25. April 1967

Ansprache von Bundespräsident Dr. h. c. Heinrich Lübke beim feierlichen Staatsakt im Bundeshaus anlässlich der Beisetzung von Dr. Konrad Adenauer

Hochverehrte Trauerversammlung!

Als am frühen Nachmittag des 19. April die Flaggen auf halbmast gesetzt wurden, kam über das deutsche Volk ein Gefühl tiefer Traurigkeit. Die Menschen wurden still. Für Augenblicke schien die Zeit ihren Atem anzuhalten - wie immer, wenn etwas geschieht, das über Tag und Jahr hinaus Bedeutung für uns alle hat.

Konrad Adenauers Tod hat einen jeden von uns unmittelbar betroffen. So haben Millionen von Deutschen und Millionen von Freunden im Ausland empfunden, als die Todesnachricht um die Erde lief. Die Anwesenheit vieler hoher Gäste aus anderen Staaten am Tage der Beisetzung bezeugt, daß man mit uns fühlt und uns in unserer Trauer nicht allein läßt. Ihnen allen möchte ich herzlichen Dank sagen für diesen letzten Freundesdienst, den sie Konrad Adenauer erweisen.

Schon heute wird man sagen können, daß der ehemalige Bundeskanzler mit seinem Werk in die Geschichte eingegangen ist. Damit gehört er uns allen. Er gehört denen, die ihm Weggefährten waren im politischen Meinungskampf, wie auch denen, die mit ihm - oft hart - um Entscheidungen gerungen haben.

Als Konrad Adenauer 1949 zum ersten Bundeskanzler gewählt wurde, übernahm er eine ungeheure Bürde. Innenpolitisch galt es, die furchtbaren Zerstörungen des Krieges zu beseitigen und für Millionen von Einheimischen, Vertriebenen und Flüchtlingen Obdach und Arbeit zu schaffen und sie so mit neuer Hoffnung zu erfüllen, den Kriegsopfern und ihren Familien zu helfen, wenigstens die äußerste Not zu überwinden.

Er wußte, daß diese Aufgabe nur dann erfolgreich gelöst werden konnte, wenn es gelang, das Vertrauen und die Hilfe unserer Nachbarn sowie der übrigen freien Welt wieder zu gewinnen. Seine Außenpolitik diente diesem Ziel, ebenso aber auch jener anderen Verpflichtungen unseres Staates: nämlich dafür zu sorgen, daß auch unserem Volk wie allen anderen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zugestanden wird.

Konrad Adenauer hat unseren Weg zurück in die Gemeinschaft der freien Völker vorgezeichnet und geebnet. Nicht taktische Erwägungen, geboren aus der Not des Augenblicks, bestimmten ihn dazu, die künftigen Geschicke unseres Vaterlandes eng mit denen der großen traditionsreichen Demokratien zu verbinden. Er wußte, daß unser durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zerstörtes Selbstbewußtsein nur dann wieder gesunden konnte, wenn es in rechtsstaatlichem und freiheitlichem Ideengut Wurzel fassen konnte. Leidenschaftlich hat er sich deshalb für die Gründung übernationaler Zusammenschlüsse eingesetzt. Denn jedes Gemeinwesen kann sich am besten entfalten und seine nationalen Anliegen am ehesten verwirklichen, wenn es sich in einer größeren Gemeinschaft geborgen weiß.

Zusammen mit den unvergessenen Toten Churchill, de Gasperi, Schuman hat sich Konrad Adenauer darum bemüht, die Grundlagen für eine europäische Einigung zu schaffen. Diese Namen sind uns allen, ohne Unterschied der Volkszugehörigkeit, wert und teuer. So geht auch Konrad Adenauer ein in das Bewußtsein anderer Völker als ein großer Europäer.

Das Verhältnis Deutschlands und Frankreichs zueinander war für den verstorbenen Kanzler und ist für uns ein Prüfstein dafür, ob die Einigung der freien europäischen Nationen gelingen kann. Es war ein glücklicher Umstand, daß er bei dem Streben nach deutsch-französischer Aussöhnung, die von beiden Völkern mit voller Überzeugung bejaht wird, in Ihnen, Herr Präsident de Gaulle, einen gleichgesinnten Partner und Freund fand. Den beiden Staatsmännern war es vergönnt, die Freundschaft zwischen unseren Völkern durch einen Vertrag zu besiegeln, den wir als eines der bedeutendsten Ergebnisse der Nachkriegsgeschichte betrachten. In der Festigung freundschaftlicher Beziehungen zu anderen Ländern, insbesondere zu den Vereinigten Staaten von Amerika, wird das Wirken des Kanzlers fruchtbar bleiben. Konrad Adenauer hat bei seinen Begegnungen und Gesprächen mit führenden Staatsmännern und Politikern der Vereinigten Staaten notwendige Sicherheitsgarantien für unser Land erwirkt. Dafür schulden wir ihm und Ihnen, Herr Präsident Johnson, als dem Vertreter der großen verbündeten Nation, die uns in schweren Situationen der Nachkriegszeit beigestanden hat, aufrichtigen Dank.

Konrad Adenauer ist tot. Wir werden uns nur schwer daran gewöhnen, daß seine Stimme nicht mehr zu uns spricht. Sein Rat, sein unbeugsamer kämpferischer Geist - aber auch sein heiteres, versöhnliches Wort werden uns fehlen.

In diesen Tagen wurde oft gesagt, wir seien durch seinen Tod ärmer geworden. Aber das Glück und der Reichtum eines Volkes gründen sich nicht nur auf die Lebenden und deren Pflichttreue und Leistungswillen. Auch seine großen Toten sind für ein Volk ein unvergänglicher Reichtum. Ihr Vorbild und ihr Werk bleiben allen Ansporn und beständige Mahnung. Glücklich ein Volk, in dessen Erinnerung Menschen wie Konrad Adenauer fortleben!

Gott schenke ihm seinen Frieden.

Quelle: Konrad Adenauer - Würdigung und Abschied. + 19. April 1967. Stuttgart 1967, S. 21-23.