19. April 1967

Nachruf von Bundeskanzler Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger auf Konrad Adenauer

Konrad Adenauer ist von uns geschieden. Als er das Amt des Bundeskanzlers übernahm, war der Name Deutschlands in der Welt geächtet. Er, der der Diktatur entgegengetreten war, mußte das Erbe an Not, Verbitterung, Feindschaft und Haß antreten, das sie hinterlassen hatte. Als er aus seinem Amte schied, war Deutschland vor allem dank seines Wirkens wieder ein geachteter Partner freier Völker.

Seine großen Ziele waren von Anbeginn die Bewahrung der Freiheit, die Sicherung des Friedens, die Einigung Europas und die Wiedervereinigung unseres Volkes. So zielstrebig und entschlossen er dabei handelte, so geduldig verstand er auch auszuharren, wenn Menschenkraft das Erstrebte nicht erzwingen konnte.

Ich darf aber nicht verschweigen, daß ihn in seinen letzten Lebenstagen die Sorge um die Einigung Europas fast übermächtig bewegte. Er rief mich an sein Krankenbett und legte mir dieses große Anliegen seines Lebens noch einmal eindringlich ans Herz. Es ist mir Trost und Verpflichtung, daß er mir in seinem letzten Brief vom 4. April schrieb, er sei über unsere Aussprache froh und glücklich gewesen.

Daß Einsamkeit der Preis der Größe ist, erfuhr auch dieser unermüdliche Kämpfer, der die Macht seines Amtes und seines Ansehens entschlossen einsetzte, wo immer er ihrer bedurfte. Diese Macht war ihm aber Instrument, nicht Selbstzweck, denn er war zu tief in seinem christlichen Glauben verwurzelt, um nicht zu wissen, daß alle irdische Macht der höchsten Instanz verpflichtet ist.

Konrad Adenauer hatte wie jeder groß und entschieden Handelnde Freunde und Gegner. Nun, an seinem Sarge, neigen sie alle in Ehrfurcht das Haupt vor dem großen Toten.

Die Geschichte unseres Volkes nach dem Zweiten Weltkrieg wird unter seinem Namen in das Gedächtnis der Nachwelt eingehen.

Quelle: Konrad Adenauer - Würdigung und Abschied. + 19. April 1967. Stuttgart 1967, S. 16f.