16. Dezember 1950

Unterredung zwischen dem Bundespräsidenten Heuss und dem Bundeskanzler Adenauer

[Der] Bundeskanzler erklärte, folgende Punkte mit [dem] Bundespräsident[en] besprechen zu wollen:

1.) Anerkennung der Vorkriegsschulden.

[Der] Bundeskanzler führt aus: Diese Frage, die doch hauptsächlich politischer und moralischer Natur sei, werde zur Zeit von den Sachverständigen in unverständlicher Weise zerpflückt. Der Auswärtige Ausschuß des Bundestages und sein für diesen Zweck eingesetzter Unterausschuß haben sich nicht auf die Annahme der Regierungsvorlage (Unterschrift unter Verpflichtungserklärung und vorausgehende Begleitnote) einigen können. [Der] Bundeskanzler werde jetzt noch eine Besprechung mit den Fraktionsführern der Regierungsparteien haben, um von ihnen wenigstens Zustimmung zum Grundsatz der Schuldenanerkennung zu erhalten. Die noch bei den Parteien vorhandenen Bedenken sollten von der Regierung später auf dem Verhandlungswege mit den Alliierten klargestellt werden. Wenn die Revision des Besatzungsstatuts nicht verzögert werden solle, müsse er die Schuldenanerkennung nunmehr aussprechen. Das Kabinett sei mit ihm darüber einig. Sowohl der amerikanische wie der britische Hohe Kommissar hätten ihm dringlichst nahegelegt, diesen Schritt auch im Hinblick auf die Brüsseler Atlantikpaktkonferenz in der nächsten Woche vorzunehmen. Er verspreche sich ebenfalls eine günstige außenpolitische Wirkung für diese Konferenz.

[Der] Bundespräsident stimmte diesem Vorgehen zu und erklärte, es sei ihm von Anfang an klar gewesen, daß man als Rechtsnachfolger des Reiches und als honoriger Staat dieses Anerkenntnis leisten müsse, schon um die internationale Kreditfähigkeit der Bundesrepublik wiederherzustellen. In einer Begleitnote sollten allerdings die nötigen Vorbehalte klar zum Ausdruck kommen.

2.) Brüsseler Konferenz der Atlantikpaktmächte.

Nach Ansicht des Bundeskanzlers steht diese Konferenz bereits im Schatten der geplanten Viererkonferenz. Frankreich werde wohl versuchen, in der Frage des deutschen militärischen Beitrags dort keine endgültige Festlegung zuzulassen, um sich dieses Verhandlungsobjekt mit der Sowjetunion vorzubehalten. Man könne annehmen, daß die Sowjetunion einen hohen Preis für eine Verhinderung der deutschen Aufrüstung zahlen werde. England halte sich auch in dieser Frage eher zurück. Nach seiner, des Bundeskanzlers, Ansicht würde aber ein Abkommen der vier Mächte über eine allgemeine Demilitarisierung und Neutralisierung Deutschlands nur bedeuten, daß auch Westdeutschland unter sowjetischen Einfluß gerate. Nur die Vereinigten Staaten seien bisher noch fest entschlossen, einer solchen Entwicklung sich zu widersetzen. Deshalb bleibe zur Zeit für uns nichts übrig als eine starke Anlehnung an die USA. Eine laufende Unterrichtung über die Brüsseler Gespräche sei ihm zugesagt worden.

3.) Der Grotewohl-Brief.

[Der] Bundeskanzler ist der Auffassung, daß es sich bei diesem Brief keineswegs nur um ein Propagandamanöver, sondern um einen ernsten politischen Schachzug handele, hinter dem die Sowjetunion stehe. Er stimme daher mit den in dem Schreiben des Bundespräsidenten niedergelegten Gedankengängen überein. Eine sofortige Beantwortung sei aber nicht möglich gewesen, weil die Angelegenheit sowohl mit den Vorsitzenden der deutschen Parteien wie auch mit den Alliierten hinsichtlich einer Auswirkung auf die geplante Viererkonferenz habe besprochen werden müssen. Man habe sich über die Form der Beantwortung aber nicht einigen können und wolle sich die Entscheidung noch offenhalten. Vielleicht werde als Antwort ein "Aide-mémoire" der Regierung durch Vockel an Grotewohl übergeben werden. Das inzwischen erlassene Ostzonengesetz "zur Wahrung des Friedens" schlage dem Grotewohl-Brief und seiner Tendenz natürlich mitten ins Gesicht und er, [der] Bundeskanzler, werde wohl dies in der Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen müssen.

4.) FDP-Bundestagsfraktion.

[Der] Bundeskanzler erklärte, er werde den in den bekannten Schreiben des Vizekanzlers Blücher ausgesprochenen Wünschen der FDP teilweise nachkommen können, verstehe aber die Unruhe und den Ehrgeiz Minister Blüchers nicht. Er habe doch wichtige Aufgaben, z.B. neuerdings die dringend nötige Koordinierung der erforderlich werdenden Importbeschränkungen zwischen den verschiedenen interessierten Ressorts, anvertraut erhalten. Aus den Äußerungen des Bundeskanzlers ging hervor, daß er dem Vizekanzler mißtrauisch gegenübersteht. [Der] Bundeskanzler deutete an, daß der Fraktionsvorsitzende der FDP, Schäfer, sich selbst in manchen Fragen von Minister Blücher distanziere. Diese Angelegenheit (insbesondere auch die Frage des künftigen Außenministers) konnte von seiten des Bundespräsidenten nicht vertieft werden, da [der] Bundeskanzler zu einer Besprechung mit dem britischen Hohen Kommissar sich verabredet hatte und die Unterredung frühzeitig abgebrochen werden mußte.

[Der] Bundespräsident konnte deshalb auch nur in gedrängter Form folgende Fragen zur Sprache bringen:

1.) Dänische Kulturpropaganda in Schleswig.

[Der] Bundespräsident bat [den] Bundeskanzler, diese Frage in Anbetracht der allgemeinen schwierigen außenpolitischen Situation nicht zum Gegenstand von Vorstellungen bei der Hohen Kommission zu machen, wie dies offenbar die schleswig-holsteinische Regierung wünsche. [Der] Bundeskanzler stimmte zu.

2.) Wahlrede des Ministerpräsidenten Reinhold Maier zur württemberg-badischen Regierungswahl am 19. November 1950.

[Der] Bundespräsident erklärte, er verstehe nicht, weshalb [der] Bundeskanzler diese Rede im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates als schädlich für die Außenpolitik der Bundesregierung habe bezeichnen können. Württemberg-Baden habe immer den Bund loyal unterstützt. [Der] Bundeskanzler zeigte sich insbesondere von dem Passus der Rede verärgert, in dem die "Einmann-Kanzlerpolitik" kritisiert ist.

3.) Eröffnung des Jugendwerkes am 18. Dezember 1950 im Bundestag.

Bundespräsident und Bundeskanzler stimmen in großen Zügen ihre bei dieser Gelegenheit zu haltenden Ansprachen dahingehend ab, daß [der] Bundeskanzler die einzelnen Programmpunkte des geplanten Jugendwerkes der Bundesregierung bekanntmachen, während [der] Bundespräsident über allgemeine Jugendprobleme sprechen wird.

Klaiber

 

Quelle: Aufzeichnung vom 18. Dezember 1950, in: BArch, VS-B 122/15, Bd. A I, Bl. 189-191.