Sehr geehrter Herr Springer!
Unsere heutige Besprechung hat mir mancherlei Anregungen gegeben. Erlauben Sie mir, in Kürze darauf zurückzukommen. Zu einem der erörterten Punkte möchte ich aber sofort Stellung nehmen. Ich habe Herrn Chruschtschow bei meinem Besuch in Moskau im Jahre 1955kennengelernt. Ich hatte einen guten Eindruck von ihm und glaubte, daß es möglich sei, auch in schwierigen Fragen mit ihm in einer Besprechung einig zu werden. Ich habe sehr bedauert, daß er meinen damaligen Besuch nicht erwidert hat. Ich würde es begrüßen, wenn er das bald tun würde. Ich glaube, es müßte dann doch möglich sein, mit ihm zu einer Verständigung zu kommen. Diplomatische Noten sind gut und wohl. Aber ich finde, daß die persönliche Auseinandersetzung immer viel fruchtbarer ist. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und bin
mit herzlichen Grüßen
Ihr ergebener
(Adenauer)
Am Montag, den 2. September 1963, war Herr Axel Springer bei mir in Cadenabbia. Er brachte mit den Vertretern des "Hamburger Abendblattes" in Moskau, Herrn Weber*. Er hatte mir vorher schon gesagt, daß dieser Herr Weber ein ausgezeichneter Kenner Sowjetrußlands sei.
Unser gemeinsames Gespräch dauerte einige Stunden. Es erstreckte sich über die außenpolitische Lage unter Berücksichtigung der Zustände in Sowjetrußland, den USA und der Bundesrepublik. Insbesondere wurde auch über das Moskauer Abkommen gesprochen und über die weiteren Pläne: Kontrollposten und Nichtangriffspakt.
Im Verlaufe des Gespräches sagte Herr Weber folgendes: Wie er von Angehörigen der amerikanischen Botschaft in Moskau gehört habe, habe Herr Rusk Herrn Schröder genau über die Vorgänge das Moskauer Abkommen betreffend unterrichtet. Allerdings Herrn Schröder allein. Herr Rusk habe sich deswegen auch geweigert, als die Angelegenheit bei uns auf Widerstand stieß, nach Bonn zu kommen. Es habe einer ausdrücklichen Anweisung von Präsident Kennedy an Rusk bedurft, damit er nach Bonn gehe, um mich zu unterrichten.
Als ich gegenüber Herrn Weber mein Erstaunen ausdrückte, bekräftigte Herr Weber, daß ihm Angehörige der amerikanischen Botschaft die vorher wiedergegebene Nachricht übermittelt hätten. Herr Rusk war dann am 10. August 1963 in Bonn. Er hat mit mir allein überhaupt nicht gesprochen. Mir wurde vom Auswärtigen Amt mitgeteilt, daß zunächst eine Besprechung zwischen Angehörigen des Auswärtigen Amtes und Begleitern von Herrn Rusk, dann eine Aussprache zwischen Rusk und Schröder stattfände, und darauf würden die Herren zu mir kommen.
Als die Herren Rusk und Schröder zu mir kamen, hatte Rusk die Formulierung einer Erklärung fertig, die er bei seinem Bericht vor dem Auswärtigen Ausschuß des amerikanischen Senats abgeben werde. Im Laufe der Verhandlungen mit mir wurde diese Formulierung kleinen Änderungen unterzogen.
Mir war es wohl klar, daß diese Erklärung ein Ergebnis der Besprechung Rusks und Schröders war, die dem Treffen mit mir vorangegangen war. Es ist aber weder von Herrn Rusk noch von Herrn Schröder irgendwie angedeutet worden, daß Herr Schröder unterrichtet gewesen sei.
In der Sitzung des Fraktionsvorstandes am Montag, den 29. Juli 1963, hatte Herr Schröder erklärt, daß er von den ganzen Verhandlungen nichts gewusst habe. Es sei dieses Mal den Amerikanern gelungen, sie ganz geheim zu führen. Er habe erst im Bonner "Generalanzeiger" das Abkommen gelesen.
* Heinrich Christian Weber (geb. 1924), 1959-1969 Korrespondent deutscher Tageszeitungen in Moskau; dazu die schriftl. Auskunft von Dr. Erik Lindner (Axel Springer AG, Unternehmensarchiv, Hamburg) an den Bearb.: "Eigentlich war Heinz Schewe von 1958-1967 Korrespondent der 'Welt' in Moskau. Heinz Weber arbeitete als Korrespondent der 'Frankfurter Rundschau' und scheint [Adenauers] Angaben zufolge auch für Axel Springer (Hamburger Abendblatt) tätig gewesen zu sein."
Zur Bedeutung der Unterredung vom 2.9.1963 der Hinweis von Heinrich Krone in seiner Eintragung vom 21.9.1963: "Der Kanzler will, so höre ich von Globke, mit de Gaulle heute auch die Frage eines Handelsboykotts gegen die Sowjetunion besprechen. ... Vor acht Tagen in Cadenabbia war das Thema Handelsboykott ein Hauptgegenstand unseres Gesprächs. Axel Springer und sein Moskauer Korrespondent Weber hatten den Kanzler für diesen Gedanken und aufgrund einer Schilderung der Wirtschaftslage der Sowjetunion gewonnen" (Tagebücher, Bd. 2, S. 222).
Quelle: StBKAH 10.09, Durchschlag mit ms. Briefkopf "Bundesrepublik Deutschland. Der Bundeskanzler" und ms. Notiz Poppinga "Herrn Springer am 2.9.63 übergeben". Anlage StBKAH 11/52, mit Stempelaufdruck "Geheim". Abgedruckt in: Adenauer. Briefe 1961-1963 (Rhöndorfer Ausgabe). Hg. von Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz. Bearb. von Hans Peter Mensing. Paderborn 2006, S. 288f. Anm. S. 519.