18. August 1961

Wahlrede auf einer Großkundgebung in Essen

Meine lieben Parteifreunde! Es sind ereignisvolle Tage, die wir jetzt durchleben. Sie kennen den Tatbestand. Sie wissen, dass vor knapp einer Woche die kommunistische Sowjetzone durch Betonpfähle und durch Stacheldraht Berlin in zwei Teile geteilt hat, und die Erregung des Volkes, namentlich auch der Bevölkerung von Berlin, aber des ganzen deutschen Volkes können wir verstehen. Meine Freunde, es ist an sich ein gutes Zeichen dafür, dass in unserem Volk das politische Leben, das politische Wollen so stark ist. Viele sind durch den Vorgang überrascht worden, und aus dieser Überraschung heraus sind sie enttäuscht, weil ihnen gesagt worden ist, es hätten insbesondere die Vereinigten Staaten - der Präsident Kennedy -, aber auch Großbritannien und Frankreich mehr tun müssen, als papierne Erklärungen abzugeben. Dazu möchte ich Ihnen einige Worte sagen.

Glauben Sie mir folgendes: Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wenn tatsächlich im deutschen Volke der Glaube Platz griffe, dass Amerika enttäuschte. Meine Freunde, warum hat Ulbricht mit Genehmigung von Chruschtschow und des gesamten Ostblocks diese Teilung vorgenommen? Vor allem wegen der in der Flucht von Zehntausenden zutage tretenden Bankrotterklärung des kommunistischen Zonenregimes. Vielleicht spielte auch die Absicht dabei eine Rolle, namentlich auf Seiten Sowjetrusslands, sich für die Verhandlungen über Westberlin und die von der Sowjetunion geforderte Anerkennung der Sowjetzone als Staat eine Basis zu schaffen. Die Westmächte haben zunächst durch ihre Kommandanten in Berlin Protest einlegen lassen und dann durch Noten, die gestern der sowjetischen Regierung in Moskau übergeben worden sind, die Rückgängigmachung der von dem Zonenregime getroffenen Anordnungen verlangt. Das ist der Tatbestand.

Es gibt - ich habe das eingangs ja gesagt, und man darf die Augen nicht davor verschließen - in Deutschland Stimmen der Unzufriedenheit und Enttäuschung. Aber ich glaube, dass die Westalliierten, an der Spitze die Vereinigten Staaten, gar nicht anders hätten handeln dürfen, wie sie gehandelt haben. Und von all den zahlreichen Kritikern hat noch niemand, auch nicht der Bürgermeister von Berlin, bisher gesagt, was denn die Alliierten hätten tun sollen. Ich möchte versuchen, Ihnen die Lage in der Welt und in Europa klarzulegen, damit Sie selbst sich ein Urteil darüber bilden können, ob die Alliierten richtig gehandelt haben oder nicht. Ich lege dieser Aufklärung ein außerordentlich großes Gewicht bei. Denn Chruschtschow, meine Damen und Herren, würde einen ganz ungeahnten Erfolg durch diese Maßnahme erreichen, wenn es ihm dadurch gelingen würde, innerhalb des Westblocks zwischen Amerika, Großbritannien, Frankreich und uns Zweifel und Enttäuschung hervorzurufen.

(Starker Beifall.)

Ich bedauere eigentlich, dass auch politisch denkende Menschen, auch Zeitungen, in ihrer Kritik des Vorgehens der drei Westalliierten so außerordentlich scharf, ja verletzend geworden sind. Ich meine, dass gerade diejenigen, die sich mit Politik beschäftigen, doch in erster Linie wissen müssen, dass unsere beste Waffe gegenüber dem Ostblock die Einigkeit ist,

(Starker, anhaltender Beifall.)

und dass man sich darum sehr sorgfältig hüten muss, ehe man derartige Mitteilungen der Öffentlichkeit übergibt, wie wir sie leider erlebt haben.

Meine Freunde, zwischen dem Ostblock und dem Westblock bestehen mehrere Differenzen bezüglich Deutschlands. Sie wissen, dass Berlin noch immer eine besetzte Stadt ist. Die Besatzungsmächte, die Vereinigten Staaten, England und Frankreich und die Sowjetunion, übten zunächst ihre Macht in Berlin durch den von ihnen gebildeten Viermächte-Kontrollrat gemeinsam aus, obwohl Berlin in vier Besatzungszonen geteilt war. Im Laufe der Jahre wurde dieser Kontrollrat immer mehr seiner Bedeutung entkleidet. Die drei Besatzungszonen der Westmächte wurden gemeinsam von den drei westlichen Besatzungsmächten, die sowjetische Besatzungszone von den Russen verwaltet. Es blieb eine Viermächte-Verwaltung für gewisse Sparten bestehen, z.B. für den Verkehr zwischen dem Ostsektor und den Westsektoren und zwischen der Zone und den Westsektoren von Berlin.

Diese Bestimmung, die auf vertraglichen Abmachungen beruht, ist am 13. August von Ulbricht einseitig und brutal gebrochen worden. Gegen die Teilung Berlins hat damals unser Freund Friedensburg Protest eingelegt; er war damals der Bürgermeister von ganz Berlin. Als diese Teilung eintrat, im Kontrollrat und in der ganzen Verwaltung der Stadt, bestand die Bundesregierung überhaupt noch nicht, meine Damen und Herren. Sie konnte also auch nichts dagegen tun. Warum sage ich Ihnen das? Weil z.B. die „Zeit" sich einen Artikel geleistet hat, der hanebüchener Unsinn ist, aber sehr schädlich, und der davon spricht, dass wir alle geschlafen hätten. Mir scheint, dass die „Zeit" geschlafen hat.

(Starker Beifall.)

Nun, meine Damen und Herren, in den Jahren nach dem deutschen Zusammenbruch im Jahre 1945 haben sich zwischen dem von der Sowjetunion geführten kommunistischen Ostblock und dem demokratischen unter der Führung der USA stehenden Westblock in verschiedenen Teilen der Welt Gegensätze herausgebildet und sich immer weiter verschärft. Einen entscheidenden Einfluss auf die ganze politische Lage in der Welt übte die Entwicklung der nuklearen Waffen aus. Durch die Entwicklung der nuklearen Waffen hat sich überhaupt die ganze Politik, die ganze Außenpolitik völlig verändert. Die nuklearen Waffen können zur Vernichtung ganzer Länder in kürzester Zeit führen. Ein mit nuklearen Waffen geführter Krieg würde eine Zerstörung und ein Verderben über die Erde bringen, wie es bisher noch niemals gewesen ist. Das, meine Freunde, muss in dem Zusammenhang gesagt sein, weil mit diesem Hintergrund gesehen die heutige Lage auf der Erde wirklich erkannt werden kann.

In der heutigen Sitzung des Bundestages, die sich mit Berlin beschäftigte, haben die Sprecher aller drei Fraktionen mit Recht verlangt - und es war auch unsere Meinung, die Meinung der Bundesregierung -, dass der Versuch gemacht werden muss, im Wege von Verhandlungen mit der Sowjetunion eine Lösung der Spannungen und auch des deutschen Problems zu finden. Herr Ollenhauer, der Sprecher der Sozialdemokratischen Fraktion, hat diesem Verlangen noch die Worte hinzugefügt: „angesichts der drohenden Kriegsgefahr". Das war ein wahres Wort, meine Damen und Herren, und daher bitte ich zunächst von mir anzunehmen, dass man bei einer solchen Lage in der Welt jeden Schritt sehr sorgsam überlegen muss, damit man im Wege der Verhandlungen die Spannung löst und nicht einen Krieg auf der Erde heraufbeschwört, bei dem alles vernichtet wird, bei dem es weder Sieger noch Besiegte gibt.

(Stürmischer, anhaltender Beifall.)

Lassen Sie mich jetzt noch einmal den Satz wiederholen, den ich zu Anfang gesagt habe: Eine Vertrauenskrise unter den Völkern des Westens, Enttäuschung bei uns gegenüber den USA würde eine katastrophale Schwächung des Westblocks gegenüber dem Ostblock zur Folge haben. Es würde das ein Erfolg der Sowjetunion von dieser Aktion sein, den auch Chruschtschow, glaube ich, niemals sich hätte träumen lassen. Damit sollten unsere Kritiker und die Leute, die Transparente herumführen, und die Leute, die sich den dummen Witz erlauben, dem amerikanischen Präsidenten Kennedy einen Regenschirm zu schicken, zunächst mal bei sich selbst überlegen, in welch schauerlicher Verfassung und in welch schauerlicher Gefahr die ganze Erde ist, insbesondere auch wir Deutschen sind.

(Starker Beifall.)

Wir, meine Freunde, wollen keinen Krieg. Darum müssen und wollen wir verhandeln mit Sowjetrussland. Aber jede Verhandlung muss eingeleitet werden durch diplomatische Noten. Die Noten, die in Moskau übergeben sind, sind in ungewöhnlicher scharfer Form gehalten. Und jetzt müssen wir das Weitere in Ruhe und Entschlossenheit abwarten. Daneben, meine Freunde, müssen wir stark sein auf militärischem Gebiet. Darum begrüße ich, dass die Kräfte von NATO zusammengerafft werden, und auch wir müssen dabei mithelfen, nicht, weil ich wünsch[te] oder überhaupt glaubte, dass es zum Krieg kommen würde; nein, meine Freunde, weil Sowjetrussland niemals mit einem Gegner verhandelt, der schwach ist.

(Starker, anhaltender Beifall.)

Wir müssen auch - und diese Seite der Sache ist sowohl auf der Pariser Außenministerkonferenz wie in einer langen Unterredung, die ich beim Besuch des amerikanischen Außenministers Rusk bei mir in Cadenabbia hatte, besprochen worden - auch wirtschaftliche Maßnahmen vorsehen, wenn die Verhandlungen mit Sowjetrussland nicht beginnen sollten, oder wenn sie von Sowjetrussland in einer Weise geführt werden, dass versucht werden müsste, Sowjetrussland klarzumachen, dass wir ihm auf wirtschaftlichem Gebiet turmhoch überlegen sind.

(Starker Beifall.)

Diese Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet müssen in der richtigen Reihenfolge angewandt werden, und sie müssen im richtigen Augenblick beginnen, nicht zu früh, aber auch nicht zu spät. Der Ostblock - davon bin ich zutiefst überzeugt - würde empfindlich von diesen Maßnahmen getroffen werden und der Aufbau der Wirtschaft Sowjetrusslands würde durch diese Maßnahmen stark gedämpft, wenn nicht unmöglich werden.

Lassen Sie mich ein Wort sagen zu dem Stand der Wirtschaft im Ostblock. Sie wissen, wie es in der Sowjetzone seit Monaten aussieht. Sie haben gelesen, wie es in Polen aussieht, in der Tschechoslowakei, in Rumänien. Und wenn auch die Sowjetunion in manchen Sparten ihrer Wirtschaft, insbesondere auf militärisch-technischem Gebiet, große Erfolge erreicht hat - im Durchschnitt gesehen, meine Freunde, ist die russische Wirtschaft weit hinter der europäischen und der amerikanischen Wirtschaft zurück. Denn sonst würde Sowjetrussland es nie zulassen, dass die Verhältnisse in der Ostzone so sind, wie wir sie nun alle kennen. Es würde dann auch kein Plan für 20 Jahre gemacht werden. Also, wie in 20 Jahren die Wirtschaft aussieht - und jetzt einen Plan zu machen für die Wirtschaft nach 20 Jahren -, na, meine Freunde, ja ich will nur die Achseln zucken und das Meine dazu denken.

(Starker Beifall.)

Meine Freunde, Präsident Kennedy hat seinen Vizepräsidenten Johnson nach hier geschickt, und morgen Vormittag um 10 Uhr werde ich in Bonn eine Besprechung mit Johnson, der übrigens ein alter Freund von mir ist, über die gesamte Lage haben.

(Starker Beifall.)

In Begleitung von Johnson befindet sich der General Clay, den wir ja auch alle kennen und der uns kennt. Ich glaube, meine Damen und Herren, diese Tatsache, dass Johnson, der ein sehr tatkräftiger Mann ist, nach hier geschickt wird, die sollte doch auch die Transparente-Leute usw. davon überzeugen, dass Kennedy fest entschlossen ist, mit uns zusammenzuarbeiten und zu handeln.

(Starker Beifall.)

Heute Vormittag bis spät über Mittag war, wie Sie wissen, diese Bundestagssitzung in Bonn. Die Bundesregierung hat durch meinen Mund eine Erklärung abgegeben, und dann haben die Vertreter der drei Fraktionen gesprochen. Ich habe eben schon gesagt, dass die Bundesregierung fest entschlossen ist, jeden Ansatz zu Verhandlungen zwischen den vier für Berlin maßgebenden Mächten und uns herbeizuführen. Sie wissen, meine Damen und Herren, dass in dieser Woche am Mittwoch der russische Botschafter Smirnow im Auftrage von Chruschtschow bei mir war, und dass ich mit ihm ein mehr als einstündiges Gespräch gehabt habe. Es mag etwas auffällig gewesen sein, dass ich gerade einige Tage, nachdem das in Berlin passiert ist, eine solche Unterredung gehabt habe. Aber, meine Damen und Herren, ich habe die Frage Berlin natürlich bei ihm zur Sprache gebracht; er hat mehr über die allgemeine Weltlage gesprochen. Das Gespräch verlief ohne jede Schärfe, und ich glaube, es war richtig von mir, dass ich seiner Bitte um ein Gespräch nachgekommen bin, auch in diesem Zeitpunkt.

(Starker Beifall.)

Meine Damen und Herren, ich bin - und mit mir sind es wohl alle diejenigen, die die Dinge näher kennen - eigentlich doch sehr berührt dadurch, dass die Sowjetunion, die ja die führende Macht des Ostblocks ist, diese Aktion durch Ulbricht hat starten lassen. Aber diese Aktion - auch das muss man einmal aussprechen, darüber muss man mal nachdenken - hat einige gute Seiten. Sie hat gezeigt, und hat der ganzen Welt gezeigt, dass wir nicht die Militaristen sind, wie immer behauptet wird, sondern dass die Kommunisten in der Sowjetzone die Militaristen sind.

(Starker Beifall.)

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass diese Aktion in der gesamten Welt, auch in der Welt der Neutralen, diese Aktion, die da ausgeführt worden ist mit Volkspolizei und mit Volkssoldaten, mit Panzern mit allem möglichen, in der Welt zeigt, welcher von den beiden Teilen Deutschlands der Aggressive ist und wer es nicht ist. Meine Freunde, es ist ja auch doch vielleicht nicht ohne Bedeutung, dass, wenn in die Verhandlungen über die Zukunft West-Berlins eingetreten wird, die Chruschtschow ja seit drei Jahren verlangt, und wenn eingetreten wird in Verhandlungen über die Frage, dass die Sowjetzone als ein selbständiger Staat anerkannt wird, man dann vorher doch sieht an dem, was jetzt vor sich gegangen ist, was man auf etwaige Garantien der Sowjetzone für eine Freie Stadt Berlin geben darf.

(Starker Beifall.)

Meine Freunde, ich glaube, dass das vielleicht Folgen dieses Vorgehens der Zone sind, die sich die Urheber vorher nicht so sehr überlegt haben. Wir aber, wir Deutschen in der Bundesrepublik, wir fühlen zutiefst mit den Deutschen in Ost-Berlin und in der Sowjetzone, und wir bitten sie von ganzem Herzen, auszuhalten und die Hoffnung nicht dranzugeben.

(Starker Beifall.)

Meine Freunde, diese Betonpfeiler und dieser Stacheldraht machen schließlich nicht Weltgeschichte. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat im Laufe von wenigen Jahren einen Siegeszug über die ganze Welt angetreten, und ich bin der festen Überzeugung, dass das, was man jeder Kolonie in Afrika gewährt - das Selbstbestimmungsrecht -, den Deutschen im Herzen Europas nicht auf die Dauer verwehrt werden kann.

(Stürmischer, anhaltender Beifall.)

Und dann, meine Freunde, ist der Tag gekommen, der Tag der Wiedervereinigung in Freiheit, an den ich glaube mit aller Kraft und in vollster Überzeugung. Denn gegen das Recht und gegen die Prinzipien, wie das Prinzip der Freiheit und der Selbstbestimmung der Völker, kann auf die Dauer auch kein kommunistischer Staat an.

(Starker Beifall.)

Wir hoffen, meine Freunde, dass die Verhandlungen mit der Sowjetunion bald aufgenommen werden, und wir würden es begrüßen, wenn dann als erster Punkt auf der Tagesordnung stünde, dass die alten Verhältnisse in Berlin wiederhergestellt werden. Darin würden wir ein Zeichen dafür sehen, dass auch die Sowjetunion in Wirklichkeit Frieden in der Welt will.

(Starker Beifall.)

Nun, meine Freunde, wir stehen vor einer Bundestagswahl, und mancher fragt sich vielleicht, ist es richtig, in solchen Zeiten eine Wahl abzuhalten. Und wenn es unbedingt sein muss, kann man es dann nicht nett miteinander machen!

(Heiterkeit.)

Ja also, meine verehrten Damen und Herren, das Grundgesetz verlangt eine Wahl, weil die Wahlperiode dieses Bundestages abläuft, und ich glaube nicht, dass etwa die SPD bereit wäre, einer Abänderung des Grundgesetzes zuzustimmen, wonach die Legislaturperiode dieses Bundestages um weitere vier Jahre verlängert wird.

(Lachen und Beifall.)

Aber, meine Damen und Herren, wenn sie das will, Gott, dann werden wir einverstanden sein.

(Heiterkeit und Beifall.)

Nun Wahlen - Bundestagswahlen; vier Wochen stehen noch vor uns, meine Freunde. Ich will Sie, namentlich nach den ausgezeichneten Ausführungen des Landtagspräsident[en] Johnen, nicht mit großen parteipolitischen Ausführungen jetzt hier noch festhalten - aber ich sage doch folgendes: Ist es nicht klüger, in einer so schwierigen Lage, wie es die Lage Deutschlands jetzt und in den nächsten Monaten, sicher in den nächsten zwölf Monaten sein wird, die Kräfte, die jetzt 12 Jahre lang in der Außenpolitik positiv gearbeitet haben, die Erfahrungen gesammelt haben, die Anknüpfungsstellen gefunden haben, dort zu belassen, als es mit einer neuen Gesellschaft, die bisher doch völlig versagt hat auf dem Gebiet der Außenpolitik, zu versuchen?

(Stürmischer, anhaltender Beifall.)

Ich glaube, das ist ein Argument, das eigentlich jeder verstehen muss, und das ist doch überzeugend. Was brauche ich Ihnen denn heute Abend im einzelnen viel darüber vorzutragen? Sehen Sie, Herr Präsident Johnen hat alle die Neins der Sozialdemokratie vorgetragen, inklusive des Neins vom Herrn Regierenden Bürgermeister Brandt, und ich muss sagen, wenn ich mir jetzt ein Haus bauen lassen wollte, und es steht ein Architekt da, der schon Häuser für mich gut und preiswürdig gebaut hat, und dann käme ein anderer Architekt, dem ein Haus nach dem anderen eingefallen ist,

(Heiterkeit und stürmischer Beifall.)

sehen Sie, die Wahl wäre schnell bei mir getroffen. Aber wir wollen bei der Wahl am 17. September, meine Freunde, eine möglichst große Mehrheit haben, und wir wollen wieder eine absolute Mehrheit haben.

(Stürmischer Beifall.)

Es soll uns doch mal einer nachweisen, dass wir von der absoluten Mehrheit einen schlechten Gebrauch gemacht haben. Nach meiner Meinung - das sage ich als Fraktionsmitglied - haben wir manchmal zu wenig Gebrauch davon gemacht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man schneller davon Gebrauch gemacht. Denn, meine Damen und Herren, die Lebenszeit eines Parlaments beträgt vier Jahre, das ist eine kurze Zeit. Sehen Sie, in einem Parlament sind präter propter nach der Wahl 25% Neue, und die ganzen Ausschüsse werden neugewählt, die Vorsitzenden der Ausschüsse. In den Fraktionen müssen sich die Neuen zurechtfinden, und die Fraktionen, die zum Teil ein anderes Gesicht bekommen, untereinander sich auch abtasten. Das hat zur Folge, dass fast ein Jahr für die wirklich ernste Arbeit verlorengeht, und wenn dann drei Jahre vorüber sind, meine Freunde, dann sieht jeder schon auf die Neuwahl, dann wird die Sache auch schlecht im Parlament. Dann wird doch vielleicht von dem einen oder anderen bei einer Abstimmung zu sehr daran gedacht: Sorge dir, dass du Freunde unter den Wählern hast. Und darum bin ich dafür, dass man, wie uns das bei der Krankenversicherung durch die Sozialdemokraten vorgemacht worden ist, nicht endlose Reden macht. Natürlich muss geredet werden, in den Ausschüssen; es muss gesprochen werden - ich will nicht sagen geredet werden, aber es muss gesprochen werden -, und das Für und Wider muss klargelegt werden, aber dann, meine Damen und Herren, muss abgestimmt werden. Die Hauptsache ist nicht das Reden, sondern das Abstimmen. Und nun Koalitionen. Da hat die FDP gesagt, sie wolle mit uns eine Koalition machen. Ich muss Ihnen sagen, die Botschaft höre ich, doch mir fehlt der Glaube, denn sehen Sie, wenn ich mit einer anderen Partei eine Koalition abschließen kann, dann trete ich der doch nicht vor der Wahl ständig auf sämtliche Hühneraugen, das hat keinen Zweck.

(Heiterkeit.)

Ich habe namentlich den Demokraten übel genommen, dass sie hier in Nordrhein-Westfalen und in Bayern - da sind mir die größten Klagen gekommen - konfessionelle Hetze getrieben haben, und das ist etwas sehr Böses. Wir in Deutschland werden, und namentlich unsere Partei wird sich niemals nehmen lassen, dass die beiden christlichen Konfessionen zusammenarbeiten.

(Starker, anhaltender Beifall.)

Aber ich will Ihnen nur ein Beispiel erzählen von den Demokraten in den letzten Sitzungen des Bundestages - das war die Eherechtsgesetzgebung. Hitler hat in die Eherechtsgesetzgebung einen Paragraphen hineinsetzen lassen, durch den es einem böswilligen Ehegatten, wenn er auch schuldig war, möglich wurde, dass die Ehe getrennt wurde, auch gegen den Willen des unschuldigen Teils. Und diese Bestimmung wollten wir weghaben, weghaben, meine Freunde, weil doch bei einer Ehescheidung die Kinder diejenigen sind, die die Hauptlast zu tragen haben. Deswegen haben wir dieses Gesetz verabschiedet und haben dabei allerdings von unserer Mehrheit Gebrauch gemacht - Gott sei Dank!-,

(Starker Beifall.)

während die Freien Demokraten zusammen mit der Sozialdemokratie stimmten, wie überhaupt, meine Freunde, die Verwandtschaft, die Affinität wollte ich sagen - das Wort gibt es nicht genau wieder, Verwandtschaft ist nicht genau dasselbe, aber es ist etwas Ähnliches, lassen Sie mich diesen Ausdruck gebrauchen -, die Affinität zwischen der FDP und der SPD ist manchmal überraschend groß. Ich sehe darüber weg, meine Damen und Herren, dass die Sozialdemokraten in diesem Wahlkampf überhaupt keine roten Plakate mehr kleben. Aber es ist doch interessant, dass die FDP nur rote Plakate hat! Und so gibt es doch allerhand Absprachen, meine Damen und Herren, nicht zwischen Herrn Mende und Herrn Ollenhauer, wenn Herr Mende sagt, wir haben keine Absprache getroffen, so glaube ich das dem Herrn Mende. Wenn er mir aber sagen würde, auch hinter meinem Rücken sind keine Absprachen getroffen, so würde ich ihm sagen: Lieber Herr Mende, das weißt Du doch nicht.

(Heiterkeit.)

Daher bitte ich Sie sehr, sorgen Sie dafür, dass am 17. September der letzte Wähler zur Wahlurne geht, damit wir mit einer möglichst großen Stimmenzahl aus der Wahl hervorgehen. Das hilft unserer Politik gegenüber dem Ausland, und, meine Freunde, es hilft uns auch, wenn die FDP kommt und eine Koalition mit uns machen will.

(Lachen.)

Dann ist das Gespräch sehr viel einfacher, als wenn sie wirklich das Zünglein an der Waage wären, was sie niemals sein werden. Ich bitte Sie also sehr herzlich um folgendes zunächst: Beobachten Sie die außenpolitischen Vorgänge jetzt mit großer Aufmerksamkeit, aber auch mit Zurückhaltung, und lassen Sie sich nicht verleiten von Leuten, die vielleicht schlechten Willens sind, Zwietracht zu säen zwischen uns und den Vereinigten Staaten und Frankreich und Großbritannien. Denken Sie immer daran, dass nur die Einigkeit der freien Völker uns alle schützt und dass, wenn wir nicht einig sind, wir alle miteinander verloren sind. Ich bitte Sie also, geben Sie am 17. September durch eine möglichst große Wahlbeteiligung und durch eine möglichst große Stimmenzahl für die CDU/CSU vor der ganzen Welt Zeugnis davon, dass Sie zufrieden sind mit unserer Arbeit und dass Sie wollen, dass in den kommenden vier Jahren die Arbeit im gleichen Geiste und mit derselben Klarheit und derselben Geradheit fortgeführt wird.

(Stürmischer, lang anhaltender Schlussbeifall.)

 

Quelle: StBKAH I/02.24, maschinenschriftlich, nach einer stenographischen Nachschrift des BPA.