13. Januar 1951

Ansprache vor dem Vorstand und den Vorsitzenden der Kreisparteien der CDU Rheinland und Westfalen in Bonn, Bundeshaus

 

Meine Damen und meine Herren! Meine lieben Freunde!

Die Worte, die Herr Johnen an mich gerichtet hat und die Sie durch Ihren wiederholten Beifall so nachdrücklich unterstrichen haben, haben mir sehr wohlgetan. Ich bin Ihnen auch dankbar, dass diese Glückwünsche nicht am Tage meines Geburtstages ausgesprochen worden sind, sondern heute hier in geschlossenerem Kreise, wo sie um so viel herzlicher, als es dort möglich gewesen wäre, ausgesprochen werden konnten.

An meinem 70. Geburtstag, also vor fünf Jahren, haben mich, als ich ihn beging, damals im Kreise meiner Familie in Rhöndorf, Herr Albers - ich sehe, da ist er; ja, er ist noch da - und, ich weiß nicht, wer der zweite Verbrecher war -,

(Zurufe. - Weiterer Zuruf: Und Fräulein Teusch!)

das ist eine Verbrecherin, kein Verbrecher!

(Heiterkeit.)

Also diese drei haben mich beiseite genommen und haben mich dann ...

(Zuruf von Frau Kultusminister Teusch.)

Ja, Fräulein Teusch, im Himmel ist immer mehr Freude über ...

(Große Heiterkeit.)

Deshalb soll man das gar nicht so ablehnen!

(Frau Kultusminister Teusch: Sind wir beide denn schon im Himmel?)

Sie kommen noch dahin! Jedenfalls, diese drei haben mich damals beiseite genommen und haben mich nun gebeten, meine Arbeitskraft unserer Partei zu widmen. Das war also der Anfang meiner parteipolitischen Tätigkeit, meiner parteipolitischen Laufbahn, denn die kurze Rolle bei der Gründung der CDU kann man nicht als einen solchen Beginn rechnen. Sie müssen daher bei meiner Beurteilung davon ausgehen, dass ich trotz meines vorgerückten Alters auf parteipolitischem Gebiet ein Neuling bin.

(Heiterkeit und Zurufe.)

Wenn ich daher, meine Damen und Herren, hier und da mal danebenhaue, dann müssen Sie das eben mit der Kürze der Lehrzeit entschuldigen, müssen aber wenigstens den guten Willen als vorhanden ansehen.

Nun hat eben unser Freund Johnen von dieser Adenauer-Spende gesprochen. Ich kann Ihnen, Herr Johnen, und Ihnen, meine Freunde, nur sagen, dass ich weiß oder ahne, wie diese Spende zusammengekommen ist, und dass ich in einer solchen Spende, die auf diese Weise zusammengekommen ist, wirklich den schönsten Lohn für meine Tätigkeit hier erblicke. Ich bin gerührt, dass ein derartiger Betrag zustande gekommen ist. Nun weiß ich nicht, ob ich frei darüber verfügen kann oder ob schon etwas beschlossen ist.

(Heiterkeit.)

Aber mir schwebt so vor, meine Freunde, als ob man den Betrag vielleicht dazu benutzen sollte, etwas für die Schulung des Nachwuchses unserer Partei zu tun.

(Johnen: Sie müssen nichts versprechen, was wir nachher nicht halten können!)

Wieso?

(Erneuter Zuruf. - Heiterkeit.)

Dann müssen wir mal zusammen überlegen. Aber das scheint mir doch das Notwendigste zu sein.

(Zuruf: Ich komme nachher mit einem Vorschlag, Herr Dr. Adenauer!)

Nun, meine Freunde, Herr Kollege Johnen - darf ich gleich weiter fortfahren? -

(Johnen: Bitte schön!)

hat vorhin damit begonnen, dass er uns allen Glückwünsche für das Jahr 1951 ausgesprochen hat. Das Jahr 1951 ist das entscheidungsvollste Jahr, für das deutsche Volk jedenfalls, seit dem Jahre 1945, und wahrscheinlich wird später einmal ein Geschichtsschreiber mit Recht feststellen, dass es entscheidungsvoller war als viele Jahre der Vergangenheit. Und es ist ein gefährliches Jahr! Es ist ein so außerordentlich gefährliches Jahr, meine Freunde, dass, wenn man nicht etwas Vertrauen darauf hat, dass wir Menschen letzten Endes doch auch von einer höheren Hand irgendwie geführt werden, man verzagen könnte, dass man sich passiv verhalten und denken könnte: dann lass es nun kommen, wie es kommen mag! Wir, die Christlich-Demokratische Union, nicht nur die des Rheinlandes, haben eine besonders große und verantwortungsvolle Aufgabe, denn dieses Jahr 1951 wird, soweit man überhaupt in die Zukunft sehen kann, auch darüber entscheiden, meine Freunde, ob Deutschland und ob damit Europa ein christliches Land bleiben wird oder nicht. Das ist, weltanschaulich betrachtet, dasjenige, was auf dem Spiele steht, und das ist noch unendlich viel wichtiger als jede politische Betrachtung und jede politische Überlegung.

Die CDU Nordrhein, meine Damen und Herren, und die CDU Westfalen, also die CDU von Nordrhein-Westfalen ist das Kernstück der gesamten deutschen CDU und CSU. Hier sind die Wurzeln unserer Kraft, nicht nur ziffernmäßig, auch weltanschauungsmäßig und der ganzen politischen Gesinnung nach. Daher haben wir CDU-Leute von Nordrhein-Westfalen eine noch viel größere Verantwortung und daher auch eine noch viel größere Verpflichtung als unsere Parteigenossen und Gesinnungsgenossen in den anderen deutschen Ländern. Ob wir dessen immer so eingedenk gewesen sind, kann man vielleicht bezweifeln. Auch ich selbst kann mich nicht von der Schuld freisprechen, dass ich, namentlich seit etwa eineinhalb Jahren, da ich nun andere Aufgaben übertragen bekommen habe, mich um die innere Konsolidierung unserer Partei in Nordrhein viel zu wenig habe kümmern können.

Umso glücklicher bin ich, dass mein Nachbar zur Rechten vom Vorstand diesen Auftrag bekommen hat. Ich bin umso glücklicher darüber, weil er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Landtagsfraktion nach allem, was ich darüber gehört habe, sein großes Geschick in der Führung der Geschäfte und sein großes Geschick, einen Ausgleich unter Gegensätzen herbeizuführen, so ausgezeichnet bewiesen hat. Denn unsere Partei, auch wenn sie auf dem festesten Boden steht, den eine Partei überhaupt haben kann, hat in ihrem Kreise doch soviel verschiedene Elemente, dass immer wieder die Gefahr besteht, dass durch irgendetwas, durch irgendeine Aufgabe, die einem zunächst als die wichtigste von allen Aufgaben erscheint, Misshelligkeiten entstehen können. Ich bin nicht der Auffassung, dass solche Meinungsverschiedenheiten uns jemals trennen könnten. Aber das Auftreten solcher Meinungsverschiedenheiten ermutigt natürlich unsere parteipolitischen Gegner, ihre Kraft, uns zu stürzen und an die Macht zu kommen, wenn möglich noch zu verdoppeln. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, meine Damen und Herren, ist es gefährlich, wenn insbesondere nach außen hin in wichtigen Dingen starke Meinungsverschiedenheiten nicht nur auftreten, sondern sogar unterstrichen werden. Selbstverständlich kann es keine Uniformität der Meinungen geben. Dafür sind wir Menschen zu verschieden, und dafür sind auch die Dinge, mit denen wir uns zu befassen haben, zu schwierig. Letzten Endes hat auch keiner die Weisheit für sich allein gepachtet, und fast alle Aufgaben lassen sich unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten und erfahren dann auch eine verschiedene Würdigung. Also eine Uniformität kann es nicht geben und darf es nicht geben, das wäre Stillstand, das wäre geistiger Tod. Aber ich bin der Auffassung, dass bei allen Gegensätzen immer das eine Fundament doch nicht vergessen werden darf: das ist unsere gemeinsame Weltanschauung, und nur aus dieser gemeinsamen Weltanschauung heraus kann man in so bewegten Zeiten wie den unsrigen Politik machen. Ich bestreite, meine Damen und Herren, dass es sonst einen gemeinsamen Boden gibt, von dem aus man Politik treiben kann. Sehen Sie die Sozialdemokratische Partei! Sie hat es bis heute nicht fertiggebracht, seit 1945 nicht, ein Parteiprogramm fertig zu stellen. Sie hat keine gemeinsame Grundanschauung. Nehmen Sie die Demokratische Partei! Dort kann man fast sagen: Quot capita tot sensus! Soviel Köpfe, soviel Sinne! Aber da wir nun einmal glücklicherweise diese gemeinsame fundamentale Anschauung haben, meine ich, dass bei allen Gegensätzen, die unter uns obwalten und obwalten müssen und die wir miteinander bereden müssen, wir doch nie vergessen dürfen, dass wir Freunde sind, meine Damen und Herren. Wir reden uns nicht mit „Genosse" an, aber wir sind Parteifreunde, und wir stehen als Parteifreunde auf demselben weltanschaulichen Boden. Das verpflichtet uns vor allem, in einem Parteifreund einen Mann zu sehen, der im Grunde genommen dasselbe meint, was man auch will, und verpflichtet uns daher, eine Einigung herbeizuführen.

Nun lassen Sie mich - was ich jetzt sage, ist vielleicht lange nicht so wichtig wie das, was ich gesagt habe, aber es ist auch notwendig - zu Westfalen übergehen. Die CDU Nordrhein und die CDU Westfalen sind durch die Landtagsfraktion ja doch sehr eng miteinander verbunden. Ich begrüße es daher außerordentlich, dass der Vorsitzende der Landtagsfraktion, der, wie ich weiß, auch bei unseren westfälischen Parteifreunden eine außerordentliche Wertschätzung genießt, jetzt auch geschäftsführender Vorsitzender der rheinischen CDU ist. Ich verspreche mir davon, dass die CDU Nordrhein und die CDU Westfalen enger zusammenrücken ...

(Zurufe: Sehr gut!)

und zusammenarbeiten, nicht nur in der Landtagsfraktion, sondern auch außerhalb der Landtagsfraktion. Ich glaube, Herr Kollege Johnen wird auch diese Aufgabe als eine wesentliche Aufgabe betrachten und betrachten müssen.

Nach diesen Vorbemerkungen darf ich versuchen, Ihnen einen kurzen Abriss zu geben über die heutige Situation, über das, was wir glücklich geschaffen haben, und über die Aufgaben, die noch vor uns liegen. Was unsere Partei angeht, so wäre es falsch, wenn ich nicht von der deutschen CDU spräche. Wir haben sie vor drei Monaten in Goslar gegründet. Leider sind die organisatorischen Aufgaben noch nicht so weit fortgeschritten, wie ich das gewünscht hätte und wie es notwendig war. Ich hoffe aber, dass wir da doch in Bälde einen erheblichen Schritt weiterkommen. Denn es ist ein großer Nachteil für unsere ganze Bewegung, dass, bis diese Zentrale steht und arbeitet, die einzelnen Landesparteien zu selbständig arbeiten und dass dadurch im Lande nicht der Eindruck von der gesamtdeutschen CDU hervorgerufen wird, den zu schaffen notwendig wäre. Denn für jede Partei, meine Damen und Herren, ist es, damit sie werbend wirkt, nötig, dass sie auch nach außen hin sichtbar den Eindruck einer geschlossenen großen Partei erweckt. Es ist weiter nötig, dass alle Landesparteien, ganz unbeschadet des föderalistischen Prinzips, über das ich mir nachher noch einige Bemerkungen erlauben möchte, doch in den großen Linien der Politik miteinander übereinstimmen auf dem Wege über die zentrale Leitung. Geschieht das nicht, dann führt die eine Landespartei ihren Wahlkampf zu den Landtagswahlen unter dem Gesichtspunkt, die andere unter jenem. Das ist nicht gut, das führt zu Misserfolgen.

Ich stehe zwar nicht auf dem Standpunkt, die Landtagswahlen des vergangenen Jahres hätten, wie Herr Schumacher meint, gezeigt, dass das Ergebnis der Bundestagswahl vom Volke nicht mehr gebilligt werde. Er hat nur die beiden letzten Wahlen angeführt, in Hessen und in Württemberg-Baden. Er hat vergessen, die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein anzuführen.

(Zuruf: Und in Berlin!)

Bei den Wahlen in Hessen und in Württemberg-Baden lagen doch wirklich besondere Verhältnisse vor. Dass wir in Hessen eine Schlappe erleiden würden, war jedem Kenner der hessischen Verhältnisse schon seit Jahr und Tag klar, denn gerade in der hessischen Landespartei waren die Gegensätze zwischen den verschiedenen Auffassungen so stark und so offensichtlich, dass eine Partei, die solche inneren Gegensätze hatte und in der Öffentlichkeit zeigte, auf die Wähler nicht anziehend wirken konnte. Bei Hessen kam die Agitation des Herrn Kirchenpräsidenten Niemöller hinzu, die uns gerade dort sehr geschadet hat, die zwar nicht die anderen Parteien gestärkt, aber doch viele Wähler abgehalten hat, sich zu uns zu bekennen. In Württemberg-Baden hat die Südweststaat-Frage eine große Rolle gespielt und [es] hat, meine Freunde, eine Rolle gespielt - das darf ich in diesem Kreise auch mal sagen - die viel zu große Bescheidenheit - ich will mich jetzt mal sehr freundlich ausdrücken, indem ich „Bescheidenheit" sage -, die die Partei in Württemberg-Baden gezeigt hat. Nach den Erfolgen bei den vorletzten Wahlen war unsere CDU in Württemberg-Baden die stärkste Partei. Sie hatte die meisten Leute im Landtag. Sie hat weder den Ministerpräsidenten gestellt, noch hat sie den Landtagspräsidenten gestellt, noch hat sie den Minister des Innern gestellt, sie hat den Justizminister gestellt. Ich will keinen Justizminister verkleinern, aber, meine Damen und Herren, ein politisches Ministerium ist das Justizministerium nicht und darf es nicht sein.

Damit komme ich auch auf einen ganz wesentlichen Punkt in parteipolitischer Hinsicht. Eine Partei muss auch Kraft zeigen, nicht nur bei der Wahl, sondern auch in der Verfolgung ihrer Ziele. Dabei muss sie unter Umständen, meine Freunde, auch rücksichtslos sein und darf nicht immer nur mit dem Hut in der Hand dastehen und sich mit dem letzten Platz bescheiden.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Nun stehen im kommenden Jahr die Wahlen in Rheinland-Pfalz - das werden die ersten sein - und die Wahlen in Niedersachsen bevor. Man soll da nicht prophezeien, aber eines muss ich ja nun doch sagen: Die ganzen Landtagswahlen sind doch auch stark bestritten worden mit der Politik, die hier in Bonn getrieben worden ist. Daher müssen die einzelnen Landesparteien sich über diese Politik viel mehr unterrichten lassen, und zwar müssen sie sich durch ihre Bundestagsabgeordneten davon unterrichten lassen. Das sind die berufenen Vertreter, die müssen sie sich regelmäßig heranholen, und von denen müssen sie sich regelmäßig Bericht erstatten lassen. Wenn das geschieht, dann werden sie einen ganz anderen Eindruck von der Arbeit bekommen, die hier in Bonn geleistet worden ist und die vornehmlich unter Führung der CDU/CSU geleistet worden ist. Die Zeitungen können das nicht immer bringen. Das gesprochene Wort ist auch immer viel kraftvoller und viel lebendiger als das gedruckte Wort. Die enge Fühlung der Landesparteien mit den Bundestagsabgeordneten ist eine unbedingte Notwendigkeit, und sie muss regelmäßig und zielsicher gepflegt werden.

Nun lassen Sie mich, da meine Zeit und auch Ihre schließlich bemessen ist, zu einem kurzen Überblick über die innenpolitische Situation übergehen. Da möchte ich Ihnen zunächst einmal aus einem Bericht, den die Bundesregierung zu Ende des Jahres über ihre Tätigkeit im Jahre 1950 herausgegeben hat, einige Zahlen sagen. Dieser Bericht wird übrigens allen Kreisvorsitzenden und Kreisgeschäftsstellen demnächst zugehen. Er bietet wirklich eine Fundgrube, um die Behauptungen der Gegenseite, dass wir nicht sozial seien - ich greife das zunächst einmal heraus -, zu entkräften. Im Haushaltsjahr des Bundes von 1950, das also mit dem 1. April 1950 begonnen hat und mit dem 31. März 1951 zu Ende geht, sind für Sozialleistungen 5,3 Milliarden DM eingesetzt. Das bedeutet, dass 40% des gesamten Etats für Sozialleistungen vorgesehen sind. Für Besatzungszwecke sind etwas über 4 Milliarden DM vorgesehen. Für Sozialleistungen und für die Besatzung sind also 9,5 Milliarden DM vorgesehen, das sind fast 80% der gesamten Leistungen. Von diesen 5,3 Milliarden DM fallen rund 590 Millionen DM auf fürsorgerische Maßnahmen für Heimatvertriebene, Heimkehrer, Evakuierte usw., 300 Millionen DM für verdrängte Beamte nach Art. 131 GG und 150 Millionen DM für ehemalige Wehrmachtangehörige. Und nun hören Sie, was für Kriegsbeschädigte aufgebracht wird. Im Jahre 1949 haben die Länder für Kriegsbeschädigte insgesamt 1,9 Milliarden DM aufgebracht. Der Bund bringt im Jahre 1950 für die Kriegsbeschädigten 3,3 Milliarden DM auf. Bitte, beachten Sie das wohl: die Länder hatten in dem Jahr vorher insgesamt 1,9 Milliarden DM aufgebracht, der Bund bringt im ersten Jahre seines Bestehens für die Kriegsbeschädigten 3,3 Milliarden DM auf. Und, meine Freunde - wir sprechen ja hier unter uns, und, wenn etwas an die Öffentlichkeit kommt, dann müssen Sie, Herr Johnen, dafür sorgen, dass das nur mit Auswahl geschieht -, bei uns im Bundesgebiet bekommt der Durchschnittskriegsbeschädigte doppelt soviel wie in Frankreich der dortige Kriegsbeschädigte. Umgerechnet auf den Status der Währung doppelt soviel! Für Arbeitslosenfürsorge brauchen wir in diesem Jahr rund 1,1 Milliarden DM und für Renten- und Knappschaftsversicherungen 730 Millionen DM. Wenn Sie sich diese Ziffern vor Augen halten, wonach der Bund im ersten Jahr seines Bestehens eine so ungeheure Summe für Sozialleistungen aufwendet, wird doch nun wirklich keiner behaupten können, wir seien eine kapitalistische Regierung, die kein soziales Empfinden hätte.

Ich möchte Ihnen aber auch einige Ziffern aus dem wirtschaftlichen Gebiet geben. Denn letzten Endes ist ja doch die beste soziale Sorge, die ein Staat seinen Einwohnern angedeihen lassen kann, die Sorge, dass sie Arbeit, Brot und Verdienst haben und dadurch auch zufrieden sind. Der Almosenempfänger und der Unterstützungsempfänger - das liegt in der Natur der Sache - kann niemals zufrieden sein. Das Produktionsvolumen in der Bundesrepublik ist von September 1949 bis November 1950 um 40,4% auf 129,3% gegenüber dem Stand von 1936 gestiegen. Die Produktion pro Kopf der Bevölkerung betrug 1949 gegenüber dem Stand von 1936 74,2%. Sie ist im November 1950 auf 102,1% der Vorkriegszeit gestiegen.

Nun wird, zum Teil mit Recht, zum Teil übertrieben, so furchtbar über die Teuerung geklagt. Diese Teuerung beruht zum Teil auf uns unvermeidbaren Tatsachen, auf der Steigerung der Weltmarktpreise. Wir müssen natürlich für Wolle und sonstige Dinge die Weltmarktpreise zahlen. Trotzdem lagen Mitte November 1950 die Indexziffern der Lebenshaltungskosten 3,4% unter dem Niveau vom September 1949. Das Ausfuhrvolumen ist von Oktober 1949 bis 1950 um 187% gestiegen. Das gilt vor allem für die Fertigwaren.

Ich will Sie nicht weiter mit Ziffern behelligen, ich möchte nur noch die Ziffern des Wohnungsbaus anführen. Wir werden in dem einen Jahr auf 330 bis 350.000 Wohnungen kommen. Wir stehen damit bei weitem an der Spitze der europäischen Länder, wenn Sie bedenken, dass Frankreich in dem gleichen Jahre 50.000 Wohnungen baut und wir 350.000 Wohnungen. Wir bleiben damit nur wenig hinter der Zahl der Wohnungen zurück, die in den reichen Vereinigten Staaten von Nordamerika hergestellt werden. Sie werden mir zugeben, das ist für den Bundestag, für die Bundesregierung und für das deutsche Volk eine ganz großartige Leistung, die in diesem ersten Jahre der Bundesrepublik Deutschland vollbracht worden ist. Selbstverständlich leben wir nicht im Paradies und werden niemals im Paradies leben. Selbstverständlich haben wir noch Ziele vor uns, die weit entfernt sind. Aber, meine Freunde, man muss doch nicht immer nur nach den Bergen weit weg sehen, die man einmal zu erreichen hofft, sondern man soll doch auch einmal auf den Punkt sehen, von dem aus man den Wiederaufstieg begonnen hat, und soll auch bedenken, dass die Strecke, die man zurückgelegt hat, etwas Großes ist, wenn man sie an der Tiefe des Punktes bemisst, von dem aus man den Weg angetreten hat. Sie können sich effektiv mit aller Phantasie keine Vorstellung davon machen, wie unendlich schwer es ist, bei diesem Zustand Deutschlands einen Bund zu schaffen. Es ist noch schwerer gewesen, als seinerzeit die Aufgabe der Länderregierungen gewesen ist, als diese eingesetzt wurden, und zwar deswegen so viel schwieriger, weil in der Zwischenzeit die Länder in ihrem Bestehen eine gewisse Selbständigkeit erreicht hatten, vor allem aber deswegen, weil wir - und das gilt für jeden von uns - im Jahre 1945 und im Jahre 1946 mit bescheidenen Erfolgen hoch zufrieden waren, während das deutsche Volk in seiner übergroßen Menge heute, im Jahre 1951 - nehmen Sie mir den Ausdruck nicht übel - den Hals nicht voll genug bekommen kann.

(Zustimmung.)

Diese Maßlosigkeit in unseren Ansprüchen ist unbeschreiblich und ist ein schwerer Schaden für das deutsche Volk. Das ist psychologisch vielleicht zu erklären aus all dem, was das deutsche Volk in den vergangenen Jahren hat entbehren müssen - dann möchte man gern nachholen -, und auch im Hinblick auf die Ungewissheit der Zukunft, die viele, allzu viele, dazu veranlasst, zu sagen: Ich will den Augenblick genießen, koste es, was es wolle; ich weiß nicht, ob ich morgen überhaupt noch am Leben bin. Aber aus diesen beiden Wurzeln heraus ist in unserer deutschen Bevölkerung eine Höhe der Ansprüche entstanden, die wirklich nicht erfüllt werden kann,

(Sehr richtig!)

und die von keiner Regierung erfüllt werden kann. Von diesen Ansprüchen müssen wir wieder herunterkommen und werden wir wieder herunterkommen. Die Gewalt der Tatsachen wird uns dazu zwingen.

Ich will Sie jetzt nicht mit den Einzelheiten der Arbeit aufhalten. Aber ich möchte hier doch erwähnen, was Herr Bundestagspräsident Ehlers in einer Bundestagssitzung in dieser Woche von unserem Freund Etzel, den Sie ja alle kennen, gesagt hat. Herr Etzel ist - wie mancher andere schon aus unserem Kreise - buchstäblich unter der Fülle der Arbeit, die auf ihm gelastet hat, zusammengebrochen, und zwar sehr ernst. Wir hoffen, dass er sich wieder erholen wird. Aber es sah zeitweise sehr ernst und sehr böse aus. Herr Ehlers hat, als er am Mittwoch dem Bundestag von dieser Erkrankung Kunde gab, auf Herrn Etzel als Beispiel dafür hingewiesen, wie falsch und wie nichtsnutzig das Gerede, Geraune und Getadele im Volke ist, als wenn hier in Bonn nichts getan würde, als wenn die Leute nur ein gutes Leben führten.

(Sehr gut!)

Das ist einfach eine krasse Lüge. Ich sage immer wieder - und zwar gilt das sowohl für den Bundestag und die Bundestagsabgeordneten wie auch für die Bundesministerien -, sie sollten ein langsameres Tempo in ihren Arbeiten anschlagen. Sicher, die Fülle der Aufgaben ist unendlich groß. Aber auch Bäume und alles wachsen nur allmählich. Es ist viel besser, man macht eine gute und solide Arbeit etwas langsamer und strapaziert die Nerven der Mitarbeiter nicht so sehr, wie es jetzt geschieht. Ich betone das hier in diesem Kreise ausdrücklich, damit Sie allen denen, mit denen Sie zusammenkommen, sagen können: in Bonn wird mit der größten Hingabe, der größten Gewissenhaftigkeit und dem größten Eifer von allen gearbeitet, die hierbei etwas zu tun haben. Ob die Arbeit immer prima ist, das ist eine Frage für sich; da kann man wohl oft verschiedener Meinung sein. Aber dass hier mit dem größten Fleiß und mit dem größten Ernst gearbeitet wird, das ist absolut sicher.

Welche Aufgaben stehen uns nun auf innenpolitischem Gebiete demnächst bevor? Es sind sehr große Aufgaben. Wir haben zunächst den Lastenausgleich. Bei der Fassung dieses Entwurfs hat eine sehr enge Fühlung zwischen der Bundesregierung, den zuständigen Ministerien, dem Kabinett und den beteiligten Verbänden und auch Mitgliedern der Koalitionsfraktionen bestanden. Es scheint, als wenn der Entwurf des Lastenausgleichsgesetzes doch auch bei den Betroffenen eine bessere Aufnahme gefunden hat, als man zunächst nach dem Vorgeschrei hätte erwarten können. Denn die Stimmen der Kritik sind gemäßigt, namentlich wenn man bedenkt, um welch unendlich schwierige Materie es sich dabei handelt.

Nach dem Lastenausgleich kommt jetzt das Mitbestimmungsrecht. Darüber möchte ich hier einige Worte, aber mit allem Vorbehalt und auch mit einer gewissen Zurückhaltung deswegen sagen, weil ja zwischen dem Vorsitzenden des DGB, Herrn Böckler, und mir vorgestern eine längere, sehr offene Aussprache unter vier Augen stattgefunden hat und weil in der nächsten Woche Verhandlungen zwischen einer Kommission des DGB und einem Ausschuss von Unternehmern, das Ganze unter meiner Leitung, folgen werden. Solange diese Verhandlungen schweben - und zwar, wie ich glaube, mit Aussicht auf Erfolg -, muss man natürlich alles vermeiden, was dazu beitragen könnte, die Stimmung zu verderben. Denn bei allen diesen Fragen spielt, wie überhaupt in der Politik, das psychologische Moment eine sehr entscheidende und wichtige Rolle, hier vor allem. Trotzdem möchte ich doch hier folgendes sagen. Meine Meinung über die Arbeitskündigungen - Sie können es auch Streik nennen - habe ich in dem Briefwechsel mit Herrn Dr. Böckler - Sie kennen den Briefwechsel - zum Ausdruck gebracht. Ich bin in dem Gespräch, das ich mit Herrn Böckler geführt habe, auf diese Seite der Angelegenheit überhaupt nicht eingegangen. Wir beide haben über die Kündigungen, über Arbeitsniederlegung usw. kein Wort gesprochen, außer einem Wort, das ich Ihnen auch gleich sagen werde. Aber, meine Freunde, ich mache kein Hehl daraus, dass ich es mit dem Bestehen eines demokratischen Staates für unvereinbar halte, wenn irgendeine Organisation in dem Staat, die keine politische Verantwortung vor dem deutschen Volke trägt, sich unterfangen sollte, das gesamte wirtschaftliche Leben zu dem Zweck lahmzulegen, das Parlament zu zwingen, einen bestimmten Gesetzentwurf anzunehmen.

(Lebhafter Beifall.)

Damit hat nach meiner Auffassung, der ich immer ein Freund der Gewerkschaftsbewegung gewesen bin, der DGB sich selbst einen sehr schlechten Dienst erwiesen. Ich hoffe, dass es gelingen wird, über alle diese Sachen hinwegzukommen, damit diese Fragen gar nicht zum Austrag gebracht werden müssen. Aber, wenn es sein müsste, werden, glaube ich, diejenigen, die wirklich auf demokratischem Boden stehen, auf dem Posten sein müssen. Ich danke hier an dieser Stelle unseren Sozialausschüssen, dass sie ihre Ansicht und ihren Standpunkt über diese ganze Sache so tapfer und mannhaft auch öffentlich vertreten haben.

(Beifall.)

Wir werden schon durch die Vermehrung der alliierten Truppen, die noch in diesem Jahr in ziemlich erheblichem Umfang erfolgen wird, mit erheblichen neuen öffentlichen Lasten zu rechnen haben. Wir werden mit umso höheren Lasten zu rechnen haben, wenn das deutsche Volk sich durch den Bundestag entschließt, einen Beitrag zur Verteidigung der westlichen Welt zu leisten. Dadurch werden neue Steuerbelastungen erheblichen Ausmaßes nötig werden. Unsere Partei wird dafür die Hauptverantwortung übernehmen müssen. Ich will Ihnen jetzt keine Ausführungen über die Höhe der Steuern und alle diese Dinge machen; das ist noch zu früh. Ich möchte diese ganze Frage hier nur erwähnen. Ich komme darauf zurück, wenn ich über die äußeren Angelegenheiten spreche, um Ihnen einige der großen und schweren Aufgaben zu zeigen, die die Koalition im Bundestag und die die Bundesregierung hat. Der Lastenausgleich, die neuen Steuern und das Mitbestimmungsrecht sind drei fundamentale Riesensachen. In die Erfüllung dieser Aufgaben müssen wir innerlich gefestigt hereingehen. Es wird nötig sein, dass über diese Aufgaben, namentlich im Zusammenhang mit der Frage der Stellung zur Verteidigung Westeuropas, demnächst durch unsere gesamte Partei in allen Ländern ein Aufklärungsfeldzug startet, wie er nur irgendwie bei der Bundestagswahl gewesen ist. Die Landesparteien, die Kreisparteien usw. werden von uns aus das nötige Material bekommen. Ich bitte Sie, dass Sie, wenn wir so weit sind, an diese ungeheure Arbeit mit dem ganzen Ernst herangehen, der bei dem Ernst der Sachlage verlangt wird. Der Bundestag und unsere Partei im Bundestag kann nicht die Verantwortung auf sich nehmen, wenn er nicht weiß und wenn er nicht fühlt, dass er dabei von seinen Leuten im Lande getragen ist. Dafür müssen Sie, meine Freunde, sorgen. Sie werden von uns das Material bekommen, Sie werden die Redner bekommen. Dann wird Ihre große Aufgabe kommen. Dieser Aufklärungsfeldzug ist genau so wichtig, wenn nicht noch wichtiger, als es die Bundestagswahl im Jahre 1949 gewesen ist. Ich bitte Sie dringend, demnächst mit Ihrer ganzen Kraft daranzugehen.

Lassen Sie mich jetzt noch etwas einschieben. Ich habe eben von Föderalismus gesprochen. Also, meine Damen und Herren, der fundierteste Föderalist im Kabinett ist der Herr Bundesfinanzminister Schäffer. Aber Herrn Schäffer graut es allmählich vor dem Föderalismus, wie er sich allmählich bei uns auszuwachsen droht. Wissen Sie, wir haben in der Frage der Bereitschaftspolizei mit den Ländern Erfahrungen gemacht, wie man sie trauriger überhaupt nicht machen konnte.

(Hört! Hört!)

Ein ganzes Buch haben wir darüber gesammelt. Aber Verständnis dafür, dass die Länder nur Teile eines Ganzen sind und dass kein Land bestehen bleiben wird und bestehen bleiben kann, wenn nicht das Ganze besteht, haben wir kaum irgendwo gefunden. Lassen Sie mich mit aller Offenheit hier sagen, im Bundeskabinett und auch in der Bundestagsfraktion gilt zurzeit als - um keinen anderen Ausdruck zu gebrauchen - der am meisten föderalistisch eingestellte Staat Nordrhein-Westfalen und insbesondere das Kabinett von Nordrhein-Westfalen.

(Hört! Hört!)

Das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Wir werden uns - ich sage das mit allem Freimut - unter Umständen gezwungen sehen - wir haben darüber schon in der letzten Sitzung des Bundeskabinetts gesprochen -, dem Bundestag Gesetze vorzulegen, die den Ländern zunächst gewisse Möglichkeiten nehmen. Ich werde - und ich habe den Auftrag dazu schon gegeben - bei den Hohen Kommissaren den Antrag stellen, dass der Bundesregierung noch auf Grund des unseligen Besatzungsstatuts die Möglichkeit gegeben wird, im Lande für einen Ordnungsdienst zu sorgen. Am letzten Sonntag hat sich im Industriegebiet wieder folgendes abgespielt. Die Bergleute wollten in dieser Zeit der Kohlennot zur Arbeit einfahren. Sie wurden von Kommunisten daran gehindert. Es haben Prügeleien stattgefunden. Obwohl die Polizei vorher benachrichtigt war, ist kein einziger Polizist zur Stelle gewesen.

(Hört! Hört!)

Es ist ja letzten Endes kein Wunder, wenn man weiß, wie die Polizei zustande gekommen ist und wie sie bezahlt wird.

(Sehr richtig!)

Völlig unmögliche Verhältnisse! Aber lassen Sie mich z.B. von Nordrhein-Westfalen folgendes sagen. Wenn Nordrhein-Westfalen erklärt - ich weiß nicht, ob es bis zum Schluss bei diesem Stadium der Erklärungen geblieben ist -, für Nordrhein-Westfalen sei eine Bereitschaftspolizei nicht nötig, dann muss ich doch sagen: Wer das erklärt, der kennt nicht die Zeichen unserer Zeit.

(Flecken: Herr Adenauer, wer hat Ihnen denn das erklärt? Es werden fortgesetzt Tatbestände gesagt, die nicht stimmen. Das stimmt ja alles nicht, was Sie gesagt haben. Das kann man doch nicht unwidersprochen hinnehmen, was Sie gesagt haben. Dann haben Ihre Herren Sie falsch unterrichtet. Es hat doch kein Mensch gesagt, dass Nordrhein-Westfalen keine Bereitschaftspolizei braucht!)

Das ist wohl gesagt worden, Herr Flecken.

(Flecken: Von wem?)

Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung.

(Flecken: Ich möchte das wissen. Ich habe Herrn Lehr x-mal angeboten, man möchte mir Gelegenheit geben, mit Ihnen über die ganze Frage zu sprechen. Die Gelegenheit habe ich nicht bekommen!)

Ich will Ihnen eins sagen und sehen, ob Sie das auch bestreiten. Wir haben hier in der Bundeshauptstadt Bonn eine Polizeimannschaft verlangt. Die sollten wir in Höhe von 600 Mann bekommen. Aber die sollte nicht dem Polizeimann beim Bundesinnenministerium unterstellt werden, sondern die sollte zum Einsatz Nordrhein-Westfalen unterstellt bleiben.

(Flecken: Jawohl!)

Verstehen Sie denn nicht, was das für eine Bundesregierung bedeutet?

(Flecken: Doch! Darüber können wir uns unterhalten. Dann will ich Ihnen die Gegenseite dazu sagen!)

Verstehen Sie das nicht? Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass die Hohen Kommissare, die sich gegenüber meinem Antrag, uns eine Bundespolizei zu geben, im Sommer ablehnend verhalten haben, restlos bekehrt sind durch die Entwicklung, die diese Verhandlungen in der Zwischenzeit nicht nur mit Nordrhein-Westfalen, sondern auch mit anderen Ländern genommen haben. Aber, meine Freunde, seien Sie sich bitte darüber klar - damit komme ich auf das Außenpolitische -, dass die Unterminierung bei uns vom Osten her in immer stärkerer Weise fortschreitet.

(Sehr richtig!)

Nach den letzten Nachrichten, die ich - ich glaube, aus guter Quelle - bekommen habe, werden wir damit zu rechnen haben, dass schon im frühen Frühjahr bei uns, in Italien und in Frankreich kommunistische Unruhen angezettelt werden. Wir können diesen Gefahren nur dann begegnen, wenn wir eine zentrale Gewalt haben, die dem wirklich entgegengesetzt werden kann. Ich kann sehr gut verstehen, was mir Ministerpräsidenten gesagt haben. Sie haben mir gesagt: Wenn es in Nordrhein-Westfalen anfange, dann kann ich doch nicht aus Bayern oder aus Niedersachsen die Polizei nach Nordrhein-Westfalen geben, weil es dann sofort bei mir losgeht. Das ist ganz verständlich. Daraus ergibt sich aber schon, wie notwendig es ist, dass irgendwo eine Truppe bereitgehalten wird, die schlagartig hierhin und dorthin geschickt werden kann, ohne dass die Polizei in den betreffenden Ländern dadurch geschwächt wird.

Die außenpolitische Lage ist im deutschen Volke so verwirrt wie möglich. Es sind folgende Dinge möglich. Demnächst tritt die Vier-Mächte-Konferenz zusammen. Vor vier Monaten wäre von den Westalliierten, ausgenommen von Frankreich, der Zusammentritt einer solchen Vier-Mächte-Konferenz abgelehnt worden. Jetzt werden sie sich das nicht mehr leisten können. Wenn die Vier zusammenkommen, haben Sie folgendes Bild: auf der einen Seite das mehr oder weniger hochgerüstete Russland mit seinen Satellitenstaaten, zu denen neuerdings offensichtlich auch Rotchina mit seinen 400 Millionen Menschen gehört, auf der anderen Seite England und Frankreich. Trotz aller entgegengesetzten Nachrichten: die Atlantikpaktstaaten haben bisher Nennenswertes nicht getan. Alles Papier, alles Konferenzen, eine Konferenz nach der anderen. Nennenswertes haben sie nicht gebracht. Die Vereinigten Staaten haben mit ihrer Aufrüstung nicht in dem Maße begonnen, wie sie es im Sommer gesagt haben. Sie haben zwar die Beschlüsse gefasst, aber sie haben sie nicht in derartigem Maße in die Tat umgesetzt. Jetzt haben sie die Erfolge gesehen und scheinen jetzt in wirklich starkem Tempo aufzurüsten. Aber dasjenige, was sie bisher an personeller und materieller Kraft hatten, geht in Asien restlos verloren. Daher werden die drei Westalliierten auf der Vier-Mächte-Konferenz nur mit Zukunftswechseln dastehen, während auf der anderen Seite Sowjetrussland in einer außerordentlich starken Position dasteht. Unter diesem sehr ungünstigen Aspekt werden sich die Verhandlungen zunächst abspielen. In Frankreich - ich weiß nicht, ob hier Presse zugegen ist; aber mit aller Vorsicht, bitte! - sind im Quai d' Orsay noch gewisse Kräfte vorhanden, die von der alten französischen Konzeption, dass Deutschland der Erbfeind sei, der von Russland auf der einen Seite und von Frankreich auf der anderen Seite eingekreist werden müsse, nicht loskommen. Dieser Konzeption lag ja noch der Freundschaftsvertrag mit Russland zugrunde, der damals im Jahre 1944 von Bidault geschlossen worden ist. Diese Kreise sehen auch mit großer Sorge einer etwaigen Wiedervereinigung der beiden Hälften Deutschlands entgegen. Der Verteidigungsminister Moch, der ja wahrend der ganzen Monate ein böses Spiel gespielt hat, hat in der französischen Kammer ganz offen gesagt, er sei gegen eine deutsche Beteiligung, weil er fürchte, dass dann Deutschland darauf dringen würde, dass der Osten wieder mit dem Westen vereinigt wird. In diesen Kreisen des Quai d' Orsay hat der Gedanke Freunde, sogar starke Freunde, dass es eigentlich die beste Lösung sei, wenn Deutschland neutralisiert und demilitarisiert werde. Und in unserem Lande gibt es Leute, die unklug und unüberlegt genug sind, darin wirklich eine Lösung der ganzen Schwierigkeiten zu sehen. Zu meinem Schrecken habe ich in einer der letzten Nummern der New-York-Times - Sie kennen die Bedeutung dieses Blattes; es ist die bedeutungsvollste Zeitung in den Vereinigten Staaten - ähnliche Ausführungen gelesen. Was es für uns bedeuten würde, wenn es dazu käme, kann sich jeder an den fünf Fingern abzählen. Hier läge das Deutschland, das völlig waffenlos und neutralisiert sein würde, dort läge das starke Russland mit seinen Satellitenstaaten, und hier läge der übrige Teil von Westeuropa, darunter Frankreich, kraftlos. Dieses Land würde - das ist so sicher, wie morgen wieder die Sonne aufgeht - in einer verhältnismäßig kurzen Zeit vollständig in das Kraftfeld Russlands kommen. Wir würden ebenfalls in einer verhältnismäßig kurzen Zeit in dieser oder jener Form - das kann man jetzt noch nicht sagen - der russischen Macht in die Hand gegeben sein, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben würden. Die Meinung mancher Franzosen, dass dieses Sowjetrussland dann Frankreich unbehelligt lassen würde, ist natürlich Unsinn. In Frankreich sind jetzt schon 30% Kommunisten, in Italien ebenso, und wenn der Kommunismus Sowjetrusslands seine Herrschaft hier auf Deutschland ausgedehnt hat, dann wird der übrige Teil Europas ganz schnell folgen. Dann wird das eintreten, was ich eingangs angedeutet habe, dann ist es mit dem Christentum in Europa zu Ende. Unter der Herrschaft Asiens gibt es kein Christentum in Europa. Nun bitte ich Sie, sich diese Folgen einmal für die christlichen Kirchen, auch für die katholische Kirche vorzustellen. Dass dann der Vatikan noch bleiben könnte, scheint mir ziemlich ausgeschlossen zu sein. Denn wir würden dann in Europa nichts anderes sein als ein Anhängsel dieses bolschewistischen Asiens. Das ist nach meiner Auffassung die Folge einer Neutralitätspolitik. Es gibt für ein Land eine wirksame und wirkliche Neutralität nur, wenn es so stark bewaffnet ist, dass es diese Neutralität gegenüber jedermann zu verteidigen in der Lage ist. Wenn es dazu nicht in der Lage ist, wenn mitten im Herzen von Europa ein Vakuum geschaffen würde, würde es von Russland her ausgefüllt werden. Daran ist überhaupt nicht zu zweifeln.

Unter diesem Gesichtspunkt müssen Sie auch den Grotewohl-Brief und die Antwort, die wir geben werden, betrachten. Der Grotewohl-Brief ist natürlich nichts anderes als ein Propagandastück. Der Grotewohl-Brief ist auf Beschluss der Kominform geschrieben worden, weil man bei der Vier-Mächte-Konferenz in Verhandlungen zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland sein wollte und so den Westalliierten sagen wollte: Wir sind in Verhandlungen mit Gesamtdeutschland, um dadurch dem Gedanken einer Vereinigung der beiden Teile von Deutschland zu einem neutralisierten Land auf dieser Konferenz Vorschub zu leisten. Ich will Sie hier nicht lange mit der Stellung der SED-Regierung uns gegenüber aufhalten. Ich möchte nur zwei Fakten hervorheben. Am 30. November haben wir den Grotewohl-Brief bekommen, in dem freie Wahlen usw. verlangt wurden. Am 15. Oktober, sechs Wochen vorher, war die Wahlfarce in Ostdeutschland, bei der nur nach Einheitsliste gewählt werden durfte. In sechs Wochen ist eine solche Umwandlung zu demokratischem Denken und Fühlen in der Ostzone vor sich gegangen! Und am 13. Dezember, vierzehn Tage nach dem Grotewohl-Brief, hat man in der Ostzone das Gesetz beschlossen, das man fälschlicherweise Gesetz zum Schutze des Friedens genannt hat, ein Gesetz, das jede Kritik der Regierung mit den schwersten Strafen, z.B. Vermögenskonfiskation, bedrohte, und in dem sich der Paragraph findet, dass dieses Gesetz auch auf Deutsche anwendbar ist, die außerhalb der Sowjetzone wohnen, also mit anderen Worten, auf uns alle miteinander hier. Genau vierzehn Tage, nachdem man uns diesen Brief geschickt hat! Daraus ergibt sich ja nun ohne weiteres, wie dieser Brief zu betrachten ist.

Nun haben wir nicht sofort geantwortet. Das hat mehrere Gründe. Ein wesentlicher Grund ist der folgende. Herr Dr. Schumacher, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, hat, nachdem der Grotewohl-Brief hier eingegangen ist, sofort der Presse erklärt, der Brief darf überhaupt nicht beantwortet werden. Kurze Zeit darauf hat er erklärt, er darf nicht beantwortet werden, ehe die Vierer-Konferenz gewesen ist. Nun muss uns, namentlich mir als Adressaten dieses Briefes, ja doch daran liegen, dass die Beantwortung des Briefes von der weit überwiegenden Mehrheit des Bundestages und damit des deutschen Volkes unter Einschluss der Sozialdemokratie getragen wird. Ich musste deswegen einige Wochen warten, bis diese Erklärungen Herrn Schumachers etwas verblasst und in den Hintergrund getreten waren. Das ist der höchst einfache Grund, warum wir so lange gezögert haben. Das ist aber ein Grund, den man der Öffentlichkeit natürlich nicht mitteilen kann.

(Zuruf.)

Das kann man der Öffentlichkeit nicht mitteilen. Denn wenn man es der Öffentlichkeit mitteilen würde, würde sofort die Sozialdemokratie den Standpunkt Schumachers einnehmen (?).

Wir sind aber jetzt so weit. In der vergangenen Woche sind wir so weit gekommen, dass die Antwort an Grotewohl auch von der Sozialdemokratie als richtig betrachtet wird. Sie wird nächsten Montag in einer Pressekonferenz um ein halb 1 Uhr von mir der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Sie wird ziemlich ausführlich sein. Sie werden verstehen, dass ich Ihnen jetzt keine näheren Angaben daraus machen darf. Aber wenn die Antwort der Öffentlichkeit übergeben ist, dann wird es auch nötig sein, dass die ganze Angelegenheit in der Öffentlichkeit in der richtigen Weise betrachtet wird, damit nicht aus der Idee heraus, unter allen Umständen muss die Einheit Deutschlands wieder hergestellt werden, gegen die von uns zu verfolgende Politik Kapital geschlagen wird.

Damit komme ich hinsichtlich der Außenpolitik auf den wichtigsten Punkt, nämlich die Frage der Leistung eines deutschen Beitrages. Sie werden heute Morgen in den Zeitungen den Inhalt der Rede gelesen haben, die Kirkpatrick gestern in Hamburg gehalten hat. Ich bin von der Rede sehr überrascht gewesen. Ich habe vorher nichts davon gewusst. Man hat noch nicht den genauen Wortlaut. Vielleicht hat Kirkpatrick, der im allgemeinen einen guten Überblick über die deutschen Verhältnisse hat und der auch uns Deutschen gegenüber durchaus wohlwollend gesinnt ist, geglaubt, gegenüber all diesem Gerede und Geraune in Deutschland etwas sagen zu müssen, auch gegenüber solchen Gruppen, wie sie sich nun einmal zusammengefunden haben, auch wenn es nachher abgeleugnet wird, Niemöller, Gereke, Noack, Heinemann. Er hat es vielleicht auch deswegen getan - und da möchte ich mich gerade an meine evangelischen Freunde wenden -, weil gestern und vorgestern in Potsdam der Rat der Evangelischen Kirche zusammengetreten ist, um über diese Frage ebenfalls einen Beschluss zu fassen. Vor einigen Tagen ist bei mir ein angesehenes Mitglied der Evangelischen Kirche Ostdeutschlands gewesen, um, wie er selber sagte, im Auftrage eines der dortigen Ministerpräsidenten bei mir Schritte zu tun, damit ein Gespräch zwischen den Vertretern der SED-Zone und mir zustande käme. Sie wissen auch, dass Herr Bischof Dibelius zwar erklärt hat, dass er an der Veröffentlichung in dem evangelischen Blatt, das Haus des Bischofs Dibelius stehe Herrn Grotewohl und mir zu Verhandlungen zur Verfügung, unbeteiligt sei, dass er aber erklärt hat, er stehe zur Verfügung. Ich lese heute Morgen in der Zeitung, dass der Rat der Evangelischen Kirche einen Beschluss gefasst hat, in dem er, wenn ich es richtig behalten habe, erklärt, er begrüße das. Vielleicht hat es Kirkpatrick aus diesen Gründen für notwendig gehalten, ein so starkes Wort zu sprechen, wie er es gesprochen hat.

Meine Meinung zu der ganzen Sache ist folgende. Das ist auch die Meinung des Kabinetts und, ich glaube, auch die Meinung des überwiegenden Teils des Bundestags, nicht nur der Koalition. Wir stehen im Lager des Westens. Wir wollen, dass bei der Vierer-Konferenz nicht über unser Schicksal ohne uns entschieden wird. Ich habe z.B. einem der hohen Kommissare gesagt: Seien Sie sich bitte völlig darüber klar, dass wir nicht mehr zur Zeit der Konferenz von Potsdam leben, sondern im Jahre 1951, und dass das, was Sie auf dieser Vierer-Konferenz über uns beschließen, nicht durchgeführt werden kann, ohne dass wir mittun. Wir stehen also im Lager des Westens. Wir werden nicht ertragen können, dass auf der Vierer-Konferenz über uns in einer Weise entschieden wird, die wir nicht ertragen können. Wir müssen auch bereit sein, meine Damen und Herren, einen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas zu leisten,

(Sehr richtig!)

allerdings unter gewissen Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen möchte ich Ihnen vertraulich - nicht für die Presse bestimmt -, so wie ich sie für richtig halte, sagen. Erstens: das Besatzungsrecht muss durch Vertragsrecht ersetzt werden. Das hat zur Folge, dass die hohe Kommission verschwinden muss und an die Stelle der Hohen Kommissare Botschafter treten müssen, ebenso wie wir das Recht bekommen müssen, Botschafter in die drei westlichen Hauptstädte zu schicken. Drittens: Unsere etwaigen Truppenkontingente müssen den anderen gleichgestellt sein, insbesondere müssen wir sofort eine entsprechende Vertretung im Stab des Generals Eisenhower haben. Viertens: es darf uns nichts zugemutet werden, was unsere finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigt. Daher werden wir zwar in der steuerlichen Beanspruchung des deutschen Volkes bis an die äußerste Grenze gehen müssen. Aber dann muss unter Berücksichtigung der ganzen finanziellen Situation geprüft werden, inwieweit wir noch leistungsfähig sind. Dabei muss beachtet werden, dass wir unsere wichtigsten sozialen Aufgaben weiter erfüllen können und erfüllen müssen. Soweit wir dazu nicht in der Lage sind, werden wir genau wie Italien und wie Frankreich eben Zuschüsse von Amerika bekommen müssen. Das werden im Wesentlichen die Voraussetzungen sein. Wann wir so weit sein werden, mit dieser ganzen Sache an die Öffentlichkeit zu treten, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Es wird uns aber auch mitgeteilt werden müssen, welches die militärischen Pläne der Westalliierten in Bezug auf Westeuropa sind. Denn wir können nur dann Deutschen zumuten, mitzutun, wenn dieses Mittun Aussicht auf Erfolg hat, d.h. wenn eine militärische Macht aufgebaut wird, von der man wirklich annehmen kann, dass sie im Ernstfall einen Damm gegenüber russischen Angriffen bilden wird.

Ein wesentlicher Punkt, der uns bisher in der Öffentlichkeit außerordentlich beschäftigt hat, scheint so geklärt worden zu sein, dass wir darüber keine Besorgnis mehr zu haben brauchen. Und zwar betrifft das die Formation der deutschen Truppenkontingente. Sie wissen, dass in Brüssel von Kampfgruppen von etwa 6.000 Mann gesprochen worden ist. Ich glaube, man kann annehmen, dass diese ganze Frage schließlich so geregelt wird, dass die deutschen Truppenkontingente sich von den Truppenkontingenten der anderen Staaten und Länder nicht unterscheiden werden. Wie es mit dem Aufbau der gesamten Macht der Westalliierten hier steht, wird sich wohl erst entscheiden lassen, wenn der General Eisenhower seine Inspektionsreise beendet hat und nach den Vereinigten Staaten zurückgekehrt ist. In diesem Zusammenhang muss ich in Ihr Gedächtnis zurückrufen, dass in den Vereinigten Staaten zuerst Hoover und dann in geschickterer Weise Taft die Auffassung vertreten hat, es sollten keine Truppen nach Europa geschickt werden. Hoover hat es etwas ungeschickt gesagt. Taft hat es insofern geschickter gesagt, als er der öffentlichen Meinung in den Vereinigten [Staaten], die sehr gegen den Kommunismus eingestellt ist, entgegengekommen ist, indem er an die Spitze seiner Ausführungen gestellt hat, dass nach wie vor der Kampf gegen den Kommunismus eine der größten Aufgaben der Vereinigten Staaten sei. Der amerikanische Hohe Kommissar hat mich, schon ehe Taft gesprochen hat, darauf aufmerksam gemacht, dass diese Frage: Entsendung amerikanischer Truppen nach Europa oder nicht, während der ersten drei Monate dieses Jahres im Kongress zur Entscheidung kommen wird. Er hat mir das vor etwa zehn Tagen gesagt. Was sich seit diesen zehn Tagen ereignet hat, hat ihm ja Recht gegeben. Er hat mir gesagt: Das Echo der Rede Hoovers im Lande wird im Kongress jetzt widertönen, und der Kongress wird sich dann über diese Frage entscheiden müssen. Es ist wohl ganz zweifellos, dass der Bericht, den Eisenhower über seine europäische Reise erstatten wird, die Entscheidung in den Vereinigten Staaten sehr wesentlich beeinflussen wird. Aus dem gleichen Grunde - und jetzt komme ich auf die Streikandrohung zurück - wäre es in höchstem Maße unerwünscht, wenn jetzt während dieser entscheidungsvollen Wochen tatsächlich ein Streik im Bergbau und in der Eisenwirtschaft ausbräche.

Das würde natürlich höchst üble Komplikationen bei uns zur Folge haben und würde durchaus geeignet sein, den Eindruck, den man in gewissen Teilen der Vereinigten Staaten von der inneren Lage des deutschen Volkes hat, zu unseren Ungunsten weiter zu verschlimmern.

Es ist hier in der deutschen Presse - soviel ich wenigstens habe sehen können - nicht bekannt geworden, dass Eisenhower drüben in den Vereinigten Staaten einige nicht sehr freundliche Bemerkungen über das deutsche Volk gemacht hat.

(Zuruf: Das steht ja in seinem Buch geschrieben!)

Das Buch liegt weiter zurück. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich daran ein Wort anknüpfen; ich fahre dann gleich fort. Eisenhower war der Hauptanführer gegen uns. Wenn wir aber jetzt nachrechnen wollen und daran anknüpfen wollen, was er in dieser seiner Eigenschaft gesagt hat, dann, meine Damen und Herren, kann ich den anderen nicht übel nehmen, wenn sie an das anknüpfen, was die nationalsozialistische Regierung auch einmal gegen die anderen gesagt hat. Wenn wir nicht einmal aufhören - das gilt für alle Beteiligten - mit dem Nachrechnen und mit dem Nachforschen der Vergangenheit und darüber, was dieser oder jener gesagt hat, dann, meine Damen und Herren, verkrampfen wir uns immer mehr in der Vergangenheit und werden immer unfähiger, der neuen Situation gegenüberzutreten.

(Sehr gut!)

Darum, meine ich, sollte man Schluss damit machen. Es hat buchstäblich ein neues Kapitel der Geschichte angefangen. Das erste Blatt dieser Geschichte ist noch nicht geschrieben. Wir wollen es nicht mit Erinnerungen an die Vergangenheit beschreiben.

(Sehr richtig!)

Ich wiederhole, meine Damen und Herren: es wird von größter Bedeutung sein, mit welchen Eindrücken Eisenhower in die Vereinigten Staaten zurückfährt. Darum gewinnt das Zusammenstehen mit der Sozialdemokratie bei der Beantwortung des Grotewohl-Briefes eine noch größere Bedeutung, als es sonst schon hätte, weil nämlich, wenn wir uns mit der Sozialdemokratie nicht darüber geeinigt hätten, die Aussichten für ein Zusammenstehen bei der Entscheidung der wichtigsten Frage, der Leistung eines deutschen Beitrages, noch unendlich schwieriger geworden wären. Die nächsten Wochen, meine Freunde, werden also diese Entscheidung des deutschen Volkes erfordern.

Nun stellt sich die Sache nicht so dar, dass, wenn etwa die Mehrheit des deutschen Volkes sich auf den Standpunkt stellt: „ohne mich!" oder „wir tun nicht mit!" oder wie all die schönen Ausdrücke heißen, die Amerikaner am Tage darauf mit klingendem Spiel abrücken. Das halte ich für ausgeschlossen. Aber bei dem Zusammentritt der Viererkonferenz würde dann die Situation so liegen, dass auf der einen Seite dieses Russland steht, wie ich es eben geschildert habe, auf der anderen Seite das dekadente und in sich verfallende Europa, und das deutsche Volk sagt: „Ja sicher, ich will frei sein, aber ich will keine Opfer dafür bringen!" Dann würde man es den Amerikanern wirklich nicht übel nehmen können, wenn sie sagen würden: „Ja, wenn ihr keine Opfer für Europas Freiheit bringen wollt, dann werden wir auch keine Opfer bringen!", und dann auf unserem Rücken irgendeine Verständigung mit Sowjetrussland herbeiführen würden. Das steht zu befürchten, falls das deutsche Volk nicht mehr die Kraft in sich fühlt, zu erklären: Ja, ich bin bereit, für die Freiheit Westeuropas, wenn es Not tut, wirkliche Opfer zu bringen!

Nun glaube ich für meine Person, meine Damen und Herren, wenn die Vereinigten Staaten und Westeuropa einschließlich Deutschland wirklich zusammenstehen, werden wir keinen Krieg bekommen.

Russland hat natürlich auch seine Engpässe, und Russland ist vor allem ein sehr vorsichtiges Land. Es möchte uns haben, aber es möchte natürlich keine verbrannte Erde haben. Damit kann es nichts anfangen. Wenn es etwa zu irgend einem Kriege kommen sollte, ohne dass der Westen aufgerüstet und bereit ist, den Angriff aufzuhalten, dann steht ja ganz außer Zweifel, dass bei uns das gleiche passieren würde, was beim Rückzug in Korea ebenfalls erfolgt ist, d.h. dass die zurückziehenden Truppen keinen Stein auf dem anderen lassen. Mit einem solchen Land, das so total verwüstet ist, kann der Russe auch nichts anfangen.

Aber wenn Sie die russische Politik seit 1945 verfolgen und dabei sehen, wie Russland seit 1945 ganz zielbewusst durch Geduld und durch Zeigen von Macht - es hat selbst seine Macht gar nicht eingesetzt - es erreicht hat, alle diese Satellitenstaaten zu bekommen und jetzt Rotchina in seinen Bann zu kriegen, dann werden Sie mit mir der Auffassung sein müssen, dass Russland nach diesem bewährten Rezept wird weiter verfahren wollen. Es hat ja bisher schon in den letzten Monaten - zum Teil hängt das mit dem Misserfolg der Amerikaner in Korea zusammen - gewisse Erfolge in der Bundesrepublik Deutschland in der Stimmung der Bevölkerung erreicht.

(Sehr richtig!)

Also ich glaube nicht unmittelbar an eine Kriegsgefahr, und ich glaube, dass sich dann, wenn Sowjetrussland sieht, dass die Westalliierten einschließlich Deutschland wirklich entschlossen sind, unter allen Umständen Widerstand zu leisten, eines Tages auch ein echtes Friedensgespräch zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Sowjetrussland anbahnen wird; wann, wissen wir nicht. Aber das eine wissen wir ganz genau: dass gegenüber Sowjetrussland das Dümmste und Verderblichste ist, nichts zu tun, sondern die Dinge laufen zu lassen;

(Richtig!)

denn dann werden wir geschluckt werden. Insofern hat Kirkpatrick auch Recht, wenn er hier nach diesem Referat sagt, dass die Deutschen einen so merkwürdigen Eindruck machten; sie befeindeten sich mit allen: sie wollen nicht russisch werden, ja, sie wollen aber auch nicht mit den Westalliierten gehen. Was sie eigentlich wollen - der Himmel weiß es. Manchmal fragt man sich: sind sich manche Leute klar, wer eigentlich den Krieg verloren hat? Die Frage habe ich mir neulich in dem Ausschuss des Bundestages für Auswärtige Angelegenheiten wahrhaftig gestellt. Ich habe sie nur nicht laut gesagt, um die Leute da nicht vor den Kopf zu stoßen.

(Sehr richtig!)

Aber es ist wirklich so: wenn man die Dinge verfolgt, wenn man sieht, wie bei uns die Meinungen hin- und hergehen, hat man den Eindruck, die Leute sind entweder blind - oder wollen blind sein oder es ist ihnen alles gleichgültig geworden. Gegen diese verhängnisvolle defaitistische Stimmung werden wir ebenfalls mit aller Kraft angehen müssen. Das wird ein ganz großer Propagandafeldzug werden müssen.

An das, was ich gesagt habe, meine Freunde, lassen Sie mich hier in diesem Kreise noch folgendes anknüpfen. Die Reaktion gegen die Agitation Niemöller-Heinemann ist natürlich auch auf katholischer Seite groß, und ich beobachte diese Vorgänge fortgesetzt mit einer tiefen inneren Besorgnis. Nicht nur als Christ, nicht nur als Katholik, sondern auch als Deutscher. Denn wenn wir - was Gott verhüten möge - wieder in die beiden christlichen Konfessionen auseinanderfallen sollten, dann wird der Graben tiefer werden, als er jemals vorher gewesen ist. Nun darf ich Ihnen hier sagen, welche Meinung der Niemöller vertritt. Er hat drei Leuten von uns gegenüber, die ich jetzt nicht mit Namen nennen möchte, erklärt: Der Kanzler ist der Beauftragte des Vatikans. Zwischen dem Vatikan und Washington ist vereinbart worden, dass die 18 Millionen deutscher Protestanten dem Bolschewismus überantwortet werden, damit der deutsche Protestantismus ausgerottet wird. - Das hat er gegenüber evangelischen Herren fast wörtlich so erklärt.

Ich weiß nicht, ob hier Freunde sind, die zu Herrn Heinemann nähere Beziehungen unterhalten. Wenn sie hier sein sollten, dann, meine ich, sollten sie ihm doch nahe legen, dass er sich jetzt von diesen Leuten distanziert. Es ist ganz unmöglich, meine Freunde, dass die Dinge so weitergehen, dass ein Mann, der doch ein angesehener Mann in unserer Partei ist, derartige Gespräche führt, auch wenn sie nachher wieder dementiert werden; es bleibt immer etwas von der Sache hängen, und er schadet der Sache der CDU ganz außerordentlich.

Ich möchte mit dem schließen, was ich zu Anfang gesagt habe: Wir haben im Jahre 1951 eine ungeheuere Verantwortung zu tragen. Unsere Partei ist in der Koalition die führende Partei. Wenn wir festbleiben, nicht schwanken, eine klare Linie verfolgen, dann werden wir nicht nur bei den Westalliierten Bundesgenossen in unserer Verteidigung gegenüber dem Osten haben; wir werden auch die Sozialdemokratie bei uns haben. Nichts ist schlimmer, als wenn eine Partei Uneinigkeit zeigt. Wir werden auch die Sozialdemokratie an unserer Seite haben; denn die Sozialdemokratie kann gar nicht, wenn eine große Partei wie die unsere sich auf diesen Standpunkt stellt, erklären: wir sind gegen Leistung eines Beitrages! - das kann sie einfach nicht. Es wird sich in diesem Jahr um Sein oder Nichtsein eines freien Deutschland handeln,

(Richtig!)

um Sein oder Nichtsein eines christlichen Deutschland, um Sein oder Nichtsein eines christlichen Europa. Daher brauchen wir, die wir führend in der Partei tätig sind, Ihre Hilfe und Ihrer aller Unterstützung. Und um diese Unterstützung, meine Freunde, bitte ich Sie von ganzem Herzen. Es handelt sich um unendlich viel mehr als um unsere Partei; auch um sie handelt es sich; aber es handelt sich um unendlich viel mehr: um Sein oder Nichtsein alles dessen, was - uns wenigstens - das Leben lebenswert und begehrenswert macht.

Ich habe vor einigen Wochen den Besuch eines ausländischen Diplomaten gehabt, der aus der Tschechoslowakei kam. Er sagte mir - und er belegte das auch mit Beispielen -, dass in der Tschechoslowakei kein Mensch, der nur eine gewisse Achtung vor sich selbst habe, es ertrüge, unter diesem Regime weiterzuleben;

(Sehr richtig!)

und das ist allenthalben so, wo der Russe herrscht. Es ist eben eine ganz andere Anschauung von den Menschen, die von unserer Anschauung über den Wert des Menschen himmelweit verschieden ist.

Daher müssen wir fest bleiben und müssen geschlossen bleiben. Sie müssen uns in den nächsten Wochen und Monaten helfen, damit auch das deutsche Volk erkennt, dass es als deutsches Volk, nicht als Sklavenvolk, nur dann eine Zukunft hat, wenn es entschlossen diesen Weg geht, der - das lassen Sie mich zum Schluss nochmals sagen - mit allergrößter Wahrscheinlichkeit der Weg zur Bewahrung und zur Rettung des Friedens ist.

(Beifall.)

 

Quelle: StBKAH 02.08, Maschinenschriftliches Wortprotokoll.