19. August 1961

Besuch von Lyndon B. Johnson, Vizepräsident der Vereinigten Staaten, in Bonn

Am Samstag, 19. August 1961, stattete der amerika­nische Vizepräsident Johnson als persönlicher Vertreter des Präsidenten der USA, Kennedy, Bundeskanzler Dr. Adenauer einen offiziellen Besuch ab. Ihn begleiteten Unterstaatssekretär Bohlen und General Clay. Der Bundes­kanzler empfing Vizepräsident Johnson am Vormittag auf dem Flughafen Wahn, wo dem amerikanischen Gast eine militärische Ehrung zuteil wurde. Bundeskanzler Dr. Adenauer begrüßte Vizepräsident Johnson mit folgender Ansprache:

Herr Vizepräsident! Wir alle heißen Sie heute von ganzem Herzen willkommen. Sie kommen zu uns als der Botschafter Ihres Präsidenten, und ich möchte Ihnen sofort beim Betreten des deutschen Bodens sagen, daß das ganze deutsche Volk weiß, was es den Vereinigten Staaten von Amerika und seinem Präsidenten verdankt. Daß Präsident Kennedy gerade Sie, verehrter Herr Vizepräsident, beauftragt hat, zu uns zu kommen, empfinde ich auch persönlich als eine besondere Freude. Ich denke immer wieder gerne zurück an meinen Besuch in Texas und an unser dortiges Zusammensein. Seien Sie herzlich bei uns willkommen!

Vizepräsident Johnson erwiderte mit folgender An­sprache:

Herr Bundeskanzler, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin hierher gekommen als der persönliche Ver­treter von Präsident Kennedy, um einer Überzeugung Aus­druck zu verleihen, um eine Verpflichtung erneut zu über­bringen, um eine Warnung zu äußern und um eine Politik noch einmal darzulegen. Wir sind geschlossen in den Ver­einigten Staaten, ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer oder der anderen Partei, ohne Rücksicht auf diese oder jene Gegend, wir sind geschlossen in unserer Sorge und in unserem Verständnis für das deutsche Volk in der gegen­wärtigen Prüfung. Die gefährdete Grenze der Freiheit läuft nun durch das geteilte, aber unerschrockene Berlin. Die kommunistische Diktatur hat vorübergehend die Macht, eine Grenze abzuriegeln. Aber keine Tyrannei kann über den Schatten ihrer bösen Kraft hinaus überleben.

Der amerikanische Präsident und das amerikanische Volk sind entschlossen, allen ihren Verpflichtungen nachzukommen und alle ihre Zusagen zu honorieren. Wir sind nicht provokativ, aber wir sind auch nicht voll Furcht. Das amerikanische Volk neigt nicht dazu, zurückzuweichen, und wir beabsichtigen auch nicht, dieses Mal zurückzuweichen. Berlin ist nunmehr eine Zufluchtstätte geworden und auch eine Zitadelle der Freiheit sowie ein Symbol des Friedens. Ohne einen kriege­rischen Geist fördern zu wollen, aber im Geiste einer ernst­haften Warnung fordern wir die Herren der Sowjetunion und Ostdeutschlands auf, die diese Krise zustande gebracht haben, sich rechtzeitig daran zu erinnern, daß ein Verbrechen gegen den Frieden nur ein Verbrechen gegen die gesamte Mensch­lichkeit und Menschheit sein wird, und die Vergeltung gegen ein derartiges Verbrechen wird rasch und nachdrücklich sein.

Ich werde bald mit dem Herrn Bundeskanzler Adenauer Besprechungen führen und werde heute nachmittag nach Ber­lin fliegen, um dort mit dem Bürgermeister Brandt und mit anderen leitenden Herren der Stadt zusammenzutreffen. Vor den Mitgliedern des Berliner Abgeordnetenhauses werde ich heute nachmittag die Ehre haben, ausführlich die Politik der Vereinigten Staaten in der gegenwärtigen Krise darzulegen. Und jetzt lassen Sie uns zusammen vorwärtsschreiten und die Hände geben als Freunde und als Partner auf der Suche nach Frieden und Freiheit, wie wir dies auch getan haben vor einigen Wochen in Washington und in Texas. Und wir wollen fest und unerschütterlich unsere Pflicht bis zum Ende tun.

 

Von Wahn nach Bonn

In gemessener Fahrt über die auch von Präsident Eisenhower seinerzeit benutzte Route begaben sich die amerika­nischen Gäste mit ihrer deutschen Begleitung vom Flughafen zum Haus des Bundeskanzlers in Bonn. Die Bevölkerung nahm durch Bildung von Spalieren starken Anteil an dem Besuch. Obwohl der Besuch die Bevölkerung zeitlich überraschte, be­kundete sie ihre Freude und ihre Sympathie gegenüber dem Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika durch Erweise begeisterten Beifalls und der Freundschaft. Vor dem Kanzler­palais verließ Vizepräsident Johnson seinen Wagen und begab sich unter die begeisterte Menge, um zahlreiche Hände­drucke zu erwidern.

Das Gespräch im Haus des Bundeskanzlers, an dem der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. von Brentano, Staats­sekretär Dr. Globke und Ministerialdirektor Dr. von Etzdorf sowie auf amerikanischer Seite Marineminister Connelly, Unterstaatssekretär Bohlen, Botschafter Dowling und General Clay, der ehemalige Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte in Berlin, teilnahmen, erstreckte sich über ein­einhalb Stunden. Der Bundeskanzler dankte Präsident Kennedy dafür, daß er Vizepräsident Johnson und General Clay entsandt habe. Darin finde die enge Zusammenarbeit zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland in der jetzigen Lage ihren sichtbaren Ausdruck. Der Bundeskanzler berichtete über die mit dem 13. August durch die Sowjetunion, die Warschauer-Pakt-Staaten und die Pankow-Machthaber aus­gelösten Ereignisse.

Vizepräsident Johnson versicherte den Bundeskanzler er­neut der Entschlossenheit der USA, für die Freiheit Berlins einzutreten, und betonte, daß die gegenwärtige ernste Lage allein durch das von der Sowjetunion gebilligte Vorgehen der sowjetzonalen Machthaber entstanden sei. Die Gesprächspartner vertraten die Auffassung, daß nach wie vor der Ver­such gemacht werden müsse, durch Verhandlungen eine zufriedenstellende Bereinigung der gespannten Lage zu erzielen. Angesichts des Ernstes der Krise müsse die freie Welt sehr sorgsam darüber wachen, daß alles vermieden werde, was die Gefahr eines bewaffneten Konflikts weiter verschär­fen könne.

Anschließend begleitete Bundeskanzler Dr. Adenauer seine Gäste zum Flugplatz, von wo aus sich Vizepräsident Johnson mit seiner Begleitung nach Berlin begab. Im Auftrag der Bundesregierung hat Bundesminister von Brentano den ameri­kanischen Vizepräsidenten nach Berlin und während eines Teils des Berlin-Besuchs begleitet.

 

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 155 vom 22. August 1961, S. 1494f.