21. August 1953

Was würde geschehen ...?

Von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer

 

Ein Land wie das unsrige, das keine Machtmittel zur Verfügung hat, muss in erster Linie versuchen, das Vertrauen der anderen zu gewinnen. Das war von Anfang an für die Bundesregierung und insbesondere für mich ein ganz wesentlicher Grundsatz, auch in manchen Kämpfen, die ich mit der Hohen Kommission gehabt habe. Und glauben Sie mir, so gut es jetzt aussieht, es hat Zeiten gegeben, wo ich in sehr schwerem Kampf mit den Herren gestanden habe. Immer eine ruhige, stetige Politik zu verfolgen, das ist allein der Weg für Deutschland, wieder in die Höhe zu kommen.

Wir haben dasselbe auch in wirtschaftlicher Beziehung getan. Wir haben die soziale Marktwirtschaft mit derselben Konsequenz und Stetigkeit fortgeführt und dadurch das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft des deutschen Volkes gefestigt. Ich möchte dies sagen, um dem gegenüberzustellen, was eintreten würde, wenn die zukünftige Wahl einen Führungswechsel in der Bundesrepublik bringen würde. Wir würden zunächst einen völligen Bruch mit der bisherigen Wirtschaftspolitik erleben. Die Sozialdemokratie würde zurückkehren zu Planung und Steuerung, zur Aufblähung des Beamtenapparates, und sie würde namentlich zu einem kommen, das mir in tiefster Seele verhasst ist, zu einer Konzentration der Macht des Staates; denn die Sozialdemokratie will ja die Verstaatlichung der Grundstoffindustrie. Dies wäre eine Machtkonzentration in der Hand des Staates, die weithin den Tod der persönlichen Freiheit zur Folge hätte.

Und was würde in der Außenpolitik geschehen? In der Außenpolitik hat die SPD die Politik, die wir verfolgt haben, in Grund und Boden verurteilt. Sie ist nicht davor zurückgeschreckt, im Sozialdemokratischen Pressedienst, als der amerikanische Präsident Eisenhower mir jenen bekannten Brief geschrieben hat, sich in den persönlichsten und gehässigsten Beschimpfungen des amerikanischen Präsidenten zu ergehen. Die Sozialdemokratie behauptet gern, und insbesondere hat dies der Hamburger Bürgermeister Brauer im Bundesrat gesagt: "Wenn die Bundesregierung die Opposition von Anfang an hinzugezogen hätte, sich mit ihr beraten hätte, dann würde die Opposition eine andere Politik gemacht haben." Dies ist ein Irrtum des Herrn Brauer. Zunächst hat die Trennung zwischen der Sozialdemokratie und uns in der Außenpolitik beim Petersberger Abkommen begonnen. Damals schon hat die Sozialdemokratie unter Führung von Dr. Schumacher den Standpunkt "alles oder nichts" vertreten, einen Standpunkt, wie ihn auch ein Siegerstaat nicht vertreten sollte. Und wir haben nicht gesiegt. Aber davon abgesehen, wir haben die Sozialdemokratie immer unterrichtet. Es ist nicht wahr, wenn sie behauptet, dies sei nicht der Fall gewesen. Im Bundestag wurde eine Kommission eingesetzt, bestehend aus einem Vertreter unserer Partei, einem Vertreter der Demokraten, einem Vertreter der Deutschen Partei und einem Sozialdemokraten. Dazu kam noch der sozialdemokratische Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses, Schmitt, so dass in diesem Ausschuss zwei Sozialdemokraten waren. Und dieser Ausschuss ist von der Bundesregierung aber auch über jedes Stadium der Verhandlungen über den Deutschlandvertrag und die EVG laufend unterrichtet worden.

Aber die Herren wollten nicht, und sie erblicken die Aufgabe der Opposition darin, zu allem und jedem, was die Regierung tut, nein zu sagen. Eine spätere Geschichtsschreibung wird der Sozialdemokratie einmal zum Vorwurf machen, dass sie in diesen ersten vier Jahren der Bundesrepublik nicht die Aufgabe erfasst und erfüllt hat, die in einem parlamentarisch regierten Staat der Opposition zufällt. Und wenn nun - es ist eine irreale Annahme, denn nach meiner Meinung werden wir bei der kommenden Bundestagswahl sehr gut siegen - die Sozialdemokratie in führender Stelle in die Regierung kommen würde, was wäre die Folge? Wie gesagt, in wirtschaftlicher Beziehung ein vollkommener Umbruch und in außenpolitischer Beziehung ebenfalls ein vollkommener Umbruch. Und deswegen sind diese Wahlen am 6. September 1953 nicht nur für die deutsche Politik, sondern für die gesamte Weltpolitik von entscheidender Bedeutung. Wenn die bisherige Außenpolitik durch uns nicht fortgesetzt werden könnte, dann würde diese Bundestagswahl von 1953 nichts anderes bedeuten als einen eklatanten Sieg der sowjetrussischen Politik.

Ich möchte nur kurz erwähnen, welche Folgen ein solcher Ausgang der Wahl auch für das kulturelle Leben in Deutschland haben würde. Ich will mich nicht weiter darauf einlassen, aber ich glaube, Sie kennen die Verhältnisse in den rein sozialdemokratisch regierten Ländern gut genug, um zu wissen, was die Sozialdemokratie auch in kultureller Hinsicht tun würde, wenn sie an die Macht käme.

(Aus der Trierer Wahlrede des Bundeskanzlers, 5. August 1953.)

 

Quelle: Der Pfälzer vom 21. August 1953.