18. Januar 1947

Brief an William F. Sollmann, Pendle Hill, Wallingford/Pennsylvanien

William F. Sollmann (1881-1951), 1918-1924 Fraktionsvor­sitzender der SPD im Kölner Stadtrat, 1919-1933 MdR, 1923 Reichsminister des Innern im Kabinett Stresemann, nach 1933 in die USA emigriert, 1943 amerikanischer Staats­bürger.

 

Lieber Herr Sollmann!

 

Schon dreimal habe ich begonnen, Ihnen zu schreiben. Die Briefe wurden sehr lang und waren doch nicht fertig. Als ich sie dann von neuem zur Hand nahm, um sie zu voll­enden, waren immer schon wieder ganz andere Verhält­nisse bei uns eingetreten, so dass sie also veraltet waren. Heute erhielt ich Ihre beiden Drucksachen, die mich sehr interessieren.

Ich möchte Ihnen sehr vieles sagen, aber einmal kann man nicht alles dem Papier anvertrauen, und ferner würde ich nichts als Klagen vorbringen können. Das möchte ich nicht. Aber ich fasse alles in folgenden Sätzen zusammen: Die „Befreiung" ist eine grausame und harte Enttäuschung. Wenn nicht ein Wunder geschieht, geht das deut­sche Volk zu Grunde, langsam aber sicher!

In meiner engsten Familie geht es jetzt leidlich. Meine Frau war allerdings lebensgefährlich erkrankt. Die Lebensgefahr ihrer Erkrankung ist zurückzuführen auf Schäden gesundheitlicher Art, die sie im Gefängnis davon­getragen hat. Wir Alten müssen uns jeden Tag von neuem aufraffen, um den Jungen Mut zuzusprechen, oft gegen bessere Überzeugung.

Meine Frau und ich grüßen Sie und die Ihrigen recht herz­lich

 

Ihr

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 63.