21. März 1966

Rede auf dem 14. Bundesparteitag der CDU in Bonn

 

Meine Herren Parteifreunde! Ich bewundere Ihre Geduld.

(Heiterkeit und Beifall.)

Es tut mir sehr leid, dass ich jetzt auch noch komme, um Ihre Geduld in Anspruch zu nehmen. Das war kein Kompliment zwischenrein, sondern der Mensch kann über ein bestimmtes Maß hinaus nicht zuhören. Das ist nun einmal so, das kann man nun einmal nicht schaffen. Trotzdem bitte ich Sie, mir doch in Geduld zuzuhören, weil ich der letzte Redner bin - für heute.

(Heiterkeit.)

Meine Freunde, überall in deutschen Landen ist jene Zeit festlich begangen worden, in der - in dem einen Orte heute, in dem anderen morgen - die Christlich Demokratische Union gegründet worden ist. Ich war Sonntag vor acht Tagen in Neheim-Hüsten, jener Stadt, die für die Entwicklung der CDU der britischen Zone besonders wichtig gewesen ist. Ich muss sagen „der britischen Zone", weil damals nach der Ordnung der Besatzung keine Partei gegründet werden durfte, die über die Zonengrenzen hinausging. Aber die britische Zone war die volkreichste, sie war auch wirtschaftlich sehr stark, und daher hatte das, was in der britischen Zone geschah, große Bedeutung für die Bundesrepublik überhaupt.

Wir waren im Jahre 1946 vier Tage in Neheim-Hüsten, um ein Programm aufzustellen. Wir haben sehr redlich miteinander gearbeitet und versucht, ein Programm fertigzustellen. Dabei, meine Damen und Herren, haben uns in der Hauptsache zwei Gesichtspunkte gelenkt. Einmal: wir wollten eine große Volkspartei gründen, eine Volkspartei, in die jeder eintreten konnte, gleichgültig, welche Konfession er hatte, gleichgültig auch, welchen Beruf er ausübte. Denn wir wussten, dass Deutschland nur von einer großen Volkspartei wiederaufgebaut werden konnte. Wir wollten die Fehler der Weimarer Republik mit ihrer Vielfalt von Parteien verhüten, der Weimarer Republik, die infolgedessen ständig von einer Krise in die andere geriet. Und, meine Damen und Herren, wir wollten eine christliche Partei gründen. Denn wir alle, die wir damals zusammen waren, hatten doch miterlebt, wohin ein Volk, wohin eine Partei kommt, wenn sie, wie das der Nationalsozialismus getan hat, die Religion verneint, die ethischen Grundlagen verneint und dem Staat die Allmacht in die Hand gibt. Das wollten wir unter gar keinen Umständen wieder über Deutschland kommen lassen, und es war uns sehr ernst damit. Ich glaube und hoffe, meine Freunde, dass es der CDU und der Christlich Sozialen Union, die mit uns zusammenging, mit diesem Willen auch heute noch so ernst ist, eine große christliche Volkspartei zu sein.

(Beifall.)

Meine Damen und Herren, alle diejenigen von Ihnen, die damals schon lebten und all das bewusst erlebten, was über das deutsche Volk hinweggegangen war, zuerst durch die Gräuel und Schandtaten des Nationalsozialismus und dann durch den Krieg, der von den Nationalsozialisten freventlich heraufbeschworen worden war, wissen auch, dass die Würde und die Freiheit der Person ein ganz hohes Gut ist, das durch nichts anderes ersetzt werden kann.

(Beifall.)

Dieser Begriff der Würde der Person ist ja im Laufe der Jahrhunderte europäisches Eigentum, Eigentum der europäischen Christenheit geworden. Darum wollten wir, dass dieses ethische Fundament unsere Partei tragen sollte, auch um die Spannungen abzugleichen, die sich ganz von selbst in einer Partei, die keine Klassenpartei sein wollte, ergeben, einer Partei, in der Mittelständler, Intellektuelle, Arbeitnehmer, Arbeitgeber miteinander vereint sein konnten. Sie brauchte einen großen, starken Boden, um darauf das Gebäude zu errichten, damit die Spannungen in der Partei nicht im Laufe der Zeit zu stark würden. Das, meine Freunde, waren die beiden tragenden Gedanken, die sich glücklicherweise miteinander vereinten: eine große Volkspartei und eine Partei, die auf den ethischen Grundsätzen des Christentums beruhte.

Nun, meine Damen und Herren, es war keine leichte Aufgabe, damals eine ganz neue Partei zu gründen; es war unendlich schwer. Aber, meine Damen und Herren, ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren. Im wirklichen Sinne des Wortes aber waren wir froh über jeden Bleistift, den wir erhielten, weil es nichts mehr gab. Meine Freunde, nun stand uns als eine große Konkurrenzpartei die Sozialdemokratische Partei, eine Klassenpartei, meine Damen und Herren, gegenüber, und sie ist es auch heute noch insofern, als sie in der Gewerkschaft ein ganz festes Fundament hat. Meine Freunde, wissen Sie, warum wir keine christlichen Gewerkschaften haben? - Die englische Besatzungsbehörde hatte verboten, zweierlei Gewerkschaften zu schaffen. Infolgedessen gab es nur diese eine Gewerkschaft, die freie Gewerkschaft, und das war der feste Boden, und es ist tatsächlich auch jetzt noch ein sehr fester Boden für die Sozialdemokratie. Meine Damen und Herren, ich sage, auch jetzt noch ein sehr fester Boden, denn es ist erstaunlich und bewundernswert, wie die Sozialdemokratische Partei fünf verlorene Bundestagswahlen überstanden hat.

(Heiterkeit und Beifall.)

Meine Damen und Herren, das beweist doch, dass uns da auch jetzt noch eine starke Kraft gegenübersteht. Ich sage das, meine Damen und Herren, im Hinblick auf die kommende Wahl von Nordrhein-Westfalen, auf die folgenden Landtagswahlen und auch im Blick auf die Bundestagswahl im Jahr 1969.

Meine Damen und Herren, die Grundsätze, auf denen wir, die die Partei gegründet haben, stehen, müssen und werden auch in Zukunft unsere tragenden Grundsätze sein.

(Lebhafter Beifall.)

Herr Ministerpräsident Dr. Meyers, unser verehrter Präsident dieser Versammlung, möge mir nicht böse sein, wenn ich sage, dass der von ihm geprägte Satz, dass mit meinem Ausscheiden eine politische Epoche zu Ende sei, nicht richtig ist.

(Lebhafte Heiterkeit und Beifall.)

Damit geht keine politische Epoche zu Ende.

(Beifall.)

Das wäre doch verdammt schlimm, meine Damen und Herren!

(Heiterkeit und Beifall.)

Meine Damen und Herren! Man muss noch etwas an Feuer in sich haben. Deswegen verzeihen Sie mir das Wort „verdammt";

(Heiterkeit und lebhafter Beifall.)

aber glauben Sie mir, es kam von Herzen.

(Heiterkeit und Beifall.)

Wir mussten damals, meine Freunde, auch einen festen Damm nicht nur gegen die Sozialdemokratie, sondern auch gegen die kommunistische Gefahr errichten, die uns von Osten her drohte;

(Beifall.)

diese Gefahr war sehr groß, und es musste alles geschehen, um ihrer Herr zu werden. Man hat uns später getadelt - auch wohlmeinende Beurteiler unserer Arbeit haben dies getan -, wir seien auf sozialem Gebiet zu weit gegangen. Meine lieben Freunde! Wir mussten so weit gehen, wie wir konnten,

(Beifall.)

und wir sind so weit gegangen, um uns, um unser Volk vor der kommunistischen Gefahr zu retten.

(Lebhafter Beifall.)

Ich meine, das sollten uns unsere Tadler doch zugute halten. Diejenigen, die uns seinerzeit tadelten, wir seien damals zu weit gegangen, sollten sich, meine Damen und Herren, vor Augen halten, was die kommunistische Gefahr damals bedeutete, die das aggressive Russland für uns darstellte. Meine verehrten Damen und Herren! In der Lage nach 1945 - das hat Herr Kollege Strauß mit einer mich fast überwältigenden Kraft gesagt - konnte das deutsche Volk die Not nur unter der Führung der Christlich Demokratischen und der Christlich Sozialen Partei überwinden.

Wenn wir in großen Zügen an uns vorübergehen lassen, was wir, nachdem im Jahre 1949 der Bundestag kam, gegen die Opposition der Sozialdemokraten geleistet haben, dann muss ich auch jetzt noch sagen, meine Damen und Herren: Hut ab vor all den Männern und Frauen, die damals zusammengestanden haben wie ein Mann, um den Kampf durchzufechten.

(Lebhafter Beifall.)

Meine Freunde, ich erinnere mich einer Episode, als der Zonenausschuss der britischen Zone, der von den Besatzungsstellen einberufen war, in Hamburg zusammenkam. Der Ministerpräsident Kopf machte mich damals mit Herrn Dr. Schumacher bekannt. Er sagte, es wäre doch sehr gut, wenn Herr Dr. Schumacher und ich uns kennen lernten, um einmal unsere Meinungen auszutauschen. Nun, meine Damen und Herren, das haben wir noch am selben Abend getan, und wir waren in sehr vielen wesentlichen Punkten einig. Zum Schluss sagte Herr Dr. Schumacher folgendes: „Ich habe noch etwas, was wir in Ordnung bringen müssen. Sie werden zugeben, dass Sie eine junge Partei sind, während wir eine alte Partei sind, und Sie werden zugeben müssen, dass wir große Erfahrungen haben und dass wir eine große Partei sind. Deshalb werden Sie doch mit mir darin übereinstimmen, dass wir, die Sozialdemokraten, die Führung in der Politik übernehmen." Ich sagte ihm: „Sie sind eine alte Partei; das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu.

(Heiterkeit.)

Sie sind eine große Partei; auch das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu; aber ob wir nicht die größte Partei sind, das wissen wir ja noch nicht.

(Lebhafte Heiterkeit.)

Deswegen wollen wir doch den Ausgang der bevorstehenden Bundestagswahl" - das war die erste Wahl im Jahre 1949 - „abwarten, und dann können wir uns wieder einmal sprechen." Sie wissen, dass wir zusammen mit der CSU aus dieser Bundestagswahl im Jahre 1949 als die stärkste Partei hervorgegangen sind, und unser Gespräch von damals hat mir Herr Dr. Schumacher leider nicht vergessen. Ich hatte ihn zutiefst damit gekränkt, dass ich nicht anerkannte, dass die Sozialdemokratische Partei, das heißt er, die Führung haben sollte.

Meine Damen und Herren, auch für uns selbst war der Erfolg, den wir als junge Partei nach dem Kriege, nach dem Nationalsozialismus, bei diesen schrecklichen Zuständen, die noch herrschten, eine freudige Überraschung, und so ist es dann auch geblieben, meine Damen und Herren. Fünf Bundestagswahlen haben wir gewonnen. Das ist ein Zeichen für die Treue unserer Wählerschaft, aber auch ein Zeichen dafür, dass unsere Partei etwas geleistet hat.

(Beifall.)

Meine Freunde! Wir müssen das auch einmal unserem Volke sagen. Wir müssen ihm sagen, was namentlich auf dem Gebiete der Außenpolitik von uns geleistet worden ist. Aber lassen Sie mich noch einmal zurückkehren zu der Frage, Volkspartei oder nicht. Ich habe hier eine Statistik, die kurz vor den Bundestagswahlen im Jahre 1965 fertiggestellt worden ist. Danach gab es folgende Zahlen:

Arbeitnehmer

CDU/CSU: 28 Prozent

SPD: 52 Prozent

Angestellte

CDU/CSU: 14 Prozent

SPD: 16 Prozent

Selbständige

CDU/CSU: 15 Prozent

SPD: 6 Prozent

Landwirte

CDU/CSU: 11 Prozent

SPD: 2 Prozent

Es war uns also gelungen - wie wir jetzt mit Freude feststellen können -, eine große und breit gelagerte Volkspartei zu werden für alle Berufe und alle Stände. Meine Damen und Herren! Über die wirtschaftliche Lage, die damals war, möchte ich Ihnen auch einige Ziffern geben, aber fürchten Sie nicht, dass es viele sind, es werden sehr wenige sein. Als wir im Jahre 1949 nach der gewonnenen Bundestagswahl mit unserer Arbeit anfangen konnten, hatten wir 1,6 Millionen Arbeitslose. Heute haben wir 1,2 Millionen Gastarbeiter und dazu noch über eine halbe Million unbesetzter Arbeitsstellen. Diese Ziffern müssen für jeden, der nachdenkt, ein überwältigender Beweis dafür sein, wie gut unsere Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik gewesen ist; denn beide gehören zusammen.

Meine Damen und Herren! Man darf eines nicht aus dem Auge lassen, worin wir offenbar Fehler gemacht haben und nachlässig gewesen sind. Das ist in der Gemeindepolitik gewesen.

(Zurufe: Sehr richtig!)

Wir haben eine Großstadt nach der anderen an die Sozialdemokraten verloren. Wir haben auch im Übrigen an die Sozialdemokratie in den Gemeinden im Laufe der Zeit sehr stark verloren. Gerade die Arbeit in der Gemeinde ist ja so besonders wichtig, weil hier der Wähler unmittelbar sieht, was die Führung leistet und was sie nicht leistet. Deshalb müssen wir das in den kommenden Jahren aufholen. Wir müssen uns der Gemeindepolitik mit großer Energie zuwenden, sonst fürchte ich, dass die Einbußen in der Gemeindepolitik nichts anderes sind als der Anfang von Einbußen auch bei anderen Wahlen.

(Beifall.)

Meine Freunde! Was wir im Inneren geleistet haben, sehen Sie und wissen Sie im Allgemeinen. Ich habe Ihnen ja auch diese Ziffern genannt, die Ihnen ein klares Bild davon geben, wie unsere Wirtschaft ist.

Aber die Außenpolitik! Was haben wir in der Außenpolitik geleistet? Nun, Hitler hatte den Krieg frevelhafterweise vom Zaune gebrochen. Hitler und seine Leute hatten die schamlosesten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Darum war der deutsche Name im Ausland geschändet, und die anderen Völker haben in den ersten Jahren nach dem Kriege nur immer daran gedacht, was die Deutschen unter dem Regime von Hitler begangen haben. Darum mussten wir Vertrauen gewinnen - das ist eine der wesentlichsten Grundlagen jeder Außenpolitik - bei den anderen Völkern, insbesondere auch Vertrauen gewinnen in unsere Stetigkeit. Und aus dem Grunde, meine Damen und Herren, müssen wir unter allen Umständen die Wahl 1969 gewinnen.

(Starker Beifall.)

Die Vereinigten Staaten waren eigentlich die ersten, die Vertrauen zu uns gewonnen haben. Ich denke manchmal mit tiefer Rührung an jenen Tag auf dem Ehrenfriedhof in Arlington bei Washington zurück, als ich einen Kranz niederlegte am Grabe des Unbekannten Soldaten und von amerikanischen Behörden eine große Parade von Truppen aufgestellt war und, als ich zum Grabmal schritt, hinter mir her gingen drei junge amerikanische Offiziere, von denen der mittlere die deutsche Fahne trug. Und ich sah Tränen im Auge von unserem Begleiter. Es war wirklich ein erhebender Anblick, dieses Schauspiel zu sehen, zu sehen, wie unsere Flagge dort wieder zu Ehren gekommen ist.

(Beifall.)

Meine Freunde! Der erste Außenminister, der uns hier in Bonn besuchte, war Acheson, der Außenminister der Vereinigten Staaten unter Truman. Truman hat uns und unserer Lage großes Verständnis entgegengebracht. Vor allem aber waren es Eisenhower und John Foster Dulles,

(Starker Beifall.)

die ein solches Vertrauen zu uns und unserer Politik gewannen, mit denen man alles besprechen konnte, was einem am Herzen lag. Man konnte sicher sein, dass man angehört würde mit Wohlwollen und dass geschwiegen wurde über das, was man sagte.

Entscheidend für uns - es ist das eben schon erwähnt worden -, für unsere Stellung in der Welt überhaupt war das Verhältnis zu Frankreich. Schon in den Jahren der Weimarer Republik habe ich - ich war damals als Präsident des Preußischen Staatsrates in mancherlei Dinge eingeweiht - gesehen, wie groß doch das Ansehen Frankreichs in der ganzen Welt war und wie man uns verargte, dass wir Frankreich mit Krieg überzogen hatten. Schon damals habe ich mir vorgenommen, dann, wenn ich jemals wirklich in der Politik tätig sein würde, alles daran zu setzen, um ein gutes Verhältnis zu Frankreich herzustellen.

(Lebhafter Beifall.)

Das, meine Damen und Herren, ist gelungen. Wir haben das Vertrauen nicht nur de Gaulles, wir haben das Vertrauen des französischen Volkes gewonnen.

(Erneuter Beifall.)

Ich habe dieser Tage zufällig eine Statistik in die Hand bekommen - leider war sie nicht veröffentlicht worden -, eine Statistik auf Grund einer Rundfrage, welches Volk andere Völker am liebsten hätten. Es war im vorigen Jahr, und, was glauben Sie, meine Damen und Herren: Die Franzosen erklärten, sie hätten das deutsche Volk am liebsten.

(Beifall.)

Lieber als alle anderen Völker, meine Damen und Herren! Als ich vor zwei Wochen in Paris war und mir sehr viele Herren vorgestellt wurden - nicht Beamte -,

(Heiterkeit.)

Mitglieder der Akademie, Journalisten, Schriftsteller, kurz und gut, das, was wir unter geistigen Persönlichkeiten verstehen -

(Heiterkeit.)

ja, meine Damen und Herren, ich schlucke hinunter, was ich jetzt sagen wollte.

(Erneute Heiterkeit.)

Als ich also, wie gesagt, in Paris war und mir zahlreiche Herren vorgestellt wurden, geschah etwas, was mir noch nie in Paris oder in Frankreich passiert war: Eine ganze Anzahl von Herren, die mir unbekannt waren, sagten mir bei der Vorstellung: Ich bin Europäer! - Hat das, meine Damen und Herren, schon einmal ein Deutscher einem Franzosen gesagt? Ich weiß es nicht; aber daraus bitte ich zu ersehen, dass die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland und dass der Gedanke an Europa auch in Frankreich so lebendig sind wie bei uns.

(Lebhafter Beifall.)

Von entscheidender Bedeutung für unser Ansehen in der Welt schien mir aber auch vom ersten Tag an das Verhältnis zum Judentum zu sein. Hier handelt es sich um eine eminente moralische Angelegenheit. Ich habe alles darangesetzt, was ich konnte, um die Versöhnung mit dem Judentum, insbesondere aber auch mit dem Staat Israel herbeizuführen.

(Beifall.)

Ich hoffe sehr, dass die Verhandlungen, die augenblicklich zwischen den Vertretern Israels und dem Auswärtigen Amt geführt werden, einen guten Verlauf nehmen und zu einem guten Ende kommen.

(Zustimmung.)

Ich wünsche das aus moralischen Gründen, aber auch, meine Damen und Herren, aus Gründen der praktischen Politik. Denn glauben Sie mir: Das Judentum ist in der Welt außerordentlich mächtig.

(Beifall.)

Unser Hauptleitsatz bei der ganzen Außenpolitik war der Anschluss an die freien Völker des Westens. Dabei hatten wir, meine Freunde, immer wieder gegen die Opposition zu kämpfen, die dagegen massiven Widerstand leistete. Wir haben uns nicht daran gestört; wir haben unseren Weg weiterverfolgt, gegen die Sozialdemokratie. Wenn Sie sich einmal eine ruhige Stunde gönnen und ein Buch zur Hand nehmen, werden Sie sehen, wie eine Epoche nach der anderen eine engere, immer enger werdende Verknüpfung der Bundesrepublik mit den freien Völkern des Westens brachte. Obgleich ich vorhin bei der ausgezeichneten Rede des Kollegen Strauß ein bisschen errötet bin - soweit ich das überhaupt kann -,

(Heiterkeit.)

so glaube ich doch, auch feststellen zu dürfen, dass, falls im Jahre 1945 irgendwer prophezeit hätte, welchen Weg die Bundesrepublik gehen würde, niemand diese Prophezeiung geglaubt hätte, ich selbst wahrscheinlich auch nicht.

Aber, meine Damen und Herren, es hat auch Rückschläge gegeben. Der Rückschlag, der uns am empfindlichsten getroffen hat und der mir wirklich etwas Schreckliches war, war die Behandlung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durch die französische Nationalversammlung. Wäre es damals anders gekommen, dann hätten wir viele, viele derjenigen Schwierigkeiten, die sich nachher in der Außenpolitik ergaben, schon überwunden gehabt.

(Zustimmung und Beifall.)

Meine Damen und Herren, Kollege Strauß hat, wie ich heute in irgendeiner Zeitung las, davon gesprochen, man solle diese Frage der EVG wieder anschneiden. Ein guter Gedanke; denn vieles war damals überwunden, und vergessen Sie nicht, dass die damalige französische Regierung Pleven zugestimmt hatte, der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zugestimmt hatte! Vergessen Sie aber auch nicht, was unsere Sozialdemokratie getan hat!

(Erneute Zustimmung und Beifall.)

Vergessen Sie nicht, dass sie eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angestrengt hatte, weil wir eben auf Grund der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wieder wehrfähig gemacht werden sollten und die Sozialdemokratie diese Wiederwehrfähigmachung des deutschen Volkes für verfassungswidrig erklärte. Erinnern Sie sich daran, und stellen Sie dem gegenüber, was heute häufig in der Zeitung steht! Nun, mir tut es sehr Leid, dass diese Herren nicht früher schon so klug gewesen sind.

(Heiterkeit und Beifall.)

Aber, meine Damen und Herren, unsere Arbeit ist noch nicht getan. Wir müssen weiterarbeiten, so wie bisher, stetig, das gleiche Ziel verfolgend, nicht wankend und mit großer Geduld. Denn Geduld ist und bleibt die stärkste Waffe des Besiegten - und wir sind doch immer noch ein besiegtes Volk.

Meine Damen und Herren, betrachten Sie doch einmal die Verhältnisse in der Welt, denken Sie einige Jahrzehnte zurück: Da war Deutschland die stärkste Landmacht der Erde, da war England die stärkste Seemacht der Welt. Heute gibt es keine europäische Großmacht mehr. Aber es gibt Supermächte; das ist auf der einen Seite die Sowjetunion, das sind auf der anderen Seite die Vereinigten Staaten, und dahinter steht Rotchina. Das sind die Supermächte, gegen die kein europäischer Staat irgendwie ankommen kann, auch politisch nicht. Deswegen muss, damit wir Europäer nicht durch die Reibungen, die sich zwischen diesen Supermächten ergeben, zerrieben werden, Europa endlich geschaffen werden, meine Freunde.

(Beifall.)

Man hat von meinem Testament gesprochen, von meinem letzten Willen. Es ist wahr, ich muss ihn eines Tages machen.

(Heiterkeit.)

Ich habe aber keine Zeit dazu.

(Anhaltende Heiterkeit.)

Aber ich will Ihnen sagen, was unsere größte Aufgabe jetzt ist: Europa muss geschaffen werden, und Europa wollen wir schaffen.

(Lebhafter Beifall.)

Wenn wir nicht sofort das Ideal erreichen, nun, dann erreichen wir eben das Mögliche,

(Sehr gut!)

und das Weitere wird sich dann finden.

(Beifall.)

Wenn einmal nicht alle Sechs mittun wollen - nun, wenn fünf es tun wollen, in Gottes Namen, dann fünf!

(Lebhafter Beifall.)

Im Jahre 1962 waren wir unter den sechs Außenministern ganz nahe daran in der EWG-Geschichte.

(Heiterkeit.)

Von den Staaten, die sich in der EWG zusammengeschlossen haben, waren fünf dafür, und Holland war dagegen. Seit der Zeit ruht die Sache. Es waren dafür: Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg; und Holland war dagegen. Meine Damen und Herren, ich spreche das sehr frei aus - ich bin ja kein Beamter mehr, das heißt, das war ich nie. -

(Heiterkeit.)

Ich spreche das ganz frei aus: Wenn es nicht sechs sind, dann sind es fünf, und wenn es nicht fünf sind, dann sind es vier. Aber die anderen werden dann nachkommen; darauf können Sie sich verlassen, meine Damen und Herren!

Meine Freunde, ich bitte unseren Bundeskanzler von ganzem Herzen, diese Frage als die Hauptaufgabe unserer Außenpolitik in die Hand zu nehmen.

(Beifall.)

Über die Frage der Schaffung Europas habe ich vor vierzehn Tagen auch mit Herrn de Gaulle gesprochen. Er war vollkommen meiner Meinung

(Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit. Glauben Sie mir, die Verhältnisse spitzen sich zu. Wenn man sieht, dass die Europäer wirklich ernsthaft wieder an die Schaffung Europas gehen und dass die Sache vorankommt, dann bringen wir einen ganz neuen Akzent in die Weltpolitik hinein.

(Beifall.)

Ich gehe so weit, zu sagen - weil eben nicht alles auf einmal gemacht werden kann -, wenn es dann nun kein integriertes Europa ist, so ist es ein nichtintegriertes Europa. Aber Europa muss geschaffen werden, und es wird dann von selbst in sich zusammenwachsen.

Ich denke oft an jene Atmosphäre, wie sie kurze Zeit nach dem Kriege war, wie da in den sechs EWG-Mächten, die eigentlich per Zufall in eine nähere Verbindung kamen, alles dafür war, eine europäische politische Union zu schaffen. Denn die EWG allein hilft uns nichts; wir Europäer müssen gemeinsame Außenpolitik machen, nur sie kann uns helfen.

(Beifall.)

Und wenn man dann sieht, wie jetzt durch diese Streitigkeiten und Streitereien um die Pfennige der Geist entschwindet, dann kann man sehr traurig sein. Daher nochmals, Herr Bundeskanzler, meine sehr herzliche Bitte: Nehmen Sie dieses Problem, das Problem der Schaffung Europas, in die Hand. Wenn wir es fertigbekommen, dieses Problem zu lösen, dann hat unsere Partei etwas geleistet - für Deutschland, für Europa und für die ganze Welt -, was uns die Weltgeschichte einmal sehr hoch anrechnen wird.

(Beifall.)

Meine Freunde, lassen Sie mich ein Wort zur NATO-Krise sagen. Sie werden es wahrscheinlich von mir erwarten, weil ich unlängst in Paris war; aber versprechen Sie sich nicht zuviel.

(Heiterkeit.)

Ich möchte nur ganz allgemein sagen: Krisen wird man niemals mit Noten lösen, Krisen löst man durch Sprechen. Man muss miteinander sprechen! Herr de Gaulle muss sagen, was er will,

(Zustimmung.)

und die anderen müssen sagen, wenn sie etwas dagegen einzuwenden haben, was sie dagegen einzuwenden haben. Aber, meine verehrten Damen und Herren, so Noten, alle paar Stunden eine Note,

(Heiterkeit.)

das ist nicht gut. Vielmehr muss man sprechen miteinander. - Das möchte ich zur NATO-Krise sagen, und ich hoffe, dass diese Worte auch in Paris und in Washington gehört werden.

(Beifall.)

Etwas, meine Freunde, ist uns in all den Jahren nicht gelungen, und das ist sehr schmerzlich: Wir haben die Wiedervereinigung mit den von uns getrennten Brüdern nicht weitergebracht. Das ist sehr traurig. Aber wir dürfen den Mut nicht sinken lassen und müssen das Vertrauen in die Zukunft bewahren. Wir bleiben dabei, dass Deutschland im Frieden wiedervereinigt werden muss.

Was in Afrika jedem Volk bewilligt wird - das Recht der freien Selbstbestimmung -, muss auch uns Deutschen gegeben werden.

(Lebhafter Beifall.)

Ich gebe die Hoffnung nicht auf: Eines Tages wird auch Sowjetrussland einsehen, dass diese Trennung Deutschlands und damit die Trennung Europas nicht zu seinem Vorteil ist. Wir müssen aufpassen, ob der Augenblick kommt. Aber wenn ein Augenblick naht oder sich zu nahen scheint, der eine günstige Gelegenheit bringt, dann dürfen wir ihn nicht ungenutzt lassen. Ich bin auch der Auffassung - vielleicht teilt nicht jeder von Ihnen diese Auffassung -, dass wir uns Sowjetrussland gegenüber wie gegenüber einem Volk verhalten müssen, das uns sehr weh getan hat, dem wir vorher aber auch großes Leid zugefügt haben.

Ich habe neulich mit einem Russen darüber ein Gespräch gehabt und habe ihm gesagt: Sie können mir doch nicht weismachen, dass sich Ihre Regierung bei Ihrer nuklearen Rüstung in der Tat vor uns fürchtet. Darauf hat mir der betreffende Herr gesagt: Nicht die russische Regierung fürchtet sich, wohl aber das russische Volk. Er hat mir weiter erklärt: Wir haben im Kriege 15 Millionen Tote und 5 Millionen Schwerverwundete gehabt. Dadurch wurden Wunden in die russischen Familien im weitesten Umfange geschlagen, die noch vorhanden sind. Deswegen ist in der Tat - so sagte er mir - das russische Volk Ihnen gegenüber voll Sorge.

Neulich ist etwas in der Weltgeschichte passiert, was nach meiner Meinung von allen Zeitungen sehr hätte hervorgehoben werden müssen. Aber, meine Freunde, unsere Zeitungen haben es offenbar nicht verstanden. Es war die Friedensvermittlung der Sowjetunion zwischen Indien und Pakistan. Ich muss ganz offen sagen, das war eine überraschende Entwicklung für jeden von uns, der die Verhältnisse zwischen Pakistan und Indien früher gekannt hat. Khan war vorher bei mir und hat mir gesagt, wie viel Truppen er und wie viel Indien ihm gegenüberstehen habe. Dass da die Sowjetunion den Frieden zwischen diesen beiden Völkern vermittelte, das ist für mich ein Beweis dafür, dass die Sowjetunion in die Reihe der Völker eingetreten ist, die den Frieden wollen.

(Beifall und Bewegung.)

Ich weiß, dass ich damit ein kühnes Wort gesprochen habe. Aber, meine Damen und Herren, die Tatsache liegt vor, dass die Sowjetunion zwischen diesen beiden, sich mit bewaffneter Faust gegenüberstehenden Mächten den Frieden herbeigeführt hat.

Ich möchte zum Schluss ein Wort über unsere Jugend sagen. Ich habe in der letzten Zeit Gelegenheit gehabt, gerade mit der jüngeren Jugend - sagen wir einmal von 25 Jahren abwärts - aus den verschiedensten Städten und Orten zusammenzukommen. Ich kann Ihnen nur versichern: Ich war hocherfreut über den Geist, den ich in dieser Jugend gefunden habe. Und das kann einem wieder Mut geben zu neuer Arbeit, meine Freunde, zu neuer Arbeit für den Frieden, zu neuer Arbeit für die Wiedervereinigung und zu neuer Arbeit für Europa.

(Anhaltender lebhafter Beifall.)

 

Quelle: 14. CDU-Bundesparteitag Bonn 21.-23. März 1966, Niederschrift, Bonn o. J., S. 31-41.