Willy Brandt: Herr Bundeskanzler! Ich darf Sie namens des Senats des Abgeordnetenhauses und der Bevölkerung von Berlin begrüßen. Es wird für den Chef der deutschen Regierung sicherlich von Interesse sein, wie sich die Maßnahmen, die Unrechtsmaßnahmen des 13. August in dieser Stadt ausgewirkt haben, und als wie tief wir den Einschnitt empfinden, der durch diese Maßnahmen im Leben dieser Stadt und im Leben unseres Volkes erzielt wurde. Sie werden finden, Herr Bundeskanzler, dass die Berliner ruhig sind, ihrer Arbeit nachgehen und dass sie voller Vertrauen sind, was die Zukunft der Freiheit angeht, dass sie sich aber auch im klaren sind über die Schwierigkeiten, die noch auf dem Wege dieser Stadt und unseres gespaltenen Volkes liegen. Die letzten Tage haben uns hier in Berlin Gelegenheit gegeben, nicht nur zu empfinden, dass diese Stadt gute und auch starke Freunde hat, sondern sie haben der Berliner Bevölkerung auch Gelegenheit gegeben, zu beweisen, dass ihr Platz ein für allemal im Lager der Freiheit ist. Ich darf Sie noch einmal herzlich willkommen heißen.
Bundeskanzler: Ich danke Ihnen sehr, Herr Regierender Bürgermeister, für die Worte, die Sie an mich gerichtet haben namens des Senats und der Bevölkerung Berlins. Der 13. August und die folgenden Tage haben an die Nerven und an die Herzen der Bewohner Berlins schwere Anforderungen gestellt. Die Deutschen in der Zone und im Ostsektor von Berlin hatten bis jetzt noch immer die Hoffnung, wenn der Druck zu stark würde, durch die Flucht ihm entgehen zu können. Diese Möglichkeit ist ihnen jetzt genommen. Sie dürfen aber versichert sein, dass sie bei uns nicht abgeschrieben sind. Wir Deutsche werden unserer Verpflichtung für sie immer eingedenk bleiben. Sie und wir alle wissen, dass demnächst verhandelt werden wird. Aber die Bewohner Westberlins dürfen versichert sein, die Bundesrepublik wird ihre ganze politische und moralische Kraft in der Welt dafür einsetzen, dass ihnen die Freiheit, die freie Verbindung mit der Welt, die freie Verbindung mit uns, unsere brüderliche Hilfe in vollem Umfange erhalten bleibt, bis der Tag der Wiedervereinigung kommt. Es liegen, Herr Regierender Bürgermeister, schwere Wochen und Monate vor uns; Wochen und Monate, die starke Anforderungen an uns alle stellen werden. Aber wir werden alle Widerwärtigkeiten meistern, wenn wir ein warmes Herz und einen kühlen Kopf behalten.
Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Mitschrift der Rundfunkaufnahme des Bayerischen Rundfunks vom 22.08.1961.