche Ursache dieser Katastrophe erkennen will, wenn man sagt, dass die deutschen Stellen die Schuld trügen und die Verantwortung haben. Mr. Hynd, der englische Minister für die britische Zone, hat selbst vor einiger Zeit gesagt, daß die britische Zone nur wenige Monate von ihrer eigenen Produktion leben könne, daß die eigene Produktion schon wenige Monate nach der Ernte aufgebraucht sei und daß sie dann nur von den Importen leben könne. Dann steht fest, daß diejenigen alliierten Stellen, die verantwortlich waren für die Importe, wenn man von einem Verschulden sprechen kann, das Verschulden tragen.

Die englische Presse hat weiter erklärt, die deutschen Ernährungsminister hätten es unterlassen, bei ihren eigenen Landwirten die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Landtagsmandate nicht zu gefährden. Ich stelle demgegenüber folgendes fest: am 15. März 1947 waren 83% der Ernte der britischen Zone von den amtlichen Stellen erfaßt, ein ganz ausgezeichnetes Ergebnis. Und es ist vollkommen falsch, wenn die englische Presse gegen die deutschen Minister eine solche Anschuldigung erhebt. Minister Hynd hat vor etwa zwei Wochen bei Gelegenheit der Eröffnung einer Ausstellung in Edinburgh über „Deutschland unter Kontrolle“ - wobei ich gewünscht hätte, daß man einen Teil dieser Ausstellung den Deutschen überlassen hätte, um zu zeigen, welche Meinung sie von der Kontrolle haben - gesagt, die Versorgung der britischen Zone sei seit dem Zusammenbruch niemals so gut gewesen wie seit der Vereinigung mit der amerikanischen Zone.

(Starkes Gelächter.)

Bei allen diesen Meldungen frage ich mich, wie kommt es, daß die leitenden Männer in London von der wirklichen Lage offenbar gar nicht genügend unterrichtet sind.

(Zwischenruf: Sehr richtig!)

Ich weiß, daß viele britische Offiziere und Beamte, die in der britischen Zone tätig sind, genau wissen, woran es liegt und wie es hier aussieht, aber in London scheint man das nicht zu wissen. Man scheint auch dort nicht den Bericht des amerikanischen Ministers Herbert Hoover gelesen zu haben, der erklärt hat, daß das deutsche Volk das am schlechtesten ernährte Volk ganz Europas sei. Man sollte in London diesen Bericht des Herrn Hoover einmal sehr genau durchlesen und studieren.

Wie soll es nun werden, damit wir endlich einmal von dieser Hungerei abkommen? In erster Linie wollen wir versuchen, uns selbst zu helfen; wenn wir alles getan haben, was wir selbst tun können, dann wollen wir den Alliierten sagen: Mehr können wir nicht tun, jetzt seid ihr an der Reihe, und zwar auf Grund der völkerrechtlichen Bestimmungen, nicht als Almosen, sondern ihr erfüllt eure Pflicht, wenn ihr jetzt für ausreichende Ernährung des deutschen Volkes Sorge tragt.

(Sehr starker Beifall.)

Was können wir tun? Der Ernährungs- und Landwirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Lübke, will ein neues System für die landwirtschaftliche Produktion und deren Erfassung einführen. Die Zeit ist zu kurz, um Ihnen das im Einzelnen auseinanderzusetzen. Ich darf Ihnen nur sagen, daß er dem Landwirt eine größere Produktionsfreiheit und für die Ablieferung Sachgüter geben will, die er zur Fortführung des landwirtschaftlichen Betriebes braucht, beides offenbar sehr vernünftige Gedanken. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß unser Verteilungsapparat überholt werden muß. Wir haben hundert Zuteilungsperioden hinter uns. Daß in einer solch langen Zeit sich Mißstände einstellen, ist eine Selbstverständlichkeit. Also, da muß nachgesehen werden. Auch gegen den Schwarzhandel muß vorgegangen werden. Vor allem muß dafür gesorgt werden, daß unsere Landwirtschaft in ausreichendem Maß Stickstoffdünger bekommt. Vier Tonnen Kohle bringen, ins Ausland verkauft, so viel Erlös, als nötig ist, um eine Tonne kanadischen Weizen zu kaufen und nach hier zu transportieren. Vier Tonnen Kohle, einer chemischen Fabrik bei uns übergeben, die Dünger herstellt, bringen einen Mehrertrag von 16 Tonnen Weizen. Das ist eine so einfache Rechnung, daß man gar nicht versteht, warum sie von den maßgebenden alliierten Stellen nicht in die Tat umgesetzt wird.

Sie kennen Wesseling. Wesseling konnte schon seit März vergangenen Jahres flüssiges Ammoniak herstellen. Dieses Ammoniak konnte in eigenen Tankschiffen nach Ludwigshafen geschafft und dort verarbeitet werden auf 60.000 t Stickstoffdünger. Diese 60.000 t Stickstoffdünger hätten eine solche Vergrößerung unserer Ernte gebracht, daß den britischen und amerikanischen Steuerzahlern viele Millionen Pfund und Dollar erspart geblieben wären und daß wir etwas zu essen gehabt hätten. Man hat aber diese Fabrik nicht umgestellt auf Ammoniak, sondern man hat sie zunächst einmal auf die Demontage-Liste gestellt, ob sie noch darauf steht, weiß ich nicht; die einen sagen, sie sei gestrichen, andere behaupten, sie stehe noch darauf. Wir müssen also im Hinblick auf unsere Ernährung die alliierten Stellen dringend darum bitten, daß der Herstellung von Stickstoffdünger nun alles Interesse und alle Kraft zugewendet wird, und daß den Fabriken, die ihn herstellen, keine Kohle und kein elektrischer Strom entzogen werden dürfen.

Ich möchte auf den Zwischenruf antworten, man solle die Kohle im Lande lassen: Daß Deutschland in hohem Maße den von ihm mit Krieg überzogenen Ländern Wiedergutmachung schuldig ist, darüber kann wohl kein Zweifel bestehen, aber ebenso ist es absolut richtig, daß ich nur dann von einer Kuh Milch bekommen kann, wenn die Kuh gesund ist und gut ernährt wird. Wenn man daher vom deutschen Volke Wiedergutmachungsleistungen haben will, dann muß man zunächst einmal dafür sorgen, daß unser Volk wieder einigermaßen menschenwürdige Behausungen bekommt, daß es Kleidung bekommt und vor allen Dingen Nahrung, dann kann es auch Wiedergutmachungsleistungen vollbringen. Ich glaube, daß die Länder, die jetzt die deutsche Kohle bekommen, sich sehr viel besser stünden, wenn sie zunächst einmal ein solches Kohlenmoratorium einstellten, bis Deutschland und die deutsche Wirtschaft sich genügend erholt haben. Dann bekommen sie viel mehr, als sie jetzt erhalten.

Heute in einer Woche sind die Landtagswahlen. Wir wollen den Wahlkampf prinzipiell, aber nicht persönlich führen, und zwar wollen wir das tun, weil nach dem Wahlkampf ein Zusammenarbeiten derjenigen Parteien, die es wirklich ernst meinen, notwendig ist und weil diese Zusammenarbeit durch persönliche Angriffe vor der Wahl gestört wird. Dieser prinzipielle Kampf muß allerdings sehr klar und sehr scharf sein. Wir wollen prinzipiell und nicht persönlich kämpfen, solange das irgendwie möglich ist. Zwei Dinge haben sich aber in der letzten Zeit ereignet, die nun besser nicht geschehen wären: Das eine betrifft die Agitation des Wirtschaftsministers für Nordrhein-Westfalen, Professor Nölting, der in einer Rede in Münster das Christentum als den Kitt bezeichnet hat, der die CDU zusammenhalte. Der weiter gesagt hat, daß man in der CDU schon die Weihrauchfässer schwenke, um den Geruch der Reaktion zu ersticken. Ich meine, daß ein Mann, der einen Ministerposten bekleidet, eine andere Sprache führen soll, und daß ein Mann, der diese Dinge, die uns hoch, heilig und teuer sind, so profaniert, doch sehr ernst deswegen zur Ordnung gerufen wird.

(Zwischenruf: Sehr richtig!)

Der Führer der Kommunisten, Herr Reimann, hat in diesen Tagen hier eine Rede gehalten, die von Beschimpfungen unserer Partei und meiner Person geradezu gestrotzt hat.

(Pfui-Rufe.)

Ich muß es ablehnen. Herrn Reimann auf diesem Wege zu folgen,

(Sehr starker Beifall.)

aber die Kommunistische Partei in Deutschland ist doch zur Zeit die nationalste, die deutscheste aller Parteien, sie ist auch die demokratischste aller Parteien.

(Zwischenruf: Sehr richtig!)

Da scheint ein Angehöriger dieser Partei seinem Herzen Luft gemacht zu haben. Ich würde Ihnen empfehlen, einmal nach Osten zu wandern

(Starker Beifall.)

und dort Ihre Studien aufzunehmen. - Nun aber ein sehr ernstes Wort zu den Kommunisten. Ich war vor etwa zehn Tagen in Göttingen. Bei Göttingen ist das große Auffanglager für deutsche Kriegsgefangene, die aus Rußland heimkehren. Es sind wandelnde Leichen!

(Pfui-Rufe.)

Ich habe mit solchen Kriegsgefangenen gesprochen. Sie haben mir von den dortigen Verhältnissen erzählt, und sie haben mir nach der Versammlung, in der auch einige kommunistische Demokraten durch Zwischenrufe zu stören suchten, gesagt, sie hätten keinen dringenderen Wunsch, als daß die deutschen Kommunisten alle miteinander einmal nach Rußland gingen. Ich möchte den kommunistischen Demokraten und Menschenfreunden noch einen Rat geben: Sie sollen sich doch freiwillig melden zum Austausch gegen deutsche Kriegsgefangene.

(Sehr starker, langanhaltender Beifall.)

Wenn sie das tun würden, dann würden sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens kämen sie in ihr Paradies, und zweitens kämen unsere deutschen Kriegsgefangenen endlich nach Hause.

(Starker Beifall.)

Aber die kommunistische Agitation ist derart rücksichtslos und unanständig im Industriegebiet, und sie wird mit einem solchen Aufwand von Geldmitteln betrieben, daß man sich doch ernstlich die Frage vorlegen muß, woher denn die verhältnismäßig wenigen Mitglieder der kommunistischen Partei diese Geldmittel haben. Ein großer Teil der Kommunisten ist sehr leichtgläubig, um nicht einen anderen Ausdruck zu gebrauchen. Ich kann aber diesen Herren verraten, daß die Leiter der staatlichen Fabriken in Sowjetrußland ein so kapitalistisches Leben führen, wie es bei uns früher nur die reichsten Großindustriellen führen konnten. Einer meiner Mitarbeiter hat am Schwarzen Meer im Quartier gelegen bei dem Direktor einer solchen Fabrik. Dieser Direktor einer staatlichen Fabrik in Rußland hatte eine sehr schöne Villa, drei Privatautos und eine Motorjacht auf dem Schwarzen Meer - alles von Staats wegen. Also, die Herren müssen sich wirklich nicht einbilden, als wenn nun in Rußland jeder auf der gleichen Basis lebte - kein Gedanke daran! Dort muß der Arbeiter arbeiten und schuften bis zum Letzten, und die an der Spitze stehen, die führen ein anderes Leben.

Die Sozialdemokratische Partei ist nach uns in der britischen Zone die größte Partei. Wir müssen uns mit ihr prinzipiell auseinandersetzen. Dabei möchte ich aber folgendes sagen: Ich bin der Auffassung, daß die sozialdemokratische Partei durch den harten Kampf, den sie in Berlin und in der Ostzone führt, eine deutsche Aufgabe erfüllt, genau wie die CDU dort eine deutsche Aufgabe erfüllt. Wir wollen das auch den Leitern der Sozialdemokratie als Verdienst anrechnen.

(Starker Beifall.)

Das kann uns natürlich nicht hindern, daß wir den prinzipiellen Kampf sehr energisch führen. Lassen Sie mich in einigen Sätzen darlegen, wodurch wir uns von den sozialdemokratischen Forderungen unterscheiden. Sozialismus ist ein Wort, das verschiedene Deutungen zuläßt, aber bei uns in Deutschland versteht doch jeder unter Sozialismus dasjenige, was die Sozialdemokratische Partei verlangt und fordert auf wirtschaftlichem und weltanschaulichem Gebiet. Ich betone, auch auf weltanschaulichem Gebiet; denn als die sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Herrn Dr. Müller von der bizonalen Wirtschaftsstelle abgesägt haben, haben sie ausdrücklich nach dem amtlichen Protokoll, das ich gelesen habe, erklärt, daß sie zwar Herrn Müller außerordentlich hoch schätzen, daß aber weltanschauliche Gründe seine Entfernung verlangten.

Die Sozialdemokratie verlangt nach wie vor die Verstaatlichung der Produktionsmittel. Sie wagt jetzt nicht mehr, diese Forderung in der ganzen Kraßheit wie früher den Wählern mitzuteilen, aber in Wirklichkeit verlangt sie es doch nach wie vor. Sie will aber den Mittelstand für sich gewinnen, und deswegen erklären ihre Sprecher, daß der Mittelstand, die Handwerker, die Bauern, die mittleren und kleinen Unternehmer, gar nichts von der Sozialdemokratie zu fürchten hätten. Warten wir ab! Bleiben wir zunächst dabei, was die Sozialdemokratie und insbesondere die sozialdemokratische Landtagsfraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen vor kurzem für Anträge gestellt hat. Sie hat dort den Antrag gestellt, den Bergbau, die eisen- und stahlschaffende Industrie sowie die chemische Industrie in Gemeineigentum zu überführen. Sie hat schamhaft im Antrag selbst vermieden, das Wort „verstaatlichen" oder „in das Eigentum des Staates zu überführen" zu gebrauchen, aber in der Begründung zu diesem Antrag hat sie gesagt, daß diese Industrien in das Eigentum des Staates überführt werden sollen. Sie hat weiter ausgeführt, daß die Rechte aus dem Eigentum aber nicht vom Staate wahrgenommen werden sollen, sondern von den Gewerkschaften. Nun scheint mir das zunächst sehr undemokratisch zu sein, dem Staate das Eigentum zu übertragen, ihm aber gleichzeitig, der parlamentarisch kontrolliert wird, nicht das Recht zu geben, das aus diesem Eigentum herzuleiten ist, sondern das Recht aus dem Eigentum den Gewerkschaften zu übertragen, die nicht parlamentarisch kontrolliert werden können. Das scheint mir mit Demokratie unvereinbar zu sein. Was will denn die Sozialdemokratie damit? Professor Nölting hat in der letzten Landtagssitzung als Sprecher seiner Fraktion unter deren starken Beifall erklärt: Der demokratische Staat bedarf nicht nur der politischen Mittel, der demokratische Staat bedarf der wirtschaftlichen Hausmacht, und deswegen wollen wir sozialisieren. Das ist ein Satz reinster nationalsozialistischer Prägung. Das bedeutet, dem Staate, der die politische Macht hat, auch noch die wirtschaftliche Macht in die Hand zu geben, damit er kraft seiner wirtschaftlichen Macht jeden politischen Widerstand in der Weise zerdrücken und ertöten kann, wie das der nationalsozialistische Staat ebenfalls getan hat. Ich behaupte, wer so etwas verlangt, wie das Herr Nölting, ein hervorragender Vertreter der Sozialdemokraten, unter stärkstem Beifall seiner Fraktion getan hat, der will an die Stelle der nationalsozialistischen Diktatur die sozialistische Diktatur setzen.

(Zwischenruf: Sehr richtig!)

Wir von der Christlich-Demokratischen Union haben, wie Sie wissen, die Forderung des Christentums von dem Wert und der Würde einer jeden einzelnen Person als Grundlage für unser politisches und wirtschaftliches Programm aufgestellt. Ein wesentliches, unveräußerliches Recht der Person ist aber die Freiheit, die Freiheit nicht nur des ganzen Volkes, nicht nur aller Stände des Volkes, sondern auch die persönliche Freiheit eines jeden einzelnen.

Macht ist an sich nichts Böses, aber Macht kann etwas Böses werden in der Hand derjenigen, die sie besitzen. Darum wollen wir von der CDU nirgendwo, weder im wirtschaftlichen noch im politischen noch im staatlichen Leben, eine Zusammenballung von Macht, die die Freiheit des Volkes oder des einzelnen gefährden könnte. Von dieser Grundforderung aus wollen wir in der Wirtschaft zunächst alle die Berufe gestärkt und beschützt sehen, die ihrer Natur nach dem Betreffenden die Arbeit in Freiheit ermöglichen, nämlich des Bauern, des Handwerkers, des mittleren und kleinen Unternehmers. Wir wollen weiter, daß den Arbeitnehmern in den Großbetrieben, die nicht mehr ein persönliches Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer ermöglichen lassen, dieses Gefühl der persönlichen Verbundenheit wieder hergestellt wird. Wir haben darüber in einem Antrag, der im Landtag Nordrhein-Westfalen angenommen ist, bis ins Einzelne gehende Vorschläge gemacht. Um die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger zu verhindern, haben wir weiter folgende Anträge gestellt: Wir wollen, daß die wirtschaftlichen Unternehmungen auf die Grenze heruntergesetzt werden, die aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen notwendig ist. Wir wollen weiter, daß die Konzerne entflechtet werden, und endlich - und das ist das Hauptstück einer langen und eingehenden Untersuchung und Arbeit - wollen wir, daß beim Bergbau, bei der eisen- und stahlschaffenden Industrie, also bei den Schlüsselindustrien und bei jeder Monopolindustrie zwar das Privatkapital nicht ausgeschaltet wird, wie das die Sozialdemokraten wollen, weil wir das Privatkapital nötig haben, ebenso die mit dem Privatkapital verbundene private Initiative zum Wiederaufbau, aber wir wollen nicht, daß in diesen entscheidenden Industrien das private Kapital die Herrschaft aufgibt. Das private Kapital hat vor 1914 und vor 1933 die Herrschaft in der Schwerindustrie zu politischen Zwecken mißbraucht. Das soll sich unter keinen Umständen wiederholen dürfen. Darum verlangen wir, daß in diesen Industrien die Mehrheit der Stimmen bei der Generalversammlung in den Händen nicht privaten Kapitals ist. Sie werden fragen, was versteht man unter nicht privaten Kapitals. Unter nicht privaten Kapitals verstehen wir: das zukünftige Deutschland, das Land, den Kreis, die Stadt, die Genossenschaften, insbesondere von Arbeitnehmern des betreffenden Unternehmens. Damit aber auch hier nicht wieder eine dem Gemeinwohl abträgliche Zusammenballung wirtschaftlicher Macht stattfindet in der Hand des nicht privaten Kapitals, verlangen wir weiter, daß keiner der Träger nicht privaten Kapitals über mehr als 15% der Stimmen in der Generalversammlung verfügen darf. Auf der anderen Seite wollen wir, daß kein Träger privaten Kapitals direkt oder indirekt über mehr als 10% der Stimmen verfügen darf. Wir glauben, daß durch diese Anwendung des Prinzips der verteilenden Macht wir gesichert sind vor einem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht zu politischen Zwecken, die eine Gefährdung der persönlichen Freiheit mit sich bringen würde. Wir sind der Überzeugung, daß, wenn diese unsere Vorschläge Gesetz werden, wirklich eine neue Epoche wirtschaftlichen Lebens in Deutschland beginnt. Der liberale Kapitalismus, der nur die Arbeiten des Gewinnes wegen kannte, ist tot und darf nicht wiederkehren, aber er darf auch nicht ersetzt werden durch einen Sozialismus, dessen Machtstreben noch viel gefährlicher sein würde als das Machtstreben des Kapitalismus. Wir unterscheiden uns von der Sozialdemokratie aber auch noch nach anderen Punkten. Wir wollen - und das ist eine der vornehmsten Forderungen -, daß die Erziehung der Kinder Sache der Eltern ist. Wir erblicken darin nicht nur eine Festigung des Elternrechtes, sondern auch eine Sicherung der Familie überhaupt, und wir halten nach wie vor die Familie für die Grundzelle alles gesellschaftlichen Aufbaues.

Was verlangt die Sozialdemokratie? Bei uns hier im Westen spricht sie sehr sanfte Töne, aber in Berlin, im Berliner Magistrat, in dem die große Mehrheit der Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei angehört, da sprechen sie eine andere Sprache. Dort hat der Magistrat der Berliner Stadtverordnetenversammlung eine Vorlage zur Regelung des Schulwesens in Berlin gemacht, nach der die ganze Erziehung der Kinder, vom Kindergarten angefangen, nur noch Sache des Staates sein soll.

(Zwischenrufe: Genau wie bei den Nazis.)

Ich wiederhole den Zwischenruf: „Genau wie bei den Nationalsozialisten“, wie man überhaupt doch nicht die Augen davor verschließen darf, daß der Nationalsozialismus in dieser Beziehung ein durchaus richtiggehender Sozialismus gewesen ist. Wir wollen das Prinzip der verteilenden Macht auch im staatlichen Leben angewendet wissen. Darum wollen wir, wenn irgend möglich, überall die Selbstverwaltung eingeschaltet wissen, einmal, weil wir glauben, daß die Selbstverwaltung eine ausgezeichnete Erzieherin der Männer und Frauen zu Bürgern ist, die in ihr tätig sind, und zweitens, weil wir durch diese Einschaltung der Selbstverwaltung verhindern, daß sich in staatlicher Hand zuviel Macht ansammelt. Wir wollen weiter, daß das neue Deutschland kein zentralistischer Einheitsstaat wird, sondern ein wirklicher Bundesstaat, in dem die Zentrale die Rechte bekommt, die nötig sind, damit das Ganze zusammenhält, daß aber die Länder, aus denen der Bundesstaat besteht, die Rechte, auch die finanziellen Rechte, bekommen soll, die es ihnen ermöglichen, ein eigenes kraftvolles Leben zu führen.

Die Kriegsgefangenen: Wenn die nationalsozialistischen Machthaber in Deutschland damals im Kriege wider Recht und Gesetz Leute zur Arbeit nach Deutschland gebracht haben, so gibt das unseres Erachtens den Alliierten, die noch Kriegsgefangene haben, nicht das Recht, diese Kriegsgefangenen zurückzuhalten. Es ist richtig, daß nach der Haager Konvention erst nach Friedensschluß Kriegsgefangene zurückgegeben werden müssen, aber was ist der innere Sinn dieser Bestimmung? Der innere Sinn dieser Bestimmung ist folgender: Es soll kein kriegführender Staat gehalten sein, Kriegsgefangene zurückzugeben, solange die Kriegsgefangenen zur Stärkung des Kriegspotentials eines Gegners führen können. Dieser innere Grund fehlt bei Deutschland vollständig; denn wir sind doch überhaupt in keiner Weise in der Lage, selbst wenn wir wollten, irgendwie noch Krieg zu führen. Darum können wir mit vollem Recht verlangen, daß die Kriegsgefangenen zurückgegeben werden.

(Lebhafter, starker Beifall.)

Wir müssen dem Vertreter Englands und Amerikas in Moskau von Herzen dafür danken, daß sie mit solcher Entschiedenheit auf eine Lösung der Kriegsgefangenenfrage in Moskau gedrängt haben. Und wir haben die dringende Bitte, daß sie mit der gleichen Entschiedenheit auch darauf drängen, daß die verschleppten Personen, die noch im Mai 1945 nach Rußland gebracht worden sind, Frauen und Mädchen, und dort jenseits des Urals arbeiten müssen, endlich den Ihrigen zurückgegeben werden.

Das nationalsozialistische Deutschland hat großes Unrecht begangen, aber vielleicht ist es doch für viele Mitläufer der nationalsozialistischen Partei auch in den Augen der Alliierten eine gewisse Entschuldigung, wenn man darauf hinweist, daß die Alliierten mit dieser Verbrecherbande, die sie als solche doch lange erkannt hatten, Staatsverträge geschlossen haben. Vielleicht ist es doch eine gewisse Entschuldigung, daß die anderen Völker ihre Jugend zu den Olympischen Spielen nach Berlin gesandt haben, um dem Oberverbrecher Hitler dort zu huldigen.

(Starker Beifall.)

Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang noch Folgendes sagen: Wenn die Alliierten nur halb soviel Arbeit daran gesetzt hätten, Hitler kleinzuhalten, wie sie es jetzt gegenüber Franco tun, dann würde es niemals zu dem Kriege gekommen sein!

(Beifall.)

Die Moskauer Konferenz ist vielleicht von vielen Deutschen unter einem falschen Gesichtspunkt betrachtet worden. Sie war gar nicht dazu einberufen, um einen Friedensvertrag mit Deutschland fertigzustellen. Sie war auch nicht dazu einberufen, um ein Friedensstatut festzustellen. Sie war einberufen worden, damit die Verbündeten, die Alliierten, untereinander feststellen konnten, inwieweit ihre Ansichten über gewisse deutsche Dinge übereinstimmen oder sich wenigstens in Übereinstimmung bringen ließen. Aber diese Moskauer Konferenz fällt in eine Zeit größter internationaler Spannungen zwischen den beiden größten Mächten auf Erden, zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Sowjetrußland. Ich darf sie nur daran erinnern, daß sofort bei Beginn der Moskauer Konferenz der Vertreter Rußlands, Molotow, verlangt hat, daß auf dieser Konferenz die chinesische Frage erörtert werden sollte. Ich darf weiter daran erinnern, daß während der Moskauer Konferenz der Präsident der Vereinigten Staaten, Truman, diese historische Botschaft in die Welt gesandt hat über die Unterstützung Griechenlands und der Türkei. Und so ergab es sich von selbst, daß die Erörterung der deutschen Frage überschattet wurde von diesen großen internationalen Spannungen. Das ist für uns naturgemäß sehr böse und sehr unangenehm. Wie die Moskauer Konferenz ausgehen wird, wissen wir nicht. Wir haben ja nicht einmal eigene Berichterstatter da. Wir sind angewiesen auf das, was die Berichterstatter der anderen Länder, die die Dinge natürlich unter dem Gesichtspunkt ihres Landes in erster Linie sehen, uns sagen. Große Einigkeit ist jedenfalls bisher nicht festzustellen. Wir können nur, auch wenn die Moskauer Konferenz ohne besondere Ergebnisse auseinandergehen sollte, das eine hoffen und wünschen, daß die großen internationalen Spannungen möglichst bald ausgeglichen werden, damit die Behandlung der deutschen Frage in einer Atmosphäre der Beruhigung erfolgen kann entsprechend den deutschen und den europäischen Interessen, denn die deutschen und die europäischen Interessen sind absolut identisch.

In den letzten Tagen hat man sich in Moskau hinsichtlich der Saar dem Verlangen Frankreichs so ziemlich gefügt über die wirtschaftliche Angliederung der Saar an Frankreich. Ich kann hier ausdrücklich feststellen, daß nach der Erklärung berufenster Vertreter der Saarbevölkerung die Mehrheit der deutschen Saarbevölkerung mit dieser wirtschaftlichen Eingliederung an Frankreich nicht einverstanden ist.

(Starker Beifall.)

Die Mehrheit der Bevölkerung an der Saar will bei Deutschland bleiben, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, in guten wie in schlechten Tagen.

Was die Ostgrenzen angeht, so wissen wir, daß Rußland erklärt hat, im Potsdamer Abkommen sei die Oder-Neiße-Linie festgesetzt. Wenn man das Potsdamer Abkommen zur Hand nimmt, dann kann man nur dem amerikanischen Vertreter beistimmen, wenn er sagt, das sei in keiner Weise richtig. Kein Wort davon ist wahr. Und ich möchte auch hier unsere kommunistischen Freunde bitten, ihre guten Beziehungen zu Moskau zu benützen, um dort klarzumachen, daß nach dem Potsdamer Abkommen der deutsche Osten nicht den Polen übergeben worden ist zu Eigentum. Marshall, der amerikanische Vertreter, hat in Moskau erklärt, daß sie dafür seien, daß der südliche Teil Ostpreußens und Oberschlesiens den Polen übergeben werden sollte, daß aber das übrige deutsche Gebiet nicht den Polen verbleiben solle, sondern daß hinsichtlich dieses Gebietes eine Regelung getroffen werden müsse, die den Umständen Rechnung trage, daß früher dieses Gebiet zu einem großen Teil die deutsche Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt habe. Diese Erklärung des amerikanischen Vertreters, der sich der englische Vertreter Bevin angeschlossen hat und die auch in etwa den Beifall des französischen Vertreters gefunden hat, erfüllt unsere berechtigten Forderungen nicht. Aber immerhin, sie ist doch ein gewisser Fortschritt der Anschauungen, und wir können nur wünschen, daß dieser Fortschritt größer wird im Laufe der Zeit.

Für uns und für das, was wir wollen, gelten die Vorschriften der Atlantik-Charta. Die Atlantik-Charta ist von Churchill und Roosevelt beschlossen worden, und Stalin ist ihr beigetreten. Und darin steht, daß keine Gebietsveränderungen vorgenommen werden dürfen, ohne daß die davon betroffene Bevölkerung in freier Abstimmung ihr zugestimmt habe. Das muß auch für dieses Gebiet gelten. Und ich bin keinen Augenblick darüber im Zweifel, wie dann diese Abstimmung ausfallen wird! Sie wird dahin gehen, daß unsere von dort vertriebenen Menschen zurückkehren wollen in ihre Heimat.

(Sehr starker Beifall.)

Es gibt sonst keine Lösung der Frage der Vertriebenen. Wir können tun für sie, soviel wir wollen, sie haben ihre Heimat verloren, in der ihre Väter und Vorväter gesessen haben, und sie wollen zurück, und sie müssen zurück in ihre Heimat, und zwar als freie Menschen, nicht unter polnischer Knute!

(Langanhaltender, rauschender Beifall.)

Ein Wort möchte ich gerade hier in Köln an die Adresse Frankreichs richten. Man kann verstehen, daß Frankreich infolge der Ereignisse der letzten hundert Jahre um seine Sicherheit bangt als Nachbar eines Volkes, wie es das deutsche ist, das viel zahlreicher ist als es selbst. Aber ich bitte Frankreich eindringlichst, doch einen anderen Weg zu suchen als den Weg der Gewalt. Es gibt andere Wege, es gibt konstruktive Lösungen für die Frage Frankreich-Deutschland. Es muß und soll zwischen Frankreich und Deutschland ein Friede für immer hergestellt werden! Gerade aber wer das will, der darf nicht den Weg der Gewalt gehen. Und so glaube ich, daß insbesondere wir hier im Westen, die wir doch die französischen Verhältnisse in etwa kennen, an Frankreich, an Belgien und an Holland die dringende Bitte richten sollten, auf ihre sogenannten Grenzberichtigungsansprüche zu verzichten,

(Starker Beifall und Zustimmung.)

daß wir an unsere westlichen Nachbarn die Bitte richten sollen, doch zusammen mit Deutschland und England den einzigen Weg zu gehen, der Europa wirklich den Frieden verbürgt, nämlich der einer europäischen Konföderation, einer Verflechtung der Wirtschaft dieser Länder; sie allein kann Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland auf die Dauer den Frieden geben, den wir alle so heiß ersehnen.

(Brausender Beifall.)

Ich habe gesagt, daß die Zukunft dunkel vor uns liegt. Wir können nicht den Vorhang durchdringen, der vor unseren Augen ausgebreitet ist, aber einen Lichtblick haben wir doch. Dieser Lichtblick ist der Idealismus, der das amerikanische Volk beseelt. Ich bin überzeugt, daß schon Wilson, der bei uns dann später so viel verlästert worden ist, von Idealismus erfüllt war. Ich glaube, daß auch jetzt das amerikanische Volk, in dessen Adern doch sehr viel deutsches Blut fließt, von wirklichem Idealismus erfüllt ist und daß dieses Volk, das das mächtigste Volk der Erde in jähem Aufstieg geworden ist, seine Aufgabe, nun einzutreten für den Frieden der Erde, mit idealem Schwung anfassen wird. Wenn der Hoover-Plan, von dem ich gesprochen habe, zur Ausführung kommt, dann sind wir in Deutschland gerettet; dann werden wir diese Nachkriegsperiode überstehen können, bis wirklich eine allgemeine Beruhigung eintreten wird. Wir bitten und wünschen, daß Amerika und England alles tun, was in ihrer Macht steht, um so schnell wie möglich diesen Hoover-Plan Wirklichkeit werden zu lassen.

Ein zweiter Lichtblick erhellt das Dunkel, das über Deutschland liegt: die deutsche Jugend. Das deutsche Volk hat in dieser Notzeit eine solche innere Größe gezeigt, daß man den allergrößten Respekt und die allergrößte Hochachtung vor ihm haben muß. Die so viel verlästerte deutsche Jugend hat sicher ihre Fehler und Mängel; wer wollte es vertuschen! Aber man muß doch daran denken, wie es dieser Jugend ergangen ist. Sie ist in der Hitler-Jugend erzogen worden, ihre Religion wurde zertrümmert, sie wurde als Kinder in den Krieg geschickt, sie hat als Kinder unsere Städte brennen sehen, sie wurde getrennt von ihren Eltern, sie verlor ihre Wohnung, ihre Kleidung, und unsere Jugend blickt in eine graue Zukunft hinein - trotzdem sage ich: Hut ab vor der deutschen Jugend. Ich komme viel mit der deutschen Jugend zusammen und muß Ihnen gestehen, ich habe den größten Respekt vor der deutschen Jugend bekommen.

(Starker Beifall.)

Um ihretwillen wollen wir Älteren weiter arbeiten. Unsere Jugend arbeitet mit uns. Das deutsche Volk braucht nicht zu verzagen. Diese Nachkriegszeit hat bewiesen, daß im deutschen Volk noch ein gesunder und guter Kern steckt. Wenn man uns nur die Arme frei ließe, um zu arbeiten, wenn man uns nur von seiten der Alliierten etwas mehr Vertrauen schenkte, wir würden in Deutschland alles tun, um schnell wieder in die Höhe zu kommen.

(Lebhafter Beifall.)

Ich habe keinen Augenblick einen Zweifel daran, wenn die Alliierten uns wirklich etwas mehr Freiheit lassen, in unserem Schaffen und in unserer Tätigkeit, daß das deutsche Volk dann, geläutert von den nationalsozialistischen Schlacken, schon bald wieder eintreten wird gleichberechtigt in den Kreis der Nationen dieser Erde. Ich hege keinen Zweifel, daß das deutsche Volk berufen ist, Europa und der Welt auch in Zukunft noch größere und unvergängliche Werte zu schenken.

Lassen Sie mich zurückkehren zu der Wahl, die uns bevorsteht. Die Landtage, die jetzt in der britischen Zone gewählt werden, haben eine sehr große Aufgabe. Sie haben eine Verfassung festzusetzen und Richtlinien festzulegen, nach denen der Neuaufbau unserer Wirtschaft erfolgt, sie haben mitzuraten beim Neuaufbau Deutschlands. Sorgen Sie dafür, daß diese Landtagswahl eine Demonstration des politischen Selbstbehauptungswillens des deutschen Volkes in der britischen Zone wird. Sorgen Sie alle dafür, daß die Wahlbeteiligung so stark wird wie bei den vergangenen Wahlen. Sorgen Sie dafür, daß niemand von den Alliierten, gestützt auf die Landtagswahlen, auf eine geringere Wahlbeteiligung, sagen kann, das deutsche Volk ist der Rechte, die es bekommen soll, gar nicht wert. Nein, wir wollen uns selbst behaupten und dies auch zeigen bei der Landtagswahl und soviel von diesem größten politischen Recht, das ein Bürger hat, Gebrauch machen. Wir wollen jeden, Bekannten und Verwandten, ob jung oder alt, ob Mann oder Frau, dazu drängen, zur Wahlurne zu gehen am 20. April. Sorgen Sie dafür, daß hier in Nordrhein-Westfalen im Landtag die Christlich-Demokratische Union die stärkste und wenn möglich die Mehrheitspartei wird. Dann wollen wir in Nordrhein-Westfalen einen Staat aufbauen, der das Fundament werden soll für einen guten Neuaufbau Deutschlands. 

 

Quelle: StBKAH I/02.04. Auszug abgedruckt in: Konrad Adenauer: „Die Demokratie ist für uns eine Weltanschauung.“ Reden und Gespräche 1946-1967. Hg. von Felix Becker. Köln-Weimar-Wien 1998, S. 27-40.