21. September 1962

Die Sicherheit Amerikas und Europas unteilbar

Artikel des Bundeskanzlers für Foreign Affairs

Von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer

 

Die Zeitschrift Foreign Affairs hat sich in den 40 Jahren ihres Bestehens große Verdienste um die Klärung und Vertiefung internationaler Fragen erworben; sie ist zu einem in der ganzen Welt angesehenen Diskussionsforum geworden. Ich habe daher die Einladung, in dieser Jubiläums-Ausgabe einige Ausführungen zu machen, gerne angenommen, zumal gerade heute einige Gefahren, aber auch einige Hoffnungen deutlicher geworden sind, als dies noch vor Monaten der Fall war.

I.

Im Augenblick, da ich diesen Artikel schreibe, liegt mein Frankreichbesuch zwei Wochen zurück. Es waren sieben ereignisreiche und politisch sehr wichtige Tage. Ein wesentlicher Zweck meines Besuches bestand darin, dem deutschen und dem französischen Volke, aber auch der ganzen Welt zu demonstrieren, dass die Versöhnung zwischen den beiden Nachbarvölkern diesseits und jenseits des Rheins nunmehr Wirklichkeit geworden ist.

Präsident de Gaulle hat das als "Wunder" bezeichnet. In der Tat hätten noch vor einem Jahrzehnt nur wenige zu hoffen gewagt, dass die beiden Nationen, die sich jahrhundertelang befehdet haben, so kurz nach einem furchtbaren Kriege sich die Hände reichen würden, um die vor ihnen liegenden Aufgaben nunmehr gemeinsam anzupacken. Die Verbundenheit, die nunmehr zwischen Frankreich und Deutschland besteht, ist das Ergebnis langer und mutiger Bemühungen auf beiden Seiten. Begonnen wurde das Werk auf französischer Seite von Robert Schuman. Präsident de Gaulle hat es mit größter Umsicht und bemerkenswerter Energie zum Abschluss und, ich darf sagen, zur Krönung geführt. Das Besondere dieser Entwicklung liegt aber darin, dass breite Schichten in beiden Völkern diese Gedanken auch von sich aus aufgriffen und die Bemühungen ihrer Regierungen unterstützten. Die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit, mit der die Franzosen den deutschen Bundeskanzler überall begrüßten, und zwar in zunehmendem Maße von Paris über Rouen und Bordeaux hin bis nach Reims, haben offenbar gemacht, wie breit die Basis ist, auf der die deutsch-französische Solidarität ruht.

Deutschland und Frankreich sind sich des ihnen Gemeinsamen bewusst geworden, ihrer Geschichte, ihrer Interessen und ihrer Verantwortung. Sie werden von nun an noch enger zusammenstehen. Das Gefühl der Solidarität wird noch tiefer in das Bewusstsein der Nationen eindringen, und eines Tages wird es allen selbstverständlich sein. Präsident de Gaulle wird im September die Bundesrepublik besuchen. Das deutsche Volk freut sich darauf und wird dem französischen Staatspräsidenten seinerseits zeigen, wie sehr ihm die Freundschaft mit Frankreich am Herzen liegt.

Diese Freundschaft ist gegen niemanden in der freien Welt gerichtet; sie wird sich zum Vorteile aller auswirken. Europa kann nur Nutzen davon haben, wenn sich die beiden Nachbarvölker, mitten in Europa gelegen, eng aneinander schließen. Für die ganze freie Welt aber bedeutet diese Solidarität eine wesentliche Verstärkung; Frankreich und Deutschland werden einen festen politischen Damm bilden gegen das Vordringen des sowjetischen Kommunismus, der unser aller Freiheit bedroht.

II.

Die deutsch-französische Solidarität ist auch die Grundlage für das Gebäude der europäischen Einigung. Die Politik des Zusammenschlusses Europas befindet sich in einem bedeutsamen Stadium der Entwicklung.

Die Erfolge der europäischen Einigungspolitik durch die Arbeit der Montan-Union, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und von Euratom sind eine der großen Leistungen, durch die der Westen in den letzten Jahren seine Lebensfähigkeit bewiesen hat. Der Gemeinsame Markt der Sechs ist weitgehend verwirklicht. Die Binnenzölle wurden bereits um 50 % gesenkt, sie werden im Laufe der nächsten Jahre völlig verschwinden. Auf wichtigen Gebieten wie Landwirtschaftspolitik, Sozial- und Verkehrspolitik wird gemeinsam vorgegangen. Die Zuwachsrate des Sozialproduktes war in der EWG in den vergangenen Jahren höher als in der Sowjetunion.

Die Richtigkeit unserer Politik wird dadurch bestätigt, dass Staaten, die sich bisher abseits hielten, nunmehr bereit zu sein scheinen, die Verpflichtungen der Verträge von Paris und Rom zu übernehmen, um an den Vorteilen der wirtschaftlichen Integration teilzuhaben. England, Dänemark, Norwegen und Irland haben bereits Beitrittsanträge gestellt. Andere Staaten werden folgen, weitere Länder erwägen eine Assoziierung mit der EWG. Die vordringlichsten Verhandlungen mit Großbritannien haben schon begonnen und wir hoffen, dass sie zum Erfolg führen. Der Ausgang dieser Besprechungen wird auch für die geplanten Verhandlungen mit den anderen Staaten von großer Bedeutung sein.

Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft will auch nach außen eine liberale Handelspolitik treiben. Ihr Zweck ist nicht, Europa abzukapseln, sondern vielmehr durch eine wirtschaftliche Stärkung Europas die Voraussetzung für eine Erweiterung des Welthandels zu schaffen, die allen handeltreibenden Nationen zugute kommen wird. Insbesondere wünschen wir auch eine enge handelspolitische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten.

In diesem Zusammenhang begrüße ich die von der amerikanischen Administration eingebrachte, vom Repräsentantenhaus bereits verabschiedete Vorlage, die den Präsidenten zu Zollherabsetzungen ermächtigt (Trade Expansion Act).

Schließlich soll auch die Hilfe für die entwicklungsfähigen Länder durch die wirtschaftliche Einigung Europas gefördert werden; wir wollen diese Unterstützung, die die Entwicklungsländer zu eigener Aufbauleistung instandsetzen soll, immer wirksamer gestalten.

Die wirtschaftliche Einigung Europas, so wertvoll sie ist, genügt aber nicht. Vielmehr ist es notwendig, dass Europa seine Politik in den lebenswichtigen Fragen, d.h. vor allem seine Außenpolitik, stärker koordiniert und einheitlich zur Geltung bringt. Das ist der Grundgedanke des Projekts eines Bundes Europäischer Staaten, durch den die bereits bestehende Zusammenarbeit auf politischem Gebiet in eine festere Form gebracht wird. Alle sechs Länder stimmen darüber überein, dass die europäische Politik nachdrücklich weitergeführt werden muss und dass die Verhandlungen über die Europäische Politische Union möglichst noch in diesem Jahr zum Abschluss gebracht werden müssen. Jede Verzögerung in den europäischen Einigungsbestrebungen würde die Dynamik unserer politischen Entwicklung lähmen und die Hoffnung der Sowjetunion auf eine Spaltung der freien Welt nähren.

Der geplante Bund europäischer Staaten wird zunächst noch eine verhältnismäßig lockere Struktur aufweisen. Wir sind uns aber schon jetzt darüber im klaren, dass die Form der politischen Zusammenarbeit im Laufe der kommenden Jahre ständig enger werden muss.

Es war uns immer eine große Hilfe zu wissen, dass die amerikanischen Regierungen der Präsidenten Truman, Eisenhower und Kennedy und das amerikanische Volk die Politik der europäischen Einigung nachdrücklich gefördert haben.

Dankbar erinnere ich mich auch der wertvollen Unterstützung der Außenminister Marshall, Acheson und Dulles. Die Vereinigten Staaten haben früh erkannt, dass die freie Welt ohne ein einiges und starkes Europa nicht bestehen kann. Diese Erkenntnis wird auch die Richtschnur für unser weiteres Handeln sein.

III.

Europa konnte und kann seine Einigung nicht auf sich selbst gestellt vollziehen, es bedurfte und bedarf dazu des Rückhalts der atlantischen Allianz. Die Schaffung und der Ausbau der NATO war ein weiterer großer Erfolg unserer gemeinsamen Politik. Seit der Gründung der NATO hat der Kommunismus in Europa keine weiteren Fortschritte erzielen können. Die Verteidigungsmacht der freien Welt, in der NATO organisiert, sichert den Frieden und das Überleben unserer Völker. Die Sicherheit Amerikas und Europas ist heute unteilbar.

Die atlantische Allianz hat ein hohes Maß an Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung verwirklicht. Es ist der Sinn dieses Bündnisses, dass die Partner, die alle den gleichen Gefahren ausgesetzt sind, nach dem Maß ihrer Kräfte zur gemeinsamen Stärke beitragen. Die Vereinigten Staaten haben seit der Gründung der NATO auf Grund ihrer Leistungsfähigkeit und dank der Opfer ihrer Soldaten und ihrer Steuerzahler den entscheidenden Beitrag für die gemeinsame Sicherheit geleistet. Das wird gerade auch vom deutschen Volk dankbar anerkannt.

Die Bundesrepublik Deutschland hat seit ihrem Beitritt zur NATO ihren Verteidigungsbeitrag den gesteckten Planzielen entsprechend konsequent aufgebracht. Sie wird auch weiterhin alles in ihren Kräften Stehende tun, um den ihr obliegenden Anteil an der gemeinsamen Verteidigung bereitzustellen.

Das bewährte Instrument der NATO muss auch weiterhin wirksam und geschmeidig bleiben, um allen Anforderungen gewachsen zu sein. Die Beschlüsse der Ministerratskonferenz der NATO in Athen haben gezeigt, dass die Allianz auch neu auftretenden Fragen gerecht werden kann. Ich bin sicher, dass für das schwierige Problem der gemeinsamen Abschreckung eine für Amerika und die europäischen Staaten befriedigende Regelung gefunden werden kann.

Die NATO ist entstanden aus dem Zwang, die gemeinsamen Ideale der freien Welt gegen die sowjetische Bedrohung verteidigen zu müssen. Ihre militärische Organisation ist daher kein Selbstzweck. Vielmehr liegt ihr eine enge Verbundenheit der Staaten beiderseits des Atlantik zugrunde, die sich zu denselben Grundauffassungen vom Sinn des Lebens und von den Aufgaben des Menschen in der Welt bekennen. Diese starke Bindung muss auf allen Gebieten der Zusammenarbeit weiter ausgestaltet werden. Die Erkenntnis hiervon lag der großen Rede zugrunde, die Präsident Kennedy am 4. Juli dieses Jahres in Philadelphia gehalten hat. Der Präsident entwickelte das Bild einer atlantischen Partnerschaft, deren Mitglieder in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit (interdependence) zueinander stehen und mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten die gemeinsame Verantwortung für Freiheit und Frieden in der Welt tragen. Ich freue mich, dass ich mit diesem Ziel, wie es Präsident Kennedy als Führer der freien Welt proklamiert hat, voll übereinstimme.

IV.

Die in der atlantischen Allianz zur Verteidigung zusammengeschlossene freie Welt wird vom sowjetischen Kommunismus bedroht, der rücksichtslos eine Ausdehnung seiner Macht und seines Systems erstrebt. Die Sowjetunion versucht mit allen Mitteln, den Westen zu schwächen und zurückzudrängen. Sie wechselt die Form, die Intensität und die Schauplätze des Drucks, lässt die freie Welt aber niemals zur Ruhe kommen.

Die Sowjets können ihre Politik der Drohungen und Erpressungen auf ein großes Machtpotential sowohl konventioneller als nuklearer Art stützen. Dass sie dennoch in letzter Zeit keine größeren Erfolge erzielen konnten, ist der Tatsache zu verdanken, dass der Westen eine glaubwürdige Politik der Abschreckung entwickelt hat. Die Stärke des Westens ist so groß, dass die sowjetische Führung heute offenbar die Möglichkeit eines großen Krieges zur Erreichung ihrer Ziele nicht ins Auge fasst. Die Sowjets drücken das durch die Lehre von der sogenannten Koexistenz aus, die zwar ideologische Feindschaft gegenüber dem "Kapitalismus" und die Unterstützung von "Befreiungskriegen" fordert, den großen Krieg zwischen den beiden Machtblöcken aber für vermeidbar hält.

Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, dass diese sowjetische Taktik nur ein Ergebnis der westlichen Stärke ist, und dass die Sowjets zu einer aggressiveren Politik zurückkehren werden, wenn die Bereitschaft und die Wachsamkeit der freien Welt nachlassen sollten. Es ist deshalb unsere oberste Pflicht, die Geschlossenheit und die Kraft des Westens aufrechtzuerhalten. Wenn uns dies in überzeugender Weise gelingt, werden, so hoffe ich, die sowjetischen Führer eines Tages zu der Einsicht kommen, dass die Aufrechterhaltung der Spannung keine Erfolge erbringt und ihrem Interesse auf die Dauer nicht dient. Die Sowjetunion gibt heute ungeheuere Summen für die Rüstung und andere Arbeit gegen den freien Westen aus. Wir hoffen, dass die Leiter der Sowjetunion dem russischen Volk nicht ständig die Früchte seiner Arbeit einer sinnlosen Spannungspolitik wegen vorenthalten können.

Wenn wir einig und stark bleiben und unsere Geduld bewahren, werden wir die Grundlage für ernsthafte Verhandlungen mit der Sowjetunion schaffen, die von der Beachtung der lebenswichtigen Interessen und der Freiheit der Völker ausgehen. Das ist eine Politik der Vernunft, die einzige Politik, die uns die Freiheit und den Frieden erhalten kann.

Gegenwärtig konzentriert sich die Ost-West-Spannung in für uns Deutsche besonders schmerzlicher Weise in und um Berlin. Durch immer neue Drohungen und Einschüchterungen versucht die Sowjetunion, die seit 17 Jahren bestehende Position der Westmächte im freien Teil Berlins zu beseitigen. Der Verlauf der nunmehr fast vier Jahre andauernden Berlinkrise hat gezeigt, dass die Sowjets vor einer kriegerischen Auseinandersetzung zurückschrecken. Offenbar glauben sie jedoch, durch ständige Beunruhigungen die Moral der Berliner und die feste Haltung der Westmächte untergraben zu können. Berlin ist so zu einem Testfall für die Entschlossenheit und die Geduld der freien Welt geworden.

Es gibt Stimmen im Westen, die, der ständigen Belastungen durch das Berlin-Problem überdrüssig geworden, empfehlen, der Sowjetunion in dieser Frage entgegenzukommen. Derartige Äußerungen lassen den entscheidenden Aspekt des ganzen Problems außer acht. Es handelt sich dabei zunächst um das Schicksal von Millionen von Menschen. Westberlin muss gehalten werden, nicht nur, weil dort 2 1/2 Millionen freier Menschen leben, sondern auch, weil das Vertrauen und die Hoffnung von 17 Millionen Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone davon abhängen, dass der Westen in Berlin zu seinen Grundsätzen steht.

Die deutsche Bundesregierung, die auch für die Deutschen in Mitteldeutschland spricht, muss darauf hinweisen, dass die freie Welt auch Verantwortung für die unterdrückten Menschen in der sowjetischen Besatzungszone trägt. Das Bewusstsein dieser Verpflichtung wird ständig durch die Berliner Mauer, dieses abscheuliche Denkmal des Terrors, in uns wachgehalten. Die Mauer, durch die Mitteldeutschland in ein einziges großes Gefängnis verwandelt wurde, ist der Ausdruck der Unmenschlichkeit, die Leid und Drangsal für Millionen von Menschen bedeutet. Es handelt sich aber auch um das Ansehen der Vereinigten Staaten in der ganzen freien Welt. Die Vereinigten Staaten haben ihr Wort gegeben; die ganze Welt weiß, dass sie ihr Wort halten werden.

Das Berlin-Problem ist wie das Deutschland-Problem überhaupt letztlich eine menschliche Frage. Deshalb liegt hier auch der Ansatzpunkt für eine Lösung. Wenn unseren Landsleuten in der sowjetischen Besatzungszone ein menschenwürdiges Dasein, wenigstens ein gewisses Maß an Freiheit und Selbstbestimmung gewährt wird, werden wir über vieles mit uns reden lassen können.

V.

Die Abrüstungsfrage ist ein Zentralproblem der Weltpolitik. Die von der Sowjetunion geschürten Spannungen haben notwendigerweise zu einem immer stärkeren Rüstungswettlauf geführt. Sowohl die Sowjetunion als auch die USA verfügen über gewaltige Vorräte an Massenvernichtungswaffen, die unvorstellbare Verwüstungen anrichten können. Es muss deshalb unser dringendes Interesse sein, diese ungeheuren Zerstörungsmöglichkeiten durch eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung abzubauen.

Die Vereinigten Staaten haben in der seit dem 14. März d.J. in Genf tagenden Abrüstungskonferenz außerordentlich weitgehende, abgewogene Abrüstungspläne vorgelegt, die wir nachdrücklich unterstützen. Demgegenüber laufen die sowjetischen Vorschläge immer wieder auf eine Verschiebung des militärischen Gleichgewichts zu Gunsten des Ostblocks hinaus. Das gilt insbesondere für die Pläne einer regionalen Abrüstung und sog. atomwaffenfreier Zonen in Mitteleuropa, durch die die europäische Verteidigung geschwächt werden soll, sowie für die sowjetische Weigerung, irgendwelchen Kontrollen zuzustimmen, well jede Inspektion den Vorteil der Geheimhaltung, den das geschlossene sowjetische System im Gegensatz zum offenen System der freien Welt hat, aufheben würde. Es hat den Anschein, dass die Sowjets auch die gegenwärtige Abrüstungskonferenz wieder lediglich als Propagandaforum benutzen wollen.

Trotz aller Enttäuschungen müssen die Bemühungen der Westmächte, Möglichkeiten für eine Abrüstung zu finden, energisch fortgesetzt werden. Es muss unsere Hoffnung sein, dass eine konsequente Haltung des Westens in Abrüstungsfragen dazu führt, die Sowjets von der Notwendigkeit ernsthafter Verhandlungen zu überzeugen, die die Interessen beider Teile in Rechnung stellen.

VI.

Ich möchte meine Ausführungen nicht beenden, ohne einige Worte zu den amerikanisch-deutschen Beziehungen und zu der Rolle der Vereinigten Staaten zu sagen.

Als Deutschland nach dem letzten furchtbaren Kriege besiegt und zerschlagen am Boden lag, waren es die westlichen Besatzungsmächte, voran die Vereinigten Staaten von Amerika, die uns die helfende Hand boten. Die wirtschaftliche Unterstützung durch die amerikanische Regierung und viele Hunderttausende von privaten amerikanischen Bürgern war wichtig; sie hat an unserem Überleben und zu unserem Wiederaufbau beigetragen. Wertvoller aber war noch die menschliche Gesinnung, die aus dieser Haltung sprach. Es ist in der Geschichte selten, dass der Sieger dem geschlagenen Feind wieder aufhilft, und dass er bereit ist, den anderen, wenn er sich bewährt - und nicht das ganze deutsche Volk war ja jenem schändlichen Regime gefolgt -, wieder als Gleichwertigen, ja als Verbündeten und Freund zu akzeptieren. Diese Haltung des amerikanischen Volkes wird vor der Geschichte immer als groß und beispielhaft gelten. Ich habe Amerika dafür schon mehrfach gedankt. Ich werde es immer wieder tun; denn wir werden es Amerika nie vergessen.

Und noch ein Letztes! Wir leben in einer unruhigen und spannungsreichen Zeit. Die atheistischen Kräfte des Kommunismus, die vorgeben, den Menschen ein Paradies auf Erden zu schaffen, sind dabei, die Menschen ihrer Würde und ihrer Freiheit zu berauben und sie zu willenlosen Elementen eines Termitenstaates zu degradieren.

Die freie Welt wehrt sich dagegen. Die Auseinandersetzung wird noch lange dauern, und sie wird von den freien Völkern nur bestanden werden, wenn sie klug, entschlossen und vor allem, wenn sie einig sind. Den Vereinigten Staaten fällt dabei eine besondere Rolle zu. Sie sind die stärkste Macht des Westens. Sie sind die Führungsmacht, wobei Führen, dem Wesen unserer freien Welt entsprechend, nicht in Kommandieren besteht; Führen ist schwerer, aber auch erfolgreicher als Kommandieren. Es kommt darauf an, die Sorgen der Verbündeten zu verstehen, ihre Vorschläge anzuhören, eigene Vorschläge zu machen, zur Tätigkeit für die Gemeinschaft zu ermuntern, auf die rechte Verteilung der Lasten zu achten, zur Einigkeit zu mahnen, selbst voranzugehen, wenn es notwendig ist, und die anderen durch das Beispiel mitzuziehen.

Die Sowjetunion, die Führungsmacht des Ostens, hat es dem äußeren Schein nach leichter. Die Aufgabe, die Amerika zugefallen ist, ist sehr schwer. Aber wir haben das Vertrauen, dass das amerikanische Volk damit fertig werden und sie lösen wird. Gemeinsam mit seinen Verbündeten wird es den schweren, aber auch den sicheren Weg gehen, der der Menschheit den Frieden erhält und die Freiheit bewahrt.

Präsident Kennedy hat am 4. Juli 1962 in Philadelphia über die Prinzipien einer echten Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Europa gesprochen. Wir sind dazu bereit, diesen Weg zu gehen. Wir werden das in unseren Kräften Stehende tun, um diese Partnerschaft gesund und stark zu machen, zum Nutzen nicht nur unserer Völker, sondern auch zum Wohle der Menschheit.

 

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 176 vom 21. September 1962, S. 1489-1492. [Deutsche Fassung des Artikels "The German Problem, a World Problem". In: Foreign Affairs. Jg. 41. 1962, Nr.1 (Oktober), S. 59-65.]