Brief vom 15. Januar 1964:
Sehr geehrter Herr Springer!
Erlauben Sie mir, Ihnen den beiliegenden Ausschnitt aus der "Welt" vom 8. Januar* zuzuschicken. Der Verfasser, Herr von Kessel**, schreibt ja regelmäßig in Ihrer Zeitung. Er greift mich in dem Artikel in einer häßlichen und völlig unbegründeten Weise an. Das Erscheinen eines solchen Artikels macht es mir nicht möglich, jetzt Ihrem Wunsche entsprechend regelmäßig Artikel von mir der "Welt" zur Verfügung zu stellen. Ich bedaure sehr, das Ihnen mitteilen zu müssen, aber meine Selbstachtung erlaubt es mir nicht. Einige Parteifreunde machten mich von sich aus darauf aufmerksam, daß ich unmöglich nach einem solchen Artikel regelmäßiger Mitarbeiter der "Welt" werden könnte. Ich bedaure das außerordentlich. Auf alle Fälle muß eine gewisse Zeit vorübergehen, bis der Artikel vergessen ist.
Ich bin selbstverständlich gern bereit, wenn es Ihnen paßt, zu Besprechungen mit Ihnen zur Verfügung zu stehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr ergebener
Adenauer
Der Artikel in "Bild" von heute ist ausgezeichnet. Adenauer
* Im Artikel "Der neue Bonner Stil" in der "Welt" vom 8.1.1964 der Passus: "... ob es gelingen werde, das Adenauer-Regime ohne Erschütterungen in eine normale demokratische Regierungsform überzuleiten, kann man heute wohl schon bejahen. Alle Parteien waren sich einig, daß man dabei Hilfestellung leisten müsse. ... Um ein altes Schlagwort zu zitieren: Bonn ist nicht Weimar. Und von jetzt an besteht sogar die Hoffnung, daß Bonn eines Tages über sich selbst, das heißt, über die ihm seit 15 Jahren zudiktierte Rolle, hinauswachsen und sich gleichzeitig auf seine geistige Vergangenheit besinnen könnte. Treuhänderin der alten Reichshauptstadt zu sein, ist für die Universitätsstadt am Rhein mit ihren Traditionen weiß Gott keine schlechte Rolle."
** Albrecht von Kessel (1902-1976), gehörte ab 1950 der Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt an, ab 1951 Leiter der Diplomatischen Vertretung in Paris, 1951 Stellvertretender Leiter der Pleven-Plan-Delegation, politischer Berater des EVG-Interimsausschusses in Paris, 1953-1958 Gesandter und Vertreter des Botschafters der Bundesrepublik in Washington, 1958/59 in der Ostabteilung des Auswärtigen Amts, 1959 in den einstweiligen Ruhestand versetzt, ab 1960 Kolumnist der "Welt".
Brief vom 28. Januar 1964:
Lieber Herr Springer!
Vielen Dank für Ihren Brief vom 16. Januar. Ich begrüße insbesondere auch Ihre Absicht, mit Ihren Zeitungen an dem Thema CIA-Bericht aus den USA über die Situation der sowjetischen Wirtschaft dranzubleiben. Ich glaube, daß unsere Regierung eines kräftigen Anstoßes bedarf, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Der Springer-Konzern wird einen großen Einfluß ausüben können.
Ich bleibe bei meiner Absicht, demnächst, wenn Sie es wünschen, regelmäßig in der "Welt" zu schreiben.*
Ich darf Sie vielleicht hinweisen auf das Fernsehinterview, das Premierminister Home am Sonntag, 26. Januar d. J., gegeben hat.
Bitte teilen Sie mir mit, wann Sie in Bonn sind.
Mit herzlichen Grüßen bin ich
Ihr Ihnen sehr ergebener
Adenauer
* Springer am 16.1.1964: "Ich hatte schon gehört, daß Sie aus Rücksicht auf CDU-Blätter vorerst nicht in der 'Welt' zu schreiben beabsichtigen. Wie sehr ich das bedaure, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen."
Quelle: Originale im Unternehmensarchiv Axel Springer Verlag, NL Axel Springer, auf Kopfbogen "Konrad Adenauer"; StBKAH 11/14, Durchschlag. Abgedruckt in: Adenauer. Die letzten Lebensjahre 1965-1967. Briefe und Aufzeichnungen, Gespräche, Interviews und Reden (Rhöndorfer Ausgabe). Bd. I: Oktober 1963 - September 1965. Hg. von Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz. Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn 2009, S. 121f., 132f., Anm. S. 549, 558.