13. September 2014

Artikel von Ilka Desgranges: „Wo Konrad Adenauer Urlaub machte“

In dem Örtchen Cadenabbia am Comer See erinnert noch immer vieles an den einstigen deutschen Bundeskanzler

Als der Busfahrer plötzlich laut hupt, wissen alle Bescheid: Das ist kein Warnsignal, sondern ein Gruß an George. Den Blick auf seine Villa versperren leider Bäume. George Clooney hat den Comer See noch bekannter gemacht, als er ohnehin war. Derzeit fiebern hier alle seiner Hochzeit mit Amal Alamuddin entgegen. Wir aber kümmern uns nicht um George, wir sind Konrad auf der Spur. Von 1957 bis 1966 verbrachte der deutsche Bundeskanzler Urlaube in Cadenabbia. Die Villa La Collina wurde durch ihn bekannt. Schließlich brachte er, der auch an Urlaubstagen arbeitete, auch viele berühmte (Staats-)Gäste hierher. Manche nannten die Villa deshalb Ersatz-Kanzleramt, hier hat Adenauer auch seine Memoiren geschrieben.

Wenn Heiner Enterich, der Geschäftsführer der Villa, die seit 1977 im Besitz der Konrad-Adenauer-Stiftung ist, Gruppen begrüßt, erzählt er natürlich davon. Und er zitiert aus einem der vielen Gästebücher: „Bundeskanzler muss ein geiler Job gewesen sein – von Cadenabbia aus Deutschland regieren, das könnte ich mir auch gut vorstellen!“ Das hat ein Konrad-Adenauer-Stipendiat geschrieben.

La Collina ist das Ziel von Stipendiaten, von Studiengruppen der Adenauer-Stiftung, sie ist Ort von Tagungen und – was viele nicht wissen – hier kann man auch privat Urlaub machen. Zimmer gibt es in der 1899 erbauten Villa mit wunderbarem Blick auf den See und einem Schwimmbad direkt vor der Tür und in der Accademia Konrad Adenauer, in deren Restaurant Frühstück und Abendessen serviert werden. Die 1990 gebaute Accademia ist auch der Ort für Tagungen, Konferenzen und Fachvorträge. Etwa 600 bis 800 Studienreisende kommen jedes Jahr hierher. Mit 400 bis 500 gibt Geschäftsführer Enterich die Zahl der Individualreisenden jährlich an. Einige von ihnen bleiben bis zu drei Wochen. Von Cadenabbia aus lassen sich See und Berge gut erkunden: etwa mit der Fähre nach Bellagio. Oder wie einst Konrad Adenauer mit den Wanderschuhen an den Füßen zu einer oberhalb des Örtchens gelegenen Kapelle.

Allein schon, wer sich nur in Ruhe im 28.500 Quadratmeter großen Park umschauen will, braucht Zeit. Man kann kaum glauben, dass dieses grüne Paradies, in dem es immer wieder Neues zu entdecken gibt, von nur zwei Gärtnern gepflegt wird.

Rechnet man die Fläche des Gartens auf die Zimmer um, so könnten sich Villa und Accademia damit brüsten, dass sie pro Zimmer 840 Quadratmeter Garten haben. Davon kann so manches Luxushotel nur träumen. So üppig der Garten, so einfach und gediegen die Zimmer. Fernseher stehen nur in Gemeinschaftsräumen. Man braucht sie auch nicht, denn es gibt genug zu sehen. Wer den Garten durchstreift, gelangt durch ein kleines Tor in den Ort, geht durch die Adenauer Allee, an der Kirche vorbei, die der Bundeskanzler sonntags zum Gottesdienst besucht hat.

Fünfuhrtee und Boccia

Die Einheimischen seien stolz auf die Villa La Collina, erzählt Paolo Ortelli, der Touristen durch die Orte am See führt, nach Bergamo und bis nach Mailand. Adenauer ist vor allem den Älteren bekannt. Alle, die an der Promenade entlang bummeln, erinnert eine Büste aus Bronze an den deutschen Politiker. Villen gibt es entlang des drittgrößten italienischen Sees viele. Manche sind in Privatbesitz reicher Mailänder Familien, andere befinden sich in der Hand von Stiftungen. Konrad Adenauer ist der wohl bekannteste Tourist in Cadenabbia, doch schon lange vor seinem ersten Besuch kamen Urlauber hierher. Die Engländer zog es schon im 19. Jahrhundert an den See. Sie kommen heute noch, zum Beispiel ins Grand Hotel, und treffen sich auf der Terrasse eines kleinen Lokals direkt am See zum Nachmittagstee.

Adenauer folgte übrigens einer Empfehlung seines Außenministers Heinrich von Brentano, als er sich 1957 erstmals nach Oberitalien aufmachte. In der Villa Collina erinnern viele Fotos daran. In den Aufenthaltsräumen, deren Charme es ausmacht, dass sie nicht durchgestylt sind, sondern fast noch „wie damals“, erinnert vieles an die große Zeit der Villa. Wer heute hier Ferien macht oder die Abende nach einem Studientag verbringt, weiß das zu schätzen. Rund um die Villa und das Gästehaus findet sich immer ein ruhiges Plätzchen oder ein Ort, an dem man plaudern kann.

Allerdings muss man gut zu Fuß sein auf den Wegen des riesigen Geländes. Die vielen Treppen im Garten ersetzen problemlos den Fitness-Raum. Der kleine Pool vor der Villa bietet am Tag einen wunderschönen Blick auf den See, abends auf das Lichtermeer der kleinen Örtchen um den See herum.

Zum Boccia-Spielen auf den beiden (beleuchteten) Bahnen neben dem Gästehaus bleibt kaum Zeit, zumindest nicht, wenn man auf Studienfahrt ist. Wer als Einzeltourist in die Villa Collina kommt, sollte auf jeden Fall ein Spielchen einplanen. Man muss dabei ja nicht unbedingt den Adenauer-typischen Hut tragen. In diesem Sommer jedenfalls kamen Touristen weitgehend ohne aus – in ganz Italien fehlte es an Sonne, auch am Comer See. Dem riesigen Garten um die Villa ist das gut bekommen. Hier grünte es so grün wie selten. Wanderer auf den Spuren Konrad Adenauers lassen sich ohnehin weder vom Wetter noch von der Hanglage der Villa stören. Sie finden an diesem Ort in Oberitalien etwas ganz Besonderes: deutsche Geschichte.

 

Quelle: „Saarbrücker Zeitung“ vom 13. September 2014.