8. Mai 1967

Nachruf vom Präsidenten des Europäischen Parlaments, Alain Poher, auf Konrad Adenauer

Meine Damen und Herren!

In dem Augenblick, als Europa sich anschickte, den zehnten Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge feierlich zu begehen und unser Parlament die Vorbereitungen zur Feier dieses Geburtstags am 9. Mai in Erinnerung an die Erklärung Robert Schumans traf, hat der frühere Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, in Rhöndorf, an den Ufern des Rheins, seinen langen Kampf für die Wiedergeburt seines Vaterlandes, für die deutsch-französische Aussöhnung und für ein demokratisches, geeintes Europa ausgekämpft.

Die Tatsache, daß Konrad Adenauer, mit Staatsminister Joseph Bech, der einzige war, der die drei Verträge über die Europäischen Gemeinschaften - ich meine die Europäische Gemeinschaft - unterzeichnete, zeugt von der Rolle, die er bei dem Werk der Einigung Europas gespielt hat.

Als Grenzländer - wie Robert Schuman und Alcide de Gasperi - Sohn einer Erde, deren Schicksal lang umstritten war, empfand er wie jene die absolute Notwendigkeit dieser Einigung, damit den nutzlosen Bruderkriegen, die jahrhundertelang eine Schande für das humanistische und christliche Europa waren, endlich ein Ende gesetzt werde.

Dieses neue Europa hat er als seiner historischen Verantwortung bewußter Rheinländer gewollt.

Geben wir alle, hier in diesem Forum, das er oft durch seine Anwesenheit geehrt hat, zu, daß ohne den unbeugsamen Willen dieses großen Staatsmannes Europa zweifellos nicht geglückt wäre. Europa, davon hatte er schon seit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg als Bürgermeister von Köln geträumt.

Den Glauben hat er nie verloren, selbst in den dunkelsten Stunden, angesichts so vieler Ruinen und Leiden nicht; im März 1946 erklärte er vor der Universität seiner Heimatstadt: "Ich bin und bleibe Deutscher, aber ich war und fühlte immer als Europäer."* Nachdem er die Macht in dem Augenblick ergriffen hatte, in dem sein Land sich aus den Trümmern zu erheben versuchte, hat er es verstanden, das neue Deutschland harmonisch in das sich abzeichnende europäische Gebäude einzubeziehen.

Er war ein neuer Baumeister, entschlossen, mit der Tradition zu brechen, in der er groß geworden war; er war nicht Erbe des alten politischen Systems, wie Bundestagspräsident Gerstenmaier bei seiner Beisetzung so richtig sagte.

Als daher Robert Schuman seinen geschichtlichen Appell vom 9. Mai 1950 ergehen ließ, begriff Bundeskanzler Adenauer die Chancen, die dieser Aufruf für den Bau Europas und für die deutsch-französische Annäherung bedeutete, und beeilte sich, die ausgestreckte Hand zu ergreifen.

Denn ermöglichte sie nicht einen ersten Schritt in Richtung auf eine supranationale Macht und auf ein geeintes Europa? Durch seine tiefe Überzeugung hat er es verstanden, in seinem Lande die Entwicklung der Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft durchzusetzen.

Die heikelsten deutsch-französischen Streitfragen, die der Ruhr, des Saarlands, des Moselausbaus und der Reparationen, wurden nach und nach bereinigt. Ein neues Zeitalter begann. Unablässig war sein Streben danach gerichtet, bis der Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich im Jahre 1963 unterzeichnet war. Und doch war die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durch Frankreich ein harter Schlag für diesen Deutschen gewesen, der sich bewußt von den hierarchischen Vorstellungen, von den Systemen des souveränen Nationalstaats gelöst hatte. Hindernisse und Mißerfolge auf dem Weg, den er sich vorgezeichnet hatte, entmutigten ihn nicht. Als der europäische Gedanke einen neuen Aufschwung erlebte, gehörte er wieder zu jenen, die mit aller Kraft das begonnene Werk unterstützten, das schließlich zum Abschluß der Römischen Verträge führte.

Sagte er doch am 10. Dezember 1951 vor diesem Forum, "das Zeitalter des Nationalismus geht zu Ende" und "nicht die Umstände drängen Europa zur Einigung, sondern vielmehr ein schöpferischer Impuls, würdig der echten Tradition, der unsere Völker verhaftet sind".

Wenn Adenauer auch, wie Bundeskanzler Kiesinger erklärte, "das gelobte Land nicht erreichte", weil er weder die Wiedervereinigung seines Landes noch die Einigung Europas erlebt hat, so wird die Geschichte seine Verdienste um die europäische Sache doch anerkennen. Sind die Anwesenheit der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der westlichen Verbündeten, die Anwesenheit so vieler ausländischer Persönlichkeiten, die unübersehbare Menge, die an seiner sterblichen Hülle vorbeidefilierte oder an den Beisetzungsfeierlichkeiten teilnahm, nicht ein überwältigender Beweis dafür?

Indem wir das Andenken dieses großen Staatsmannes und dieses großen Europäers ehren, lassen wir dem Werk Gerechtigkeit widerfahren, das Konrad Adenauer auf dem Wege zur Einigung Europas vollbracht hat, er, der wahrhaft als einer der besten Schöpfer dieser Einigung, die ihm bis in seine letzte Stunde ein Anliegen war, angesehen werden kann.

Möge seine Beharrlichkeit uns unsere Pflicht bewußt machen. Ist es für dieses Parlament nicht das Wichtigste, zu versuchen, die Völker und Regierungen davon zu überzeugen, daß nur der Wille, ein politisches Europa zu schaffen, uns die Überwindung der vor uns liegenden schweren Probleme ermöglicht?

Bleiben wir Konrad Adenauers Andenken treu und kämpfen wir wie er beharrlich für die Vereinigten Staaten von Europa. Die Enttäuschungen von heute bereiten gewiß die Siege von morgen vor. Meine Damen und Herren, im Namen des Europäischen Parlaments habe ich der Familie des Verstorbenen, dem Bundestagspräsidenten und dem Bundeskanzler, unseren deutschen Kollegen und dem ganzen deutschen Volk unsere aufrichtige Anteilnahme ausgesprochen.

 

* "Ich bin und bleibe Deutscher, aber ich war auch immer Europäer und habe als solcher gefühlt." (24. März 1946)

Quelle: Konrad Adenauer - Würdigung und Abschied. + 19. April 1967. Stuttgart 1967, S. 64-67