18. Oktober 1954

Schreiben an John J. McCloy, New York

John J. McCloy (1895-1989), Dr. jur., amerikanischer Politiker, 1941-1945 Unterstaatssekretär im Kriegsministerium, 1947 Präsident der Weltbank, 1949-1952 Hoher Kommissar in Deutschland, 1953-1965 wieder in der Wirtschaft tätig, 1961 Leiter der zentralen Abrüstungsbehörde.

 

Lieber Herr McCloy!

Sie werden sich denken können, wie sehr mich die Ergeb­nisse der Londoner Konferenz mit Freude und neuer Hoff­nung erfüllt haben, nachdem wir mit der Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durch Frank­reich außenpolitisch praktisch vor einem Nichts standen. Das Zustandekommen des Londoner Abkommens ist zweifellos durch die tatkräftige Unterstützung der ameri­kanischen Regierung entscheidend gefördert worden. Ich darf dies mit Dankbarkeit feststellen.

Über diesem bedeutenden außenpolitischen Erfolg soll jedoch nicht vergessen werden, dass die Wiederbewaff­nung dem deutschen Volk neue schwere finanzielle Lasten aufbürdet. Dieses wiegt um so schwerer, weil es trotz aller vom Ausland anerkannten Anstrengungen noch nicht gelungen ist, alle in das Bundesgebiet eingeströmten Heimatvertriebenen in das Wirtschaftsleben der Bundes­republik einzugliedern. Die Aufgabe wird durch den lau­fenden Zustrom neuer Flüchtlinge aus der Sowjetzone noch weiter erschwert.

Ich habe wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass dieses Problem mit deutschen Mitteln allein nicht gelöst werden kann. Die Bundesrepublik ist, wenn das immer noch bestehende Elend vieler Vertriebener und Flüchtlinge beseitigt werden soll, auf die finanzielle Hilfe des Aus­landes angewiesen.

Ich darf mir daher die Bitte erlauben, dass Sie Ihren weit­reichenden Einfluss geltend machen möchten, um der Bundesrepublik eine amerikanische Anleihe zu beschaf­fen, die mit dazu beitragen könnte, das Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem bald und endlich zu lösen. Hierbei denke ich an eine Anleihe in der Größenordnung von etwa 100 Mio. Dollar. Ich darf dabei der Überzeugung Aus­druck geben, dass auch Sie es aus vielerlei Gründen als notwendig ansehen werden, dass eine Lösung des Vertrie­benen- und Flüchtlingsproblems in Aussicht steht, wenn man an den Aufbau deutscher Streitkräfte herangeht.

Erlauben Sie mir, Ihnen schon jetzt meinen Dank für Ihre Bereitschaft, in dem von mir erbetenen Sinne zu wirken, auszusprechen.

Mit vielen Grüßen

Ihr ergebener

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 179f.