22. Dezember 1950

Interview des Bundeskanzlers Adenauer mit dem amerikanischen Fernseh- und Rundfunksender Columbia Broadcasting System

1. Frage: Ist in Deutschland die Grundlage für eine stabile Demokratie gelegt?

Antwort: Dort, wo in Deutschland nach dem Ende des zweiten Weltkrieges freie Wahlen durchgeführt werden konnten, haben die Wahlresultate mit großer Deutlichkeit gezeigt, daß radikale Parteien nur eine verschwindend kleine Zahl von Stimmen erhalten konnten. Ich glaube deshalb, daß die Diktatur nur eine Episode war und Deutschland zu einer stabilen demokratischen Ordnung zurückfindet. Dies um so mehr, als Deutschland schon in den frühen Zeiten seiner Geschichte im Recht seiner Länder und Städte demokratische Regierungs- und Verwaltungsformen entwickelt hat. Ich denke, wir sind uns einig darin, daß Demokratie und Freiheit untrennbar verbunden sind. Deshalb werden wir in Deutschland vollkommene demokratische Verhältnisse erst dann erreichen können, wenn wir völlige Freiheit wiedergewonnen haben.

 

2. Frage: Welche sind die größten Gefahren, denen sich die junge Demokratie im Lande selbst und von außen gegenüber sieht?

Antwort: Die größte Gefahr im Innern bilden meines Erachtens die Probleme, die durch die Lage unserer 7,5 Mill. Flüchtlinge aus den Ostgebieten und der Sowjetzone entstanden. Not und Elend sind die schlimmsten Feinde einer freiheitlichen Ordnung, denn sie bilden einen Nährboden für jede illegale Aktivität. Wir machen große Anstrengungen, um den unglück­lichen Menschen, die Haus und Hof verlassen mußten, eine neue Heimat zu geben, aber die zur Lösung dieses Problems nötigen Kräfte übersteigen die deutschen Möglichkeiten. Deshalb begrüße ich, daß sich auch große internationale Organisationen der Frage angenommen haben.

Die Spannung zwischen Ost und West ist unsere größte äußere Gefährdung. Deutschland liegt geographisch in einem Brennpunkt des Konflikts. Die Teilung Deutschlands stellt zweifellos ein weiteres Gefahrenmoment dar. Unsere Lage wird im besonderen Maße von der Entwick­lung des Verhältnisses zwischen den Großmächten beeinflußt. Wir können deshalb nur darauf hoffen, daß es gelingt, die Beziehungen zwischen Ost und West wieder zu normalisieren. Dazu scheint mir Voraussetzung zu sein, das Gleichgewicht der Kräfte herzustellen. In diesen Zusammenhang sollte man auch die notwendige Stärkung der westlichen Verteidigung stellen.

 

3. Frage: Was könnte bei einer Konferenz mit Rußland über deutsche Probleme erreicht werden?

Antwort: Alle vier Besatzungsmächte haben erklärt, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands eines der Ziele ihrer Politik sei. Die Bundesregierung hat konkrete Vorschläge zur Verwirklichung dieses Zieles gemacht. Ich halte freie Wahlen (für eine gesamtdeutsche Verfassunggebende Nationalversammlung) unter der Kontrolle der vier Mächte oder der Vereinten Nationen für den einzig gangbaren Weg, um die deutsche Einheit wieder zu gewinnen. Eine Konferenz mit der Sowjet-Union könnte sich dies zum Ziel setzen, wobei die Westmächte dafür Sorge tragen müßten, daß die Sache der Freiheit keinen Schaden erleidet.

 

4. Frage: Was liegt hinter dem offensichtlichen Widerstreben der deutschen Bevölkerung, zur Verteidigung des Westens die Waffen zu ergreifen?

Antwort: Die Leiden, die zwei furchtbare Weltkriege über das deutsche Volk gebracht haben, sind einer der Hauptgründe dafür, daß die Deutschen gegenüber jedem Versuch, einen Konflikt mit militärischen Mitteln zu lösen, mißtrauisch geworden sind. Es wäre aber grund­falsch anzunehmen, daß die deutsche Bevölkerung sich einem Angriff auf ihre Freiheit nicht widersetzen würde. Die Deutschen haben mit dem Wahlzettel ganz klar ausgedrückt, daß sie kein kommunistisches Regime wünschen. Sie sind ohne Frage bereit, diese ihre Überzeugung mit all ihren Kräften zu vertreten. Man muß ihnen aber die Gewißheit geben, daß der Westen wirklich bereit ist, Deutschland mit ausreichenden Kräften zu verteidigen, und daß der deutsche Soldat volle Gleichberechtigung genießt, d.h. unter den gleichen Bedingungen kämpfen werde wie die anderen. Die politischen Voraussetzungen und Folgen der Teilnahme sind klar. Die Bundesregierung hat aus der Erkenntnis heraus, daß ein deutscher Verteidigungsbeitrag unter einem Besatzungsstatut eine Unmöglichkeit darstellt, bereits an die drei westalliierten Regierungen das Ersuchen gerichtet, das Besatzungsstatut durch einen Vertrag oder ein System von Verträgen abzulösen. Es handelt sich nicht darum, irgendetwas auszuhandeln, sondern darum, daß von einer baldigen Bereinigung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den Besatzungsmächten die Haltung der deutschen Bevölkerung zu dem Problem eines deutschen Beitrags zur Verteidigung des Westens ursächlich und entscheidend abhängt.

 

5. Frage: Was kann die Bundesrepublik physisch in absehbarer Zeit für die gemeinsame Verteidigung beitragen?

Antwort: Die Kosten der Besatzung betragen heute über 4 Milliarden D-Mark, von denen nur ein verschwindend kleiner Bruchteil für echte militärische Zwecke Verwendung findet. Diese 4,5 Milliarden D-Mark könnten nach Ablösung des Besatzungsstatuts für einen deutschen Verteidigungsbeitrag verwandt werden. Ich glaube auch, daß die Bundesrepublik darüber hinaus noch Mittel bereitstellen kann. Ich würde es für das beste halten, wenn eine Sachverständigen-Kommission den Grad unserer Leistungsfähigkeit feststellte. Es muß ein brauch­barer Kompromiß gefunden werden, der uns erlaubt, gleichzeitig unser soziales Programm weiterzuführen und unseren Verteidigungsbeitrag zu leisten. Falls es dazu kommen sollte, daß deutsche Verbände aufgestellt werden, so würde ihre gesamte Größe weniger von den deutschen möglichen Effektivstärken als von den Vorschlägen der alliierten Experten und unseren wirtschaftlichen Kräften abhängen.

 

6. Frage: Welche Rolle wird die Bundesrepublik innerhalb eines Verteidigungsplanes akzep­tieren?

Antwort: Bevölkerung, Parlament und Regierung sind sich völlig darin einig, daß eine deutsche Teilnahme nicht unter diskriminierenden Bedingungen erfolgen kann. Das Prinzip der Nicht-Diskriminierung wird von deutscher Seite als unveränderlicher Maßstab für die Beurteilung aller alliierten Vorschläge in ihrer Gesamtheit und in ihren Einzelheiten angese­hen. Es gilt außerdem als eine elementare Vorbedingung für die gute Moral und die hohe Kampfkraft einer zukünftigen deutschen Truppe. Wenn deutsche Soldaten moralisch und materiell gleichberechtigt neben den Soldaten der Alliierten stehen, wenn sie nicht das Gefühl haben, daß sie als Soldaten II. Klasse angesehen werden, dann werden sie wertvolle und zuverlässige Verbündete sein.

 

7. Frage: Würde eine Wiederbewaffnung den Militarismus in Deutschland wieder erwecken, zu einem unabhängigen nationalen Heer führen und, was die Franzosen gewissen Berichten zufolge befürchten, das Risiko in sich schließen, den Westen auf eine deutsche Kampagne zur Wiedererlangung der Ostgebiete festlegen?

Antwort: Die Bundesregierung hat verschiedentlich klargestellt, und in dieser ihrer Haltung wird sie von der großen Mehrheit des Parlaments und der öffentlichen Meinung gestützt, daß sie keine nationale Armee zu unterhalten wünscht. Die Bundesregierung ist weiter fest entschlossen, die Führung der politischen Geschäfte nicht in die Hände der Militärs gleiten zu lassen. Deutsche militärische Verbände sollen fest in eine europäische Armee eingefügt werden. Wir hoffen, daß die Zusammenarbeit der europäischen Staaten gerade Schwierigkeiten, wie sie oft von französischer Seite befürchtet werden, endgültig ausräumen wird.

Die Frage der deutschen Ostgrenze wird gemäß den Potsdamer Beschlüssen in einem künfti­gen Friedensvertrage geregelt werden. Wir sind sicher, daß unsere gerechten Ansprüche jeder objektiven Prüfung standhalten und auf friedlichem Wege erfüllt werden können. Die Rege­lung der deutschen Ostgrenze kann daher meiner Ansicht nach gar nicht Gegenstand einer kriegerischen Auseinandersetzung sein.

Ich möchte ganz klar sagen, daß die Bundesregierung keinerlei aggressive Absichten zur Verfolgung ihrer politischen Ziele hegt.

 

Quelle: StBKAH 02.07.