22. Februar 1951

Darlegungen des Bundeskanzlers Konrad Adenauer zur Lage vor Bonner Journalisten

I. Außenpolitik:

Die mögliche Viererkonferenz kann unter Umständen bestimmend für das weitere Schicksal der Bundesrepublik Deutschland werden. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Bundesrepublik bei diesen Verhandlungen ohne Mitspracherecht ist. Es kann ein sowjetischer Antrag erwartet werden, Deutschland auch künftig entwaffnet zu lassen und zu neutralisieren.

Die Erwartungen und Hoffnungen, die mit der Viererkonferenz verknüpft werden, sind verschiedenartig. Am positivsten zur Viererkonferenz ist Frankreich eingestellt. In Großbritannien hält sich Optimismus und Pessimismus vielleicht die Waage. In den USA überwiegen negative Stimmen. Diese amerikanische Reaktion ist verständlich. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass jeder sowjetische Schachzug im Endeffekt gegen die USA gerichtet ist, auch der mögliche sowjetische Vorstoß auf dauernde Entwaffnung und Neutralisierung Deutschlands.

Die Präliminarien für die mögliche Viererkonferenz sind absolut unbefriedigend. Der festen Haltung der Sowjets, gestärkt durch die Einheitsfront der Satelliten in ihrem Rücken, steht die Uneinigkeit im westlichen Lager gegenüber. Es gilt, Frankreich und England klar zu machen, dass es auch diesen Staaten auf Dauer nicht möglich ist, weder in Europa noch sonst irgendwo in der Welt sichere Politik ohne Unterstützung der USA zu treiben.

Es kann nicht eindringlich genug gesagt werden, dass für die Sowjets Deutschland in jedem Falle nur Mittel zum Zweck ist, die bolschewistischen Weltbeherrschungsziele im Kampf gegen die USA durchzusetzen.

Die öffentliche Meinung der Bundesrepublik sollte nachdrücklich fordern, dass die Bundesregierung über jede Phase der Vorbereitungen der möglichen Viererkonferenz, über die Vorkonferenz und die Hauptkonferenz selbst laufend unterrichtet wird. Nur so wird es möglich sein, den deutschen Standpunkt wenigstens rechtzeitig den westlichen Verhandlungspartnern lückenlos zur Kenntnis zu bringen.

 

II. Die Neutralisierung Deutschlands:

Es ist von entscheidender Bedeutung, vornehmlich die öffentliche Meinung in den USA darüber aufzuklären, was eine Neutralisierung Deutschlands zu bedeuten hätte. Unter der Voraussetzung eines neutralisierten Deutschlands ist die Integration Europas unmöglich. Diese würde als größter Sieg der UdSSR im kalten Krieg gegen die USA anzusehen sein. In den USA ist man sich offensichtlich über die Bedeutung einer deutschen Neutralisierung nicht im Klaren. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln muss durch systematische Aufklärung in Amerika Klarheit über die Bedeutung einer deutschen Neutralität geschaffen werden.

Dabei ist hervorzuheben, dass das Deutschland von 1951 nicht mehr das von 1945 ist. Wir haben zwar unsere Souveränität noch nicht zurück, aber wir haben heute wieder einen festen eigenen Willen, mit dem wir uns leidenschaftlich gegen die sowjetische Gefahr zur Wehr setzen. Unser einziger und stärkster Trumpf ist unsere Entschlossenheit, und diese muss gerade im gegenwärtigen Augenblick mit allem Nachdruck manifestiert werden. Es ist heute nicht mehr möglich, auf einer internationalen Konferenz Grundsatzentscheidungen über das Schicksal Deutschlands zu fällen, ohne dass wir nicht einen nachdrücklichen Appell an das Gewissen der Welt richten, wenn solche Entscheidungen nach unserer Überzeugung katastrophal für die deutsche Zukunft sein könnten. Gerade in den Wochen vor der möglichen Viererkonferenz muss das mit aller Deutlichkeit gesagt werden.

 

III. Schumanplan:

Die derzeitigen Verhandlungen in Bonn zwischen der Bundesregierung, der deutschen Schumanplan-Delegation in Paris und maßgeblichen Vertretern der deutschen Industrie stehen unter besonderer Betonung der politischen Bedeutung dieses Projektes. Der Schumanplan hatte ursprünglich besonderes Gewicht auf die Regelung des deutsch-französischen Verhältnisses gelegt. Seine europäische Bedeutung wuchs rasch, heute muss er mit weltpolitischen Maßstäben gemessen werden. Das gilt insbesondere für seine Beurteilung durch die USA. Die baldige Unterzeichnung des Schumanplanes ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, die in den USA weitverbreitete Auffassung zu revidieren, Europa sei unfähig, selbst in lebenswichtigen Fragen zu einer Einheit zu gelangen.

Alle am Schumanplan beteiligten Länder müssen zunächst Opfer bringen, auch die Ruhrwirtschaft. Wenn diese jedoch auf lange Sicht maßgeblich in die Produktion des Westens eingeschaltet werden soll, sind jetzt Opfer notwendig, die in Zukunft Vorteile bringen werden.

 

IV. Grotewohl-Appell:

Bei jeder Stellungnahme zu den Propagandamaßnahmen der SED sollte hervorgehoben werden, dass nicht die Bundesrepublik jetzt eine Antwort zu geben hat, sondern die Machthaber der Sowjetzone dieser seit langem eine Antwort schuldig sind. Die ersten Versuche zur Wiederherstellung der deutschen Einheit gingen nicht von Ostdeutschland, sondern von Westdeutschland aus. Bereits im Parlamentarischen Rat, im März, sowie im September und Oktober 1950 ist vom Westen das Verlangen nach gleichen, allgemeinen, geheimen und direkten Wahlen ausgesprochen worden. In der Praxis wurde eine Antwort darauf bis heute noch nicht erteilt. Es sind nicht einmal die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass diese freien Wahlen in absehbarer Zeit durchgeführt werden könnten. Erste Voraussetzung ist nämlich eine absolute Bereinigung des politischen Klimas, um die Bevölkerung der Sowjetzone frei von Furcht werden zu lassen. Dazu gehört aber die Freilassung aller unschuldig Inhaftierten, gleich ob sie in Zuchthäusern oder anderen Zwangsanstalten festgehalten werden. Dazu gehört die Meinungsfreiheit in Wort und Schrift, Zulassung demokratischer Parteien und die Möglichkeit der Einfuhr des Schrifttums aus der Bundesrepublik. Keine dieser Voraussetzungen ist bis heute erfüllt. So bleibt uns nur übrig, immer wieder die Maßstäbe in der Sowjetzone aufzuzeigen und kategorisch die Wiederherstellung von Recht und Gesetz zu verlangen.

Eine Sitzung des deutschen Bundestages in Berlin zur Beantwortung der SED-Appelle im gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht opportun. Durch eine so ungewöhnliche Maßnahme würde der Volkskammer der DDR und den Propagandamanövern der SED viel zu großes Gewicht beigemessen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass während des Verlaufes oder nach Beendigung der geplanten Viererkonferenz eine in aller Welt beachtete Demonstration des deutschen Bundestages notwendig wird. Diese sollte in Berlin erfolgen. Ihr Effekt wäre weitgehend geschmälert, wenn eine ähnliche Aktion bereits jetzt in Berlin stattfinden würde.

 

V. Die wirtschaftliche Situation der Bundesrepublik:

Alle Erwägungen und Pläne der Bundesregierung in wirtschaftlicher Hinsicht haben das Ziel, die Investitionskraft zu stärken. Die letzten Beschlüsse sind nicht als Kurswechsel unserer Außenhandels- oder gar unserer Wirtschaftspolitik zu werten, sondern stellen lediglich eine Änderung der bisherigen Technik dar. In der Bundesrepublik wird zuviel gekauft, und das muss verhindert werden.

Eine Hauptschwierigkeit in der Planung der Wirtschaftspolitik liegt in der Ungewissheit über die künftige Preisentwicklung auf den Weltmärkten. Niemand vermag mit Sicherheit zu sagen, ob die derzeitige Tendenz der Preiserhöhung anhält, eine Stabilisierung eintritt oder eine Rückwärtsentwicklung erfolgt. Entschieden ist, Front gegen Angst jeglicher Art zu machen, weil die Situation dadurch wesentlich erschwert wird. Am Grundsatz der Liberalisierung soll trotz allem festgehalten werden.

 

Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Pressearchiv F 30.