21. März 1926

Rede anlässlich des Besuchs Reichspräsident von Hindenburgs in Köln

Dezember 1918.

Es rieselt vom grauen Himmel! Still hängen die Fahnen in der nassen Luft, Stille liegt auf der am Dome versammelten Menge, ernst und straff sind die Gesichter der Feldgrauen, Wehmut und Tränen stehen in den Augen der sich um sie Drängenden. Dank- und Abschiedsreden werden gewechselt, das Deutschlandlied ertönt. Dann setzt sich das 371. Regiment in Bewegung: das letzte deutsche Regiment marschiert über den Rhein. Zum Himmel dringt - Sang und Gebet zugleich -: „Herr mach' uns frei!"

Am folgenden Tage begann unsere Gefangenschaft, unsere Leidenszeit: die Engländer kamen. Sie rückten ein mit schmetterndem Spiel, mit wehenden Fahnen - vor denen der Deutsche den Hut zu ziehen gezwungen wurde -, mit blitzenden Geschützen, mit wundervollen Pferden, sich brüstend in Überfülle von Mensch und Material. Unerträglich war der stolze Einzug der Sieger, unerträglich der triumphierende Klang ihrer Musik. Unser Herz krampfte sich zusammen: unser Köln, das heilige Köln war vom Feinde besetzt, auf unserm Rhein, dem deutschen Rhein die deutsche Flagge gestrichen!

Wir wollen der ehrenhaften Gesinnung vieler unserer Gegner, dem Versuche manchen Befehlshabers, die Besetzung milder zu gestalten, unsere Anerkennung nicht versagen. Aber: das englische Heer kam aus der Feldschlacht in feindliches Land, verhetzt von einer jahrelangen Propaganda, erstaunt, verwirrt und unsicher durch den so plötzlich eingetretenen, nicht für wahr gehaltenen Zusammenbruch der deutschen Macht. Schwer, unendlich schwer haben wir daher in den Jahren 1919 und 1920 unter der harten Faust des Siegers gelitten: ungezählten Familien brachte die Unterbringung des 55 000 Mann starken Heeres, das die Besatzung allein der Stadt Köln bildete, unerträgliche Last und psychische Marter, tausende haben in diesen beiden Jahren in britischer Untersuchungshaft gesessen, viele hundert Jahre Gefängnis sind von den britischen Gerichten über Kölner verhängt und von diesen verbüßt worden: Dank, heißen Dank allen, die Opfer gebracht haben.

In Trauer und Treue aber wollen wir in dieser Stunde vor allem der nicht geringen Zahl von Männern, Frauen und Kindern gedenken, die ihr Leben gelassen haben unter britischer Besatzung; auch sie sind für das Vaterland gestorben.

Erst als im Laufe der Jahre der Engländer uns kennen gelernt hatte, änderten sich langsam und allmählich diese Verhältnisse, aber sie blieben schwer genug!

In der Zwischenzeit hatte man uns widerrechtlich mit einem Netz von Ordonnanzen umsponnen, die Millionen Menschen im Herzen des demokratischen Europa aller Freiheiten beraubten und mit einem unerhörten psychischen Drucke belasteten.

Es kam der Ruhreinbruch, durch den die durch frühere Sanktionen schon geschädigte Wirtschaft auch des Kölner Gebiets bis ins Mark getroffen wurde.

Es folgte der Versuch, uns loszureißen von Deutschland. Das ganze Rheinland, in Not und Gefahr zu einer Einheit zusammengeschmiedet wie nie zuvor, beseelte nur ein Wille; niemals zu dulden, dass es losgerissen würde vom deutschen Vaterlande. Wenn auch Köln selbst dank dem Verhalten der Besatzung freiblieb von Separatistenunruhen, so dass es zur Zentrale des Widerstandes für das ganze Rheinland werden konnte: auch für uns in Köln war es eine furchtbare Zeit, wir haben gezittert für Heimat und Vaterland. Warum ich in dieser Stunde alles das sage? Nicht, um zu hetzen oder zu schmähen: nein, wir sind der Geschichte, wir sind uns selbst in dieser historischen Stunde Offenheit und Wahrheit schuldig, damit die ganze Welt es erkennt: Besatzung durch eine fremde Macht ist niemals ein Instrument des Friedens und der Verständigung, sie hindert die Versöhnung und die Zusammenarbeit der Völker. So stark und innig ist das Band, welches jeden Deutschen mit dem heiligen deutschen Strome verbindet, dass ihm die Besatzung rheinischen Landes Tag für Tag am Herzen frisst. Darum: Wenn Ihr der Sache des Friedens in Europa dienen wollt, verstopft diese Quelle des Unfriedens und des Hasses, räumt das ganze Rheinland!

Der Mai 1924 brachte in Frankreich den Umschwung.

Es folgten London, Locarno, Genf.

Ob der Weg über London, Locarno, Genf zum Wiederaufstieg Deutschlands, ob er zur Befriedung und Wohlfahrt Europas führen wird, nur die Zukunft kann es erweisen. So weit auch die Rückwirkungen von Locarno auf das besetzte Gebiet hinter unsern berechtigten Erwartungen zurückgeblieben sind, das eine steht fest: ohne London, ohne Locarno würden wir diese Feier noch nicht begehen können! Weil wir immer und immer wieder gebeten haben, die folgenschweren Entscheidungen, die mit den Namen London und Locarno verknüpft sind, ohne Rücksicht auf das besetzte Gebiet, allein im Hinblick auf das deutsche Gesamtinteresse zu treffen, dürfen wir uns heute trotz allem frohen Herzens der Freude hingeben über diesen Erfolg der deutschen Politik und der Gerechtigkeit: die Räumung der ersten Zone.

Die Räumung der Kölner Zone ist ein Ereignis von historischer Tragweite. Sie bedeutet die endgültige Verneinung jener Rheinlandpläne, die über unser Land unsägliches Elend gebracht und Europa im Laufe der Zeit mit absoluter Notwendigkeit in einen neuen Krieg gestürzt haben würden.

Auch an diesem Freudentage vergessen wir nicht, dass so viele Deutsche das köstliche Gut der Freiheit entbehren müssen. Seid versichert, rheinische Landsleute, dass wir Bewohner des befreiten Gebiets uns immer so eng mit Euch verbunden fühlen werden, wie in den vergangenen, gemeinsam durchkämpften Jahren, wir werden zu Euch stehen, komme, was kommen mag! Im Gefühle dieser Zusammengehörigkeit begrüße ich hier mit besonderer Freude unsere Leidensgenossen aus der zweiten und dritten Besatzungszone sowie die Vertreter der nichtpreußischen Länder am Rhein: insbesondere den Herrn Ministerpräsidenten Held, den Herrn Staatspräsidenten Trunk und den Herrn Ministerpräsidenten von Finckh.

Den Vertretern Preußens und des Reichs, den Mitgliedern der Regierungen und der Parlamente, rufe ich ein herzliches, dankerfülltes Willkommen zu. Ich danke der Preußischen Staatsregierung, an ihrer Spitze Herrn Ministerpräsidenten Braun, der jüngst schon zu unserer mitternächtlichen Befreiungsfeier herbeigeeilt war, für die immer wieder bekundete Sorge und Liebe für das Rheinland. Den gleichen herzlichen Gruß, den gleichen innigen Dank für ihre Teilnahme und Sorge zollen wir der Reichsregierung, die mit feinem Empfinden drei Rheinländer, die Reichsminister Brauns, Marx und Curtius, davon zwei Söhne unserer Stadt, als ihre Vertreter hierhin entsandt hat. Herrn Reichsminister Marx insbesondere wird im Rheinlande die Aufopferung und Sorge, die er als Reichskanzler der Lage des besetzten Gebiets gerade in dessen schwierigster Zeit bewiesen hat, unvergessen bleiben.

Vor allem aber begrüße ich mit ehrerbietiger Freude den ersten Vertreter des deutschen Volkes. In dankbarer Verehrung heiße ich Sie, Herr Reichspräsident, im Namen der ganzen Bürgerschaft, im Namen des ganzen Rheinlandes willkommen im freien Köln. Schmerzlich haben wir Ihre Anwesenheit entbehren müssen bei unserer Jahrtausendfeier, um so froher begrüßen wir Sie am heutigen Tage in unserer Mitte. Der jubelnde Willkommruf, der Ihnen aus dem Munde ungezählter Tausender heute entgegenscholl, sagt mehr, als meine Worte vermögen. Er galt nicht allein Ihrer hohen Würde, er galt auch dem Manne, dem Treue und Hingabe an Vaterland und Volk in guten und in schlechten Tagen die erste und vornehmste Pflicht ist, dem Herold und Künder wahrer Vaterlandsliebe, wahrer Volksgemeinschaft.

 

Quelle: ARh, maschinenschriftliches Redemanuskript