17. April 1954

"Trotz der Schwere der Zeit ..."

Ein Wort zum Osterfest 1954

Von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer

 

Ein tiefer Schatten liegt über der Menschheit. Alle Völker sind aufgeschreckt worden durch die jüngsten Versuche mit Naturkräften, die kaum noch unter menschlicher Kontrolle zu halten sind. In der Wasserstoffbombe sehen viele ein Zeichen dafür, dass der "technische Fortschritt" an jenen Punkt vorgedrungen ist, wo es den Menschen gegeben scheint, sich und all das, was durch die Jahrtausende in einem langsamen Wachstumsprozess geworden ist, zu vernichten.

Diejenigen, die solche Befürchtungen haben, sollten nicht kleinmütig genannt werden. Sie lassen nur erkennen, dass ihr Gewissen wach ist, dass das menschliche Gewissen nach Wegen sucht, der Gefahren Herr zu werden. Auch die Staatsmänner wollen diese Gefahren beseitigen. Das Vorhandensein von Vernichtungsmitteln noch unbekannten Ausmaßes erfüllt ihre Gedanken. Der Wille, sie nicht zur Anwendung kommen zu lassen, bestimmte ihre Handlungen.

Es mag angesichts der flammenden Zeichen am Horizont der Menschheit klein erscheinen, von den politischen Tagesfragen zu sprechen. Aber auch diese Fragen sind für uns wichtig, auch wenn es gerade in diesen Wochen Erscheinungen gegeben hat, die die ganze Menschheit angehen, und die eigentlich die Menschen veranlassen müssten, nur an ihr Menschsein zu denken.

Wiedervereinigung, europäische Vereinigung, Verteidigungsgemeinschaft, Saarfrage, sowjetische Politik, nicht zuletzt der Indochinakrieg, das sind die Probleme unserer Tagesarbeit. Manchem mag es den Anschein erwecken, als läge auch darüber in dieser Osterzeit ein Schatten, der noch vor kurzem nicht dagewesen ist. Hoffnungen, die gehegt worden waren, scheinen zu verwelken. Wege, die nun Licht zu führen schienen, scheinen sich wieder im Dunkel zu verlieren.

Ich teile diese Befürchtungen in solchem Ausmaße nicht. Auf dem Hintergrund der weltgeschichtlichen Entwicklung, überschattet auch von den durch die Technik geschaffenen Möglichkeiten, die sowohl zerstörender wie aufbauender Art sein können, werden sich die umstrittenen Fragen im Sinne des politischen Fortschritts und damit des erstrebten Friedens lösen können.

Der Bolschewismus ist nach wie vor die große Gefahr, die das christliche Abendland bedroht. Er bedroht die den Menschen verheißenden Werte, für die der Erlöser gestorben und - ein sichtbares Zeichen der Verheißung - am Ostermorgen wiederauferstanden ist. Gekreuzigt, gestorben, wiederauferstanden von den Toten und aufgefahren gen Himmel! Die Ostergeschichte ist die Geschichte des göttlichen Heils. Wir haben gelernt, an das Walten Gottes zu glauben. Oft ist es sichtbar im Leben des einzelnen. Es ist auch sichtbar in dem Ablauf der Menschheitsgeschichte. Gäbe es die Lenkung durch die uns entrückte, doch spürbare überirdische Kraft nicht, die Menschheit wäre längst gescheitert, sie wäre zugrunde gegangen an einer der zahlreichen Gefahren, die sie selbst von Zeit zu Zeit herbeiführt.

Auch dieses Osterfest sollen wir nicht kleinmütig begehen. Wenn auch Gefahren und Entwicklungen ganz neuer Art uns bedrohen, so wissen wir doch, dass diese ebenso wenig "das Ende" bedeuten werden wie andere schwere Ereignisse vordem. Solange die Menschheit auf ihr Gewissen hört, wird sie die zerstörenden Kräfte auch in ihrer schlimmsten Erscheinung sich dienstbar zu machen verstehen. Und solange die freien Völker bereit sind, die Freiheit und die Menschenwürde als die Grundelemente ihrer Gemeinschaften zu verteidigen, werden sie die Zwangsherrschaft menschlicher Tyrannei von sich fernhalten, die sich das christliche Abendland unterwerfen möchte, so wie sie das schon wiederholt, und immer vergebens, versucht hat. Trotz der Schwere der Zeit wollen wir auf Gott und seine Kraft vertrauend Ostern feiern eingedenk des Wortes, das der auferstandene Heiland seinen Jüngern gesagt hat: "Fürchtet euch nicht!"

 

Quelle: Rheinische Post, Düsseldorf vom 17. April 1954.