22. Februar 1957

„Teegespräch“ mit Journalisten

Adenauer: Meine Herren! In dieser Aufmachung sind wir lange nicht mehr zusammengewesen, und Sie werden vielleicht verstehen, daß, wenn man die großen Pressekonferenzen hat, man diese etwas intimere Veranstaltung nicht regelmäßig abhalten kann, abgesehen davon, daß, wie mir Herr Krueger eben erklärte, die intimeren Veranstaltungen dieser Art für diejenigen Damen und Herren, die daran nicht beteiligt sind, etwas [...] sind.

Aber vielleicht rechtfertigt es doch die gegenwärtige Lage, daß wir uns einmal darüber aussprechen. Haben Sie aber bitte die Freundlichkeit, mich nicht allein sprechen zu lassen, sondern sprechen Sie auch gleich. Ich habe bis zu 3/4 Stunde Zeit, da kann man wirklich etwas sagen. Ich möchte Ihnen, meine Herren, meine Anschauung und meine Meinung sagen über den Gemeinsamen Markt. An sich ist das, wie ich vorausschicken möchte, eine nicht schön gewählte Überschrift, denn es steht viel mehr darin - ein Gemeinsamer Markt. Ich möchte nur wenige Worte sagen über die Atmosphäre in Paris. Einige von Ihnen waren ja da und haben sie miterlebt. Meinen Raucherkatarrh - ich rauche ja nicht - bin ich allmählich wieder losgeworden, aber wenn man einige Stunden in einem Raucherzimmer sitzen muß, dann kann man wirklich einen Raucherkatarrh bekommen.

Die Verhandlungen selbst verliefen gut, es gab einige Schwierigkeiten, die Sie auch richtig geschildert haben. Aber wenn man das Ganze überblickt, kann man nur dankbar sein all den Experten, die nun seit etwa 18 Monaten an dieser ganzen Sache gearbeitet haben. Man kann das nur bedauern, aber es war nicht anders möglich, daß bei den Verhandlungen am Montag [18. Februar 1957] und Dienstag in Paris die ganzen Experten, vom Ministerialdirektor angefangen, ausgesperrt wurden, draußen in den anderen Räumen, und warten mußten. Etwa 100 Experten der verschiedensten Nationen mußten also tatenlos, soweit sie nicht ihre Memoiren schrieben, draußen warten, es war nicht anders zu machen.

Auch die Presse ist zu meinem großen Bedauern notgedrungen nicht gut behandelt worden, es war aber nicht anders möglich. Das sind nur einige Arabesken. Ich möchte Sie bitten, meinen Gedankengängen etwas zu folgen und dann einen Blick zu tun in die Zukunft von der Vergangenheit her.

Natürlich liegt jetzt sehr nahe der Vergleich mit dem Norddeutschen Zollverein. Wenn Sie sich eine Landkarte zur Hand nehmen aus der Zeit nach den Befreiungskriegen und dann alle diese Länder und Ländchen und ganz kleinen Ländchen sehen, die alle ein eigenes Zollgebiet waren, zum Teil auch eigene Münzen hatten, und die alle ein Leben für sich führten, dann war das für die damalige Zeit sicherlich ein großes Wagnis, diese verschiedenen Wirtschaften und verschiedenen Länder, die verschiedenen Zollgebiete zu einer großen Einheit zusammenzuschließen. Und wenn Sie einmal ein Protokoll zur Hand nehmen aus der Zeit nach 1848 von irgendeinem Landtag - nehmen Sie den sächsischen Landtag oder irgendein Parlament, gleichgültig, welches es ist -, da werden Sie finden, daß da von den Rednern ausgeführt worden ist, daß die ganze Welt zugrunde gehe, wenn man wirklich so etwas mache. Wenn man all das liest und sieht, dann wird man lebhaft erinnert an die Vorgänge, die sich jetzt ereigneten mit folgenden Unterschieden.

Denken Sie bitte daran, daß es damals keine Eisenbahnen gab, daß es kein Telefon gab, daß es keine Autos, daß es keine Flugzeuge gab. Wenn Sie sich nun einmal vorstellen, daß diese technischen Fortschritte oder jedenfalls technischen Neuheiten, die ich eben aufgezählt habe, in höchstem Grade raumverkleinernd wirken, daß Sie also z.B. - ich glaube, ich gehe da nicht fehl - heute mit dem Flugzeug nach dem Kongo fast so schnell hinkommen von Europa aus wie damals mit der Postkutsche quer durch Deutschland, dann, glaube ich, wird Ihnen doch sehr klar einmal die Notwendigkeit werden, die Räume zusammenzuschließen. Denn unsere Zeit mit diesen raumverschlingenden technischen Fortschritten verlangt größere Räume, sonst kann sie sich nicht bewegen und entwickeln, und ferner, meine Herren, verlangt unsere Zeit auch politischen Fortschritt.

Ich für meine Person bin überzeugt davon, daß, wenn man etwas Geduld hat - und die Geduld muß man haben, und höchstwahrscheinlich werden erst unsere Enkel die Früchte dessen ernten, was jetzt beschlossen worden ist -, wenn man Geduld hat und in die Zukunft sieht, aus der Vergangenheit heraus reflektiert auf die Zukunft, dann glaube ich, wird doch zweierlei sehr klar: Einmal, daß, wenn wir das nicht getan hätten, Europa verkümmert, buchstäblich verkümmert wäre. Und zweitens wird einem dann klar, daß man Risiken eingehen muß.

Meine Herren, nichts auf der Welt ist ohne Risiko, aber auch gar nichts. Und sicher ist der Fortschritt nicht ohne Risiko, und der politische Fortschritt und der wirtschaftliche Fortschritt sind erst recht nicht ohne Risiko. Das ist bei jedem einzelnen Unternehmen der Fall, das ist auch der Fall, wenn Staaten sich zusammenschließen. Also, wirkliche Risiken liegen natürlich darin, sie sind notwendig mit jedem Fortschritt verbunden. Man muß sich darüber klar sein und dann zu den Risiken die nötige Geduld einpacken, damit man etwaige Gefahren mit Geduld überwindet.

Es ist meine feste Überzeugung, daß, wenn dieser Schritt nicht getan worden wäre, dieses rohstoffarme Europa - denn im Grunde ist Europa rohstoffarm an Kohle und Eisenerz -, dieses Europa, das so überfüllt ist mit Menschen, wäre zweifellos gegenüber den großen wirtschaftlichen Mächten, die im Entstehen begriffen sind oder schon da sind, wäre zur politischen und wirtschaftlichen Einflußlosigkeit abgesunken. Das muß sich jeder Europäer, gleichgültig welchen Landes, vor Augen halten, daß Risiken in allem liegen, aber daß man, ohne Risiken in Kauf zu nehmen, keine Fortschritte machen kann. Und wenn Sie unter diesen Gesichtspunkten das Ganze besehen und mit etwas Phantasie, wie ich schon eben sagte, nach rückwärts und vorwärts blicken und diese so ganz klein gewordene Erde überblicken, dann werden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß diese sechs Länder der Montanunion doch für Europa die Schrittmacher geworden sind für die Zukunft und daß sie mit diesem Entschluß verhindern, daß die europäischen Länder zur Einflußlosigkeit und zum Absterben verurteilt sind.

Wir werden natürlich, meine Herren, sobald die ganzen Verträge ratifiziert worden sind und die Arbeiten, die damit verbunden sind, die Schaffung der Einrichtungen geschehen ist, nach meiner Meinung als allererstes daran gehen müssen, nun einmal die verschiedenen europäischen Einrichtungen, die wir getroffen haben, mit ihren Zuständigkeiten und ihren Mitgliedschaften usw. fein säuberlich nebeneinander aufzuzeichnen, um dann zu sehen, wie man das zusammenbringen, wie man das vereinfachen kann und das Ganze klarmachen kann. Ich glaube, die Öffentlichkeit darf nicht Anstoß daran nehmen, daß eine Reihe von europäischen Einrichtungen jetzt nebeneinander bestehen. Wenn Sie daran denken, welche kühne Tat es doch damals war nach dem Schluß des Krieges in Europa, in Straßburg den Europarat zu berufen, wenn Sie daran denken, daß Deutschland zunächst überhaupt ausgeschlossen war, daß wir dann aufgenommen wurden, aber ohne Stimmrecht, dann sehen Sie, glaube ich, daß man in dieser damals noch vom Kriegsdenken, vom Nachkriegsdenken und Haß und Durcheinander erfüllten Zeit zunächst beginnen mußte mit einem ziemlich lockeren Gebilde, das ohne größere Befugnisse war.

Und Sie werden sich dann darüber klarwerden, wenn man sich das alles nebeneinander vorstellt, daß dann die Montanunion doch ein sehr großer Fortschritt war. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft war ein schwerer, ein furchtbarer Rückschlag, ein entscheidender Rückschlag - und wenn ich daran denke, das wäre damals nicht gewesen, wer weiß, ob nicht die Welt anders aussähe, gefestigter gegenüber dem Osten; aber auf der anderen Seite hat sich auch wieder gezeigt - das ist wenigstens meine Überzeugung -, daß Frankreich zu diesem Schritt nicht bereit gewesen wäre, wenn ihm nicht der Rückschlag bei der EVG die Augen darüber geöffnet hätte, daß schließlich nur in der Gemeinschaft eines Europas auch für Frankreich die Zukunft liegt.

Wir werden nach meiner Meinung sobald wie möglich zu einer Versammlung kommen, nicht zu einer beratenden Versammlung, sondern zu einer beschließenden Versammlung. Und wenn man vielleicht auch beim erstenmal in dieser Versammlung indirekt wird wählen müssen, d.h. durch die europäischen Parlamente, dann muß doch unser Bestreben darauf gerichtet sein, so schnell wie möglich - und ich denke an sehr wenige Jahre, meine Herren - eine europäische Versammlung ins Leben zu rufen, die auf direkten Wahlen beruht.

Das ist eine absolute Notwendigkeit, damit Leben in das Ganze kommt und erhalten bleibt. Wenn das eine Einrichtung der Regierungen wird, dann ist doch die Gefahr sehr groß, daß schließlich bürokratische Hemmungen das Ganze beeinflussen. Es müssen durch direkte Wahlen ständig neue, frische Impulse gegeben werden.

Es liegt uns dann jetzt ob, meine Herren, daß die Verhandlungen mit Großbritannien, mit den nordischen Staaten - ich denke auch mit Österreich, ich denke mit der Schweiz - geführt werden müssen, um zu einem gemeinsamen Zollgebiet zu kommen. Für mich ist kein Zweifel, daß bei den Staaten, die das wünschen, an dem gemeinsamen Wirtschaftsgebiet teilzunehmen, mit der Zeit auch der Augenblick kommt, wo sie sich entschließen, ein vollwertiges, ein volles Mitglied des Ganzen zu werden. Da muß man mal abwarten.

Die politischen Folgen dieser Zusammenarbeit der Völker schätze ich außerordentlich hoch. Es entsteht da doch hier in diesem Europa eine gewaltige wirtschaftliche Kraft, und diese wirtschaftliche Kraft, die ganz sicher auch zu gemeinsamem politischen Handeln im Großen führen wird, wird auf die Geschehnisse in dieser Welt ihren Einfluß ausüben. Daß wir nicht im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten stehen wollen, brauche ich Ihnen nicht ausdrücklich zu erklären und klarzulegen. Aber ich glaube, auch die Vereinigten Staaten, die ja etwas müde geworden waren mit ihrer Arbeit an diesem zersplitterten und zerrissenen Europa, werden es begrüßen, wenn sie in Zukunft mit einem einigen und gefestigten Europa zusammenarbeiten.

Ich darf Sie auch darauf hinweisen, daß die ganze Sache mit Afrika nichts zu tun hat mit Kolonialismus. Ich möchte überhaupt meinen, man sollte sich nicht in Schlagwörtern ergehen. Das Wort Kolonialismus ist auch so ein Schlagwort geworden. Sicher, in den vergangenen Zeiten wurden Kolonien gegründet in der Hauptsache nicht, wenigstens zu einem erheblichen Teile nicht, zum Wohle dieser Völker, deren Gebiete besetzt wurden, sondern zum Wohle der Mächte, die sie besetzten. Aber überall ist das nicht so gewesen, und vor allen Dingen sollte [man] in diesem Falle nichts sagen vom Kolonialismus. Ich weiß nicht, ob das schon in der Presse stand oder in einem Telegramm, das unser Botschafter in Washington über eine Unterredung mit dem Staatssekretär Dulles an uns gerichtet hat. Dulles, der doch sicher nicht für Kolonialismus ist, hat gerade die Aufnahme dieses Teiles Afrikas in unseren Gemeinsamen Markt sehr begrüßt. Er hat schon vor zwei Jahren mich hingewiesen auf die Bedeutung, die für Europa gerade dort aus diesem Erdteil gewonnen werden kann und wird, wenn wir uns darum bekümmern. Man kann, meine Herren, sehr schwer geschichtliche Urteile aussprechen, wenn alles noch im Fluß ist, wenn alles noch in Bewegung ist, aber vielleicht ist dieser Zusammenschluß das wichtigste Ereignis der Nachkriegszeit. Die Zukunft muß es lehren, die Keime dafür aber sind vorhanden, daß das wirklich das wichtigste Ereignis der Nachkriegszeit für unser Europa und damit auch für die Geschichte der ganzen politischen Kräfte in der Welt ist.

Nun, um zurückzukehren zu dem heutigen Tage. Sie wissen, wie die Geschichte weitergeht, daß zuerst von den Delegationen noch einige Bestimmungen genauer gefaßt werden müssen oder aber gefestigt werden müssen. Die Arbeit wird, wie wir hoffen, im März im Rohen vollendet werden.

Und dann werden unverzüglich die Verträge den verschiedenen Parlamenten vorgelegt werden. Ich glaube, mit größter Sicherheit sagen zu können, daß sie von allen Parlamenten angenommen werden, und zwar noch im Laufe dieses Sommers. Ich wiederhole nochmals, meine Herren, ich bin sehr durchdrungen von der Bedeutung dieser Angelegenheit, die uns volle 18 Monate jetzt beschäftigt hat. Falls Sie das Bedürfnis haben, über diese Angelegenheit Fragen an mich zu stellen, ehe ich fortfahre, so stehe ich Ihnen zur Verfügung.

Journalist: In der Pressekonferenz mit dem Herrn Außenministerist eigentlich unklar geblieben, wie das mit der Zonen- und Zollgrenze geworden ist. Wo ist bei der Einfuhr von Waren aus der Ostzone die Zonengrenze oder die Zollgrenze?

Adenauer: Gegenüber der Zone gilt natürlich Zollfreiheit.

Fragesteller: Das könnte politisch mißbräuchlich benutzt werden.

Adenauer: Der Knüppel liegt beim Hund, ich weiß nicht, wo die großen Güter herkommen sollen. Ich zerbreche mir nicht gerne den Kopf über Probleme, die doch nicht wirklich faßbar sind. So gerne ich Ihnen antworten möchte - warten wir mal ab.

Vollhardt: Es besteht doch die Gefahr der politischen Preise, und daß damit der Markt gestört wird?

Adenauer: Wir haben mit der Sowjetzone wirtschaftliche Abkommen, und die müssen ja bezahlt werden. Es bestehen ja auch gewisse Kontrollen. Das ist die Kehrseite (zu dem vorherigen Fragesteller) Ihrer Frage.

Vollhardt: Die Gegenseite kann doch wirklich ohne Rücksicht auf Verluste zu politischen Preisen greifen!

Adenauer: Die Sowjetzone ist zur Zeit in einer solch katastrophalen Wirtschaftskrise, daß sie keine Kohle bekommt. Sie hat wirklich genug mit sich zu tun, so daß sie solche Geschichten nicht machen wird. Sonst würden wir uns ja dagegen auch wehren. Die anderen Länder, die Satellitenstaaten, Polen z.B. kann sich nicht rühren. Polen will sein Wirtschaftsleben wiederaufbauen, Ungarn ist total kaputt, die Tschechoslowakei geht noch einigermaßen.

Strobel: (unverständlich) [Frage] betrifft die Haltung Frankreichs. Adenauer: Meine Herren, das ist nicht die richtige Betrachtungsweise, sondern das Geld, das da gezahlt wird, kommt ja - ich drücke mich etwas sehr volkstümlich aus - in einen gemeinsamen Topf. Und aus diesem Topf werden dann Unternehmungen, die vorher daraufhin geprüft werden, ob sie im gemeinsamen Interesse liegen, bezahlt.

Strobel: Haben unsere Sachverständigen den Eindruck, daß diese Gelder auf längere Zeit gesehen uns indirekt in gleichem Maße zugute kommen?

Adenauer: Ich habe jetzt die Ziffern nicht im Kopf, ich habe sie vor einigen Monaten im Kopf gehabt. Der Kongo beispielsweise hat Kraftquellen, Wasserkraftquellen von ungeheuerstem Ausmaß. Und Sie wissen, das ist natürlich so etwas wie eine Vision - den Ausdruck hat die „Frankfurter Allgemeine“ gebraucht, und man muß tatsächlich in der Politik manchmal Visionen haben. Vor zehn Jahren würde jeder es für unmöglich gehalten haben, daß man ihm einmal eine Leinwand zeigen würde, auf der zu sehen wäre, wie wir heute hier zusammensitzen. Man muß tatsächlich in der großen Politik versuchen, Visionen zu haben, d.h., man muß eine gewisse Phantasie haben. Nehmen Sie mal die Sahara, die sehr große Ölvorräte hat, und weite Teile von Äquatorialafrika sind überhaupt noch unerforscht, denken Sie an Madagaskar, die größte aller Inseln, die auch sehr große Reichtümer bergen soll. Vom belgischen Kongo habe ich schon gesprochen. Es ist das so ähnlich wie früher mit Amerika, als es noch nicht erschlossen war und die Auswanderer dorthin gingen, die dort ihr Glück versuchten und sagten, wir wollen versuchen, aus den Gütern dieses Landes etwas machen zu können. Es ist auch heute eine Art Pioniergeschichte. Darin liegt eben das Risiko, von dem ich eben sprach.

Ich möchte nochmals sagen, auf der anderen Seite müssen Sie immer gegenüberhalten das rohstoffarme und das kleine Europa. Und Sie müssen miteinander vergleichen und abwägen: Soll man, wenn man ein so rohstoffarmes und ein so kleines Land ist wie Europa, dann kühn nach vorwärtsgehen und derartiges versuchen. Ich glaube, meine Herren, ein Volk, das am Leben bleiben will, und die europäischen Völker insgesamt, die doch geistige Güter in der Welt zu vertreten haben und die auch noch ihre geistigen Güter weiterentwickeln müssen, müssen auch diesen Wagemut, diesen Pioniermut aufbringen. Demgegenüber schließlich - Sie werden mich richtig verstehen - spielt es wirklich keine so lebenswichtige Rolle, ob man 5 Jahre eine Anzahl Millionen Dollar bezahlt zur Aufschließung dieser Gebiete. Sicher ist das keine geringe Summe, für die der Bau von Straßen, von Krankenhäusern, Schulen und andere derartige Dinge durchgeführt werden soll. Aber ich bitte nochmals, es ist nicht so, daß ein Staat mit dem Geld, das aus dem Topf entnommen wird, nun ohne Genehmigung der Gemeinschaft machen kann, was er will. Es wird dieses Geld nicht verteilt, ohne daß bestimmte Projekte vorliegen. Die Projekte werden nachgeprüft, sie werden genehmigt, oder sie werden nicht genehmigt.

Strobel: (unverständlich) Dann zahlen wir nach fünf Jahren [...] Deutsche Firmen wie Krupp usw., können sie sich an örtlichen Unternehmungen beteiligen? Kann Frankreich da bremsen?

Adenauer: Nein, die deutschen Firmen werden genauso behandelt wie die französischen, es gibt keine Präferenzen.

Strobel: Die „Welt“ hat da etwas geschrieben von einem „Brautgeschenk“...?

Adenauer: Es ist weder das eine noch das andere. Sie sagten eben, Herr Strobel, die „Frankfurter Allgemeine“ und die „Welt“ seien Konkurrenzblätter, immer merkt man es nicht. Sehen Sie, die Gebiete müssen aufgeschlossen werden, sie sollen gemeinschaftlich aufgeschlossen werden. An den Aufschließungsarbeiten beteiligen wir uns in genau demselben Maße wie Frankreich sich beteiligt, weil Deutschland und Frankreich die wirtschaftlich stärksten Länder sind. Wenn nun diese Straßen gebaut werden, Eisenbahnen gebaut werden, und was es auch immer sein mag, Schulen und Krankenhäuser in einer französischen Kolonie oder in einer niederländischen Kolonie, meine Herren, dann geschieht das nur zum allgemeinen Besten. Wir tragen unseren Teil bei zur Aufschließung der Gebiete entsprechend unserer wirtschaftlichen Kraft, genau das gleiche tun Frankreich, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg. Man muß sich loslösen von dem Gedanken, daß die Bahnen oder Eisenbahnen, oder was es sonst sein mag, dem belgischen Kongo oder Madagaskar zugute kommen, sie kommen uns allen zugute. Es hat weder eine Hochzeit stattgefunden noch [...]. So dürfen Sie das nicht sehen, auf den ersten Blick verwirrt es etwas. Wenn Sie sich die Sache überlegen, ist es eine sehr kaufmännische Angelegenheit.

Strobel: Ein Bedenken – [...] die Franzosen haben die schwere psychologische Hypothek bei den Arabern, während wir doch sehr angesehen sind.

Adenauer: Infolgedessen können Sie in Ägypten kein Einfuhrgeschäft mehr eröffnen, weil wir so angesehen sind. Die haben radikal Schluß gemacht.

Strobel: Sie wollen sagen, wenn wir ihnen Straßen bauen ...?

Adenauer: Wer sagt Ihnen denn, daß nicht auch deutsche Firmen dort Straßen bauen, das kann genauso sein.

Strobel: (unverständlich).

Adenauer: Das müssen die Franzosen selbst wissen. Es kann sein, es braucht es aber nicht.

Journalist: Wer ist der Besitzer der in diesen Gebieten eventuell errichteten riesigen Elektrizitätswerke usw.?

Adenauer: Da müssen erst Gesellschaften gegründet werden, die das machen.

Fragesteller: Es gibt Gemeinschaftsgesellschaften ...

Adenauer: Das müssen wir der Wirtschaft überlassen.

Journalist: Aber das Geld kommt aus dem gemeinsamen Topf?

Adenauer: Ich glaube, wenn Sie sich den gemeinsamen Topf mal ansehen, wieviel im Jahre darinsteckt ... Das sind 50 Millionen [EZU- Rechnungseinheiten] von uns, 50 Millionen von den Franzosen, dann kommen von Italien und den zwei Beneluxstaaten je 8 Millionen, dann Luxemburg. Davon können keine großen Sprünge […] gemacht werden, dafür ist das Geld zu wenig, davon können sie keine riesigen Unternehmungen bauen. Das sind tatsächlich notwendige Gelder für Erschließungsarbeiten, um Straßen zu bauen, Eisenbahnen, Häfen zu bauen und Telegraphenanlagen, Krankenhäuser für die Eingeborenen, Schulen für die Eingeborenen. Sagen wir mal, es sind Aufschlußkosten, wenn ich den Ausdruck brauchen darf. Dann soll die private Initiative, die Privatwirtschaft soll sehen, was sie glauben, mit ihren Geldern machen zu können.

Journalist: Kann Ihre Antwort in bezug auf die Zonengrenze so zusammengefaßt werden, daß im Zuge des Gemeinsamen Marktes die Zonengrenze niemals Zollgrenze wird?

Adenauer: Sie kann gesperrt werden, nicht wahr! Wie jetzt auch bei dem Zonenverkehr. Damit Hand in Hand geht der Verrechnungsverkehr in D-Mark und Ostmark.

Journalist: Es besteht die Aussicht, daß eine solche Sache wie der Gemeinsame Markt mit der Zeit eine Wirkung auf die osteuropäischen Staaten ausüben könnte. Sehen Sie eine solche Möglichkeit?

Adenauer: Das beste Mittel, diese Staaten zu unterstützen, wäre, wenn wir möglichst bald diese Gebiete in Blüte bekommen würden, wenn also der Nutzen davon bald sichtbar wäre. Aber zunächst notwendig ist, daß die Engländer sich in der bekannten Form anschließen, die nordischen Staaten, die sind zusammengetreten im Nordischen Rat unter Einschluß von Finnland, sie haben sehr aufmerksam verfolgt, was getan worden ist, um einsteigen zu können. Es ist sehr schwer, dem Zeitungsleser zu sagen, er müsse Geduld haben, aber doch muß man Geduld haben, das muß sich alles entwickeln können. Das ist genauso, als wenn ich Weizen säe. Jeder Baum auch wird klein gepflanzt und wird erst nachher ein großer Baum.

Darf ich weiter fortfahren? Zunächst möchte ich sagen, daß wir natürlich sehr ausführlich - Sie wahrscheinlich auch - unterrichtet werden über die Ausführungen, die Herr Ollenhauer drüben macht. Aber Sie werden verstehen, daß ich, solange Herr Ollenhauer drüben ist, jeder Kritik mich enthalte über das, was er sagt oder was er nicht sagt oder was er vielleicht früher gesagt hat. Ich weiß nicht, ob Sie die Fastnachtszeitung kennen?

(Zu Herrn Krueger: Kennen Sie die, Herr Krueger?)

Die müssen wir uns mal beschaffen, da steht drin, daß Ollenhauer in die CDU eintritt.

(Auf eine Zwischenbemerkung, daß es sich um die Fastnachtszeitung der „Frankfurter Rundschau“ handelt, bemerkt der Bundeskanzler:)

Mir wurde gesagt, es sei eine Kölner Fastnachtszeitung. In dem Zusammenhang - ich weiß nicht, ob es Sie interessiert - kann ich Ihnen die neuen Feststellungen von Emnid mitteilen. Im Januar hatte die CDU 32 Prozent „Liebhaber“, im Februar 34 Prozent; SPD Januar 33, Februar 29 Prozent, FDP 6 bez. 5 Prozent, EHE 4 bez. 3 Prozent; DP und FVP (Januar nur DP) 1, Februar (mit FVP) 3 Prozent.

[Journalist:] Wie ist die Zahl der Unentschiedenen?

Adenauer: Da steht hier Bayern 1 Prozent, 1 Prozent. Es waren im Januar 23, im Februar 22 Prozent.

Fragesteller: Da bleibt nur die Regierung CDU und SPD!

Adenauer: Ich hätte nie gedacht, daß Sie ein solcher Träumer wären!

Fragesteller: Nach der Zusammenstellung hat die SPD in einem Monat 4 Prozent verloren, bis zum Wahltag wäre sie dann nicht mehr da ...

Adenauer: Das wäre hart, das glaube ich auch gar nicht, das wäre auch nicht gut. Aber ich muß immerhin zugeben, das stimmt überein mit den anderen Instituten wie Allensbach.

Journalist: Herr Bundeskanzler, können Sie etwas sagen über die Antwort auf den Bulganin-Brief?

Adenauer: Gleich heute Abend nimmt Botschafter Haas sie mit nach Moskau. Wir werden sie veröffentlichen, sobald Herr Bulganin die Antwort hat und wenn so viel Zeit verstrichen ist wie bei dem Empfang des Bulganin-Briefes hier. Es wird sehr korrekt sein.

Fragesteller: Vorausgesetzt, daß die anderen es nicht früher tun ... ?

Adenauer: Das wäre inkorrekt, wir wollen korrekt verfahren.

(Auf eine Zwischenfrage von Herrn Krueger wird mitgeteilt, daß dieser Hinweis auf die Übergabe des Briefes gemeldet werden kann.)

Tönnies: Haben bei den heutigen Koalitionsbesprechungen unter Ihrem Vorsitz auch die Parteifusionen, wie sie zur Zeit in München besprochen werden, einen gewissen zeitlichen Raum eingenommen?

Adenauer: Nein, über München ist nicht gesprochen worden, über die Saar wurde auch nicht gesprochen.

Strobel: [Frage] betrifft 615 Millionen [DM] des Grünen Planes.

Adenauer: Da ist wohl schon früher drüber gesprochen worden.

Strobel: (unverständlich).

Adenauer: Nein, das war von vornherein vorgesehen. Der Herr Schäffer läßt sich immer gewisse Reserven.

Journalist: Sind die Reserven so groß, daß Sie auch an Steuersenkungen denken können?

Adenauer: Nein, Steuersenkungen sind völlig ausgeschlossen.

Journalist: Werden noch einige Mittel abgezweigt werden können für den wissenschaftlichen Nachwuchs?

Adenauer: Ich glaube, daß das der Fall sein wird. Aber es werden da gewisse Verhandlungen mit den Ländern stattfinden müssen, damit nicht ein Gegeneinander entsteht in der Verwendung dieser Mittel.

Journalist: Ist der Betrag größer etwa wie für den Grünen Plan?

Adenauer: Es gibt Leute, die begabt sind, aber so viele Begabte hätten wir schließlich nun doch nicht.

(Auf eine Zwischenfrage:) Ja, eine dreistellige Zahl.

(Zuruf: Als Millionen!)

Natürlich, ich denke doch nur in Millionen.

Journalist: Es ist der Gedanke aufgetaucht, für die Rentner Goldmünzen herzustellen!

Adenauer: Diese Frage der Prägung von Goldmünzen ist eine sehr schwierige Frage. Der Plan taucht immer wieder auf. Es wurde auch behauptet, Österreich präge schon. Österreich teilte mit, es präge nicht. Es wäre diese Prägung für uns ein gutes Geschäft, aber man darf auch nicht den Anschein aufkommen lassen, als ob ein 20-Mark-Schein weniger wert wäre als ein Goldstück. Immerhin, das ist ein sehr ernster Einwand gegen die Prägung von Goldstücken, er ist von sehr sachverständigen Leuten vorgebracht worden, der Einwand ist sehr beachtlich; ich muß zugeben, ich war zunächst ein Anhänger.

Fragesteller: In der Schweiz ist es doch so ...

Adenauer: Ja, es ist schon länger dort so. Die Zeiten aber sind halt vorbei, ich glaube nicht, daß sie wiederkommen.

Journalist: Bei dem wissenschaftlichen Nachwuchs, an welche Gruppen ist da gedacht?

Adenauer: Nicht nur an Studenten allein, es müßte auch an die Institute zwischen Berufsschule und Universität bez. Technische Hochschule gedacht werden, es müssen Institute aufgebaut werden. Ein Plan wird aufgestellt werden. Ich habe die Ministerpräsidenten der Länder zu einer Besprechung eingeladen zum 21. März [1957]. Schreiben [Sie], im letzten Drittel des März ...

Journalist: Was halten Sie, Herr Bundeskanzler, von der Absicht führender Abgeordneter, am 31. Mai [1957] die gesetzgeberische Tätigkeit zu beenden?

Adenauer: Ich kann nicht sagen, daß ich traurig wäre, aber ich glaube nicht, daß der Gedanke durchführbar sein wird. Wir werden auf alle Fälle die Euratomgeschichte und den Gemeinsamen Markt noch im Parlament erledigen müssen.

Journalist: Im Zusammenhang damit wird die Frage der Vorverlegung der Wahl auf Anfang Juli immer wieder besprochen!

Adenauer: Meine Herren, an sich ist natürlich ein kürzerer Wahlkampf für alle Beteiligten angenehmer und in der Sache selbst auch. Aber es spricht manches dagegen, wenn man so plötzlich mit so einer Sache kommt. Es wird schließlich herauskommen auf den 15. September [1957]. 

 

Quelle: ACDP, NL von Eckardt I-010-014/1, abgedruckt in: Adenauer. Teegespräche 1955-1958. Bearb. von Hanns Jürgen Küsters (Rhöndorfer Ausgabe). Berlin 1986, S. 178-189. Auszug abgedruckt in: Konrad Adenauer: „Die Demokratie ist für uns eine Weltanschauung.“ Reden und Gespräche 1946-1967. Hg. von Felix Becker. Köln-Weimar-Wien 1998, S. 112-116.