19. Oktober 1951

Rede des Bundeskanzlers auf dem Parteitag der CDU in Karlsruhe

 

Meine lieben Parteifreunde!

Ein Blick in die heutigen Zeitungen zeigt an den Überschriften, wie groß die Unruhe in der Welt ist. Ausnahmezustand in Ägypten, Tote und Verwundete am Suezkanal, Moskau weist US-Initiative zur Beendigung des Koreakonfliktes ab, neue Kämpfe in Korea, der britisch-persische Konflikt, Rückzug der amerikanischen Truppen aus Europa. Das sind einige, von mir willkürlich herausgegriffene Überschriften, die zeigen sollen, wie voll von Gefahren unsere Zeit ist.

Aber in dem ersten Teil meiner Rede möchte ich doch über innerdeutsche Angelegenheiten sprechen, über die Arbeit unserer Partei im Bund. Ich kann mich dabei beschränken auf die wesentlichen Aufgaben, die bereits gelösten und die noch der Lösung harrenden, ich kann mich damit begnügen, auf die wesentlichsten Entwicklungen hinzuweisen, da Sie im Laufe des Parteitages durch die einzelnen Referenten noch genauere Darstellungen erhalten werden.

Ein Parteitag, meine Freunde, soll ein Tag der Rechenschaft und der Besinnung sein und er soll uns die Kraft zu neuen Entschlüssen und zu neuer Arbeit geben. Es ist in den hinter uns liegenden Jahren von vielen Mitgliedern der Partei treu und ernst gearbeitet worden. Ihnen allen gilt unser Dank. Besonders möchte ich danken noch den Frauen und der Jugend. Der Deutschlandtag der Jungen Union in Bonn, der vor kurzer Zeit stattgefunden hat, zeigte ein so großes politisches Verständnis für die Gesamtlage und einen solchen idealen Schwung, dass wir der jungen Generation volles Vertrauen schenken können.

Das gleiche gilt von den Frauen in unserer Partei. Ihre Arbeit wird meines Erachtens vielfach nicht genügend gewürdigt. Umso mehr ist es Pflicht des Parteitages, ihnen zu danken. Wir werden, meine Damen und Herren, schon in nicht langer Zeit an die Vorbereitung der Bundestagswahl, die im Jahre 1953 stattfinden wird, herangehen müssen. Die Kandidatenfrage ist besonders wichtig. Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn gerade aus der jungen Generation und den Frauen tüchtige Mitarbeiter in den neuen Bundestag im Jahre 1953 einziehen würden.

Der Bundestag und mit ihm die Bundesregierung haben jetzt schon mehr als die Hälfte der Wahlperiode hinter sich. Immer neue Aufgaben treten an uns heran, treten an das deutsche Volk heran. Immer neue Veränderungen und Entwicklungen vollziehen sich in der Welt. Jeder Tag bringt den Menschen so viel Neues, dass sie kaum mehr an das zurückdenken, was sie in den letzten Jahren, geschweige denn Jahrzehnten, erlebt haben. Es ist nicht gut, wenn man nur immer dem Tage selbst oder der nächsten Zukunft lebt. Die Arbeit und die Entwicklung eines jeden Tages baut sich auf und schließt sich an die Entwicklung der dahinterliegenden Zeit. Man verliert die Übersicht und man verliert das Urteil, den richtigen Maßstab, wenn man die Dinge nicht im Zusammenhang und in ihrer Entwicklung betrachtet.

Lassen Sie mich daher doch daran erinnern, wie es bei uns in Deutschland aussah, als im September 1949 der Bundestag zum ersten Mal zusammentrat. Bitte denken Sie einmal daran, welche wirtschaftlichen Erschwerungen wir damals noch tragen mussten. Denken Sie daran, dass wir damals wirtschaftlich und außenpolitisch in völliger Abhängigkeit von den Besatzungsmächten standen. Denken Sie daran zurück, wie die Abwertung des englischen Pfundes im September 1949, im ersten Monat unseres Bestehens, unsere Währung in Mitleidenschaft zu ziehen drohte. Erinnern Sie sich daran, dass wir für die Zeit von April 48 bis Dezember 49 273 Millionen Dollar zur Beschaffung von Nahrungsmitteln durch den Marshallplan erhielten. Denken Sie auch daran, dass damals die Vertreibung aus den Ostgebieten noch nicht abgeschlossen war; dass wir von größten wirtschaftlichen Sorgen bedrückt an außenpolitische Aktivität oder gar an Wiederherstellung unserer Freiheit noch gar nicht zu denken wagten. Halten Sie diesen Tatsachen den heutigen Zustand gegenüber. Vergegenwärtigen Sie sich, dass der Haushaltsplan des Bundes im Jahre 51 abschließt mit fast 17 Milliarden Mark und dass, wenn nichts Unvorhergesehenes sich ereignet, dieser gewaltige Haushaltsplan zum Ausgleich gebracht ist.

Aus diesem Haushaltsplan, meine Freunde - auf einem Parteitag muss man auch mit Realitäten kommen -, aus diesem Haushaltsplan lassen Sie mich einige Ziffern sagen und ferner einige Ziffern über die wirtschaftliche Produktion, über unsere Ein- und Ausfuhr, sowie die Beschäftigtenzahl. In der Bundesrepublik wurde im Juni dieses Jahres 1 ¼ mal mehr produziert - ¼ mehr produziert als im Juni 1950 und über die Hälfte mehr als im Juni 49. Unsere Ausfuhr hat sich von Juni 50 bis Juni 51 verdoppelt und seit 49 verdreifacht. Seit März beträgt der Zahlungsbilanzüberschuss innerhalb der Europäischen Zahlungsunion im monatlichen Durchschnitt rund 50 Millionen Dollar. Die Beschäftigtenzahl betrug im Jahre 49 13,6 Millionen, im Jahre 51 14,9 Millionen.

Aber, meine Freunde, wenn wir alle Veranlassung haben, mit den Erfolgen unserer bisherigen Arbeit zufrieden zu sein, so bleibt doch noch viel zu tun für uns übrig. Zur Zeit macht uns Sorge die Entwicklung der Kohlenfrage und die Entwicklung der Preise mancher Lebensmittel. Die Preisentwicklung für einige Lebensmittel und Gebrauchsartikel ist nicht tragbar. Wir haben durch Erlass des Einfuhrzolls für Schweine eine fühlbare Ermäßigung der Schweinepreise herbeigeführt. Wir werden auch bei anderen Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen, wenn nötig, vor entscheidenden Maßnahmen nicht zurückschrecken.

Eine ernste Sorge ist für uns die Kohlenlage. Die Kohlenproduktion reicht nicht aus, die Bedürfnisse der Haushalte und die Bedürfnisse der Wirtschaft zu befriedigen. Die Gründe für den Mangel an Kohle sind nicht allein die uns vorgeschriebene Ausfuhr von 6,2 Millionen Tonnen auf das Vierteljahr gerechnet. Von diesen 6,2 Millionen Tonnen müssen wir - auch ohne diese Entscheidung der Ruhrbehörde - 4,3 Millionen Tonnen auf Grund von Handelsverträgen ausführen. Und diese Ausfuhr ist nötig, weil wir sonst nicht Waren erhalten, die für uns notwendig sind. Die Gründe für den Mangel an Kohlen sind aber auch im wesentlichen die folgenden: seit 1933 ist Raubbau getrieben worden. Im ganzen Gebiet der Ruhr sind seit 1933 zwei neue Schächte niedergebracht worden. Als nach dem Zusammenbruch die Aufsicht und die Verwaltung der Zechen auf die Besatzungsbehörden überging, ist auch von diesen nichts geschehen, um zur richtigen Zeit weitere Aufschlüsse vorzunehmen.

Es hat uns [gefehlt] und es fehlt uns jetzt auch noch an den nötigen Investitionsmitteln. Durch den Krieg sind im Ruhrgebiet sehr viele Wohnungen von Bergarbeitern zerstört worden. Dadurch ist ein Mangel an ansässigen Bergarbeitern eingetreten. Die Maßnahmen der Besatzung haben es weiterhin mit sich gebracht, dass die Zechen der Kontrolle und der Verantwortung gegenüber ihren satzungsgemäßen Organen enthoben waren, dass Ungewissheit über das Schicksal der einzelnen Gesellschaften entstand. Das tut auf die Dauer niemals gut. Wir sind darum bestrebt, die Entflechtungsmaßnahmen so schnell durchzuführen wie irgend möglich, damit wieder verantwortliche Organe für die Führung der Zechen geschaffen werden. Wir haben weiter, meine Freunde, einen Aufschlag pro Tonne geförderte Kohle beschlossen, um Bergarbeiterwohnungen zu bauen. Wir bemühen uns, Investitionsmittel zu erhalten, um neue Schächte niederzubringen und die vorhandenen Anlagen besser ausbauen zu können. Wir hören auch, meine Damen und Herren, dass der Zwangsexport bald aufhören wird. Sobald der Schumanplan ratifiziert ist, wird der Beschluss, den die Unterzeichner des Londoner Abkommens, durch den das Ruhrstatut eingeführt wurde, der Beschluss, den diese gestern in Paris getroffen haben und der uns des Zwanges enthebt, zur Wirklichkeit werden.

Wir glauben, dass durch alle diese Maßnahmen, wenn auch nicht von heute auf morgen, doch die Kohlenknappheit erheblich gemildert wird. Aber diese Maßnahmen können ihre Wirkung erst nach einer gewissen Zeit zeigen. Es wird nötig sein, dass die Ruhrkohlenverwaltung und die Industriegewerkschaft Bergbau zusammen mit der Bundesregierung versuchen, schon jetzt, und zwar sofort, eine Steigerung der Förderung herbeizuführen. Diese Steigerung der Förderung - das sagen die Kenner des Bergbaus - ist möglich. Dadurch allein können die Familien vor Kälte, die Wirtschaft vor Stilllegungen und Entlassungen von Arbeitern geschützt werden.

Unser Weg in den letzten beiden Jahren war ein schwerer Weg, ein arbeitsreicher und sorgenvoller Weg. Dem Bundestag und sicher auch der Bundesregierung werden so viele Vorwürfe gemacht. Ach, meine Freunde, ich wünschte, alle die Deutschen, die sich den Mund zerreißen, könnten einmal zusehen, wie in der Bundesregierung und im Bundestag gearbeitet wird. Der Bundestag, meine Freunde, hat doch in dieser kurzen Zeit 240 Gesetze verabschieden müssen. Er hat 169 Plenarsitzungen und 2.700 Ausschusssitzungen abgehalten.

Wir haben dieses Stück des Weges nach oben zurückgelegt, trotz schwerer, ja trotz größter Belastungen durch soziale Verpflichtungen und durch die Kosten der Besatzung. Wie groß diese Belastungen waren, möchte ich Ihnen an folgenden Ziffern veranschaulichen: Von der Haushaltssumme des Jahres 1951, von 17 Milliarden Mark, entfallen auf soziale Lasten 48%, auf Besatzungszwecke 40%, auf sonstige Ausgaben 9%, und die Verwaltung selbst kostet nur 3%. Für die Vertriebenen allein, meine Damen und Herren, werden insgesamt in dem einen Jahre vom Bund und den Ländern ausgegeben 6,8 Milliarden Mark.

Ein besonderes Ruhmesblatt sind unsere Leistungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus. Vom Zusammenbruch bis Ende 48 wurden im Gebiete der Bundesrepublik schätzungsweise 500.000 Wohnungen gebaut. Im Jahre 49 sind 215.000, im Jahre 50 über 350.000 Wohnungen gebaut worden. Und im Jahre 51 werden es wiederum 350.000 Wohnungen sein. Wir hoffen und wir glauben, dass wir diese Zahl auch in Zukunft beibehalten können. Insgesamt sind seit dem Zusammenbruch etwa 5/4 Millionen Wohnungen gebaut worden.

Aber damit Sie sehen, was in diesen Ziffern steckt, lassen Sie mich einen Vergleich mit anderen Ländern ziehen. Im Jahre 1950 sind in der Bundesrepublik auf 10.000 Einwohner berechnet 75 Wohnungen gebaut worden, in Norwegen 63, in Schweden 62, in England 39 und in Frankreich 18.

Nun, meine Freunde, komme ich zu einer ernsteren Seite des Wohnungsbaues. Von den im Jahre 1950 vollendeten Wohnungen waren 14,8% Eigenheime oder Einfamilienhäuser. Dieser Prozentsatz ist meines Erachtens viel zu gering. Wir müssen in Zukunft in viel größerem Umfange als bisher zum Bau von Eigenheimen übergehen. Dass der Bau von Mehrfamilienhäusern billiger sei, ist noch lange nicht bewiesen und wird von einem großen Teil von Sachverständigen durchaus bestritten. Aber abgesehen davon darf die Erstellung von Wohnungen nicht allein unter kalkulatorischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Deutschland hat infolge der Zerstörungen des Krieges eine einmalige, niemals wiederkehrende Gelegenheit, die Fehler, die in der Vergangenheit dadurch gemacht worden sind, dass man den Bau von Eigenheimen zu wenig begünstigt hat, wieder gut zu machen. Wir müssen sehr viel stärker als bisher - ich betone dies nochmals - von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Der Bau von Wohnungen durch gemeinnützige Gesellschaften kann das Eigenheim nicht ersetzen. Wir wollen das individuelle Eigentum stärken, um die Menschen mit ihren Wohnungen und ihrem Hause zu verwurzeln.

Ich bin der Auffassung, dass wir noch in einer anderen Richtung unsere Wohnungsproduktion einer ernsten Nachprüfung unterziehen müssen. Wir bauen zu viele Kleinstwohnungen. Das war in diesem ersten Jahr vielleicht oder wahrscheinlich sogar angebracht, um der dringendsten Not möglichst schnell und in möglichst großem Umfange Abhilfe zu schaffen. Denn es ist richtig, es ist besser eine Kleinstwohnung sofort zu geben, als die Menschen in Baracken zusammenzupferchen. Aber jetzt müssen wir danach trachten, größere Wohnungen zu bauen.

Der Bau von größeren Wohnungen und der Bau von Eigenheimen sind die Voraussetzungen der Familienbildung. Zur Zeit droht, wie sich bei der letzten Volkszählung ergeben hat, die Familie ohne Kind oder die Familie mit ein bis zwei Kindern die Norm der deutschen Familie zu werden. Ich bin überzeugt, dass die Wohnungsfrage dabei eine sehr entscheidende Rolle spielt. Wir werden, meine Freunde, ein sterbendes Volk, wenn wir nicht Abhilfe schaffen.

Ich möchte mich jetzt den Aufgaben, den hauptsächlichsten Aufgaben zuwenden, die vor uns stehen. Der Lastenausgleich, meine Freunde, muss so schnell wie möglich verabschiedet werden. Die Aufgabe ist so schwierig und so groß, dass niemand annehmen kann, er werde sie vollendet lösen. Wir müssen zu einer baldigen Lösung kommen, im Interesse der Vertriebenen und auch im Interesse derer, die durch den Lastenausgleich belastet werden. Das Interesse der gesamten Wirtschaft verlangt ebenfalls möglichst baldige Klarheit über die mit dem Lastenausgleich einsetzenden Vermögensverschiebungen.

Wir haben bisher für den Mittelstand, das Wort im weitesten Sinne genommen, nicht so viel tun können, wie es der Bedeutung des Mittelstandes für den Staat entspricht. Wir haben zunächst unser Hauptinteresse und unsere Hauptsorge der industriellen Produktion zuwenden müssen, weil es zuerst einmal galt, die große Masse der Arbeitslosen wieder der Beschäftigung zuzuführen. Jetzt muss eine verstärkte Sorge für den Mittelstand eintreten. Für die Handwerker, für den Einzelhandel, den Hausbesitz, für die Beamten, die Intellektuellen, die Akademiker und denjenigen Teil der Landwirtschaft, der, weil er schlechten Boden bewirtschaften muss oder ohne eigenes Verschulden verschuldet ist, Not leidet.

Ich weiß, dass ich damit einen sehr großen Aufgabenkreis umrissen habe. Ich bin mir auch selbstverständlich darüber klar, dass die Lösung dieser Aufgaben viel Arbeit während mancher Jahre erfordern wird. Aber, meine Freunde, der Mittelstand ist wirtschaftlich und staatspolitisch von solcher Bedeutung, dass wir in konsequenter Arbeit ihn stützen und erhalten müssen. Der Mittelstand umfasst vornehmlich noch selbstständige Existenzen. Es ist wertvoll für das Staatsganze, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass diejenigen Menschen, die eine selbstständige Existenz trotz des damit verbundenen Risikos der Abhängigkeit vorziehen, dass diese Menschen ihr Ziel erreichen können. Sie sind ein Schutz gegen Vermassung, sie bringen Fortschritt dadurch, dass sie die Individualität schützen.

Das Berufsbeamtentum, meine Freunde, wollen wir unter allen Umständen erhalten. Berufsbeamtentum ist die Voraussetzung für eine gute Erfüllung der staatlichen Aufgaben. Die Berufsbeamten und ihre Familien schaffen ein wertvolles Element eines echt konservativen Denkens, das wir - namentlich in diesen unruhigen Zeiten - unbedingt nötig haben. Dem Bundestag ist der Entwurf eines Beamtengesetzes zugegangen, in dem die rechtliche Stellung des Berufsbeamtentums gesichert wird.

Ich hoffe, meine Freunde, dass die Bundesregierung bald in der Lage sein wird, einen Gesetzesentwurf über die Schaffung von Wirtschaftskammern und eines Bundeswirtschaftsrates vorzulegen. Es soll damit die außerbetriebliche Mitarbeit der Unternehmer und der Arbeitnehmer in paritätischer Weise herbeigeführt werden. Ich halte die Einführung dieser Einrichtungen auch deswegen für nötig und notwendig, damit die politischen, vielfach allzu politischen Parlamente bei ihren Beschlussfassungen sich auf gutachtliche Äußerungen dieser Organe in wirtschaftlichen Angelegenheiten stützen können. Ich denke nicht etwa an die Umwandlung der Handelskammern und der sonstigen Kammern, die wir jetzt haben, in Wirtschaftskammern. Diese Wirtschaftskammern müssen vielmehr neu geschaffen, aber die nicht paritätisch zusammengesetzten Kammern ihrer Hoheitsaufgaben entkleidet werden. Ich hoffe, dass das Gesetz über die Betriebsverfassung, dessen Beratung im Bundestag schon sehr fortgeschritten ist, bald verabschiedet wird, damit auch im Betrieb die wirtschaftlichen Kräfte zu gemeinsamer Arbeit zusammengeführt werden.

Erlauben Sie mir, Ihnen nunmehr einige Ausführungen allgemeiner Art zu machen. Die öffentliche Meinung, meine Freunde, wird in der heutigen Zeit nicht mehr in dem Umfange durch die politischen Zeitungen gebildet, wie das früher der Fall gewesen ist. Als Faktoren bei der Bildung der öffentlichen Meinung, und zwar zum Teil als außerordentlich starke Faktoren, haben sich entwickelt die wirtschaftlichen Zeitungen, die illustrierten Blätter, das Kino und vor allem der Rundfunk. Gerade der Rundfunk ist ein Faktor bei der Bildung der öffentlichen Meinung, dessen Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Die Leitung des Rundfunks, des Rundfunkwesens gehörte und gehört zur Zeit zu den den Besatzungsmächten vorbehaltenen Aufgaben. Die Einstellung der Besatzungsmächte zum deutschen Parteiwesen in den ersten Jahren der Besatzung hat leider dazu geführt, dass bei manchen Rundfunkgesellschaften eine sehr starke einseitige parteipolitische Zusammensetzung besteht. Das gilt vor allem für eine der großen Rundfunkgesellschaften. Rundfunkgesellschaften, meine Damen und Herren, haben eine Art von Monopol. Derartige Monopolstellungen dürfen nicht im Interesse einer Partei ausgenützt werden. Nicht nur als Vorsitzender unserer Partei habe ich über Missstände auf diesem Gebiet sehr lebhaft zu klagen. Ich muss auch feststellen, dass die Arbeit der Bundesregierung, des Bundeskanzlers und der Bundesminister teilweise durch die einseitige parteipolitische Gestaltung der Programme beeinträchtigt wird. Auf diesem Gebiete muss so schnell und so gründlich wie möglich Wandel geschaffen werden.

Jeder, meine Freunde, dem es ernst ist um das Wohl des Staates und der Gemeinschaft, jeden erfüllt es mit großer Sorge, wenn er sieht, wie stark der Rechtsgedanke im deutschen Volke gelitten hat. Dieser Verfall - ich habe keinen anderen Ausdruck dafür - begann schon nach dem Ersten Weltkrieg. Er hat durch die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und durch die ersten Jahre der Besatzung eine erschreckende Förderung erhalten.

Gerade unsere Partei, die sich auf weltanschauliche Fundamente stützt, muss diese Dinge sehr ernst im Auge behalten und alles tun, damit der Rechtsgedanke wieder stark und lebendig wird. Die Korruptionsfälle, die in der letzten Zeit aufgedeckt sind, beim Bund und in den Ländern, sind sehr ernste Mahnzeichen. Wir alle müssen schonungslos gegen alle Anzeichen und alle Fälle von Korruption vorgehen. Gleichgültig, meine Damen und Herren, welche Personen darin verstrickt sind. Ein Staat wird von seinen Bürgern niemals geachtet werden, und seine Bürger werden sich nicht verpflichtet fühlen, ihre Pflichten gegenüber dem Staat zu erfüllen, wenn nicht peinlichst darauf geachtet wird, dass jeder, der mit der Erfüllung von staatlichen Aufgaben betraut ist, absolut sauber ist.

Die Entwicklung des Parteiwesens in der Bundesrepublik ist nicht ohne Bedenken, und zwar nach mehreren Richtungen hin. Während bei den Bundestagswahlen im Jahre 49 11 Parteien bestanden haben, bestehen zurzeit 22 Parteien. Zu diesen ausgesprochen politischen Parteien sind neuerdings noch Organisationen hinzugekommen wie die Soldatenbünde, der Mittelstandsblock, die zunächst unpolitisch sein sollen, aber drohen, ins politische Fahrwasser abzugleiten. Eins möchte ich hier mit aller Entschiedenheit sagen, die Bundesregierung wird nicht zulassen, dass sich die Vorgänge des Jahres 1933 wiederholen. Es wird nicht geduldet werden, dass die Feinde der Demokratie unter Missbrauch der demokratischen Freiheiten die Demokratie töten. Die Bundesregierung wird den Versuch der Schaffung totalitärer Parteien, auch wenn diese irgendwie getarnt werden, unter keinen Umständen dulden.

Ein Wort zu den Soldatenbünden. Ich hoffe, dass die früheren Soldaten aus sich heraus ihre Organisationen, deren Berechtigung, wenn sie auf kameradschaftlicher Grundlage beruhen, die ich durchaus anerkenne, so in Ordnung bringen, wie es das Interesse der Bundesrepublik und damit des deutschen Volkes verlangt. Ich begrüße es, dass der Einzelhandel sich gegen den Mittelstandsblock ausgesprochen hat. Ich bin der Auffassung, dass die Interessen des Mittelstandes am besten und sichersten durch politische Parteien gewahrt werden. Berufsorganisationen, die naturgemäß ihre eigenen Interessen zu stark in den Vordergrund zu bringen versuchen, laufen Gefahr, dass schließlich die Interessen, denen sie dienen wollen, Schaden leiden.

Wir werden, meine Freunde, in der nächsten Zeit ein Wahlgesetz für die Wahlen zum Bundestag schaffen müssen. Das Gesetz, nach dem die Wahl zum ersten Bundestag im Jahre 49 erfolgt ist, war vom parlamentarischen Rat nur für diese erste Wahl geschaffen worden. Es ist eine sehr ernste Aufgabe, ein Wahlgesetz zu schaffen, das sowohl den Interessen des Staates wie den Interessen der Staatsbürger gerecht wird und das eine gesunde Weiterentwicklung nicht hindert. Ich habe bewusst zuerst von den Interessen des Staates gesprochen. Das Interesse des Staates verlangt, dass das Wahlgesetz die Bildung einer arbeitsfähigen Mehrheit im Parlament ermöglicht. Die Weimarer Republik ist nicht zuletzt dadurch zugrunde gegangen, dass das damals bestehende Wahlgesetz und Wahlrecht dieses Ziel infolge einer Überspitzung und Übertreibung von demokratischen Theorien außer Acht gelassen hat.

Meine Freunde, wir alle sind uns darin einig, dass wir in einer Zeit leben, in der alles und jedes in Frage gestellt ist, alle Bindungen, alle Ziele und alle Erkenntnisse. Durch den Nationalsozialismus und durch den Krieg ist die Grundsatztreue, die Erkenntnis der Notwendigkeit von Grundsätzen und von Treue zu diesen Grundsätzen, in weitesten Schichten des Volkes abhanden gekommen. Welche Gefahren der Würde des Menschen, der Würde der Person, der Freiheit der christlichen Union dadurch drohen, das werde ich noch ausführen. Diesen Gefahren kann man nur Herr werden, wenn man auf festem Boden steht, wenn man erkennt, dass die ethischen Ziele, die ethischen Gesetze, die auf religiösem Boden wurzeln, allein noch den Menschen den inneren Halt und die innere Festigkeit geben, die nötig sind.

Ich betrachte es als die wertvollste Errungenschaft unserer Zeit, dass Angehörige der beiden großen christlichen Konfessionen sich zu einer politischen Partei, die bewusst und gewollt die Grundsätze der abendländischen christlichen Gemeinschaft für die Politik und das politische Leben verpflichtend erklärt, zusammengeschlossen haben. Dieser Zusammenschluss ist durch die Bedrückung der nationalsozialistischen Zeit gefördert worden. Aber die Wurzeln dieser Entwicklung gehen viel weiter zurück und gehen viel tiefer. Dieser Zusammenschluss hat sich ganz außerordentlich bewährt. Er hat sich bewährt bei der gesamten Arbeit in der Bundesrepublik. Wenn wir bei der Wahl des Jahres 49 keine Christlich Demokratische Union und keine Christlich Soziale Union gehabt hätten, dann wäre in diesem Bundestag die sozialdemokratische Partei die führende Partei geworden. Man muss sich anhand der Politik, die die sozialdemokratische Partei und Fraktion in diesen beiden Jahren getrieben haben, klar machen, was dann aus Deutschland geworden wäre. Wir würden nicht im Entferntesten den wirtschaftlichen Aufstieg genommen haben, den wir jetzt erreicht haben. Wir würden nicht daher die innere Konsolidierung haben, die wir jetzt unser eigen nennen können. Und, meine Freunde, auf außenpolitischem Gebiet - bitte denken Sie an die Leistungen der letzten Tage - würden wir auch nicht annähernd dort stehen, wo wir jetzt sind.

Denjenigen, der die Notwenigkeit eines solchen Zusammenschlusses in Frage stellt, sollte man doch fragen, was würde denn aus Deutschland geworden sein, wenn dieser Zusammenschluss nicht erfolgt wäre. Ich meine, der Beweis für die Notwendigkeit und den Wert dieses Zusammenschlusses ist schon in den wenigen Jahren, die hinter uns liegen, so schlagend erbracht worden, dass niemand, der die Notwendigkeit der christlichen Werte und Grundsätze, den Schutz der christlichen Werte und Grundsätze kennt, sich dem entziehen kann. Diejenigen, die in irgendeiner Weise versuchen, von neuem eine Kluft zwischen den christlichen Konfessionen hervorzurufen, handeln gegen das Lebensinteresse des deutschen Volkes. Wir sind fest entschlossen, das sage ich für die evangelischen und die katholischen Mitglieder unserer Parteien, an diesem Zusammenschluss unter allen Umständen festzuhalten, und jedem Versuch, ihm Abbruch zu tun, mit rücksichtsloser Entschlossenheit entgegenzutreten.

Und nun, meine Freunde, lassen Sie mich übergehen zu dem außenpolitischen Teil meiner Rede und lassen Sie mich da folgendes an die Spitze stellen. Die außenpolitische Arbeit der Bundesrepublik ist völlig verschieden von der außenpolitischen Arbeit Deutschlands etwa vor 1933. Wir stehen noch unter Besatzungsrecht, wir sind nicht souverän, im übrigen: Wir wollen möglichst bald souverän werden. Die freundlichst im Bundestag empfohlene innere Autonomie lehnen wir ab.

Vor allem aber wird unsere außenpolitische Arbeit durch folgende Tatsachen bestimmt, die es vor 1933 nicht gab. Die eine Tatsache ist die Teilung Deutschlands. Deutschland ist in viele Teile geteilt. Zunächst haben wir die Bundesrepublik, die auf demokratischer Grundlage errichtet ist und relativ frei arbeiten kann, dann Berlin, das nominell unter Viermächtekontrolle steht, aber in einen Ost- und einen Westsektor geteilt ist. Dieser Westsektor wenigstens hat eine der unsrigen konformen Entwicklung. Wir haben ferner die Sowjetzone, die ein russischer Satellitenstaat ist und dementsprechend ein totalitäres Regime hat. Weiter kommen die deutschen Landesteile jenseits der Oder-Neiße-Linie und Teile Ostpreußens, die durch den Willkürakt einer Besatzungsmacht de facto anderen Staaten einverleibt sind. Die Gutheißung durch die Regierung der Sowjetzone ändert nichts daran, dass es ein Akt der Willkür war und bleibt. Ein Akt der Willkür, den wir nicht als für uns zu Recht bestehend und verbindlich anerkennen können. Endlich haben wir noch im Westen das Saargebiet, das eine besondere Regelung erfahren hat, die aber nicht endgültig ist.

Für unsere außenpolitische Arbeit ist ferner hauptsächlich bestimmend das Bestreben, größere Zusammenschlüsse in der Welt und in Europa zu schaffen, insbesondere auch die Integration, die Einheit Europas herbeizuführen. Ich nenne, ich verweise hier, meine Freunde, auf den Europarat, auf den Schumanplan, auf die europäische Verteidigungsgemeinschaft. Sowjetrussland hat in Osteuropa Zusammenschlüsse mit Gewalt und im Wege des kalten Krieges erreicht, indem es eine Reihe Satellitenstaaten an seiner Westgrenze geschaffen hat. Durch die Schaffung dieses sowjetrussischen Blocks veranlasst, haben sich die Nordatlantikpaktländer ihrerseits vertraglich zusammengefunden. Deutschland steht bisher demilitarisiert und unfrei zwischen diesen beiden großen Blöcken, dem Sowjetblock auf der einen Seite, den Nordatlantikpaktländern auf der anderen. Unsere wesentlichen Aufgaben auf außenpolitischem Gebiet sind folgende: Wir müssen die Einheit Deutschlands in Freiheit wiederherstellen. Ich betone und unterstreiche: in Freiheit! Das deutsche Volk und ihm, seiner Zukunft, seinem Schicksal ist jeder Deutsche verpflichtet.

Das deutsche Volk würde keine Zukunft mehr haben, wenn es ganz, also außer der östlichen auch die westlichen Hälfte, russischer Satellitenstaat würde. Auf der anderen Seite müssen wir dafür sorgen, dass wir nicht zwischen den beiden großen Mächtegruppen eines Tages zermalmt und zerdrückt werden. Es ist wohl für jeden klar, dass die Einheit Deutschlands nicht wiederhergestellt werden kann durch die Deutschen selbst. Sie können und sie müssen mitwirken, aber sie können nicht entscheiden. Entscheidend wird sein die Haltung der Siegermächte.

Die Stellung der Besatzungsmächte zu der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit ist sehr klar. Sowjetrussland hat seit 1945, wie ich bereits gesagt habe, die vor seiner Westgrenze liegenden Länder systematisch unterjocht, ihnen sein totalitäres System und seine Zwangsherrschaft auferlegt. Ich brauche nur an das Schicksal Rumäniens, Bulgariens, Albaniens, Polens, der Tschechoslowakei und Ungarns zu erinnern. In gleicher Weise hat Sowjetrussland die Sowjetzone behandelt. Die Sowjetzone ist von ihnen unter Unterdrückung aller demokratischer Freiheit zum Satellitenstaat heruntergewürdigt worden. Sowjetrussland geht darauf aus, ganz Deutschland zum Satellitenstaat zu machen. Es kann nach seiner ganzen Mentalität keinen starken, freien Staat neben sich dulden. Sein Ziel ist die Unterjochung ganz Europas, die Verdrängung der von ihnen gefürchteten Vereinigten Staaten aus Europa. Der panslawistische Expansionsdrang, der seit Jahrhunderten die russische Politik geleitet hat, ist jetzt noch gesteigert durch den fanatischen Bekehrungsdrang der kommunistischen Lehre. Die Unterjochung der ihm zunächst vorgelagerten europäischen Staaten, die Versklavung der Sowjetzone, der Versuch, die Bundesrepublik, Frankreich, Italien durch kommunistische Parteien und Fünfte Kolonnen zu unterminieren, lassen das Ziel der sowjetrussischen Politik ganz eindeutig und klar erkennen.

Die Haltung der drei Westmächte zum Problem der deutschen Einheit ist ebenso klar: die drei Westmächte haben wiederholt und in feierlichster Form erklärt, dass sie die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit wollen. Die drei westalliierten Regierungen haben noch in ihrer jüngsten Note an die Bundesrepublik vom 15. Oktober 1951 diese Erklärung ausdrücklich wiederholt. Aber die drei Westmächte haben sich nicht mit Erklärungen begnügt. Sie haben dem ihrer Macht unterstehenden westlichen Teil Deutschlands schon seit mehreren Jahren wirtschaftliche und politische Förderung von großen Ausmaß zuteil werden lassen, um so eine Entwicklung zu einem freien, demokratischen Staat zu beschleunigen. Sie begünstigten ferner durch die Tat die Einbeziehung der Bundesrepublik in das Vertragssystem der freien westeuropäischen Völker dadurch, dass sie den Eintritt der Bundesrepublik in den Europarat herbeiführten, durch den Abschluss des Schumanplans und durch die Einladung Deutschlands, an der Herstellung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung mitzuarbeiten. Die Außenminister der drei Westalliierten haben auf ihrer Washingtoner Konferenz am 14. September ausdrücklich erklärt, dass die Politik ihrer Regierungen die Integration eines demokratischen Deutschlands in eine kontinentale europäische Gemeinschaft auf der Grundlage der Gleichberechtigung zum Ziele hat, eine Gemeinschaft, die selbst wieder in eine in ständiger Entwicklung befindlichen atlantischen Gemeinschaft eingegliedert ist.

Die Mentalität Sowjetrusslands und die Einstellung der Vereinigten Staaten insbesondere beweist nichts schlagender als folgende Tatsache: Sowjetrussland hat bis Ende 1950 aus der Sowjetzone, abgesehen von den Besatzungskosten, 26, 8 Mrd. DM entnommen. Wir, die Bundesrepublik, haben bis heute an Marshallplangeldern 1,5 Mrd. Dollar erhalten.

Ich habe eben von der Erklärung der drei Außenminister im vergangenen Monat gesprochen. Auf Grund dieser Erklärung finden zu Zeit zwischen den Hohen Kommissaren, die dabei nicht als Hohe Kommission, sondern als Beauftragte ihrer verschiedenen Regierungen handeln, deswegen finden diese Verhandlungen, meine Freunde, auch nicht auf dem Petersberg, dem Sitz der Hohen Kommission, statt. Ich sagte: Es finden zur Zeit zwischen diesen und mir als Bundeskanzler Verhandlungen statt über den Abschluss von Verträgen, die der Bundesrepublik den Status der Souveränität wiedergeben sollen. Diese Verhandlungen, meine Freunde, verlaufen durch[aus] günstig. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Presseerklärung hin, die der Vertreter der Vereinigten Staaten bei diesen Verhandlungen, Herr McCloy, gestern abgegeben hat.

Auch die Verhandlungen zur Herbeiführung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Paris stehen gut. Sie machen gute Fortschritte. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass die drei Westalliierten die Bundesrepublik vor jedem Angriff aus dem Osten schützen und ihr den Status der Freiheit und der Gleichberechtigung geben wollen. Und, meine Freunde, es ist ebenfalls von den drei Westalliierten ausdrücklich erklärt worden, dass sie mit der Eingliederung nicht nur der Bundesrepublik, sondern eines wiedervereinten freien Deutschlands in das westliche Vertragssystem als gleichberechtigter Partner durchaus einverstanden sind.

Ich habe versucht, ihnen ein Bild der Lage zu geben. Ein Bild der Lage, das man sich vor Augen halten muss, wenn man eine Wahl treffen will. Ich meine, es kann keine Frage sein, welche Wahl wir als christliche Partei, welche Wahl die deutsche Bundesrepublik zu treffen hat. Das deutsche Volk wird nur dann weiter bestehen, wenn es ein freies christlich-abendländisches Volk ist, wenn es zur Gemeinschaft der Völker gehört, die die gleiche Lebensform und das gleiche Lebensziel haben, wie wir Deutsche es haben.

Das Aufgeben in Sowjetrussland als Satellitenstaat würde die Vernichtung der überkommenden Lebensform des deutschen Volkes bedeuten. Es würde bedeuten seine Vermischung mit asiatischen Völkern. Ich erinnere an den Plan Sowjetrusslands, 3 Millionen Asiaten in dem östlichen Teil Deutschlands anzusiedeln. Das Aufgeben des deutschen Volkes in einen russischen Satellitenstaat würde unseren Untergang als Volk bedeuten.

Die Aktion Grotewohl, die wir in diesen Wochen erlebt haben, kann uns nur in dieser Entscheidung bestärken. Grotewohl hat auf Geheiß Moskaus lediglich versucht, die Verhandlungen, die wir zur Zeit mit den Westalliierten führen, zu stören, Uneinigkeit bei uns und Misstrauen gegen uns bei den Westalliierten hervorzurufen.

Grotewohl selbst und seine gefärbten Volksmänner haben überhaupt keine Entscheidungsmöglichkeit über die Sowjetzone. Die Macht allein hat Sowjetrussland. Grotewohl und die SED ist und war das Sprachrohr Moskaus. Grotewohl hat niemals freie und geheime Wahlen gewollt. Er spekulierte nur auf die leichte psychologische Beeinflussbarkeit mancher deutscher Kreise durch national klingende Worte. Ich kann, da die Öffentlichkeit und der Bundestag sich ja mit dieser Aktion im einzelnen beschäftigt hat, mich hier kurz fassen.

Warten wir ab, ob Sowjetrussland für die Sowjetzone bei der UNO den Antrag stellt, durch eine internationale Kommission feststellen zu lassen, inwieweit die in der Sowjetzone bestehenden Verhältnisse die Abhaltung freier Wahlen gestatten. Und warten wir weiter ab, ob in Berlin freie Wahlen erlaubt sind. Sie könnten dort unverzüglich stattfinden. Die Stellung der Sowjetzonenrepublik, die Stellung Sowjetrusslands zu diesen beiden Fragen wird der Prüfstein sein für die wirklichen Absichten Sowjetrusslands.

Ich weiß, meine Freunde, dass in manchen gutdeutschen Kreisen in der Sowjetzone Hoffnungen an die Aktion Grotewohls geknüpft worden sind und dass man vielleicht enttäuscht sein wird, wenn sich nunmehr diese Hoffnungen als trügerisch erwiesen haben. Aber ich kann nur nochmals wiederholen, es war ja Grotewohl niemals ernst mit seinem Vorschlag: Freie Wahl. Sehen Sie, meine Freunde, so leicht gibt Sowjetrussland das Land, das es in Besitz hat, das Land mit seinen Fabriken, seinen Arbeitskräften, seinen Flugplätzen, den Angriffsbasen gegen den Westen, seine Uranbergwerke nicht preis.

Die Aktion Grotewohls hat aber für uns den guten Erfolg gehabt, dass die drei Westmächte sich auf unseren Antrag entschlossen haben, bei den VN den Antrag zu stellen, eine sich auf das ganze deutsche Gebiet erstreckende, durch die VN durchzuführende Untersuchung einzustellen, die, ich wiederhole und zitiere wörtlich, die feststellen soll, inwieweit die in der Bundesrepublik und in der Sowjetzone bestehenden Verhältnisse die Durchführung freier Wahlen gestatten. Dieser Entschluss der drei Westalliierten ist der erste bedeutsame Schritt auf dem Wege der Wiedervereinigung Deutschlands. Wir haben allen Anlass, den Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs hierfür zu danken.

Ich sagte, dass es für uns zwei Hauptprobleme in der außenpolitischen Arbeit gebe: Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit und die richtige Stellung gegenüber den sich in Europa und in der Welt vollziehenden Zusammenschlüssen. Diese Zusammenschlüsse, meine Freunde, sind Tatsachen, und ebenso ist es Tatsache, dass der Ostblock und der Westblock nicht in Freundschaft miteinander leben, sondern hochgerüstet sind. Und weiter ist es Tatsache, dass auf deutschem Territorium diese Blocks einander gegenüberstehen. Diesen Tatsachen muss man ins Auge sehen. Wenn man das tut, dann wird man sich nicht einbilden, dass für uns die Neutralisierung Deutschlands einen Ausweg darstellt.

Eine bewaffnete Neutralität, meine Freunde, das ist eine Neutralität, deren Volk mit eigener Kraft gegen jede Verletzung schützen könnte, ist für ein Gebiet wie Deutschland in der Zeit der Atomwaffe, der Riesenflugzeuge, der Raketengeschosse einfach unmöglich. Und hinzu kommt, das unser Land so wertvolles Material birgt, dass kein Gegner dieses Land dem anderen lassen kann. Unbewaffnete Neutralität aber, meine Freunde, ist ein Traum, ohne jede Möglichkeit einer legalen Verwirklichung. Wenn wir das Schicksal Koreas erleiden wollen, über das der Krieg hin- und herrollt, dann, meine Freunde, sollen wir die Neutralität wählen.

Der westliche Block will den Frieden. Er hat das in feierlichster Form erklärt. Und derartige Erklärungen in demokratischen Ländern haben vollen Wert. Am 14. September 51 haben die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten in Washington erklärt, die drei Minister bestätigen erneut, dass diese Politik, die zusammen mit den anderen freien Nationen verfolgt werden wird, auf die Schaffung und Aufrechterhaltung eines dauerhaften Friedens hinzielt, der auf Recht und Gerechtigkeit gegründet [ist]. Ihr Ziel besteht darin, Gedeihen und die Sicherheit Europas zu fördern, ohne in irgendeiner Weise den rein defensiven Charakter der Nordatlantikpaktorganisation zu ändern. Sie bestätigen erneut ihre Entschlossenheit, die Verwendung eines derartigen Abkommens zur Verfolgung einer aggressiven Politik unter keinen Umständen zuzulassen.

Sowjetrussland, meine Freunde, will nicht den Frieden. Die von ihm in der ganzen Welt seit 1945 betriebene Politik zeigt das klar und eindeutig. Während die Staaten des Westblocks in den Jahren nach 1945, nach unserem Zusammenbruch, in stürmischer Weise abgerüstet haben, hat Sowjetrussland seit 1945 seine Rüstung immer weiter verstärkt und vergrößert. Die Länder des Westblocks unterhalten keine Parteien, keine 5. Kolonnen in anderen Ländern. Sowjetrussland tut es. Glücklicherweise, meine Freunde, ist das Kriegspotential des Westblocks dem Sowjetrusslands und seiner Satellitenstaaten um ein mehrfaches überlegen. Der Westblock kann den Frieden erzwingen. Wenn der Westblock nicht so stark wäre, meine Freunde, ich bin überzeugt, ganz Deutschland wäre schon lange ein russischer Satellitenstaat. Ich glaube, dass kein Zweifel nötig ist und keine Bedenken. Deutschland muss seinen Platz einnehmen in den Organisationen und Zusammenschlüssen des Westens.

Der Friede für Europa, der Friede für Deutschland ist nur dann gesichert, wenn der Westen stark ist. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Friedensfront stark ist, so stark, dass Sowjetrussland jeden Gedanken an weitere Eroberungen und Unterjochungen - sei es durch kalten, sei es durch heißen Krieg - fahren lassen muss. Das Ziel der sowjetrussischen Politik ist, durch Neutralisierung Deutschlands die Integration Europas unmöglich zu machen, und so die Vereinigten Staaten dahin zu bringen, sich von Europa zurückzuziehen, und dann ganz Europa zu Satelliten Russlands zu machen. Wenn die Sowjetunion sieht, dass Neutralisierung der Bundesrepublik durch deren Eintritt in die europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht mehr zu erreichen ist, wenn Russland sieht, dass die westlichen Länder ihm weit überlegen sind, dann wird auch der Kreml, der ein kühler Politiker und Rechner ist, bereit sein, allen Aggressionen und aggressiven Tendenzen zu entsagen und sich seinen drängenden innenpolitischen Aufgaben zuzuwenden, anstatt ohne jede Aussicht auf Erfolg weiterzurüsten und dadurch ungeheure Mittel sinn- und zwecklos zu verschleudern.

Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit, die Sicherung des Friedens in Europa ist unser Ziel. Dieses Ziel werden wir erreichen, wenn wir es klar erkennen und unbeirrt den Weg zu diesem Ziele gehen. Ich glaube nicht, dass dieser Weg allzu weit ist. Wir können den Weg furchtlos gehen, er führt nicht zum Kriege. Zum Kriege führen Schwanken und Zaudern, Unentschlossenheit und Mangel an Folgerichtigkeit. Die einzige Möglichkeit, den Frieden zu retten, ist die Verstärkung der Friedensfront. Wir hassen den Krieg, wir wollen Freiheit und Frieden.

 

Quelle: StBKAH 16.08.