21. November 1953

Schreiben an Josef Joos, Fulda

Josef Joos (1878-1965), 1919-1933 MdR (Zentrum), langjähri­ger Schriftleiter der „Westdeutschen Arbeiterzeitung", 1941-1945 im Konzentrationslager Dachau, ab 1949 tang­jähriger Vorsitzender der Gemeinschaft der katholischen Männer (Fulda) und Präsident des Alterswerks der Katho­liken Deutschlands.

 

Sehr geehrter Herr Joos!

Ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 19. d. Mts. Ich glau­be, dass Ihre Befürchtungen unbegründet sind. Die Wie­deraufrichtung Preußens verlangt kein irgendwie maß­gebender vernünftiger Mensch. Die Ausführungen des Herrn Mende sind das Produkt eines politisch nicht gereif­ten Menschen.

Ich glaube, bei der Beurteilung der gesamten Lage müsste man davon ausgehen, dass, selbst wenn die Gefahr natio­nalsozialistischer Rückschläge bestünde, es doppelt richtig sein würde, Deutschland in die europäische Gemeinschaft aufzunehmen und darin zu binden. Ich halte daher die Tendenzen in Frankreich, von denen Sie sprechen, für ganz unbegründet. Ich erkläre sie mir auch anders. Sie beruhen z. T. zweifellos auf sowjetrussischer, z. T. durch russisches Geld unterstützter Propaganda. Zum Teil beru­hen sie auf folgendem: Frankreich und insbesondere der Quai d'Orsay haben noch immer die Meinung, dass Frank­reich eine europäische Großmacht sei, die in einer Reihe zähle mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Sie fürchten, wenn Frankreich in Europa integriert werde, werde es diese Stellung nicht mehr haben. Dagegen sträu­ben sie sich auf jede mögliche Weise. In Wirklichkeit - ich glaube, ich brauche das Ihnen wohl gar nicht zu sagen - ist Frankreich keine europäische Großmacht mehr und wird von den beiden anderen nur mitgenommen. Es kann erst wieder zu Bedeutung kommen, wenn es in die euro­päische Gemeinschaft hineingeht und in ihr sich seiner Kraft wieder bewusst wird.

Ich bitte Sie, auch zu bedenken, dass die Lösung der Saar­frage in französischem Sinne für Deutschland ein großes, sehr großes Opfer bedeuten würde. Es wird großer Schwierigkeiten bedürfen, eine Lösung, die vom deut­schen Volke akzeptiert wird, zu finden.

Wenn die EVG und damit die europäische Gemeinschaft nicht zustande kommt, fürchte ich einen sehr bösen Rück­schlag in der psychologischen Haltung des deutschen Volkes. Ich bin ehrlich erschrocken darüber, wie stark die Stimmung in Frankreich seit den Tagen Schumans, insbe­sondere seit 1950, sich geändert hat. Ich glaube, das ist darauf zurückzuführen, dass seit 1950 das deutsche Volk wieder erstarkt ist.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr ergebener

(Adenauer)

 

Quelle: Konrad Adenauer: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe. München 1999, S. 163-166.