22. Juli 1955

Die Weltöffentlichkeit soll diesmal selbst urteilen

Von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer

 

Von der Viermächtekonferenz auf höchster Ebene war kaum zu erwarten, dass es ihr bereits gelingen würde, alle noch offenen großen internationalen Fragen umfassend zu klären. Für die führenden Staatsmänner der drei westlichen Großmächte und der Sowjetunion kam es darauf an, in unmittelbaren Gesprächen die verschiedenen Meinungen über die schwebenden Probleme möglichst tiefgehend kennenzulernen und so den zu erwartenden anschließenden Konferenzen zwischen den Außenministern und Sachverständigen entscheidende Richtungen weisen zu können.

Wenn es bei solchen Besprechungen auf höchster Ebene allgemein auf die Erkundung ankommt, wie weit die eine und wie weit die andere Partei in der Lage ist, ihren Standpunkt dem der anderen zu nähern, so war es für uns natürlich besonders wichtig, zu erkennen, ob Sowjetrussland wirklich bereit ist, dem freien Westen entgegenzukommen. Ich hoffe, dass sich bei den Konferenzen eine gewisse Entwicklung zeigen wird, die uns zu der Hoffnung berechtigt, dass es in absehbarer Zeit zu einer Verständigung kommen kann. Die Russen haben seit längerem immer davon gesprochen, dass sie sich durch die deutsche Aufrüstung bedroht fühlen. Es werden also Wege gesucht werden müssen, um den Russen, falls sie sich wirklich bedroht fühlen, diese Sorge zu nehmen.

Es gibt aber gewisse Positionen des Westens, auf die meiner Meinung nach nicht verzichtet werden kann. Der Westen kann zum Beispiel weder auf den Nordatlantikpakt noch auf die westeuropäische Union verzichten. Gerade die westeuropäische Union wird bei der Frage eines europäischen Sicherheitssystems insofern eine Rolle spielen, als diese Union ja schon eine Rüstungsbegrenzung und deren Kontrolle vorgesehen hat.

In der westlichen Welt hatten sich schon vor der Genfer Konferenz die Fragen gemehrt, worauf die neue Haltung der Russen zurückzuführen sei.

Jene Haltung, die ihren Ausdruck gefunden hat in der Bereitschaft Moskaus zum österreichischen Staatsvertrag und in dem Besuch führender Männer der Sowjetunion in Belgrad.

Nun, ich glaube sagen zu können, dass die Russen das sicher nicht uns zuliebe getan haben, sondern in ihrem eigenen Interesse. Sie müssen irgendwie das Bedürfnis haben, ihre Politik zu ändern, wahrscheinlich sind die Gründe auch zwingend. Die Russen möchten jetzt wahrscheinlich zum Nutzen des eigenen Landes eine Verbindung mit der freien Welt herstellen.

Das aber nährt ihre Hoffnung, dass die Repräsentanten der Sowjetunion schon durch das Interesse ihres eigenen Landes dazu gebracht werden, sich allmählich mit dem Westen zu verständigen. Wenn es den Staatsmännern des Westens gelingt, den Kern des Motivs für das neue Vorgehen der Russen zu erkennen, haben wir Aussicht, tatsächlich weiterzukommen und zu erreichen, dass der kalte Krieg immer mehr abgeblasen wird.

Man darf sich jedoch nicht der Täuschung hingeben, in einem kalten Kriege würde ein Friedensvertrag unterschrieben. Der kalte Krieg hat sehr langsam angefangen und ist allmählich gesteigert worden. Dementsprechend wird er auch langsam wieder abflauen und zu Ende gehen. Die Tatsache des Genfer Treffens auf höchster Ebene mit dem dortigen Erscheinen der Vertreter Sowjetrusslands kann nach meiner Ansicht nicht so ausgelegt werden, als hätte damit der Westen den kalten Krieg bereits gewonnen. Noch ist von gewinnen keine Rede.

Ich war von vornherein dafür, die Weltöffentlichkeit über den Verlauf sowohl der Viererkonferenz in Genf wie auch meine etwaigen Besprechungen in Moskau sehr genau zu orientieren. Die Weltöffentlichkeit soll sich selbst ein Bild darüber machen können, ob die Russen es ernst meinen oder nicht. Die Völker sollen erkennen können, ob die Russen ihr bisheriges System revidieren und ob sie insbesondere auch dem Willen von 90 Prozent der Bevölkerung der deutschen Sowjetzone folgen wollen und bereit sind, diesen Deutschen ihre Freiheit zurückzugeben.

Die Weltöffentlichkeit soll diesmal selbst über das Ergebnis der internationalen Besprechungen, vor allem über die Haltung der Sowjetrussen, urteilen. Die Einheit des freien Westens aber bleibt entscheidend wichtig, denn in dieser Hinsicht liegt eine Garantie dafür, dass für den Fall eines Erfolges der in Genf begonnenen Besprechungen dieser Erfolg ein guter sein wird.

 

Quelle: Hamburger Abendblatt vom 22. Juli 1955.