17. November 1964

Ansprache bei der Trauerfeier für Heinrich von Brentano in Bonn (Bundeshaus)

 

Herr Bundespräsident! Verehrte Trauerversammlung! Meine Damen und meine Herren!

Hier in diesem Saale, von dem der politische Lebensstrom des deutschen Volkes nach seinem Zusammenbruch ausgegangen ist, steigt mit zwingender Gewalt die Gestalt des politischen Führers Heinrich von Brentano vor unserem geistigen Auge auf. In diesem Saale haben wir alle ihn so oft gehört, wenn er den Willen seiner Fraktion, ihre Erwägungen, ihre Beweggründe zum Ausdruck brachte. Er sprach klar und bestimmt, manchmal geschliffen und scharf, aber niemals verletzend. Seine Sprache entsprach seinem Charakter: klug, bestimmt, aber immer auch respektierend echte Argumente des Gegners. Er kämpfte gern, aber seine Waffen waren immer blank und sauber. Es war eine Freude, ihm zuzuhören, seinen Argumenten und Schlüssen zu folgen. So wirkte er als Redner überzeugend. Damit schuf er sich eine feste Basis für sein Wirken als Parlamentarier und als Vorsitzender und Führer seiner Fraktion.

Nach seinem Eintritt in das politische Leben, nach dem Zusammenbruch Deutschlands lenkte seine politische Begabung bald die Aufmerksamkeit seiner Parteifreunde auf ihn, so dass er von ihnen in schneller Folge mit immer größeren und schwereren Aufgaben betraut wurde. In Hessen, seinem Heimatlande, trat er in die vorderste politische Reihe. Im Parlamentarischen Rat, der im Jahre 1948 zusammentrat, nahm er, von allen anerkannt, eine führende Rolle ein. Nach dem Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages im Jahre 1949 wurde er von seiner Fraktion zum Vorsitzenden gewählt. Die Aufgabe, eine so große Fraktion zu leiten, ist schwer, doppelt schwer, weil es ja der erste Deutsche Bundestag war und daher sich noch keine Tradition in der Gestaltung seiner Arbeit gebildet hatte. Schon in den ersten Monaten nach dem Zusammentreten des Bundestages hat Herr von Brentano als Fraktionsvorsitzender zu den schwersten Fragen Stellung nehmen müssen. Ich nenne nur folgende Beispiele: die Saarfrage, das deutsch-französische Verhältnis, den Beitritt in den Europarat, den Schuman-Plan, den deutschen Verteidigungsbeitrag; welche Fülle von Fragen in kurzer Zeit, in der er als Vorsitzender der großen Fraktion der CDU/CSU für den Zusammenklang des Willens seiner Fraktion mit der Bundesregierung sorgen und dann später in diesem Saale die Führungsrolle übernehmen musste.

Die Führung einer so großen Fraktion war nicht immer leicht, zumal, da er auch auf die Zustimmung seiner Koalitionsfreunde bedacht sein musste. Seinem liebenswerten Wesen, durch das aber immer das innere Zielstreben hindurch schimmerte, seiner großen Geschicklichkeit in der Menschenbehandlung, seinem klaren Verstand, gelang es, auch bei ursprünglichen Meinungsverschiedenheiten seine Fraktion auf den schwierigen, manchmal so steinigen Wegen zu großen Zielen zu führen.

Die Bundesregierung dieser Jahre schuldet ihm besonders für seine Hilfe, den richtigen Weg zum Wiederaufstieg Deutschlands von Anfang an einzuschlagen, großen und herzlichen Dank. Denn der Anfang des Weges, seine Richtung war ja entscheidend für das Schicksal unseres Landes.

Als im Jahre 1951 von den Hohen Kommissaren der Bundesrepublik die Einrichtung eines Außenministeriums gestattet wurde, lag es in der Natur der Sache, dass der Bundeskanzler vom Bundespräsidenten zum Außenminister ernannt wurde und das Außenministerium zunächst selbst führte, damit die gradlinige Weiterführung der deutschen Außenpolitik, wie sie im Zusammengehen mit der Hohen Kommission und der Bundestagsfraktion der CDU/CSU entwickelt worden war, gewahrt blieb.

Als das gesichert war und als die ständig wachsende Fülle der Arbeit einen Außenminister erforderte, der sich ganz der Außenpolitik widmen konnte, wer kam da für dieses so wichtige Amt in Frage, nur Herr von Brentano. Er hatte sich auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender seiner Fraktion immer für Außenpolitik interessiert, er hatte auch in seiner Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender maßgebend an der Außenpolitik mitgearbeitet, er war durch große Auslandsreisen, die er als Fraktionsvorsitzender unternommen hatte, im Ausland bekannt geworden und hat sich dort einen ausgezeichneten Ruf erworben. Niemand war geeigneter, Außenminister zu werden als er. Nach seiner Ernennung hat er in einer Botschaft an die Angehörigen seines Ministeriums deren Aufgabe wie folgt zusammengefasst: Der deutsche Auswärtige Dienst hat die Aufgabe, das Verhältnis Deutschlands zu den anderen Nationen im Sinne der von der Bundesregierung verfolgten Politik so zu entwickeln und zu formen, dass wir die Zielsetzung des Grundgesetzes verwirklichen können: in einem geeinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Das Außenministerium hat er diesen Worten entsprechend geführt. Er war ein guter Deutscher, er war ein guter Europäer, er war ein Freund des Friedens. Es war für mich als damaligen Bundeskanzler im Jahre 1961 bei der Bildung des Kabinetts nach den Wahlen 1961 ein Rätsel, warum er das Außenministerium, das er so liebte, in dem er so ausgezeichnet gearbeitet hatte, um dessen Übernahme ich ihn immer und immer wieder gebeten hatte, in einem plötzlich bekannt gegebenen Entschlusse rigoros ablehnte.

Diese Ablehnung traf mich wie ein Schlag. Wir hatten sechs Jahre so ausgezeichnet zusammengearbeitet, wir hatten die gleichen politischen Grundsätze, wir hatten die gleichen Ziele. Wir waren Freunde im wahren Sinne des Wortes, ich verstand ihn damals nicht. Erst später, als die Krankheit, der er erlegen ist, offenbar wurde, habe ich ihn verstanden. Dieser Verzicht auf ein Amt, das er von ganzem Herzen liebte, in dem er so Großes geleistet hatte, zeigt die ganze Größe dieses Mannes, der uns nun für immer verlassen hat. Wie ein Held hat er gegen die Krankheit gekämpft, hat er versucht, seine Kraft, soweit die Krankheit es ihm erlaubte, seinen Idealen, seinen Freunden, seiner Fraktion, seinen Zielen zu widmen.

Fürwahr: er war ein Mann, ein lauterer Mann, ein Kämpfer, ein stiller Dulder. Gott wird ihm helfen. Wir aber danken ihm, danken ihm von ganzem Herzen. Wir werden sein Andenken in hohen Ehren halten.

 

Quelle: StBKAH, maschinenschriftliches Redemanuskript.