Meine verehrten Damen und Herren, ich bitte sehr um Entschuldigung für mein spätes Kommen, aber die Ereignisse in Berlin haben meinen ganzen Tagesplan für heute vollkommen durcheinander gebracht; es war nicht anders zu schaffen. Die Vorgänge in Berlin gehen uns allen, das weiß ich, allen Deutschen zutiefst zu Herzen. Die Zone ist jetzt ein großes Gefängnis geworden, und wenn wir uns einen Augenblick in die psychischen Vorgänge, die dort in den Herzen der Menschen vor sich gehen, versetzen, dann sind wir von tiefstem Bedauern erfüllt.
Das Gefängnis ist in der Zwischenzeit noch mehr geschlossen worden. Der Durchgang am Brandenburger Tor ist geschlossen, und sämtliche Fernmeldeverbindungen mit der Bundesrepublik sind unterbrochen. Was eigentlich dort beabsichtigt ist, das können wir nur ahnen. Aber, meine verehrten Damen und Herren, das dürfen wir doch wohl sagen: diese Zustände, die dort herrschen, sind alle für das kommunistische Regime ein Schandfleck, wie er in unserem Jahrhundert mitten in Europa nicht mehr möglich sein sollte. Diese Menschen haben alles verlassen, Heimat, Freunde und Besitztum, nur um der Freiheit willen, und wir alle gedenken ihrer in herzlichster Teilnahme. Das Viermächteabkommen, das im Jahre 1945 geschlossen wurde, ist durch diese Absperrung Berlins zerrissen und zerbrochen worden, und das just in dem Augenblick, in dem Herr Chruschtschow uns vorschlägt, wir und unsere Partner sollten darin einwilligen, dass Berlin zur Freien Stadt mitten in der Zone herabgewürdigt würde, und durch die Zone solle die Verbindung zwischen Berlin und Westdeutschland hergestellt werden. Meine Damen und Herren, diese Vorgänge in Berlin sind eine Illustration und ein Kommentar zu dieser Forderung der Sowjetunion: Berlin - Freie Stadt! Wer herrscht eigentlich dort in der Sowjetzone, die SED oder Chruschtschow? Meine Damen und Herren, man sollte sich wahrhaftig diese Frage stellen, denn was jetzt in Berlin geschieht, ist doch ein Abwürdigen [Abwürgen?] der in Aussicht genommenen Verhandlungen fast von der ersten Minute an.
Heute haben in Bonn zwischen unserem Außenminister und den drei Botschaftern der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und von Frankreich Verhandlungen stattgefunden, und diese Botschafter haben ihren Regierungen Bericht erstattet. Morgen wird sich auch der NATO-Rat mit der Angelegenheit befassen. Ich weiß, dass große Einigkeit unter allen herrscht, mit sehr empfindlichen Maßnahmen gegen die Zone vorzugehen, und wir Deutschen werden ebenfalls die Beziehungen, die durch das Interzonenabkommen zwischen der Zone und uns hergestellt sind, einer Nachprüfung unterziehen müssen. Wir wollen aber die Hoffnung, dass es schließlich doch noch zu vernünftigen Verhandlungen kommt, nicht aufgeben.
Natürlich werden die militärischen Vorbereitungen, wie sie unter den NATO-Partnern beschlossen sind, intensiv fortgeführt werden. Aber daneben haben wir noch eine andere starke Waffe. Wir müssen die militärischen Vorbereitungen fortführen, weil die Sowjetunion nur mit einem starken Gegner verhandelt. Über Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und einem nichtstarken Gegner brauchen wir gar nicht zu sprechen; sie rollt dann einfach über den Betreffenden hinweg. Aber die Waffe, die wir noch haben, ist eine wirtschaftliche Maßnahme.
Wenn die ganze Frage mit Sowjetrussland nicht in Ordnung kommt, dann wird höchstwahrscheinlich eines Tages der Zeitpunkt gekommen sein, da ein vollständiges Embargo von allen NATO-Partnern über den Ostblock verhängt wird. Glauben Sie, meine Damen und Herren, dass das eine sehr empfindliche Waffe ist, auch für die Sowjetunion, und glauben Sie mir, dass die Wirtschaft der Sowjetunion lange nicht so stark ist, wie sie uns dargestellt wird. Nicht nur hat die Sowjetunion in einigen Sparten große Erfolge erreicht, namentlich auf militärtechnischem Gebiete; aber der Durchschnittsstand der Wirtschaft in der Sowjetunion ist alles andere als gut. Die besten Beweise dafür sind die Zustände in der Sowjetzone. Wenn die Sowjetunion in der Lage gewesen wäre, diese Zustände zu ändern, dann würde sie das getan haben, denn die Sowjetzone ist ja das Schaufenster der Kommunisten gegenüber der Welt.
Meine Damen und Herren, auch die Tatsache, dass von Seiten der Sowjetunion, von ihrem Kommunistenkongress, im Oktober ein 20-Jahres-Wirtschaftsplan vorgelegt wird, ist ein schlagender Beweis dafür, dass die Wirtschaft der Sowjetunion noch sehr viel Arbeit zum Aufbau erfordert. Diese Aufbauarbeit wollen wir nicht unterstützen dadurch, dass wir Exporte dahin geben, wenn die Sowjetunion sich nicht in vernünftige Verhandlungen mit den NATO-Partnern und mit uns einlässt.
(Starker Beifall.)
Ich habe letzten Donnerstag mit dem Außenminister der Vereinigten Staaten, Rusk, gesprochen. Auch er hat diesen Gedanken der wirtschaftlichen Maßnahmen sehr gern aufgegriffen; das wird jetzt im einzelnen ausgearbeitet. Ich zweifle nicht, dass die ganzen NATO-Partner dem zustimmen werden. Dann haben wir eine Waffe gegen den Sowjetblock auf dem Felde, auf dem wir unendlich viel stärker sind als der Sowjetblock, auf dem wirtschaftlichen Gebiet.
Meine Damen und Herren, ich muss schnell sprechen wegen des Regens; wir sitzen hier geschützt, Sie Armen sind grausam ungeschützt; ich danke Ihnen aber, dass Sie trotzdem ausharren.
Meine Damen und Herren, die FDP hat am 8. August in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt eine Mitteilung gebracht des Inhalts, dass zwischen Rusk und unserem Außenminister auf der Pariser Außenministerkonferenz starke Uneinigkeiten zutage getreten wären, und dass die amerikanische Regierung uns nicht mehr gestatten wollte, gewisse Fragen und gewisse Gebiete einfach für tabu zu erklären. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, diese Mitteilung der FDP war von Anfang bis zu Ende falsch und eine Lüge.
(Rufe: Hört! Hört!)
Es ist unerhört, dass eine Partei, die überall mit unserem, d. h. mit dem Adler der Bundesrepublik plakatiert und sich dadurch als die besondere nationale Partei vorstellen will, in einer Zeit wie der augenblicklichen den Russen vorspiegelt, dass zwischen den Vereinigten Staaten und uns Uneinigkeit herrsche.
(Pfui-Rufe.)
Meine Freunde, die Einigkeit unter den freien Völkern des Westens ist unser bester Schutz und unsere beste Stärke für die ganze freie Welt, und die Hoffnung Chruschtschows ist, dass diese Einigkeit nicht gewahrt bleibt. Und wenn dann eine Partei wie die Freien Demokraten eine solche Nachricht verbreitet, dann ist das ein Schlag gegen das nationale Interesse des deutschen Volkes.
(Starker Beifall.)
Nun, meine Damen und Herren, wir sind ja mitten im Wahlkampf, und obgleich wir in manchen Punkten, wie ich wenigstens hoffe, mit den beiden Oppositionsparteien ähnliche Gedanken haben - vollkommene Übereinstimmung nicht, das werde ich Ihnen nachher noch klarlegen -, so muss der Wahlkampf durchgefochten werden, und ich möchte gerade zwei Punkte an die Spitze meiner Ausführungen stellen. Das eine ist die konfessionelle Hetze der FDP gegen uns, meine Freunde. Wir alle müssen, und jeder Deutsche muss doch im deutschen Interesse froh und glücklich sein, dass zwischen den beiden Konfessionen auf politischem Gebiet volle Eintracht besteht.
(Starker Beifall.)
Der FDP passt das nicht. Herr Mende, der Vorsitzende der FDP, hat mir einen Brief geschrieben, weil ich mehrfach - und auch Freunde von uns - in allen möglichen Versammlungen sich bitter beklagt haben über die konfessionelle Hetze der FDP. Er hat mir einen Brief geschrieben und mich gebeten, dass das abgestellt wird. Aber, meine Damen und Herren, dieser Brief ist eine Anschuldigung gegen uns, die wir alle mit Empörung zurückweisen müssen.
Was wirft er uns vor? Als konfessionellen Fehler von uns: dass wir in der Stahlindustrie die Sonntagsruhe eingeführt haben. Meine Damen und Herren, diese Sonntagsruhe haben wir eingeführt in vollem Einvernehmen mit den maßgebenden Leuten der Eisen- und Stahlindustrie, und die FDP wirft uns diese Einführung der Sonntagsruhe im Stahlgewerbe als eine konfessionelle Übertreibung vor. Ein weiteres tat sie. Sie wirft uns als konfessionelle Übertreibung vor, dass der Bundestag durch die Stimmen [der] CDU/CSU in einer seiner letzten Sitzungen das Gesetz über das Ehescheidungsrecht mit Stimmenmehrheit verabschiedet hat. Leute von ihm (Mende) gehen sogar so weit zu sagen, hier habe die katholische Kirche mit ihren dogmatischen Ansichten sich durchgesetzt. Der Mann, der das geschrieben hat, meine Freunde, hat keine Ahnung von den Vorstellungen der katholischen Kirche über die Ehe. Ich will Ihnen aber doch mit einigen Sätzen auseinanderlegen, worum es sich gehandelt hat. Nach der bisherigen Ehegesetzgebung konnte durch einen Paragraphen, der unter Hitler eingeführt worden ist, ein Ehegatte, auch wenn er der Schuldige war, auf die Dauer die Ehescheidung durchsetzen. Meine Damen und Herren, das haben wir ausgemerzt, und zwar insbesondere im Interesse der Ehefrauen und vor allem der Kinder.
(Starker Beifall.)
Bei jeder Ehescheidung tragen doch die armen Kinder die Hauptlast für ihr ganzes Leben, und deswegen glaube ich, es war notwendig und richtig, dass wir das Ehescheidungsrecht insoweit wieder in Ordnung gebracht haben.
(Starker Beifall.)
Aber, meine Freunde, da hat sich bei der Abstimmung und bei der Diskussion im Bundestag gezeigt, dass die FDP und die SPD in diesen Fragen an einem Strick ziehen. Beide haben übereinstimmend gesprochen, beide Fraktionen haben übereinstimmend abgestimmt. Und das wollen wir auch bei dieser Wahl nicht vergessen, meine Damen und Herren, weder der FDP, noch der SPD.
Neuerdings gesellt sich nun eine sozialdemokratische Stimme aus Bremen zu diesen Meinungsäußerungen der FDP. Sie hat in Bremen heftige Angriffe gegen die katholische Kirche in einer öffentlichen Versammlung erhoben und hat behauptet, bei den neuen Sozialgesetzen habe die katholische Kirche der deutschen Bevölkerung ein katholisches Sozialprinzip, die Subsidiarität, aufgezwungen; die katholische Auffassung über die staatliche und freie Wohlfahrtspflege, so betonte sie, komme aus einem tiefen Ressentiment gegen den Staat und sei der jungen Demokratie Deutschland in höchstem Maße schädlich, die katholischen Sozialprinzipien seien staatsgefährdend.
Meine Damen und Herren, es ist unerhört, dass sich eine Vertreterin der Sozialdemokratischen Partei derartige Beschimpfungen erlaubt. Aber lassen Sie mich noch etwas hinzusetzen. Es ist geradezu albern, was sie gesagt hat. Sie hat keine Ahnung davon, was die Subsidiarität bedeutet, und gerade auf dem Gebiet der sozialen Gesetzgebung sind doch wir von der CDU/CSU führend. Wenn wir nicht alles in diesem Bundestag erreicht haben, der jetzt zu Ende geht, was wir erreichen wollten, so liegt das daran, dass durch die ständige Opposition der Sozialdemokraten und der Demokraten die Zeit dahingeflossen ist - so bei der Krankenversicherung und anderen Gesetzen -, dass wir nicht mehr damit fertig geworden sind.
Meine Freunde, wir müssen dafür sorgen, dass wir in dem zukünftigen Bundestag wiederum die Mehrheit bekommen und dass nicht etwa die FDP, die höchstens 8 bis 9 Prozent der Stimmen erhalten wird, das Zünglein an der Waage wird zwischen der CDU/CSU und der Sozialdemokratie.
(Starker Beifall.)
Es wird gegen uns behauptet, dass wir unsere Majorität missbraucht hätten. Nun, meine Damen und Herren, wenn wir eines getan haben, dann haben wir folgendes getan: Wir haben viel zu selten und viel zu viel zu rücksichtsvoll von unserer Majorität Gebrauch gemacht.
(Starker Beifall.)
Wenn die Sozialdemokratie jemals die Mehrheit bekommen würde, dann wollen wir einmal sehen, wie mit der Minorität umgesprungen wird.
Nun die Außenpolitik - noch eins möchte ich Ihnen sagen: Die Sozialdemokratie schreibt von einem neuen Stil, den sie in die Politik einführen wollte. Ich habe von dem neuen Stil bisher nichts, aber auch gar nichts gemerkt, auch nicht bei dem so vornehm tuenden Herrn Brandt nichts gemerkt. Wenn z.B. Herr Brandt in Nürnberg uns vorwirft, dass infolge unserer Außenpolitik die Sowjetunion nicht schwächer geworden sei - ja, meine Damen und Herren, das ist doch - also ich verstehe das nicht, ich kann da nicht mehr mit. Wenn Sie es verstehen, dann wünsche ich Ihnen Glück dazu - ich kann es nicht. Dann hat er uns vorgeworfen, wir hätten es an den nötigen Ideen und Initiativen fehlen lassen, um der Isolierung Berlins entgegenzuwirken. Er hat dann weiter behauptet, die CDU/CSU ersetze das Argument durch aufregende Diskussionen und Verleumdungen, erschöpfe sich im Götzendienst vor dem eigenen Hochmut und fliehe in den Appell an die Denkfaulheit und Dummheit. Nun, das ist wahrhaftig starker Tobak, und wenn Herr Brandt sich etwas Derartiges erlaubt und das den neuen Stil nennt, dann sage ich: unter keinen Umständen diesen neuen Stil!
(Rufe: Sehr gut! und starker Beifall.)
Wenn ich noch etwas hinzufügen darf, meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, wenn einer mit der größten Rücksicht behandelt worden ist von seinen politischen Gegnern, dann ist das der Herr Brandt alias Frahm.
(Starker Beifall.)
Meine Freunde, ich gebe ja zu, die SPD ist [in] einer schwierigen politischen Lage. Sie hat drei Bundestagswahlen verloren. Bei der vierten Bundestagswahl ist es auch nicht so gut um sie bestellt, und sie sucht nach allem Möglichen. Sie hat im Jahre 1959 in Godesberg ein neues Programm gemacht, das bei genauem Zusehen das alte Programm ist. Aber die Teste, die von den Ihnen bekannten Meinungsuntersuchungsinstituten angestellt werden, ergaben immer wieder ungünstige Ziffern für die SPD, und in dieser Not hat sie dann auf einmal etwas ganz Neues gemacht: Während noch in Godesberg immer die Rede davon war: Gegen die EWG, gegen den Eintritt in NATO usw., hat man in Hannover im November vergangenen Jahres plötzlich einen Appell gemacht. Man kann ja nicht jedes Jahr ein neues Programm machen; das vertragen auch nicht einmal die sozialdemokratischen Wähler, denen ich nur das Zeugnis ausstellen kann, dass sie eine Lammesgeduld mit ihren führenden Persönlichkeiten haben.
(Starker Beifall.)
Also Appell von Hannover - unter Appell - das Wort kommt aus dem militärischen Sektor - versteht man: die Mannschaft tritt an, sie bekommt die nötigen Weisungen, rechts um, kehrt, ab! In der Tat, so haben sie es in Hannover gemacht. Sie haben plötzlich erklärt, als neue Außenpolitik: Anschluss an den Westen. Und nun sitzen sie da, meine Damen und Herren, Anschluss an den Westen - aber ihre Leute tun nicht mit. So kann man in ihren Reden im Laufe dieses Wahlkampfes feststellen, dass immer mehr dieser Anschluss an den Westen bei ihnen ins Hintertreffen kommt. Ich möchte Ihnen aus der Vergangenheit vorlesen - ich will alles möglichst kurz machen wegen des Regens -, was sie früher gesagt haben. Sie haben z.B. erklärt - Bundestagsvizepräsident Professor Carlo Schmid - im Jahre 1952: Wir sind fest entschlossen, unsere Opposition gegen eine deutsche Wiederbewaffnung strikte aufrecht zu erhalten. Der Parteivorstand der SPD hat im Jahre 1955 ein Flugblatt veröffentlicht, von dem ich Ihnen doch einen Teil vorlesen möchte: Man bewaffnet Deutschland, weil Washington es im Jahre 1950 am Tage nach der Aggression in Korea so gewollt hat und weil die ungeheure Maschinerie der amerikanischen Diplomatie noch nicht dazu gekommen ist, das Steuer herumzureißen. Man bewaffnet Deutschland, weil Großbritannien sich wegen der wirtschaftlichen Konkurrenz von Bonn beunruhigt fühlt. Das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren - so der Vorstand der SPD im Jahre 1955, und nun muss ich sagen: Wie denkt denn die SPD, wenn sie - was nicht der Fall sein wird, aber sie muss sich doch das erhoffen und wenigstens so tun -, wie denkt die SPD ihre neue Außenpolitik, die sie mit den Vereinigten Staaten und gegenüber Großbritannien vorhat, zu rechtfertigen, wenn sie noch im Jahre 1955 eine solche Erklärung über die deutsche Wiederbewaffnung abgegeben hat?
Meine Damen und Herren, so geht die Sache unentwegt weiter. Im Jahre 1959 noch hat auf dem SPD-Parteitag in Bad Godesberg der Parteitagsdelegierte Dr. Müller unter Beifall erklärt - ich wiederhole noch einmal den scharfen Satz: Die allgemeine Wehrpflicht heute ist staatliche Nötigung zur Sünde!
Meine Damen und Herren, von Herrn Ollenhauer ist im SPD-Pressedienst am 26. September 1957 folgendes erklärt worden. Zu den zahlreichen in der Öffentlichkeit im Augenblick über die Sozialdemokratie geführten Diskussionen meinte er, es gebe hierbei wie bei allem immer gute und schlechte Ratschläge. Wenn man z.B. rät, uns, der SPD, wir sollten uns auf die NATO-Politik Adenauers gleichschalten, so ist das ein schlechter Rat. Das wäre der Anfang vom Untergang der SPD und damit vom Untergang der Demokratie in Deutschland. - Nun, meine Damen und Herren, SPD gleichzusetzen mit Demokratie in Deutschland, das ist doch wirklich für die Demokratie und für alle demokratischen Parteien eine Beleidigung.
(Starker Beifall.)
Meine Damen und Herren, auch hier kann ich nur noch einmal sagen: Wie will man es dann eigentlich seinen eigenen Anhängern und unseren Bündnispartnern glaubhaft machen, dass die SPD nun wirklich aus innerer Überzeugung ihre Außenpolitik geändert hat? Meine Damen und Herren, sie hat es auch nicht getan! Herr Erler hat noch im Juli 1958 im Bundestag erklärt: Wir sind weder für den Eintritt in die NATO noch für die EWG, zu keiner Stunde, das ist die Wahrheit. Das bleibt auch die Wahrheit, meine Damen und Herren, ausnahmsweise ist da von der Sozialdemokratie mal ein wahres Wort gesagt worden.
Nun, meine Freunde, noch im Juni dieses Jahres hat die Sozialdemokratie im Bundestag in namentlicher Abstimmung den Verteidigungshaushalt abgelehnt, in einer Zeit wie der unsrigen, wo doch jeder herankommen sah, dass die Schwierigkeiten zwischen dem Ostblock und dem Westblock sich von Monat zu Monat verschärfen werden. Man hat in Nürnberg jetzt, wie die Frankfurter Rundschau sagte, der ganzen Sozialdemokratie den letzten Schliff gegeben und hat ihr beigebracht, wie sie den Wahlkampf zu führen hat. Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren - und ich habe diesen Artikel der Frankfurter Rundschau sehr genau gelesen -, was da gesagt worden ist, ist ganz dünner kalter Kaffee und weiter nichts.
(Starker Beifall.)
Und damit, glauben Sie mir, wird die SPD niemals die Mehrheit im Bundestag erringen. Ich habe den Artikel hier; wenn der Regen nicht wäre, würde ich daraus vorlesen. Aber lesen sie doch die Frankfurter Rundschau von heute, ein sozialdemokratisches Blatt, was sie über den Schluss des sozialdemokratischen Parteitages in Nürnberg geschrieben hat.
Meine Damen und Herren, und die Katze aus dem Sack gelassen hat Herr Heinemann - Herr Dr. Heinemann, der ja früher bei der CDU war -, ein sehr fanatischer Mann, aber auch manchmal auch ein fanatisch die Wahrheit sprechender Mann über das, was in der SPD an Gedankengut ist. Er hat heute - am 14. ist das durch dpa mitgeteilt worden - folgendes gesagt: Dr. Heinemann bezeichnete den 13. August als eine neue nationale Katastrophe, die eine Ablösung des Bundeskanzlers verlangt. Deshalb müsste am 17. September eine neue Mannschaft an die Regierung kommen, die ohne Furcht vor der Zukunft - jetzt kommt etwas sehr Wesentliches - eine neue Zuordnung Deutschlands zu den westlichen und östlichen Nachbarn ermöglichen könnte. Allein mit der NATO oder den Washingtoner (Warschauer?) Paktstaaten sei die Wiedervereinigung des geteilten Deutschland nicht zu erreichen. Dr. Heinemann sagte, die NATO dürfe für die deutsche Politik nie Endstation oder [sondern] nur Durchgangsstation sein. Meine Damen und Herren - ein sehr ernstes und sehr gefährliches Wort. Ich habe schon eben betont, die Einheit und die Einigkeit des Westens ist der stärkste Schutz gegen Sowjetrussland und wenn wir [hier?] von einem prominenten Mitglied der SPD etwas derartiges erklärt wird, dann muss das in sowjetrussischen Ohren wie Freudengeläut klingen.
(Beifall.)
Aber Herr Heinemann hat auch ganz richtig durchblicken lassen, was denn der Sinn der ganzen sozialdemokratischen Außenpolitik in den letzten zwölf Jahren gewesen ist; von den Diskussionen und dem Beschluss über das Petersberger Abkommen im November 1949 angefangen bis jetzt schwebt der Sozialdemokratie vor: die Neutralisierung Deutschlands. Sie hat den geradezu irrsinnigen Gedanken, man werde dem zwischen den beiden Blöcken liegenden Deutschland - der Bundesrepublik - gestatten, neutral zu bleiben und das Zünglein an der Waage zu sein.
Meine Damen und Herren, das ist ein so vollkommen irrealer Gedanke und ein Gedanke, der von einem solchen Größenwahnsinn zeugt, dass man Angst und Bange haben könnte davor, dass ein Mann, der solche Ansichten hat, jemals in eine irgendwie entscheidende Stellung in Deutschland gelangen könnte.
(Starker Beifall.)
Meine Freunde, wer etwas Derartiges sagt, der untergräbt geradezu das Vertrauen insbesondere der Vereinigten Staaten zu uns und auch das Vertrauen Großbritanniens und Frankreichs zu uns. Der Isolationismus hat einmal in den Vereinigten Staaten eine große Rolle gespielt, das war vor vier, fünf Jahren, und darüber muss sich doch jeder von uns vollkommen klar sein, dass in dem Augenblick, in dem die Vereinigten Staaten Europa verlassen, West-Europa eine Beute Sowjetrusslands werden wird.
(Sehr richtig! und starker Beifall.)
Darum ist es, vom deutschen Standpunkt aus, so gefährlich, infam geradezu, wenn in solcher Weise von der Sozialdemokratie mit dem Gedanken des Neutralismus gespielt wird. Das ist unser sicherer Untergang, meine Damen und Herren. Ich möchte noch ein Wort zur Außenpolitik sagen. Außenpolitik ist etwas völlig anderes als Innenpolitik. In der Innenpolitik kann ich ein Gesetz machen, das kann ich nach einem Jahr oder nach zwei Jahren, wenn sich zeigt, dass das Gesetz nicht ausreicht oder nicht mehr zeitgemäß ist, ändern. Anders ist es mit der Außenpolitik, meine Damen und Herren. Außenpolitik beruht auf dem Vertrauen, das die freien Länder zu Deutschland haben, und es war eine schwere Aufgabe in den zwölf hinter uns liegenden Jahren, nach der nationalsozialistischen Zeit das Vertrauen der freien Völker für Deutschland zurückzugewinnen.
(Starker Beifall.)
Herr Brandt hat gesagt, die Wiedervereinigung sei uns nicht gelungen, infolgedessen müssten wir zurücktreten. Nun, ich möchte Herrn Brandt und der SPD folgendes sagen: Wenn wir - die CDU/CSU - nicht diese Politik, den Anschluss an die freien Völker des Westens, mit allen Konsequenzen die ganzen zwölf Jahre hindurch verfolgt hätten, dann, meine Damen und Herren, wäre Berlin und wären wir schon lange in der russischen Sphäre,
(Beifall.)
und dann gäbe es keinen Regierenden Bürgermeister von Berlin namens Brandt.
(Sehr richtig! und stürmischer Beifall.)
Wir halten an dieser Politik, die wir zwölf Jahre mit solchem Erfolge durchgeführt haben, fest.
(Erneuter stürmischer Beifall.)
Die Erfolge, meine Freunde, die wir erreicht haben, dürfen nicht verloren gehen, Sie sind dadurch erreicht worden, dass es uns gelungen ist, zwölf Jahre lang in einer Zeit wie der unsrigen eine konsequente, eine starke, eine stetige, eine klare Außenpolitik zu führen.
(Starker Beifall.)
Ich habe im Jahre 1957 in Nürnberg gesagt, wer die Sozialdemokratie wählt, der trägt zum Untergang des freien deutschen Volkes bei. Ich bin gefragt worden, ob das noch immer mein Standpunkt sei, und ich kann Ihnen jetzt, wo der Wahlkampf doch schon fortgeschritten ist, nur das eine sagen: die Sozialdemokratie mit ihrer Außenpolitik würde Deutschland den Russen ausliefern, meine Damen und Herren,
(Starker Beifall.)
und zwar deswegen, weil das Vertrauen zum deutschen Volk wieder verloren ginge bei den freien Völkern. Das ist langsam gewonnen; aber Vertrauen kann man sehr schnell verlieren.
(Zurufe: Sehr richtig!)
Darum, meine Freunde, bitte ich Sie von ganzem Herzen, sorgen Sie dafür, dass wir in der kommenden Bundestagswahl womöglich noch besser abschneiden als bei der Wahl des Jahres 1957.
(Starker Beifall.)
Meine Damen und Herren, ich bin auch gefragt worden, ob wir zu einer Koalition mit der FDP bereit wären, darüber kann ich Ihnen nur folgendes sagen: Über Koalitionen vor einer Wahl zu sprechen, lehne ich rundweg ab. Das hat ja gar keinen Sinn, und wenn die FDP so weitermacht wie bisher, dann werden wir niemals mit ihr eine Koalition abschließen.
(Bravo-Rufe und starker Beifall.)
Ich bin dann gefragt worden, ob wir bereit wären, unter Umständen eine Koalition mit der Sozialdemokratie abzuschließen, auch darauf kann ich aus innerster Überzeugung nach wie vor nur sagen: Nein!
(Bravo-Rufe und starker Beifall.)
Meine Freunde, auf innen- und auf außenpolitischem Gebiete trennt uns ein so tiefer Graben von den Anschauungen der Sozialdemokratie, dass eine Überbrückung dieses Grabens unmöglich ist. Wenn die Sozialdemokraten in Zukunft - die Sozialdemokratie, die das Petersberger Abkommen ablehnte, das den Anschluss an den Westen mit sich brachte, das den Eintritt in den Europarat mit sich brachte, das dann in der Folge die EWG, die Montan-Union, EURATOM, kurz und gut diese ganzen europäischen Institutionen schuf und schließlich NATO, die atlantische Organisation, schuf -, wenn die SPD in Zukunft, falls solche ähnlichen Vorlagen vor das Parlament kommen, für sie stimmen würde à la bonheur, würde es mich freuen. Aber wir wollen doch mal abwarten, was sich tut. Ich glaube noch nicht daran.
Und nun, was wird unsere Politik nach der Wahl sein, wenn wir wieder - was wir hoffen dürfen, wenn wir unsere Pflicht tun, meine Damen und Herren - die Mehrheit haben? Nun, dann werden wir ein großes Feld der Arbeit vor uns sehen, und wir werden dann nach meiner Meinung gerade die schwierigen Aufgaben zunächst nehmen müssen und nicht die leichteren. Wir werden dann aber auch wirklich entschiedenen Gebrauch machen müssen von unserer Mehrheit, meine Damen und Herren,
(Starker Beifall.)
und wir werden uns namentlich auch bei sozialen Gesetzen nicht durch die endlosen Redereien der Sozialdemokratie die Zeit stehlen lassen, um die Gesetze zu verabschieden.
(Starker Beifall.)
Das Krankengesetz muss unbedingt schnellstens gemacht werden, auch das Unfallversicherungsgesetz, auch die Kindergesetze müssen durchgesehen werden; es müssen auch die Steuergesetze durchgesehen werden, meine Freunde. In der Europa-Politik kommen jetzt entscheidende Beschlüsse, einmal die Überführung der Landwirtschaft in den Bereich der EWG. Ich weiß, dass in landwirtschaftlichen Kreisen Sorge deswegen besteht; ich glaube, die landwirtschaftlichen Kreise brauchen nicht besorgt zu sein. Die Landwirtschaft, meine Freunde, ist für uns nicht ein Wirtschaftszweig wie irgendein anderer. Sie hat auch eine große nationale Bedeutung. Es kann immer wieder die Zeit kommen, da wir froh sein werden, wenn wir unser Volk zu einem sehr erheblichen Teil aus den Erträgnissen der eigenen Scholle ernähren können.
(Starker Beifall.)
Meine Freunde, wir, die wir doch für die breite Streuung des Eigentums sind, werden es nicht zulassen, dass der kleinbäuerliche Besitz nicht mehr Ertrag abwirft und dann verloren geht. Gerade auch der kleinbäuerliche Besitz ist für uns eine sehr wesentliche Frage des soziologischen Aufbaues bei uns.
(Starker Beifall.)
Wir wollen nicht zu einem Volk mit einer kleinen oberen Schicht von Leitern der Wirtschaft und einem ungeheuren Heer von Arbeitnehmern werden. Nein, meine Damen und Herren, die Sicherheit eines Staates, das gute Gedeihen eines Volkes, das Wachsen und Blühen eines Volkes beruht vor allem auf einer guten mittleren Schicht.
(Starker Beifall.)
Darum wird unsere ganze Arbeit dem gewerblichen Mittelstand gelten. Aber auch den freien Berufen, alles das, was man im weitesten, im soziologischen Sinne als Mittelschicht ansehen muss. Was unseres besonderen Schutzes bedarf, soll diesen Schutz haben. Meine Freunde, wir wollen auch in der Europa-Politik unseren Mann stehen. Sie wissen, dass Großbritannien jetzt um den Eintritt in die EWG nachgesucht hat. Wir wünschen, dass Großbritannien Mitglied wird mit vollen Rechten, aber auch mit vollen Pflichten.
(Starker Beifall.)
Ein so großes Land wie Großbritannien mit all seinen Verbindungen und Bindungen zu den Commomwealth-Staaten kann nicht nur assoziiertes Mitglied von [der] EWG werden, es muss volles Mitglied von der EWG werden und muss auch die politischen Ziele der EWG, d.h. die stärkere Zusammenfassung Westeuropas, bejahen. Und das soll unsere Aufgabe sein, im kommenden Bundestag dafür zu sorgen, dass das geschaffen werden kann. Nun, meine Freunde, unser oberstes Ziel ist und bleibt die kontrollierte Abrüstung. Es wird auf der Welt keinen Frieden geben, wenn man nicht mit der kontrollierten Abrüstung sowohl der nuklearen Waffen wie der konventionellen Waffen einen wirklichen und ernsthaften Anfang macht.
(Starker Beifall.)
Meine Freunde, Friedensverträge sind von der Sowjetunion auch seit dem Jahre 1945 in einer ganzen Anzahl geschlossen und gebrochen worden. Das hilft uns nicht, die Furcht von der Erde zu bannen - ein Friedensvertrag. Die Furcht von der Erde kann nur dann gebannt werden, wenn wirklich die kontrollierte Abrüstung ernst wird und durchgeführt wird.
(Starker Beifall.)
Dann werden auch Friedensverträge ihre Bedeutung haben, und dann, wenn das mit der kontrollierten Abrüstung gelungen ist, kommt auch die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes.
Bitte denken Sie einmal zurück, welche Beweggründe Stalin dazu gebracht haben, sich diese ganzen Satellitenstaaten vor Sowjetrussland hinzulegen, Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Polen, Tschechoslowakei bis zur DDR. Weil er fürchtete, dass eines Tages Russland von Westen her angegriffen werden würde, wollte er dafür sorgen, dass in diesen Ländern und nicht in Sowjetrussland die entscheidenden Schlachten eines solchen Krieges sich abspielen. Denken Sie daran, dass damals Sowjetrussland noch keine nukleare Bewaffnung hatte, die ja das ganze Bild verändert hat, das ganze Bild eines etwaigen zukünftigen Krieges total verändert hat. Wenn durch eine kontrollierte Abrüstung diese Gebiete den Zweck, den Stalin ihnen beigelegt hat, nicht mehr zu erfüllen brauchen, dann, meine Damen und Herren, das ist meine feste Überzeugung, ist auch der Zeitpunkt gekommen, da unser Land Deutschland von seiner Zweiteilung erlöst und wieder ein einiges, ein großes Deutschland wird.
(Stürmischer Beifall.)
Das ist unser Ziel. Wir müssen uns darüber klar sein, dass viel Geduld und Energie dazu gehört, um dieses Ziel zu erreichen, und dass es bei dem Zustand auf der Erde nicht von heute auf morgen gehen kann. Nach meiner Überzeugung will Chruschtschow keinen Krieg, weil er weiß, dass bei dem heutigen Zustand der Rüstungen auf der Welt es in einem nuklearen Krieg weder Sieger noch Besiegte geben wird, weil das entsetzliche Unheil eines solchen Krieges dann über ganze Erdteile hinweggehen wird. Ich glaube nicht, dass wir zu einem solchen Kriege kommen. Aber warum? Ich glaube, dass wir unsere Freiheit behalten. Aber warum, meine Damen und Herren? Ich glaube auch, dass wir zu einer konventionellen Abrüstung kommen werden. Aber warum? Daher: weil wir mindestens so stark sein müssen wie Sowjetrussland. Dann wird Sowjetrussland auch bereit sein, vernünftige Verhandlungen mit dem Westen zu führen und vernünftig zu einer kontrollierten Abrüstung zu schreiten.
Das ist unser Ziel, und dieses Ziel mit unserer Politik zu erreichen, darum bitten wir Sie, und wir bitten vor allem, unsere Partei. Die CDU/CSU hat ein Recht, das deutsche Volk darum zu bitten, weil wir doch diesem Teil des deutschen Volkes - der Bundesrepublik - mit seinen 52 bis 53 Millionen Deutschen die Freiheit von der Besatzung wieder verschafft haben. Und die Freiheit im internationalen und im nationalen Leben, das haben wir erreicht, das hat nicht die Sozialdemokratie erreicht.
(Starker Beifall.)
Darum soll auch diese Bundestagswahl uns helfen, auf dem Wege, den ich Ihnen vorzeichnen konnte und der ein guter Weg ist, meine Freunde, auf diesem Wege voranzuschreiten, an dessen Ende steht: Frei von Furcht und Wiedervereinigung Deutschlands!
(Stürmischer, anhaltender Beifall.)
Quelle: StBKAH I/02.24, maschinenschriftlich, nach einer unkorrigierten stenographischen Nachschrift.