21. Juli 1948

Rede vor Studenten im Chemischen Institut der Universität Bonn

 

Verehrte Anwesende!

Ich leugne nicht, trotzdem ich Vorsitzender einer Partei für die britische Zone bin, dass das Bild, das die deutschen Parteien in den letzten Jahren und auch heute bieten, nicht gerade sehr anziehend ist. Am bedauerlichsten finde ich es, dass die großen deutschen Parteien es nicht fertiggebracht haben, in einer Zeit wie der gegenwärtigen - in der es sich doch um Lebensfragen für das gesamte deutsche Volk handelt -, alle die Dinge, die sie trennen, aber die jetzt nicht entschieden zu werden brauchen, zurückzustellen und in den großen deutschen Fragen eine gemeinsame Position zu beziehen.

(Beifall)

Das ist im höchsten Maße bedauerlich. Ihr Beifall zeigt, dass Sie mir darin beipflichten. Ich persönlich habe mir die größte Mühe gegeben; ich habe noch vor wenigen Wochen versucht, die andere große Partei in Deutschland, die Sozialdemokratische Partei, zu einer gemeinsamen Stellungnahme mit uns zu [be]kommen und dann auch die anderen übrigen deutschen Parteien hinzuzunehmen, um sie zu einer Erklärung in der Frage der Londoner Empfehlungen zu gewinnen. Es war umsonst. Warum? Ein Wort der Entschuldigung für alle Parteien muss ich doch sagen: wenn die Alliierten die Deutschen wenige Monate nach dem Zusammenbruch praktisch hätten arbeiten lassen, dann würde höchstwahrscheinlich der Zwang der praktischen Arbeit dazu geführt haben, dass sie sich genähert hätten in den Aufgaben und deren Lösung, die gerade vor ihnen lagen. Aber das haben die Alliierten nicht getan. So sind die deutschen Parteien mehr oder weniger auf die Bahn einer theoretischen Auseinandersetzung gekommen. Hoffen wir, dass das nur vorübergehend ist, und hoffen wir, dass doch, solange diese Not des deutschen Volkes besteht, eines Tages die großen deutschen Parteien zusammenstehen.

Unser heutiger Abend, verehrte Anwesende, fällt im wahrsten Sinne des Wortes in eine Periode politischer Hochspannung, und ich möchte über einige der wesentlichsten Fragen, die jetzt akut sind, in erster Linie zu Ihnen sprechen. Ich kann die Fragen nicht erschöpfend behandeln, weil die Zeit dazu nicht ausreichen würde. Ich möchte beginnen mit der Tätigkeit, die der Wirtschaftsrat und die Wirtschaftsverwaltung in Frankfurt in den letzten Wochen ausgeübt hat. Über den Wirtschaftsrat und die Wirtschaftsverwaltung in Frankfurt ist außerordentlich viel geschimpft worden. Aber wir neigen sehr zum Schimpfen, und unsere allgemeine Nervosität in Deutschland fordert diese natürliche Neigung bei jedem Menschen. Im Grunde genommen muss man sagen, dass der Frankfurter Wirtschaftsrat und die Wirtschaftsverwaltung doch außerordentlich große Dinge getan haben, und zwar, wie man jetzt schon sagen kann, mit Erfolg getan haben. Ich nenne folgende Worte: Die Währungsreform, die Steuergesetze, vor allem die vollkommene Wendung in unserer ganzen Wirtschaftsleitung. Die Währungsreform ist kein deutsches Gesetz; die Deutschen wollten sie anders vornehmen und sich mehr von sozialen Gesichtspunkten dabei leiten lassen, als es in Wirklichkeit dann die Amerikaner und Engländer getan haben. Die Währungsreform, so wie sie gekommen ist, ist ausschließlich auf das Konto der Alliierten zu schreiben. Die Alliierten erkennen das auch rückhaltlos an. Ich glaube auch, dass selbst ein Engel, wenn er eigens dazu vom Himmel herabgekommen wäre, sie nicht hätte so machen können, dass sie von jedem Beifall gefunden hätte. Jede Währungsreform, gleichgültig wie sie ausfiel, bot bei der Schwierigkeit der ganzen Materie und bei der Verschiedenheit der Tatbestände fast bei jedem einzelnen Deutschen genügend Stoff zur Kritik. Aber alles in allem genommen müssen wir doch sagen, dass nicht nur die technische Durchführung der Währungsreform gut gelungen ist, sondern wir müssen doch heute sagen - und ich glaube, die allermeisten Deutschen stimmen mir darin bei -, dass eine Währungsreform absolut notwendig war, damit der Schwindel der vergangenen Jahre endlich einmal zu Ende ging.

(Lebhafter Beifall)

Ich möchte ein Wort gerade zu Ihnen sagen über die Steuergesetze. Die deutschen Stellen hatten eine größere Ermäßigung der Steuern vorgesehen, als die Alliierten konzediert haben. Die deutschen Stellen werden höchstwahrscheinlich im Laufe der nächsten Monate versuchen, eine Steuerermäßigung herbeizuführen bis zu dem Grade, den sie für notwendig halten. Eine solche Steuerermäßigung soll nicht etwa dem einzelnen einen Vorteil bieten, sondern sie soll der gesamten Volkswirtschaft dienen, und vor allem soll sie durchgeführt werden, damit wieder eine Kapitalbildung möglich ist. Ich war vor wenigen Tagen im Industriegebiet in einer Versammlung, in der auch dieses Thema angeschnitten wurde. Es ergab sich da das merkwürdige Missverständnis, dass einige der Anwesenden glaubten, Kapitalbildung sei gleichbedeutend mit der Heranzüchtung von Kapitalisten

(Heiterkeit)

Die Volkswirtschaftler unter ihnen werden wissen, dass das kaum etwas miteinander zu tun hat und dass keineswegs der Zweck der Kapitalbildung die Heranzüchtung von Kapitalisten ist. Alle diejenigen, die sich schon etwas mit der Wirtschaft beschäftigt haben, wissen, dass ohne Kapital die Wirtschaft eben nicht funktionieren kann (Beifall), und dass deswegen im allgemeinen Interesse, insbesondere auch im Interesse der unteren Klassen der Bevölkerung, eine Kapitalbildung nötig ist.

Die Art der Währungsreform, wie sie die Alliierten beliebt haben, hat es mit sich gebracht, dass ein ungemein wichtiges Gesetz, das Gesetz eines Vermögensausgleiches, nicht hat verabschiedet werden können bisher. Das Gesetz war von den deutschen Stellen vorbereitet, aber es basierte auf einer Währungsreform, wie sie von den deutschen Stellen und Sachverständigen empfohlen worden war. Weil nun die Alliierten die von den deutschen Stellen empfohlene Währungsreform nicht beliebt haben, konnte dieses Vermögensausgleichsgesetz nicht gleichzeitig mit der Währungsreform verabschiedet werden. Das ist sehr schade; denn es würde ganz bestimmt, namentlich diejenigen, die im Kriege alles oder fast alles verloren haben, die Vertriebenen und die Evakuierten, die Ausgebombten usw. doch in etwa getröstet haben, wenn sie wenigstens hier einen Weg gesehen hätten, auf dem ihnen einmal zumindesten ein Teil ihrer Schäden ersetzt werden soll. Ich kann Ihnen versichern, dass die Arbeiten an diesem Vermögensausgleichsgesetz mit aller Intensität weitergefördert werden und dass wohl alle Parteien, insbesondere auch die Partei, zu der ich mich rechne, als ihre vornehmste Pflicht ansehen, bei der Gestaltung dieses Gesetzes so sozial zu sein wie irgend möglich.

Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich keine falschen Hoffnungen namentlich bei denjenigen von Ihnen, die zu den Ostvertriebenen gehören, erwecken. Ich bin der Auffassung, dass man sogar in der Politik mit Ehrlichkeit schließlich doch am weitesten kommt.

(Beifall)

So möchte ich in wenigen Zügen klarmachen, um welche Aufgabe es sich bei diesem Gesetz handelt. Es soll durch dieses Gesetz ein Ausgleich zwischen denjenigen, die durch einen glücklichen Zufall - mehr war es ja nicht, es war nicht ihr Verdienst - ihr Vermögen behalten haben, und denjenigen, die ihr Vermögen ganz oder zum großen Teil verloren haben, herbeigeführt werden. Dies setzt also voraus, dass in diese Ausgleichskasse entsprechende Vermögenswerte von den im wesentlichen mehr oder weniger verschont Gebliebenen hineinkommt. Der zweite Teil der Aufgabe besteht darin, dass eine richtige Verteilung an die große Zahl derjenigen erfolgt, die schwere Verluste erlitten haben. Über allem steht aber auch hier folgendes Gebot: die Wirtschaft als Ganzes, die jedem von uns zugute kommt, jedem Deutschen, gleichgültig, welchen Standes und welchen Berufes er ist. Das Funktionieren der Volkswirtschaft darf nicht dadurch gefährdet werden. Lassen Sie mich das an einem Beispiel, das sehr sinnfällig ist, klarmachen. Als Vergleich eine bäuerliche Wirtschaft. Nehmen wir an, dass in dem kommenden Gesetz vorgeschrieben wäre, dass die Hälfte des Einheitswertes abgegeben werden müsste von dem, was vom Kriege verschont geblieben ist. Sie werden mir ohne weiteres beistimmen, dass wohl kaum ein Landwirt in der Lage ist, die Hälfte des Einheitswertes in bar auf den Tisch des Hauses zu legen. Sie werden mir auch darin zustimmen, wenn ich sage, dass nur in den seltensten Fällen es möglich ist, dass diese Abgabe in Natura geschehen kann. In beiden Fällen würde höchstwahrscheinlich der Bauer seine Wirtschaft nicht weiterführen können. Es wird also gar nichts anderes übrig bleiben, als auf irgend eine Weise es ihm zu ermöglichen, amortisationsweise in Form von Jahreszahlungen den Betrag, den er abgeben muss, zu zahlen. Und wenn er alles gezahlt hat, wird er Zinsen zahlen müssen von dem ganzen Betrag, den er an sich zahlen müsste. Aber auch hier ist es ohne weiteres klar, dass dieser bäuerliche Besitz, von dem ich sprach, bei der Zahlung von Jahresquoten und Zinsen über eine bestimmte Höhe hinaus einfach nicht gehen kann, weil sonst der Bauer den Betrieb einstellen muss und einstellen wird. Es wird also sehr schwer sein, die verschiedenen Grenzen zu finden zwischen dem, was das Interesse des Bauern erlaubt, und demjenigen, was man aus sozialen Gründen gerne nehmen mochte. Auf der anderen Seite zeigen sich auch bei denjenigen, die etwas bekommen sollen, große Schwierigkeiten. Es ist mir z. B. von einer kleinen Zahl von Ostvertriebenen zum Ausdruck gebracht worden, man solle sie nicht entschädigen für den Grund und Boden, der ihnen abgenommen worden sei, weil darin eine Sanktionierung dieses Raubes liege, sondern entschädigen für die entgangenen Ernten und für die Mobiliarverluste, die sie erlitten hätten. Ich bin überzeugt, dass andere Ostvertriebene diese Auffassung nicht teilen werden. Sie ersehen daraus, dass die Schwierigkeiten sehr groß sind. Ich kann Ihnen heute nur das eine sagen: es wird wirklich mit aller Energie daran gearbeitet, um dieses schwierige Problem so gut wie irgend denkbar zu lösen.

Von allen Dingen aber, die sich jetzt in Frankfurt ereignet haben, ist das wichtigste die radikale Abwendung von der bisherigen Zwangswirtschaft

(Starker Beifall)

Es ist ganz klar, dass eine solche gewaltige Änderung in der Wirtschaft nicht ohne Fehler und ohne Mangel vonstatten gehen kann. Diese Fehler und Mängel sind zum Teil hervorgerufen worden durch die Käufer, die zu voreilig gekauft haben, zum Teil werden sie hervorgerufen durch die Verkäufer. Aber man soll die Dinge im großen und ganzen sehen und sich nicht aufhalten an Einzelerscheinungen, die sehr zu tadeln sind. Auch gegen die übertriebenen Preiserhöhungen muss eingeschritten werden. Wenn man aber die Dinge im Ganzen sieht und sich vorstellt, wie es etwa am 15. Juni ausgesehen hat, als es nichts zu kaufen gab und das Geld fast nur noch Papierwert hatte, dann muss man es doch - und Ihr Beifall zeigt sehr klar, dass Sie mit mir darin übereinstimmen - begrüßen, dass nun endlich Wandel auf diesem Gebiet geschaffen worden ist.

(Starker Beifall)

Diese in Frankfurt gefällte Entscheidung ist von außerordentlich großer Tragweite; nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, sondern es ist auch die Wendung vom Kollektivismus hin zur Wertung des Individuums, zur Wertung der Person.

(Beifall)

Das ist das Weltanschauliche, was dem Ganzen zugrunde lag. Wir haben es doch seit 1933 erlebt, Kollektivismus führt notwendigerweise zu einer Aufblähung des ganzen Beamtenapparates, zur Herrschaft der Bürokratie und führt zur Korruption in weitestem Umfang. Wir waren auf dem besten Weg in Deutschland, in diesem kollektivistischen Sumpf stecken zu bleiben, und wir können Gott danken, dass die Leute in Frankfurt, die die Verantwortung dafür tragen, den Mut gehabt haben, die Verantwortung für eine radikale Umkehr der Wirtschaft auf sich zu nehmen.

(Beifall)

Die Sache in Frankfurt war gar nicht so einfach, wie manche sich vorstellen. Es standen im Frankfurter Wirtschaftsrat zwei gleich große Gruppen einander gegenüber. Auf der einen Seite die SPD und die wenigen Kommunisten, auf der anderen Seite die CDU und die FDP. Die CDU und FDP zusammen mit der Deutschen Partei aus Niedersachsen hatten nur wenige Stimmen mehr als der Teil des Wirtschaftsrates, der den Kollektivismus weiter pflegen wollte. Und mit diesen wenigen Stimmen eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen, das bedeutet etwas. Ich bin bei der entscheidenden Sitzung der Fraktion der CDU/CSU, in der dieser Beschluss gefasst worden ist, zugegen gewesen und kann Ihnen versichern, dass wir alle über die Bedeutung unseres Entschlusses, den wir damals gefasst haben, sehr klar waren. Es gehörte Mut dazu, gegenüber einer vollkommen dunklen Zukunft diesen Schritt zu tun. Soviel zu Frankfurt.

Lassen Sie mich jetzt Ihre Blicke nach London richten, nicht wie es heute ist am 21. Juli, sondern in die Zeit, als in der Londoner Konferenz die 6 Staaten USA, England, Frankreich und die Beneluxstaaten monatelange verhandelt haben und schließlich abschlössen mit den sogenannten Londoner Empfehlungen. Diese Londoner Empfehlungen sind in der Zwischenzeit von den 6 Regierungen dieser Staaten gebilligt worden. Man kann heute nicht mehr von Empfehlungen sprechen, sondern man kann schon von einem Londoner Dokument sprechen. Dieses Londoner Dokument empfehle ich dem ganzen deutschen Volk und insbesondere auch Ihnen zu einem sehr gründlichen Studium. Gegenüber diesem Londoner Dokument war der Versailler Vertrag ein blühender Garten für das deutsche Volk.

(Bewegung und Unruhe)

Ich weiß nicht, wem Ihr Scharren gilt, ob dem Versailler Vertrag oder meinem Vergleich; aber ich will versuchen, das in wenigen Worten klarzumachen, damit Sie wissen, worum es sich handelt. Der Versailler Vertrag tastete die völkerrechtliche Gestaltung Deutschlands in keiner Weise an. Deutschland blieb nach wie vor völkerrechtliches Subjekt und Objekt. Alle Verträge, die früher einmal geschlossen worden waren, traten automatisch wieder in Kraft, und Deutschland hatte das Recht, jederzeit völkerrechtliche Verträge abzuschließen mit einer Ausnahme: es musste den Siegerstaaten für 5 Jahre lang die Meistbegünstigungsklausel bei Handelsverträgen einräumen. Aber das deutsche Volk hatte das Recht, Handelsverträge abzuschließen. Es durfte sich im Innern einrichten, wie es wollte; keiner von den Siegern bekümmerte sich darum. Mit einer einzigen Ausnahme wiederum: es durfte die Reichswehr nicht über 100000 Mann steigen lassen und durfte auch die Gesamtheit der Polizei, ich glaube nicht über 155000 Mann wachsen lassen, so ähnlich war die Ziffer. Wie ist es jetzt? Das Londoner Dokument ist sehr umfangreich und sehr schwer zu verstehen. Interessant ist auch, dass bis heute noch keine deutsche Stelle, den Wortlaut dieses Londoner Dokumentes kennt.

(Heiterkeit)

Was wir heute wissen, sind Auszüge aus dem Londoner Dokument, die durch „Reuter", „Associated Press" usw. der deutschen Presse mitgeteilt worden sind. Das Londoner Dokument in seinem wirklichen Wortlaut und in seiner Ganzheit kennt noch kein Deutscher. Dieses Londoner Dokument muss man drei-, viermal lesen, um es nur einigermaßen richtig zu verstehen. Es ist eine vollendete Arbeit der diplomatischen Bürokratie. Es ist ausgehandelt worden in mehrmonatigen Verhandlungen. Vor allem ist wichtig die Frage: Handelt es sich bei diesem Londoner Dokument um etwas Vorübergehendes, um ein Provisorium, oder handelt es sich um etwas, was für die Dauer geschaffen worden ist. Je nachdem ist natürlich die Stellung zu dem Londoner Dokument anders. Die sozialdemokratische Parteileitung steht auf dem Standpunkt, es handele sich um etwas Vorübergehendes, um ein Provisorium, und deswegen brauche man über den Inhalt, auch wenn er außerordentlich tadelnswert sei, sich nicht so sehr aufzuregen. Wir stehen auf einem anderen Standpunkt. Wir sind der Auffassung, dass es sich hier nicht um einen Vertrag handelt, der seiner Anlage und seiner Natur nach als vorübergehend gedacht ist. Ich glaube, das kann ich sehr schnell klarmachen: Es handelt sich um einen Vertrag, der von 6 Staaten nach mehrmonatigen Verhandlungen abgeschlossen worden ist. Zu seiner Abänderung ist also die Zustimmung aller 6 Staaten nötig. Glaubt denn nun einer ernstlich, dass diese 6 Staaten im nächsten oder übernächsten Jahr etwa alle der Auffassung sind: Wir müssen Deutschland mehr entgegenkommen. Nach allem, was wir bisher in den Jähren seit 1945 erlebt haben, vermag ich den Optimismus nicht aufzubringen.

Einige Dinge aus diesem Dokument interessieren uns alle hier besonders. Es sind Grenzberichtigungen vorgesehen im Westen.

(Scharren und Unruhe)

Was sind das für Grenzberichtigungen? Kein Mensch kann uns doch weismachen, dass die Herren, die in London monatelang zusammengesessen haben, sich nicht über die Art und Weise der Grenzberichtigungen ausgesprochen hätten. Warum verschweigt man uns dann, was beabsichtigt ist. Wenn es sich wirklich, wie offiziös erklärt worden ist, um geringe Kleinigkeiten handelt, soll man uns diese Kleinigkeiten sagen. Man würde uns dadurch von unserer Unruhe befreien. Man muss allerdings befürchten nach Vorträgen, die von holländischen Beamten in der letzten Zeit in Holland gehalten worden sind, dass die Ansprüche Hollands und vielleicht auch Belgiens sehr ernst zu nehmen sind. Darin stimmen wir alle überein, dass Grenzberichtigungen nun wirklich der schlechteste Zugang zu einem wahrhaften dauernden Frieden in Europa sind.

(Starker Beifall)

Ich werde in der allernächsten Zeit mit politischen Freunden aus Luxemburg, Belgien und Holland zusammentreffen. Sie können sich darauf verlassen, dass wir den deutschen Standpunkt sehr klar bei unseren politischen Freunden aus diesen Ländern zum Ausdruck bringen werden. Namentlich Holland - man muss das zugestehen - ist eines der am schwersten betroffenen Länder durch den nationalsozialistischen Krieg. Die Holländer sagen einem auch: wir wollen nur eine Entschädigung, weiter nichts; wir sind an sich nicht landgierig. Man muss den Holländern zugestehen, dass sie eine Entschädigung bekommen müssen bis zu der Grenze, die für uns tragbar ist; denn für den Schaden müssen wir aufkommen. Aber wir müssen sie doch dringend bitten, diese Entschädigung auf einem Weg zu suchen und mit uns gemeinsam zu finden, der nicht das nationale Interesse und das nationale Gefühl der Deutschen in einer solchen Weise verletzt, wie das Grenzberichtigungen größeren Umfanges tun müssten.

(Beifall)

Wieweit dieses Londoner Dokument in die Zukunft sieht, auf welche Dauer es also berechnet ist, können Sie daraus ersehen, dass Bestimmungen getroffen sind nicht nur für die Zeit der Besatzung - übrigens ist bezüglich der Besatzung gesagt, dass sie solange dauern soll, bis Frieden in Europa herrscht -,

(Heiterkeit)

sondern auch für die Zeit nach Abzug der Besatzung. Eine einschneidende Maßnahme ist die dauernde, also für immer gedachte Besetzung von Schlüsselgebieten.

(Starkes Scharren und Murren)

Was sind das für Schlüsselgebiete? Warum sagt man uns nicht, an welche Schlüsselgebiete gedacht ist. Auch hier gilt das oben Gesagte: eine derartige Gesinnungsweise eröffnet keine guten Perspektiven für das zukünftige Geschick Europas.

Vor allem aber ist für uns von entscheidender Bedeutung, was bezüglich der Ruhr vorgesehen ist. Bezüglich der Ruhr ist vorgesehen die Schaffung einer Internationalen Behörde. Diese Internationale Behörde soll das Recht haben, Kohle, Koks und Stahl, die in Deutschland von deutscher Arbeitskraft gewonnen werden, zu verteilen zwischen Deutschland und den anderen Interessenten.

(Scharren und Unruhe)

Nun steht in diesem Londoner Dokument, dass bei dieser Verteilung berücksichtigt werden sollen die lebenswichtigen Interessen des deutschen Volkes. Was heißt lebenswichtig? Sehen Sie, die englische Regierung hält für ihre Leute 3000 Kalorien pro Tag als absolut lebenswichtig und lebensnotwendig; sie glaubt aber, dass der Deutsche mit 1800 Kalorien glänzend auskomme. Also „lebenswichtig" ist so dehnbar, dass man damit wirklich nichts anfangen kann. Die Internationale Behörde soll weiter das Recht haben, in die Preisgestaltung für Kohle, Koks und Stahl einzugreifen. Das ist nicht wörtlich gesagt, sondern wörtlich ist gesagt, dass diese internationale Behörde das Recht haben soll, den internationalen Handel in diesen Produkten vor deutschen Maßnahmen zu schützen. Der internationale Handel wird sich in erster Linie für unsere Preise interessieren. Die Internationale Behörde hat also danach das Recht, die Preise für Kohle, Koks und Stahl, wenn sie will, in Deutschland festzusetzen. Nun müssen Sie sich über folgendes klar sein: Nach allen statistischen Feststellungen läuft der Lebensstandard eines Volkes und eines jeden einzelnen absolut parallel mit der Hohe des Stahlverbrauchs. Wenn man uns nun diesen Stahlverbrauch bis zu einer gewissen Höhe nur gestattet, dann senkt man damit automatisch den Lebensstandard des deutschen Volkes tief herunter.

In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen über den ersten Abschnitt des Marshallplanes etwas sagen. Der Marshallplan ist ja zunächst nur bewilligt für die Zeit bis 1. April nächsten Jahres. Der ganze Plan muss nach der Präsidentenwahl in den USA von neuem von den beiden Häusern des Kongresses verhandelt werden. Nach dem Plan, wie er dem ersten Jahr zugrunde gelegt ist, soll die Stahlkapazität Frankreichs auf 150 % des Jahres 1938 gesteigert werden, und die deutsche Stahlkapazität soll auf etwa 40 % des Jahres 1938 gehalten werden,

(starkes Scharren)

also eine vollkommene Umkehrung der Fabrikation von Stahl in Frankreich und in Deutschland. Dieser Ruhrplan bedeutet - ich finde keinen treffenderen Ausdruck als den, den ein Bekannter von mir geprägt hat - nichts anderes als eine wirtschaftliche Annexion Deutschlands. Man hat zwar feierlich erklärt, man wolle keine politische Annexion; politische Annexionen sind anrüchig geworden wegen des Namens. Aber von wirtschaftlichen Annexionen hat man nicht gesprochen. Wirtschaftliche Annexionen - von denen Spengler schon gesprochen hat, dass sie kommen - sind unendlich viel gefährlicher und schlimmer für die davon Betroffenen als politische Annexionen. Bei politischen Annexionen werden die Einwohner des annektierten Gebietes Bürger des neuen Landes, sie haben ihre Vertreter im Parlament, und das Land, zu dem sie geschlagen worden sind, muss auch Rücksicht nehmen auf die wirtschaftliche Lage und auf die Stimmung unter den Annektierten. Es kann nicht ertragen, dass in dem neuerworbenen Gebiet schauderhafte wirtschaftliche Zustände herrschen und in seinem alten Gebiet gute wirtschaftliche Zustände. Aber diejenigen, die wirtschaftlich annektiert werden, haben nichts zu vermelden; von denen spricht man überhaupt nicht, sie haben keine Stimme. Wir Deutschen sollen in dieser internationalen Kommission doch eine Stimme haben. In dieser 15köpfigen Kommission sollen an Stimmen erhalten USA, England und Frankreich je 3, die Beneluxstaaten je 1 und die drei Westzonen auch 3. Aber zunächst bekommen sie diese 3 Stimmen erst zu einem Zeitpunkt, den die Alliierten bestimmen werden. Und in dem Londoner Dokument ist auch nicht andeutungsweise gesagt, wann das voraussichtlich der Fall sein wird. Wenn die Alliierten es belieben, dann werden diese 3 Deutschen von ihnen ernannt und zugelassen. Und dann werden die Stimmen der drei wiederum abgegeben von den Besatzungsmächten. Also, das ist ein fauler Zauber, weiter nichts!

(Beifall)

Diese Londoner Empfehlungen enthalten auch politische Bestimmungen, die von der größten Bedeutung für uns in den Westzonen jetzt sind. Es haben entsprechend diesen politischen Bestimmungen im Londoner Dokument die drei Militärgouverneure am 1. Juli den 11 Ministerpräsidenten der drei Westzonen drei Dokumente übergeben. In dem ersten Dokument ist der Vorschlag gemacht: Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung, sei es in direkter, sei es in indirekter Wahl, die spätestens am 1. September dieses Jahres zusammentreten soll. Im Dokument Nr. 2 ist vorgesehen ein Verfahren zur Berichtigung der heutigen Ländergrenzen, und im Dokument Nr. 3 sind Prinzipien, noch nicht feste Formulierungen aufgeführt über ein Besatzungsstatut, das die Rechte der Besatzung über die Deutschen und die Pflichten, aber auch die Rechte der Deutschen gegenüber der Besatzung festlegen soll. Die Ministerpräsidenten haben, wie Sie wissen, am 8. Juli in Koblenz auf dem „Rittersturz" über diese Dinge beraten und haben Gegenvorschläge gemacht. Über diese Gegenvorschläge haben die drei Militärgouverneure, wenigstens einige von ihnen, sich außerordentlich ungehalten gezeigt, und in Frankfurt sind ziemlich laute Töne geredet worden. Aber nach den Nachrichten, die ich heute bekommen habe, kann man wohl annehmen, dass in einer Aussprache, die gestern in Frankfurt zwischen den drei Militärgouverneuren und den Ministerpräsidenten stattgefunden hat, ein Weg zu einer Verständigung sich gezeigt hat.

Ich für meine Person, und meine ganze Partei steht auf demselben Standpunkte, sage dazu folgendes: Dieses Londoner Abkommen - man muss es als Ganzes betrachten bei dem, was ich sage - bindet Deutschland völkerrechtlich nicht. Deutschland hat den Vertrag nicht mitgeschlossen. Dieses Londoner Abkommen widerspricht anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen, und es widerspricht auch dem Naturrecht.

(Sehr starker Beifall und Zurufe)

Es kann unmöglich einem Volke zugemutet werden, dass es seine Bodenschätze und die Arbeitskraft seiner Bewohner auf fremden Befehl hergibt nach fremdem Gutdünken. Das widerspricht jedem Naturrecht. Daher hat dieses Londoner Abkommen für uns rechtlich nichts Bindendes. Es ist ja nun so, dass man zwar sein Recht behaupten muss und niemals sein Recht preisgeben darf in der Hoffnung und in der Erwartung, dass eines Tages doch wieder in der Welt und unter den Völkern der Rechtsgedanke zum Siege kommt, aber bis das geschehen ist, bleibt uns, wenn wir unsere Deutschen in den Westzonen - und es sind über 40 Millionen Deutscher - nicht verelenden lassen wollen, nichts anderes übrig, als uns auf den Boden dieser Tatsachen zu stellen und wenigstens für unser deutsches Volk das herauszuholen versuchen, was wir herausholen können. Das gilt sowohl für den wirtschaftlichen wie für den politischen Teil des Londoner Abkommens. Und daher hoffe ich, dass auch ehe Deutschland wieder eine Einheit geworden ist, doch eine politische Ordnung in den Westzonen von den Bewohnern dieser Westzonen geschaffen wird, die es uns ermöglicht, Deutschland wenigstens in den Westzonen wieder aufzubauen.

Ich habe eben erwähnt die Einheit Deutschlands. Glauben Sie mir, darin sind wir Deutschen, gleichgültig welcher Partei wir angehören - vielleicht sogar die KPD, wenn die auch die Dinge unter einem anderen Vorzeichen sieht - einig, dass wir an dem Ziel, die Einheit Deutschlands eines Tages wiederherzustellen, niemals verzweifeln werden.

(Beifall)

Wenn der Weg zu diesem Ziel auch weit, dornig und steinig ist, das deutsche Volk darf niemals davor zurückschrecken, diesen Weg zu gehen.

Und nun lassen Sie mich einige Worte über Berlin sagen. Die Lage in Berlin, machen wir uns das klar, ist außerordentlich ernst, und die Einwohner der drei Westsektoren haben sehr schwere Tage. Wenn die Alliierten auch tun, was sie können - wir müssen das anerkennen -, so ist es eben unmöglich, über 2 Millionen Menschen nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit den nötigen Kohlen aus der Luft heraus zu versorgen. Infolgedessen sind die Leiden der Berliner Bevölkerung, sowohl was die Zubereitung warmer Mahlzeiten angeht, wie auch die Krankenhausfrage, die Industrie und die Beschäftigung der Menschen, überaus ernst. Wir in den drei westlichen Zonen müssen unseren Berliner Brüdern von Herzen danken und Anerkennung dafür zollen, dass sie dieses schwere Geschick, das sie getroffen hat, mit solcher Energie und mit solcher Kraft auf sich genommen haben und tragen.

(Beifall)

Politisch gesehen handelt es sich - ich bitte, das wohl zu verstehen - sowohl für Russland wie für die westlichen Mächte in erster Linie ja nicht um die Berliner, sondern politisch gesehen hat sich in Berlin der Gegensatz zwischen den Sowjets und den westlichen Alliierten besonders kristallisiert. Leider Gottes ist es ja so, dass die westlichen Alliierten, als sie die verschiedenen Abkommen mit den Russen geschlossen haben, augenscheinlich die Russen nicht gekannt haben;

(Heiterkeit)

denn für denjenigen, der die Russen und die russische Außenpolitik kennt, nicht etwa die des Herrn Stalin oder der Bolschewisten, sondern auch des zaristischen Russlands, ist es wirklich unverständlich, wie man Berlin seinerzeit besetzen konnte, ohne sich eine gesicherte Straße gleichzeitig nach Westen hin zu schaffen, über die man nun seine Sektoren entsprechend versehen konnte mit allem Nötigen. Dieses Vertrauen auf die Russen ist nun schmerzlich enttäuscht worden. Diesmal sind wir aber nicht daran schuld.

(Heiterkeit)

Worum handelt es sich für Russland? Soweit das ein Mensch beurteilen kann, der draußen steht; Russland will den Alliierten einen Prestigeverlust in Deutschland vor allem beibringen, von dem diese sich in Deutschland nicht mehr erholen sollen. Wir sind ja hier in keiner öffentlichen Versammlung, und da kann man schon mal vielleicht ein bisschen freier sprechen.

(Starker Beifall)

Es gibt bei uns genügend Leute - Sie werden auch solche kennen -, die sagen, eines Tages sind die Russen doch bei uns am Rhein. Da muss man sich rechtzeitig darauf einstellen, und deswegen wollen wir uns - das gilt aber nicht für Sie, was ich jetzt sage - keiner Partei anschließen, damit wir später nicht in ein russisches Konzentrationslager kommen. Es gibt sogar sehr vorsichtige Deutsche, die brav und fleißig der KPD ihre Beiträge zahlen - für alle Fälle! Wenn es nun den Russen gelänge, die Alliierten dazu zu zwingen, Berlin zu räumen, dann würde die Schar dieser Kleinmütigen in den Westzonen Deutschlands möglicherweise - ich will mich vorsichtig ausdrücken - doch außerordentlich stark anwachsen. Es ist gar nicht zu bezweifeln, dass dann manche Leute doch sehr nachdenklich würden und die dann sagen: wenn es die Alliierten nicht einmal fertiggebracht haben, Berlin zu halten, was bringen sie dann überhaupt fertig.

Das zweite und vielleicht wichtigere Ziel der Russen ist noch etwas anderes. Sie wissen, dass die Russen zunächst von technischen Schwierigkeiten gesprochen haben, die Bahnschienen waren in Unordnung, die Schleusen waren zerstört, die Brücken mussten repariert werden usw. Aber technische Schwierigkeiten werden eines Tages behoben. So hat man eine gute Rückzugslinie. Das haben die Russen nun fallen gelassen und in ihrer Antwortnote auf die Note der westlichen Alliierten erklärt, dass durch die Einführung der Währung die Alliierten eben gegen die Abkommen verstoßen hätten, dass Russland aber bereit wäre, mit ihnen darüber zu verhandeln. In diesem Zusammenhang haben sie die Ruhr erwähnt; und das ist wahrscheinlich das Endziel der russischen Politik. Sie wollen versuchen, in die Kontrolle der Ruhr mit hineinzukommen, obgleich sie nach den Abkommen von Jalta und Potsdam kein Recht darauf haben. Aber sie wollen das erreichen. Und nun muss man sich klar sein, was das für die Russen und insbesondere für diejenige Partei in Deutschland, die anbetend nach Osten immer ihr Gesicht richtet, bedeuten würde. Das würde bedeuten, dass die KPD im Industriegebiet eine außerordentlich starke Unterstützung in Zukunft haben würde. Wenn der kommunistische Einfluss im Industriegebiet entsprechend stark würde, dann würde damit ganz Deutschland zu Fall gebracht werden können. Das ist ja überhaupt die russische Politik. Ich habe eine Schilderung darüber gelesen, wie sie es mit der Tschechoslowakei gemacht haben. Wie hat Hitler es gemacht? Er ist mit viel Militär und viel Musik und viel Geschrei da eingezogen. Die Russen haben es anders gemacht. Sie haben ihre Kommunisten vorgeschickt, die haben die geeigneten Posten im Lande besetzt, und dann haben sie die ganze Sache aus dem Lande herausgemacht, ohne dass ein russischer Soldat in die Erscheinung zu treten brauchte. Darin sind die Russen ja wahrer Meister: in der Unterminierung der staatlichen Autorität der anderen Länder und in der Schaffung von Stützpunkten in diesen Ländern ohne großen militärischen Aufwand. Ein französischer Diplomat, der die Verhältnisse in Polen sehr gut kennt, sagte vor kurzem, dass Polen beherrscht würde von drei Menschen, die sich aber auf die Russen stützen könnten.

Wir von den Westzonen können nur wünschen und hoffen, dass die Alliierten auch wirklich fest bleiben.

(Beifall)

Ich darf nun vielleicht - ich muss allerdings auf die Uhr sehen - Ihnen einige Worte sagen über die wirkliche Stärke Russlands.

(Starker Beifall und Zustimmung)

Russland ist 45 mal so groß wie Deutschland, aber mehr als die Hälfte des russischen Bodens ist Wald, und mehr als ein Achtel der zweiten Hälfte ist Steppe. Seine Bevölkerung beträgt 192 Millionen. Es verfügt zu deren Ernährung über eine Ackerfläche von der gleichen Größe, wie sie die Vereinigten Staaten zur Verfügung haben, um 142 Millionen zu ernähren. Aus der ganzen Situation ergibt sich ohne weiteres, dass Russland, abgesehen von einigen Industriezentren, immer ein Land des Hungers ist und bleiben wird. Ein weiteres ergibt sich daraus. Es hat keinen Zweck, dass ich Ihnen das Ganze wiedergebe, aber Russland hat verloren im letzten Krieg 58% seines rollenden Material, 45% seiner Stahlproduktion, 44% seiner elektrischen Kraft, 55% seiner Kohlenproduktion, Millionen von Wohnungen, Gebäuden und Brücken, so dass also Russland doch auch, abgesehen von dem Satz, den ich an die Spitze stellte, dass seine fruchttragende Fläche gar nicht so groß ist, infolge seiner Zerstörung sehr schwer zu arbeiten hat, um die Möglichkeiten, die es hat, auszunutzen. Stalin hat angekündigt, dass sein Ziel sei, für die Ölproduktion im Jahre 1951 50 Millionen Tonnen jährlich zu erreichen. Die Vereinigten Staaten haben im Jahre 1947 produziert 270 Millionen Tonnen Öl. Wenn Sie daran denken, dass gerade das öl in der modernen Wirtschaft eine so entscheidende Rolle spielt, dann halten Sie sich diese Zahlen noch einmal vor Augen: Erstrebtes Ziel Stalins in Russland im Jahre 1951: Produktion von 50 Millionen Tonnen Öl. Die Vereinigten Staaten haben im Jahre 1947 produziert 270 Millionen Tonnen Öl. Man will mit dem jetzigen Fünfjahresplan in Russland die Kohleproduktion auf 500 Millionen Tonnen im Jahre 1951 bringen. Die Vereinigten Staaten hatten vor dreißig Jahren eine solche Produktionszahl schon erreicht. Stalin will 60 Millionen Tonnen Stahl am Ende des laufenden Fünfjahresplans oder, wie er hinzugefügt hat, des nächsten herstellen. Die Vereinigten Staaten produzierten am Ende des Krieges schon 50% mehr.

Noch eine Feststellung, die ungeheuer interessant ist. Es ist gegenübergestellt der Arbeitseinsatz eines Elektrizitätswerkes in Amerika, das genau angegeben ist, und eines Werkes in Kemerowo in Russland. Beide Werke haben die gleiche Erzeugung. Das ist übrigens seht interessant für all diejenigen, die in einer Verstaatlichung oder Sozialisierung der Wirtschaft das Heil der Zukunft erblicken. Das amerikanische Werk beschäftigt 51 Personen, das russische 480. Das amerikanische Werk hat 17 Bürobeamte, das russische 91. Für jede 1000 kW Erzeugung benötigt die Wirtschaftsform in Russland 11 Mann, in Amerika 2 Mann. Bei den Kohlengruben kommen auf einen sowjetischen Ingenieur, Aufsichtsbeamten, Techniker, politischen Kommissar und einen Bewachungsposten 4 Grubenarbeiter.

(Heiterkeit)

Ich muss unterbrechen obgleich noch sehr interessante Dinge darin über die russische Politik enthalten sind. Aber ich glaube, Sie können aus den paar Zahlen, die ich angeführt habe, schon ersehen, dass nun Russland diese ungeheuer große Weltmacht wahrhaftig nicht ist; allerdings gebe ich zu, die Russen haben ihre Panzerdivisionen nicht abgerüstet, und die Alliierten haben ihre Flugzeuge und ihre Panzer nach Hause geschickt und haben jetzt Zeit nötig, um alles wieder aufzuholen. Aber wie die Dinge liegen, kann man eines wohl mit Sicherheit sagen: Russland ist wegen seiner wirtschaftlichen Struktur und wegen seiner ungeheueren Größe und der damit verbundenen ganz außerordentlich großen Transportschwierigkeiten nicht in der Lage, einen Offensivkrieg zu führen. Russland kann wegen seiner ungeheueren Größe wohl einen Defensivkrieg führen, aber keinen Offensivkrieg.

(Bewegung und Murmeln)

Natürlich werden Sie mir entgegenhalten: wenn auch schon im ersten Stoß die Russen ziemlich weit kommen, dann ist das sehr unangenehm. Sie haben vollkommen recht darin. Aber ich glaube nicht, dass der Russe so unklug ist, einen solchen Stoß zu wagen, weil er genau weiß, dass er alles, was er dabei einsetzt, verlieren wird. Darum glaube ich, dass wir wirklich hoffen können, es kommt zu keinem Krieg, so gefährlich auch die Situation aussieht und so wenig bisher ein Weg irgendwie zur Verständigung zu sehen ist. Ich glaube, dass, wenn nicht etwas ganz Unerwartetes passiert, es nicht zu einem Krieg kommen wird.

Lassen Sie mich, ehe ich Sie bitte, Ihren Blick in die Zukunft zu richten, noch einige Einzelheiten kurz streifen, und zwar möchte ich zunächst sprechen über die politischen Pflichten des Studenten. Man neigt natürlich in der jüngeren Generation und namentlich, wenn es einem so furchtbar schlecht geht, zu radikalen Lösungen, sei es nun, dass man zu den Kommunisten geht und mit ihnen liebäugelt, sei es, dass man seine Hoffnung setzt auf eine neu zu schaffende nationalistische Partei. Aber seien wir uns doch darüber klar, dass der Nationalismus in allen Ländern Unheil anrichtet, und verlieren wir nicht die ruhige und kühle Überlegung, auch wenn die Alliierten durch eine zum Teil unverständliche Politik das Entstehen einer nationalistischen Partei geradezu hervorrufen oder begünstigen. Und hier möchte ich gerade eins anführen. Die Behandlung der früheren aktiven Offiziere hier in der britischen Zone ist ungerecht, ist falsch und ist im höchsten Maße im Hinblick auf die zukünftige politische Entwicklung bedauerlich.

(Beifall)

Es geht nicht an, dass man Offiziere und Wehrmachtbeamte, die ehrlich und anständig ihre Pflicht erfüllt haben, wie jeder britische, französische und amerikanische Offizier es getan hat, deswegen diffamiert.

(Beifall)

Noch ein weiteres geht nicht an. Gerade bei den alten Offizieren, bei Leuten, die gar nicht im letzten Kriege gewesen sind, und bei ihren Hinterbliebenen herrscht die bitterste Not jetzt nach der Währungsreform. Und was das wirklich für uns Deutschen jetzt Beschämende ist; die Länderregierungen in der britischen Zone haben es bisher nicht fertiggebracht, von den kargen Möglichkeiten, die die Briten ihnen gelassen haben, diese früheren Offiziere und Hinterbliebenen zu unterstützen, Gebrauch zu machen.

(Scharren und Pfui-Rufe)

Nach den Bestimmungen der britischen Militärregierung können frühere aktive Offiziere, die über 65 Jahre alt sind, und Witwen, die über 60 Jahre alt sind, die nicht mehr arbeitsfähig sind, eine monatliche Unterstützung von, wenn ich es richtig im Kopfe habe, 160 Mark bekommen. Können Sie sich nun vorstellen, dass noch keine der Länderregierungen der britischen Zone bisher von dieser Möglichkeit, die seit März dieses Jahres besteht, Gebrauch gemacht hat?

(Pfui-Rufe)

Ich finde das im hohen Maße entwürdigend, und ich habe mich geradezu geschämt, als ich einen Brief lesen musste, den der Gouverneur von Nordrhein-Westfalen, General Bishop, an die Landesregierung gerichtet hat. Gerade er schreibt, warum sie denn nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch mache. Der Engländer, der muss eine deutsche Regierung darauf hinweisen, dass sie davon Gebrauch machen soll.

(Unruhe, Zurufe: Weg damit; die CDU hat doch die Mehrheit)

Ich wollte, wir hätten sie; wir haben sie leider nicht. Ich will Ihnen darauf auch antworten. Auf unser Verlangen ist diese Frage in einer der letzten Kabinettsitzungen von Nordrhein-Westfalen wiederum behandelt worden. Es war in diesem Kabinett keine Mehrheit zu erreichen, weil die CDU nicht die Mehrheit hat. Meine Fraktion wird im nächsten Landtag den Antrag stellen, dass von diesen Möglichkeiten der britischen Militärregierung Gebrauch gemacht wird. Dann sollen die Abgeordneten der einzelnen Parteien in aller Öffentlichkeit durch ihre Abstimmung bekennen, ob sie soviel von Gerechtigkeit und Menschlichkeit in sich haben, dass sie das tun.

(Starker Beifall)

Wir bestreben uns, noch ein weiteres zu tun. Ich bin wiederholt bei den höchsten britischen Autoritäten in Deutschland vorstellig geworden mit der Bitte, dass diese Diffamierung von allen früheren aktiven Offizieren und Wehrmachtsbeamten, die sich nicht schuldig gemacht haben, genommen wird. Es besteht begründete Hoffnung, dass dies in absehbarer Zeit geschieht. Ich habe da einen sehr traurigen Punkt des heutigen Deutschen (Deutschland?) berührt, dass die Vertreter gewisser Parteien es fertig bringen, aus einem blinden Haß diesen ehrenwerten Leuten in unmenschlicher Weise das Wenige vorzuenthalten, was ihnen gegeben werden darf. Sind wir Deutsche denn nun wirklich so entsetzlich tief gesunken? Sind denn nun die früheren Deutschen, die früheren aktiven Offiziere, wirklich solche Schandkerle gewesen? Hitler hat eine außerordentlich schwere Schuld auf sich geladen und alle diejenigen, die ihm geholfen haben oder die in der Lage waren, ihm genügend Widerstand zu leisten und es nicht getan haben, mit ihm. Aber immerhin sind diese 12 Jahre des Nationalsozialismus doch nur eine Episode in der vergangenen Geschichte des deutschen Volkes. Es ist wahr, durch den Nationalsozialismus hat sich gezeigt, welcher Abgründe die Menschen in Deutschland fähig waren, von denen man es niemals geglaubt hätte. Aber gilt das nur von deutschen Menschen?

(Starker Beifall)

Ist die Welt, seitdem Hitler tot und der Nationalsozialismus verschwunden ist gerecht, friedlich und ruhig geworden? Haben die Deutschen in Quebec vereinbart, dass der Russe halb Deutschland besetzen sollte? Waren die Deutschen an Jalta und Potsdam beteiligt? Wie glauben Sie wohl wird ein deutscher, englischer oder amerikanischer Geschichtsschreiber in zwanzig oder dreißig Jahren über diese Zeit und alles das urteilen? Ich glaube nicht, dass er sagen wird, Deutschland ist an allem schuld. In der Schweiz ist ein Buch erschienen, das man allen maßgebenden Leuten in allen Ländern auf den Tisch wünschen mochte. Das Buch heißt: „Hitler in uns!" Auch in den ausländischen Leuten steckt ein Stück Hitler, und ja kein kleines Stück Hitler. Darum brauchen wir Deutschen nicht immer in Sack und Asche zu gehen und Buße zu tun,

(Beifall)

aber wir müssen uns bewusst sein, dass von Deutschland aus der Anfang gekommen ist. Wir müssen uns bewusst bleiben, dass wir daher eine große Verantwortung tragen beim Wiederaufbau sowohl von Deutschland wie von Europa.

Damit komme ich nun zur Zukunft. Was mag die Zukunft uns bringen? Die Rettung Deutschlands und die Rettung Europas sind identisch. Im Mai dieses Jahres hat Churchill einem kleinen Kreis von uns Deutschen - wir waren zu fünf oder zu sechs - gesagt, nach seiner festen Überzeugung gäbe es für Deutschland und für ganz Europa nur ein Heil: die europäische Förderation (lebhafter Beifall). Das muss das Ziel einer jeden deutschen Politik sein und bleiben. Damit Sie sich klar machen, wie es jetzt in Europa aussieht, lassen Sie mich in wenigen Strichen Ihnen zeigen, wie es auf der Welt etwa vor 38 Jahren aussah. Im Jahre 1910 war Deutschland die stärkste Macht in Europa. England hatte damals eine Flotte, die größer war als die beiden nächstgrößten Flotten zusammengenommen. Im Jahre 1910 war Frankreich im Vollbesitz seiner Kraft, war Italien eine Großmacht, bestand vor allem noch Österreich-Ungarn, und durch Österreich-Ungarn waren mit Westeuropa die ganzen Balkanländer verknüpft. Russland war damals ein Staat, der nicht rein asiatische Züge trug, sondern versuchte, sich einzuordnen in die allgemeine europäische Situation. Die Lage der Vereinigten Staaten beleuchtet nichts besser als die Feststellung, dass noch im Jahre 1910 Amerika ein Schuldnerland war, Amerika, das jetzt die halbe Welt mit seinem Kapital versorgt. Wie ist es heute mit Europa? Amerika ist die mächtigste Macht in der Welt geworden. Dicht hinter ihm kommt Sowjetrussland, eine asiatische Macht. Russland hat nun die ganzen Balkanstaaten, Polen und Ungarn zu seinen Vasallen gemacht. Es hat dafür gesorgt, dass in Frankreich die Kommunistische Partei, seine Fünfte Kolonne, die stärkste Partei geworden ist. Es hat dafür gesorgt, dass die Kommunistische Partei in Italien fast die Macht vor wenigen Monaten erlangt hätte. Die meisten Deutschen haben damals, glaube ich, gar nicht geahnt, welche Bedeutung die Wahlen in Italien gehabt haben.Wenn es damals den Kommunisten gelungen wäre, in Italien die Macht zu bekommen, dann wäre Frankreich auch gestürzt, und dann wäre der Marshall-Plan erledigt gewesen; dann wäre ganz Europa erledigt gewesen gegenüber der Macht der Sowjets, so dass tatsächlich diese Wahl in Italien entscheidend war für die Zukunft Westeuropas.

Wenn man sich die Arbeit der Vertreter der Auswärtigen Ämter in London bei dem Londoner Abkommen vor Augen führt, und auf der anderen Seite daran denkt, dass bei dem Europakongress im Haag hervorragende Staatsmänner aller dieser Staaten vertreten waren, die mit voller Klarheit und vollem Ernst die Herstellung eines förderativen Europas, bestehend aus gleichberechtigten und gleichverpflichteten Staaten einschließlich Deutschlands, verlangten, wenn man sich weiter vor Augen hält, wie jetzt gerade bei der Konferenz im Haag, die, glaube ich, gestern zu Ende gegangen ist, Bidault eine ähnliche Erklärung abgegeben hat, wenn man weiter daran denkt, dass Churchill am 16. oder 17. Juli, als er in Bristol zum Ehrenbürger ernannt worden ist, das gleiche erklärt hat: Europäische Konföderation unter Einschluss Deutschlands als gleichberechtigtem und gleichverpflichtetem Mitglied, - wenn man das alles hört, dann hat man doch den Eindruck, als wenn die Bürokratie der europäischen Staatskanzleien hinter der öffentlichen Meinung in ihren eigenen Ländern jahrzehntelang zurückgeblieben sei (Beifall). Es wird voraussichtlich Anfang September dieses Jahres in Interlaken ein europäisches Vorparlament zusammentreten. In diesem europäischen Vorparlament sollen die Parlamente aller freien Staaten Europas nach einer bestimmten Schlüsselzahl vertreten sein. Es werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch die deutschen Länderparlamente nach der gleichen Schlüsselzahl dort vertreten sein.

(Beifall)

Dieses europäische Vorparlament ist von größter Bedeutung. Der erste Verfechter des Gedankens eines Paneuropas, der Graf Coudenhove-Kalerghi, hatte in den Zwanziger Jahren den Gedanken namentlich bei uns in Deutschland energisch vertreten. Ich habe damals viel mit ihm zusammengearbeitet. Er hat mir vor einigen Wochen gesagt, es gibt nur noch zwei Möglichkeiten der Eroberung, entweder mit Waffen oder mit den Parlamentariern. Da wir mit den Waffen nicht erobern können, müssen wir mit den Parlamentariern erobern. Und wenn die Mehrheit aller Parlamentarier in den einzelnen Ländern für die Schaffung eines föderativen Europas ist, dann wird dieser Plan - davon kann man überzeugt sein - verwirklicht werden. Hoffen wir, dass dieses Vorparlament in Interlaken nun auch wirklich in imponierender Weise diesen Zweck fördert.

Namentlich Sie -, Akademiker werden wohl auch die Frage sich stellen, wie war es denn möglich, dass eine solche Katastrophe in der ganzen Welt eingetreten ist. Nun, die Frage kann man wohl beantworten. Die industrielle Technik, der Fortschritt der Technik hat die Vermassung des Volkes herbeigeführt und damit dem Kollektivismus, dem kollektivistischen Gedanken eine ungeheure Stärkung gegeben. Jedes Kollektiv wird letzten Endes beherrscht durch ganz wenige Leute. Darum ist es die Aufgabe meiner Partei, immer und überall zu betonen und durchzusetzen den christlichen Fundamentalsatz von der Bedeutung eines jeden einzelnen Menschen.

(Beifall)

In dieser Umerziehung des Volkes von der Vermassung der vergangenen Jahrzehnte liegt eine unserer vornehmsten Zielsetzungen. Das weitere Ziel habe ich eben schon genannt: Die Schaffung eines föderativen Europas unter Einbeziehung Deutschlands als gleichberechtigtes und gleichverpflichteten Land. Nur wenn das erreicht wird, wird Deutschland und Europa und damit die Welt auch wieder zum Frieden kommen.

(Starker, lang anhaltender Beifall)

 

Quelle: ARh, maschinenschriftlich, nach einer stenographischen Nachschrift.