Aufzeichnung über eine Unterredung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und Mr. McCloy, am 17. Juni 1952 von 16-18 Uhr im Hause des Herrn Bundeskanzlers, in Gegenwart des Herrn Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes und des Herrn Ministerialdirektors Blankenhorn.
Mr. McCloy berichtete zunächst über seinen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten und stellte einleitend fest, dass neben den Wahlschlachten dem Deutschlandprogramm das größte Interesse entgegengebracht werde. In den Befragungen vor den Senatsausschüssen habe er den Eindruck gewonnen, dass kein Zweifel daran bestehe, dass die Verträge vor den Parlamentsferien ratifiziert würden, solange nicht etwas völlig Unvorhergesehenes eintrete. Sowohl der Auswärtige wie auch der Finanzausschuss hätten an der Lage in Deutschland, der Art und dem Inhalt der Verträge sowie den Verhältnissen in Berlin sehr großes Interesse gezeigt. Allerdings sei man über die Haltung der deutschen Opposition und besonders Dr. Schumachers etwas beunruhigt. In diesem Zusammenhang wies Mr. McCloy auf einen Artikel, den die Wochenzeitschrift „Time" über Dr. Schumacher veröffentlich habe, hin. In einigen Kreisen werde wie folgt argumentiert: wenn die Haltung der Opposition den Verträgen gegenüber so ablehnend sei, so erscheine es unklug, die Ratifizierung der Verträge durch den Senat zu sehr zu beschleunigen.
Die Hauptfragen, die Mr. McCloy von den Ausschüssen vorgelegt worden seien, hätten sich auf die in Deutschland erzielten Fortschritte bezogen sowie darauf, ob man sich auf die in Deutschland geschaffene Regierungsform verlassen könne. Außerdem sei man daran interessiert gewesen, zu erfahren, ob ein Zusammengehen der Sozialdemokraten mit den Kommunisten wahrscheinlich wäre. Mr. McCloy gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass alle Zweifel und Unklarheiten beseitigt worden seien und dass der Senat durchaus bereit sei, die Ratifizierung sehr bald vorzunehmen. Die Einstellung des Senats sei durchaus positiv. Er habe auch keine Opposition seitens der Juden feststellen können. Es seien ihm verschiedene Briefe von jüdischen Organisationen zugegangen, in denen die bisher verfolgte Politik sowie die Verträge gutgeheißen worden seien. Im übrigen habe er auch mit Vertretern Israels gesprochen und erfahren, dass man auf Grund der bisherigen Verhandlungen zur Abgabe einer Erklärung bereit sei.
Der Herr Bundeskanzler bemerkte hierzu, dass das Kabinett am Vormittag beschlossen habe, die Herrn Goldmann und Herrn Shinnar unterbreiteten Vorschläge den Vertretern Israels als offizielle Vorschläge der Bundesregierung zu unterbreiten.
Mr. McCloy kam sodann auf die in Paris und London gemachten Vorschläge zur Abhaltung einer Viermächtekonferenz und zur Festlegung der Bestimmungen eines Friedensvertrages mit Deutschland zu sprechen. Er stellte dabei fest, dass sich hierbei sehr große Meinungsverschiedenheiten bemerkbar gemacht hätten. Mr. Acheson habe daraufhin Telegramme nach Paris und London gesandt, um die Angelegenheit klarzustellen. Außerdem wollte man auch den Herrn Bundeskanzler um seine Ansicht zu dieser Frage bitten. Mr. McCloy komme die ganze Angelegenheit etwas mysteriös vor, er glaube jedoch, sie sei wieder ins Reine gebracht worden und Mr. Eden wie auch die französische Regierung verfolgten wieder den alten Kurs.
Mit dem Finanzausschuss, der für die Zuteilung der Auslandshilfe zuständig sei, habe Mr. McCloy keine formelle Zusammenkunft gehabt. In privaten Gesprächen habe er jedoch auf die Notwendigkeit fortgesetzter wirtschaftlicher und militärischer Hilfeleistungen an Deutschland hingewiesen. Die Ausschussmitglieder hätten selbstverständlich keine bindenden Verpflichtungen eingehen können, er habe jedoch versucht, den Fall Deutschlands so überzeugend und eindringlich darzulegen wie möglich.
Über die politische Situation sprechend, erklärte Mr. McCloy, dass General Eisenhower nach seiner Rückkehr kaum an Einfluss gewonnen habe. Außerdem komme hinzu, dass Eisenhower selbst eigene Ansichten vertrete, andererseits aber nicht ohne seine Berater, Sen. Lodge und Mr. Hoffmann, auskommen könne. Dadurch werde bei der Öffentlichkeit manchmal der Eindruck erweckt, dass Eisenhower seiner selbst nicht sicher sei und auch zwischen seinen Beratern schwanke. Man spreche in diesem Zusammenhang häufig von einem Mangel an Erfahrungen. Dennoch habe Eisenhower eine so große Zahl von Delegierten hinter sich, dass man über den Ausgang der Wahl des Kandidaten noch nicht Endgültiges sagen könne. Wenn es Sen. Taft nicht gelinge, im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit auf sich zu vereinigen, seien noch alle Möglichkeiten offen. Mr. McCloy glaubte, dass Eisenhower zwar gewisse Aussichten habe, der Ausgang der Wahl jedoch noch sehr zweifelhaft sei. Hierbei könne er sich auch auf Präsident Truman berufen, der die gleiche Ansicht vertrete. Zwei entscheidende Ereignisse in diesem Zusammenhang seien die Ernennung von Halliman zum Vorsitzenden des Parteikonvents sowie die an General McArthur gerichtete Bitte gewesen, auf dem Parteikongress das Hauptreferat zu halten. Zahlreiche Amerikaner sähen darin eine Analogie zu der Wahl von 1912, in der Theodor Roosevelt durch den Vater des jetzigen Senators Taft verdrängt wurde. Es könne zwar immer noch eine Reaktion in der anderen Richtung einsetzen; dabei sei aber wahrscheinlich der Wunsch der Vater des Gedankens. Eisenhower sei zwar immer noch der populärste Kandidat. Seine Taktik, über die öffentliche Meinung einen Einfluss auf die Parteidelegierten auszuüben und sie in ihrer Entscheidung zu beeinflussen, sei bisher jedoch nicht erfolgreich gewesen.
Was das demokratische Lager betreffe, so bestehe kein Zweifel, dass Präsident Truman nicht mehr kandidieren werde. Wie Präsident Truman Mr. McCloy mitteilte, bestünden bei den demokratischen Bewerbern, Sen. Russel und Mr. Harriman, gewisse Schwierigkeiten, die ihre Aussichten auf Erfolg stark beeinträchtigten. Großes Erstaunen hätten die bisherigen Erfolge von Senator Kefauver hervorgerufen. Auf Grund seiner Aufrichtigkeit und Einfachheit sei es ihm bisher gelungen, eine große Anzahl von Delegierten auf sich zu vereinigen. Außerdem verfügten die Demokraten noch über Stevenson, der sich bereiterklärt habe, sich aufstellen zu lassen, falls Senator Taft nominiert werde.
Mr. McCloy überbrachte dem Herrn Bundeskanzler Glückwünsche vom Präsidenten Truman zum Abschluss der Verträge. Präsident Truman sei überzeugt, dass auch der Herr Bundeskanzler die geschichtliche Bedeutung der Verträge für Deutschland und Europa zu würdigen wisse. Er freue sich auch auf den Besuch des Herrn Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten, bitte jedoch, unter keinen Umständen während des Wahlfeldzugs zu kommen; denn während der Wahlvorbereitungen zeige Amerika nicht sein wahres Gesicht und alle Menschen seien verrückt.
Der Herr Bundeskanzler dankte Mr. McCloy nicht nur für das, was er in den Vereinigten Staaten für Deutschland und die Sache Europas gesagt, sondern vor allem auch für das, was er dafür getan habe. Er gab sodann einen Überblick über die politische Lage in Deutschland und erwähnte zunächst, dass sich der Bundesrat wie auch das Bundesverfassungsgericht in einer etwas peinlichen Situation befänden, da sie nicht eine Verantwortung übernehmen wollten, der sie nicht gewachsen wären. Der Bundesrat werde in einigen Tagen die Ratifizierungsgesetze ohne Diskussion an den Bundestag weiterleiten und er, der Kanzler, hoffe, dass nach Behandlung der Gesetze im Bundestag und Rückverweisung an den Bundesrat dort genügend vernünftige Leute seien, die nach Abkühlung der politischen Leidenschaften die wahre Bedeutung der Verträge zu würdigen bereit wären. Innerhalb der Koalition setzten sich die CDU/CSU und die DP für eine baldige Ratifizierung, d.h. in der ersten Hälfte des Augusts, ein. Die FDP sei sich über ihre Haltung noch nicht ganz schlüssig, er glaube jedoch, dass auch die FDP schließlich eine baldige Ratifizierung befürworten werde. Im Gegensatz hierzu trete die SPD dafür ein, die Verträge erst im September oder Oktober zu behandeln.
Die erste Lesung werde nächste Woche im Bundestag stattfinden. Im Anschluss hieran gingen die Texte an die Ausschüsse, wo die Beratungen ungefähr drei bis vier Wochen dauern würden. Das Ergebnis der Abstimmung liegt auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Großen und Ganzen bereits fest. Mit der zweiten und dritten Lesung könne dann im August gerechnet werden.
Sehr störend im Zusammenhang hiermit habe sich jedoch der Vorschlag der französischen Regierung zur Abhaltung einer Viermächtekonferenz ausgewirkt. Wenn nämlich in unmittelbarer Zukunft mit einer Viermächtekonferenz zu rechnen sei, werde es der Bundestag unter Umständen für ratsamer halten, die Ratifizierung hinauszuschieben und das Ergebnis einer solchen Konferenz abzuwarten. Das sei gerade das, was die Russen erstrebten.
Anlässlich einer Tagung des CDU-Parteiausschusses, an dem ungefähr hundert CDU-Vertreter aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus Ostberlin und Vertreter der Exil-CDU teilgenommen hätten, sei die Politik des Bundeskanzlers einstimmig gebilligt und ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass keine Verzögerung in der Ratifizierung eintreten dürfe.
Der Herr Bundeskanzler sprach sodann über die Antwort der Westmächte auf die letzte Sowjetnote. Mr. Reber habe ihn in dieser Angelegenheit Mitte letzter Woche aufgesucht. Sir Ivone habe ebenfalls eine Besprechung darüber mit ihm gehabt. Es sei ihm zwar noch kein vollständiger Entwurf vorgelegt worden, sondern nur der Teil der Erwiderung, der sich mit dem entscheidenden Problem befasse, d.h. mit der Abhaltung einer Viermächtekonferenz auf irgendeiner Ebene und mit dem Verhandlungsgegenstand. Der Herr Bundeskanzler habe nach Kenntnisnahme von diesem Entwurf Sir Ivone mitgeteilt, dass er nicht an die Möglichkeit einer baldigen Ratifizierung der Verträge glaube, falls eine solche Antwort an die Russen gesandt werde. Er habe den britischen Hohen Kommissar gebeten, die Reaktion des Bundestags auf eine solche Fassung der Antwortnote berücksichtigen zu wollen. Sir Ivone habe daraufhin einen sehr ausführlichen Bericht an Mr. Eden gesandt, den er auch Herrn Blankenhorn vorgelesen habe.
Der Herr Bundeskanzler führte weiter aus, dass ihn der französische Hohe Kommissar am vergangenen Samstag um 19.30 Uhr in seiner Rhöndorfer Wohnung aufgesucht und ihn um eine schriftliche Fixierung seiner Stellungnahme zu der letzten Sowjetnote gebeten habe. Er habe M. François-Poncet erwidert, dass er sich die Frage überlegen werde, aber keine schriftliche Stellungnahme abgeben könne.
Für Mr. McCloy fügte der Herr Bundeskanzler hinzu, er habe auf jeden Fall seine Rückkehr abwarten wollen. Darum habe er dem französischen Hohen Kommissar lediglich zugesagt, ihm am Montag in dieser Angelegenheit Bescheid zu geben. Da Mr. McCloy erst heute - Dienstag - gekommen sei, habe er diese Absicht nicht verwirklichen können und werde deshalb heute Abend Herrn Blankenhorn zu M. François-Poncet entsenden. Der dem französischen Hohen Kommissar zu übermittelnde Bescheid werde selbstverständlich vom Ausgang des heutigen Gesprächs mit Mr. McCloy abhängen.
Der französische Vorschlag habe die Abhaltung einer Viererkonferenz auf irgendeiner Ebene - es sei die Ebene Riddelberger vorgeschlagen worden - und die Beschränkung auf zwei Fragen vorgesehen: die Voraussetzungen für freie Wahlen und die Rechte einer gesamtdeutschen Regierung. Diesem Vorschlag könne er, der Kanzler, sich nicht anschließen. Wenn er Russe wäre, würde er diesen Vorschlag sofort annehmen und versuchen, die Verhandlungen auf mindestens sechs Monate zu erstrecken und dadurch eine Verzögerung herbeizuführen.
Auf die letzte Sowjetnote eingehend, wies der Herr Bundeskanzler auf die sowjetische These hin, dass bei der Ausarbeitung eines Friedensvertrages mit Deutschland die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens zur Richtschnur genommen werden müssten und dass eine gesamtdeutsche Regierung ebenfalls durch die Potsdamer Beschlüsse auch nach dem Abschluss eines Friedensvertrages gebunden sei.
Die letzte Note der Westmächte sei ausgezeichnet formuliert gewesen. Die Sowjets hätten in ihrer Antwort darauf wieder verschiedene Fragen unbeantwortet gelassen. Ihr Standpunkt unterscheide sich in wesentlichen Punkten grundsätzlich von der Politik und den Zielen der Westmächte. Er, der Kanzler, könne daher nicht verstehen, wie gerade jetzt nach dieser Note der Vorschlag zur Abhaltung einer Viermächtekonferenz gemacht werden könne.
Der Herr Bundeskanzler hob erneut hervor, dass eines Tages eine Konferenz mit den Russen stattfinden müsse, dass hierzu jedoch der richtige Augenblick zu wählen sei, d.h. wenn die europäische Integration größere Fortschritte gemacht habe und der EVG-Vertrag ratifiziert worden sei. Daher erfordere die Antwortnote der Westmächte eine sehr sorgfältige Formulierung, die der der zweiten Antwortnote der Westmächte an Geschicklichkeit gleichkomme. Jener Note habe auch die SPD ihre Zustimmung nicht versagt. Man dürfe aber nicht vergessen, dass die SPD nicht bekehrt werden könne. Er habe zufällig die vertrauliche Information darüber erhalten, dass man in den innersten Kreisen der SPD die Ratifizierung der Verträge auf jeden Fall ablehnen werde, ohne Rücksicht darauf, ob eine Konferenz mit den Russen zustande komme oder nicht. Daher sei es zwecklos, auf eine Änderung in der Haltung der SPD zu warten. Die Bevölkerung der Bundesrepublik unterstütze die bisherige Politik der Regierung und verlange einen klaren Kurs. Eine Meinungsbefragung, die vor kurzem über die Politik des Bundeskanzlers angestellt worden sei, habe zum ersten Mal ergeben, dass eine Mehrheit von 53 % der Befragten die Politik des Kanzlers für gut hielt. Vor einem Jahr hätten sich nur 30 % der Befragten zur Regierungspolitik bekannt. Der Herr Bundeskanzler gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Bundestag die Verträge ratifizieren werde, falls die Abgeordneten durch eine Viermächtekonferenz nicht zu einer zögernden oder abwartenden Haltung veranlasst würden. Im letzteren Falle würde das Schicksal Europas ausschließlich in den Händen der Russen liegen.
Auf den neuerlichen Flüchtlingsstrom eingehend, berichtete der Herr Bundeskanzler, dass im Verlauf der letzten zwei bis drei Wochen 6.000 Flüchtlinge in das Bundesgebiet gekommen seien. Die Bevölkerung von ganzen Ortschaften habe unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe Zuflucht in der Bundesrepublik gesucht. Er gehe davon aus, dass es sich bei den Absperrungsmaßnahmen der Sowjets um eine Blockung der Sowjetzone gegenüber der Bundesrepublik handele, die in der Absicht durchgeführt werde, dass Eindringen demokratischer und freiheitlicher Ideen in die Sowjetzone zu verhindern. Der Verkehr von Deutschen nach Berlin sei jedoch ungehindert, ebenso seien die Verhandlungen über den Ost-Westhandel nie so gut verlaufen wie im Augenblick.
Zusammenfassend stellte der Herr Bundeskanzler fest, dass der amerikanische Senat durch eine baldige Ratifizierung der Verträge sehr große Hilfe leisten könne, und bat Mr. McCloy, falls dies möglich sei, durch einen entsprechenden Bericht darauf hinwirken zu wollen, dass die Verträge noch vor den Parlamentsferien des Senats ratifiziert würden.
Mr. McCloy erwiderte, dass man in den Vereinigten Staaten mit offenen Augen die Ereignisse in Europa verfolge und mit einiger Besorgnis Feststellungen zur Kenntnis nähme, wie z.B. die von Dr. Schumacher, dass er die Verträge nicht anerkennen würde, falls er Bundeskanzler würde. Er glaube daher, dass für das Verhalten des amerikanischen Senats maßgebend sei, was in Europa geschähe.
Darauf eingehend entgegnete der Herr Bundeskanzler, dass er das verstehe und - was die Ratifizierung durch die europäischen Parlamente angehe - auch wisse, dass z.B. Frankreich nicht vor Oktober an eine Ratifizierung denke. Ganz Europa warte auf Deutschland. Es sei ihm klar, dass Frankreich nicht vor Deutschland ratifizieren werde und dass die übrigen Parlamente keine Schritte unternehmen würden, solange nicht Deutschland und Frankreich ratifiziert hätten. Deutschland müsse daher als erstes Land vorangehen, und dies sei auch der Zweck aller seiner Bemühungen. Die Vorschläge für eine Viermächtekonferenz kämen jedoch zu diesem Zeitpunkt sehr ungelegen.
Mr. McCloy bestätigte, dass auch in den Vereinigten Staaten die französischen Vorschläge Bestürzung und Verwirrung hervorgerufen hätten. Es habe einiger Anstrengungen bedurft, um die Senatoren wieder zu beruhigen. Einige Senatoren hätten sogar vorgeschlagen, die Befragungen vor den Ausschüssen nicht weiter fortzusetzen.
Dennoch müsse die letzte Sowjetnote beantwortet werden. Einzelheiten darüber werde er morgen mit Mr. George Kennan, der aus Moskau komme, besprechen. Er persönlich halte im Hinblick auf die Ungewissheit, die noch über die Ratifizierung bestehe, den gegenwärtigen Zeitpunkt für die Abhaltung einer Viererkonferenz nicht für geeignet. Er sehe nicht ein, warum man wegen einer schwachen Note ein Risiko eingehen solle, ohne durch diese Note dazu gezwungen zu sein. Dies sei auch die Ansicht Mr. Achesons. Es habe ihn überrascht, dass Mr. Eden plötzlich eine andere Richtung als die bei seinem Aufenthalt in Bonn vertretene verfolgt habe.
Bei Beantwortung der Note müsse man seiner, Mr. McCloys, Auffassung zufolge die Schwächen der letzten Sowjetnote ausnützen und erneut darauf hinweisen, dass eine Kommission zunächst feststellen müsse, ob in ganz Deutschland die Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen gegeben seien. Er persönlich würde nicht weiter gehen.
Was den Bescheid an den französischen Hohen Kommissar betreffe, so schlage er dem Herrn Bundeskanzler vor, die oben entwickelten Gedanken in allgemeinen Zügen vorzutragen und besonders auf die in dem französischen Vorschlag enthaltenen Gefahren hinzuweisen. Die Drei Alliierten seien augenblicklich noch nicht in der Lage, einen gemeinsamen Entwurf vorzulegen, was auf Meinungsverschiedenheiten mit den Engländern und Franzosen zurückzuführen sei. Falls der Herr Bundeskanzler nachdrücklich auf die Befürchtungen hinweise, die er gegen den französischen Vorschlag habe, könne dies dazu beitragen, die Ausarbeitung eines gemeinsamen alliierten Vorschlages zu beschleunigen.
Er, Mr. McCloy, neige zu der Auffassung, dass es sich bei den Vorschlägen um eine französisch-britische Verschwörung handle. Mr. McCloy bat den Herrn Bundeskanzler ausdrücklich, in seiner Antwort an M. François-Poncet unter keinen Umständen Anlass zu der Annahme zu geben, dass er, der Kanzler, im gegenwärtigen Zeitpunkt die Abhaltung einer Viermächtekonferenz für gut halte.
Der Herr Bundeskanzler wies darauf hin, dass er dies bereits getan habe. Der französische Hohe Kommissar habe ihn am vergangenen Samstag unter dem Vorwand aufgesucht, ihm über die Sitzung der Hohen Kommissare in Berlin zu berichten, worüber M. François-Poncet jedoch kein Wort gesagt habe. Im Verlauf des Besuchs habe er ihn dann um einen schriftlichen Entwurf einer deutschen Stellungnahme gebeten. Dies habe er, der Kanzler, jedoch nicht getan, da er die verschiedenartigen Strömungen am Quai d'Orsay kenne und nicht wisse, was alles mit einer solchen schriftlichen Stellungnahme geschehen wäre. Daher sei eine gewisse Vorsicht geboten gewesen. Er werde nun dem französischen Hohen Kommissar die soeben mit Mr. McCloy erörterten Argumente vortragen lassen.
Mr. McCloy schnitt anschließend die Frage seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten an. Sowohl persönliche, familiäre wie auch stichhaltige politische Gründe ließen es ihm geraten erscheinen, im Laufe des Sommers von seinem Amt zurückzutreten. Sein Nachfolger werde mit aller Wahrscheinlichkeit Mr. Donelly sein, ein Berufsdiplomat, der bisher in Südamerika und als Hoher Kommissar in Österreich tätig gewesen sei. Er halte es für richtig, dass sein Nachfolger sobald wie möglich seinen Posten antrete, um sich mit den neuen Aufgaben vertraut zu machen.
Mr. McCloy hielt es nicht für zweckmäßig, bis zur Ratifizierung der Verträge in Deutschland zu bleiben, da einerseits der Zeitpunkt noch ungewiss sei und andererseits diese Tatsache falsch ausgelegt werden könne. Selbstverständlich werde er noch hierbleiben, solange er gebraucht werde und deswegen Deutschland auch noch nicht Ende Juni verlassen. Als Reisetag habe er den 10. oder 21. Juli ins Auge gefasst. Bevor er sich endgültig entschließe, wolle er den Herrn Bundeskanzler um seine Meinung bitten.
Der Herr Bundeskanzler erklärte, er verstehe die Gründe sehr wohl, wolle aber nicht verheimlichen, dass er sich im Verlauf der letzten drei Monate nie so sehr Sorge um die Zukunft gemacht habe, wie gerade in der zweiten Hälfte der vergangenen Woche. Er bitte daher auch Mr. McCloy, so lange wie möglich in Deutschland zu bleiben und mit seiner Rückkehr zu warten, bis die Schwierigkeiten in London und Paris überwunden seien. Er hoffe zwar, dass Mr. Acheson bei seinem Besuch in London sehr viel dazu beitragen könne, dennoch sei dort die Lage sehr kritisch. Churchill sei ein alter Mann, Eden stehe weitgehend unter seinem Einfluss, innerhalb der konservativen Partei zeichneten sich ernste Meinungsverschiedenheiten ab und das Schattenkabinett der Labour-Party sei vor kurzem bei einem Besuch in Bonn eingehend von der SPD informiert worden. Die augenblickliche Lage sei wirklich ernst und beunruhigend. Es liege deshalb im gemeinsamen Interesse, wenn Mr. McCloy nicht vor dem 21. Juli abreise. Er, Mr. McCloy, würde sich bestimmt auch Vorwürfe machen, falls bei einer verfrühten Rückkehr nach Amerika etwas eintreten würde, was durch sein Hiersein hätte vermieden werden können. Falls Mr. McCloy zu früh abreise, könne dies eine Schwächung der amerikanischen Position gegenüber den britischen und französischen Hohen Kommissaren bedeuten, die beide durch sehr strikte Instruktionen ihrer Regierungen gebunden seien.
Der Herr Bundeskanzler glaubte, nicht zu pessimistisch zu sein, wenn er feststelle, dass die Lage in Deutschland und in Europa sehr gefährlich und kritisch werde, wenn die starke Hand der Vereinigten Staaten fehle. Die französische Haltung erinnere ihn an Leute, die zwar einen Badeanzug angezogen hätten, aber doch zu bange seien, ins Wasser zu springen.
Herr MD Blankenhorn bemerkte hierzu, dass nie zuvor eine einflussreiche und starke amerikanische Persönlichkeit in Deutschland mehr vonnöten gewesen sei als gerade jetzt. Es handele sich dabei nicht nur um die Möglichkeit eines Gedankenaustausches und gegenseitiger Mitteilung zwischen den Regierungen, sondern auch um den Einfluss, den eine solche Persönlichkeit auf alle politischen Elemente ausüben könne. Es liege in der menschlichen Natur, dass der Rat ausländischer Persönlichkeiten mehr als der der eigenen Landsleute geschätzt werde. Die gegenwärtige Krise sei so ernst, dass ein so schwerwiegender Personalwechsel nicht nur das amerikanische, sondern auch das deutsche und europäische Interesse berühre.
Mr. McCloy verstand diese Gründe, glaubte aber doch, dass sein Nachfolger sich sobald wie möglich mit den Verhältnissen und Problemen vertraut machen müsse; denn auch im Herbst und Winter werde es noch zahlreiche ernste und schwierige Fragen zu lösen geben. Er werde versuchen, bis zum 21. Juli in Deutschland zu bleiben, und hoffe, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Schwierigkeiten in London und Paris beseitigt seien. Evtl. könne er selbst in den letzten Tagen seines Aufenthaltes in Europa noch nach Paris und London fahren, um sein Teil hierzu beizutragen.
Der Herr Bundeskanzler machte Mr. McCloy den Vorschlag, selbst bei einer Rückkehr am 21. Juli sein Amt noch nicht endgültig aufzugeben und die Möglichkeit einer Rückkehr, falls sie erforderlich sein sollte, offen zu halten. Bei dem Ansehen, das Mr. McCloy genieße, halte er im Interesse Deutschlands und der Vereinigten Staaten die Anwesenheit Mr. McCloys bis zur Ratifizierung durch den Bundestag für unbedingt erforderlich. Wenn der Senat und der Bundestag die Verträge ratifiziert hätten, würde dies eine gewisse Beruhigung und Stabilität der Lage mit sich bringen.
Auf den Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers erwiderte Mr. McCloy, dass eine nicht endgültige Aufgabe des Amtes aus praktischen Gründen wohl kaum möglich sei. Sollte seine Rückkehr nach Europa jedoch unbedingt erforderlich werden, so bestünde vielleicht die Möglichkeit, gewissermaßen als Sonderbotschafter oder Sonderbeauftragter zurückzukehren. Er wolle Mr. Acheson diesen Vorschlag unterbreiten. Zusammenfassend wies Mr. McCloy darauf hin, dass man trotz des Ernstes der Lage die Fortschritte nicht vergessen dürfe, die durch die gemeinsame Arbeit erzielt worden seien; sie kämen insbesondere zum Ausdruck in der Haltung des amerikanischen Senats und in der Reaktion der Russen.
Besonders eindrucksvoll sei auch die Haltung der deutschen Bevölkerung in der Ostzone, wo vor kurzem durch amerikanische Beauftragte eine Meinungsbefragung durchgeführt worden sei. Die den 500 Befragten vorgelegten Fragen behandelten das Problem, ob das sowjetische Angebot in Bezug auf Deutschland angenommen werden solle und ob es richtig gewesen sei, dass Westdeutschland die vertraglichen Abmachungen abgeschlossen habe. Im ersten Fall hätten 73 % mit nein, 15 % mit ja geantwortet. Bei der zweiten Frage hätten 80 % der Befragten den Abschluss der Verträge für richtig gehalten.
Abschließend bat der Herr Bundeskanzler Mr. McCloy noch einmal, Deutschland unter keinen Umständen zu früh zu verlassen.
[Hs.:] Weber
Quelle: Aufzeichnung des Chefdolmetschers des Auswärtigen Amtes, Weber, in: BArch, NL Blankenhorn 351/10, Bl. 117-130.